Neue Untersuchung: Bettenverlust und kaum Ersatz nach Krankenhausschließungen

Pressemitteilung des Bündnis Klinikrettung

Eine neue Untersuchung des Bündnis Klinikrettung über Krankenhausschließungen seit 2020 zeigt, dass die entstandenen Versorgungslücken kaum kompensiert werden. Bei 77% der Schließungen gingen die stationären Kapazitäten vollständig verloren, nur in 5% der Fälle wurden alle Betten erhalten – aber nicht vor Ort. Bei 32% der Schließungen wurde der Verlust der medizinischen Versorgung auch durch keine andere Ersatzmaßnahme – wie beispielsweise eine ambulante Einrichtung – ausgeglichen. In einem Drittel der Fälle fiel die Versorgung also nach den Schließungen komplett weg.

Dr. Rainer Neef, Autor der Studie des Bündnis Klinikrettung:

Die notwendige medizinische Grundversorgung der Bevölkerung wurde durch Krankenhausschließungen stark beeinträchtigt. Stationäre Kapazitäten gingen verloren, die Versorgung vor Ort krankt an unzureichenden Ersatzlösungen. Nur die allerwenigsten Versprechen von Trägern und politischen Verantwortlichen wurden eingelöst. Das ist eine niederschmetternde Bilanz und sollte uns im Blick auf die geplante Krankenhausreform eine Warnung sein.

Laura Valentukeviciute, Sprecherin von Gemeingut in BürgerInnenhand:

Die geplante Krankenhausreform bezweckt eine Zentralisierung, viele kleinere Kliniken im kleinstädtisch-ländlichen Raum sollen daher geschlossen werden. Der Bevölkerung wird Ersatz in Form von ambulanten Einrichtungen versprochen. Abgesehen davon, dass ein Gesundheitszentrum kein Krankenhaus angemessen ersetzen kann, zeigt unsere Untersuchung sehr deutlich, dass in vielen Fällen nach einer Krankenhausschließung überhaupt kein Ersatz eingerichtet wurde. Besonders verheerend ist das für die klinische Geburtshilfe und die Notaufnahmen – sie gingen durch die Schließungen ersatzlos verloren.

Dr. Bernd Hontschik, Facharzt für Chirurgie und Autor:

Bei akuten Ereignissen ist die schnellstmögliche Hilfe entscheidend. Zentralisierte Krankenhäuser mit großartigen personellen und technischen Voraussetzungen helfen nicht, wenn der Patient es nicht mehr erreicht. Kleinere Krankenhäuser sind rasch erreichbar und ohne Wenn und Aber in der Lage, die Erstversorgung solcher Patienten zu leisten, um sie dann, je nach Notwendigkeit, in größere Häuser zu verlegen.

Unser gesamtes Interview zur Qualität kleiner Krankenhäuser mit Bernd Hontschik: https://www.gemeingut.org/worueber-wir-reden-wenn-wir-ueber-die-qualitaet-der-krankenhausversorgung-reden/

Pressekontakte:
Laura Valentukeviciute, Tel. 0176-233 203 73, laura.valentukeviciute@gemeingut.org
Dr. Rainer Neef, Tel. 0551-793742, rneef@gwdg.de

Pressemappe mit allen Dokumenten: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2024/03/0_Ersatz-Krankenhausschliessungen_Pressemappe.pdf

Gemeingut-Infobrief | Werden Sie jetzt aktiv: Briefe an den Bundesrat und Krankenhausrettungsaktion

Liebe Freundinnen und Freunde einer guten Gesundheitsversorgung,

nächste Woche stehen gleich zwei wichtige Termine an. Am 24. November berät der Bundesrat über Lauterbachs viel kritisiertes Krankenhaustransparenzgesetz. Doch bereits am Vortag wird der Gesundheitsminister voraussichtlich den nächsten Schritt seiner Reform präsentieren, das sogenannte Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, und damit die Debatte kapern. Aus vorab öffentlich gewordenen Entwürfen wissen wir: Lauterbach geht es nach wie vor um Krankenhausschließungen. Gegