Krankenhausreform – Kahlschlag per Gesetz

Die Einschätzung des Bündnis Klinikrettung zu Lauterbachs Krankenhausreform

Die Bilanz ist erschreckend: Über 55 Krankenhäuser mussten seit 2020 bundesweit schließen, 14 allein im laufenden Jahr. Weitere 74 Kliniken sind akut von Schließung bedroht. In einer aktuellen Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geben 96 Prozent der Krankenhäuser an, ihre laufenden Kosten nicht aus den Einnahmen decken zu können; 69 Prozent sehen ihre Existenz gefährdet.

Besonders kleine Krankenhäuser, die als Allgemeinversorger für ländliche Gebiete fungieren und wichtige Abteilungen für Notfälle sowie Kinderstationen und Geburtshilfe bereitstellen, sind betroffen. Versorgungslücken, lange Anfahrtswege und Wartezeiten prägen zunehmend die Krankenhauslandschaft.

Lauterbach versprach, die Lage der Krankenhäuser durch eine Reform der Krankenhausfinanzierung zu verbessern. Nichts weniger als eine „Revolution“ stünde bevor. Verbal ging der Minister damit auf die breite Kritik an den DRG-Fallpauschalen ein (DRG: Diagnosis Related Groups). Mit den Fallpauschalen vergüten die Kassen den Krankenhäusern holzschnittartig Behandlungsfälle. Private Kliniken picken sich gern lukrative Behandlungen heraus und steigern möglichst deren Mengen, um Profite zu generieren. Öffentliche Grundversorger mit hohen Vorhaltekosten haben das Nachsehen.

Seit seiner Einführung 2003 trägt das DRG-System erheblich dazu bei, dass Klinikleitungen bestrebt sind, Personal einzusparen und die Arbeit unerträglich zu verdichten. Hinzu kommt, dass die Bundesländer ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, Gelder für Investitionen bereitzustellen. Der politische Kurs der letzten Jahrzehnte führt inzwischen flächendeckend zu Schließungen unterfinanzierter Abteilungen – vor allem Geburtshilfe und Pädiatrie – oder ganzer Kliniken und befeuert Privatisierungen. Die vier größten Krankenhauskonzerne ziehen jährlich rund eine Milliarde Euro Gewinn aus dem Krankenhauswesen. Der Anteil privater Kliniken steigt kontinuierlich an, während die Zahl von öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern seit Jahrzehnten abnimmt.

Kein Cent mehr für Krankenhäuser

Seit Juli liegt nun ein Eckpunktepapier von Bund und Ländern für die Krankenhausreform vor. Ein Blick darauf macht klar: Lauterbach löst sein Versprechen in keiner Weise ein, stattdessen stehen noch mehr Ökonomisierung und Bürokratie auf dem Programm: Die DRG-Fallpauschalen sollen nicht abgeschafft, sondern nur gekürzt und zum Teil durch die sogenannten Vorhaltepauschalen ersetzt werden. Aber auch diese Pauschalen decken die realen Kosten der Häuser nicht. Außerdem bleiben durch die Beibehaltung von Fallpauschalen deren Fehlanreize bestehen. Das Gesamtbudget ist dabei strikt gedeckelt, im Klartext: Es gibt keinen Cent zusätzlich für die Krankenhäuser. Somit verschärft sich die finanzielle Misere.

Die Schließungslobby sitzt mit am Tisch

In Lauterbachs Expertenkommission für die Krankenhausreform dominieren zwei Gesundheitsökonomen mit engen Verbindungen zu unternehmensfreundlichen Stiftungen und Krankenhauskonzernen: die Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky. Sie befürworten schon seit Jahren Krankenhausschließungen. Damit ist vorprogrammiert, dass der Abbau von Krankenhäusern ungebremst weitergehen wird. Wenn Lauterbach nun öffentlich verlauten lässt: „Wir stehen am Vorabend eines Krankenhaussterbens“, ist das purer Zynismus. Denn als verantwortlicher Minister hätte er die Möglichkeit, Krankenhäuser zu retten – doch er tut das Gegenteil. Schon seine ursprünglichen Reformpläne sahen explizit die Schließung von 20 Prozent aller Kliniken vor.

Die Konturen der Krankenhausreform wurden bereits 2019 in einer von Busse verantworteten Studie der Bertelsmann Stiftung vorgezeichnet. In deren Vorstand sitzt Brigitte Mohn, die gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Klinikum AG ist – wie einst auch Karl Lauterbach. Augurzky wiederum leitet die konzernnahe Rhön Stiftung. Die Rhön-Klinikum AG gehört mittlerweile Asklepios, Deutschlands zweitgrößtem Krankenhauskonzern. Den großen Konzernen nützen Ökonomisierung und Zentralisierung. Es sind deren Interessen, die sich unter dem Tarnmantel wissenschaftlicher Expertise in die Reform eingeschlichen haben.

Lauterbach wiederum verkauft die Schließung von Krankenhäusern als Heilmittel gegen Personalmangel und angebliche Geldknappheit. Das vorhandene Personal solle einfach auf weniger Krankenhäuser verteilt werden. Die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die fehlenden Ausbildungsplätze geht er nicht an. Auf Schulen übertragen wären das Schulschließungen, weil Lehrkräfte fehlen, und die Bildung von Mammutschulen mit riesigen Klassenverbänden.

Leistungsgruppen als Schließungsinstrument

Auf Lauterbachs erste Schließungsankündigungen folgte ein Aufschrei aus der Bevölkerung. Auch die Länder sahen sich durch Lauterbachs Vorhaben in ihrer Planungshoheit eingeschränkt. Im jüngsten Eckpunktepapier sind einige der ursprünglichen Vorschläge nun vermeintlich abgeschwächt. Die Einführung von Krankenhausleveln, anhand derer kleine Krankenhäuser zwangsweise zu bloßen Pflegezentren degradiert werden sollten, hat Lauterbach vorerst zurückgenommen. Auch der Plan, die bereits stark dezimierte Geburtshilfe nur noch in großen Krankenhäusern anzubieten, wurde kassiert.

Ein näherer Blick macht aber deutlich, dass die Reform nach wie vor flächendeckend auf Schließungen abzielt, das erfolgt jetzt allerdings indirekt. Als Instrument dafür dienen die neuen Leistungsgruppen, an deren Zuteilung auch die Vorhaltepauschalen gekoppelt sein sollen. Die Leistungsgruppen gliedern die medizinischen Bereiche in Teilbereiche auf, den Bereich Innere Medizin zum Beispiel in Herzchirurgie, Lungentransplantation usw.

Nur wenn einem Krankenhaus durch das Land eine bestimmte Leistungsgruppe zugeteilt wird, darf es die entsprechenden Behandlungen durchführen. Dafür müssen die Krankenhäuser vorgegebene Kriterien erfüllen, zum Beispiel eine jährliche Mindestzahl an Behandlungen erbringen oder eine ärztliche oder technische Mindestausstattung aufweisen. Was zunächst wie Qualitätssicherung klingt, wird unter dem Vorzeichen des Budgetdeckels schnell zu einem Schließungsinstrument. Denn für die Länder besteht der Anreiz, die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser zu verteilen, da dann für jedes Krankenhaus aus den begrenzten Krankenhauserlösen mehr Geld zur Verfügung steht. Anstatt Krankenhäuser finanziell und personell so zu ertüchtigen, dass sie alle notwendigen Behandlungen durchführen können, werden ihnen Behandlungen verboten. Das bedeutet gleichzeitig den Entzug der Finanzierung. Entscheiden sich die Länder trotzdem dafür, möglichst vielen Krankenhäusern Leistungsgruppen zuzuteilen, bekommen alle zu wenig Geld – und die schwächsten machen aufgrund von Verlusten dicht, wie es bereits jetzt vielerorts geschieht.

Eine Reform zugunsten privater Konzerne

In der Krankenhausplanung bekommen die Länder also die Wahlmöglichkeit zwischen Pest und Cholera: aktiv schließen oder sterben lassen. Außerdem ist die Umwandlung von Krankenhäusern in teilambulante Gesundheitszentren ohne Notfallversorgung vorgesehen, sogenannte intersektorale Versorger. Nach diesen greifen schon heute gern private Investoren, die damit Kasse machen wollen.

Erschreckend abwesend in der Reform sind die Belange von PatientInnen und Beschäftigten. Keine einzige Maßnahme zielt darauf ab, regionale medizinische Bedarfe zu ermitteln und sicherzustellen, dass die Gesundheitsversorgung entsprechend ausgestattet wird. Fortwährende finanzielle Knappheit und Schließungen werden den Personalmangel verschärfen. Der Gewinnabschöpfung durch Private schiebt die Reform keinen Riegel vor, gleichwohl fördert sie durch die Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung einen weiteren Privatisierungsschub.

Ein Kurswechsel ist dringend geboten

Beschäftigte und BürgerInnen müssen im Reformprozess gehört werden. Das Gewinnverbot für den Betrieb der Krankenhäuser, das bis 1985 galt, muss wieder auf den Tisch. Zur Lösung der Probleme sollte ein solidarisches Finanzierungsmodell herangezogen werden: die Selbstkostendeckung. Unterfinanzierung, Privatisierung und Renditeerwirtschaftung sind keine Grundlage für ein zukunftsfestes Krankenhauswesen – in den Mittelpunkt gehören Gemeinwohl und medizinische Bedarfe.

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Dieser Beitrag ist am 7. September als Startseitenartikel in der aktualisierten Zeitung „Krankenhausreform: Kahlschlag per Gesetz“ erschienen (die PDF-Datei der Zeitung kann hier eingesehen werden). Wir freuen uns, wenn Sie die Zeitung verbreiten. Für die Bestellung schreiben Sie uns eine Email an info@gemeingut.org und geben Sie bitte die Zahl der gewünschten Exemplare und Ihre Postadresse an.

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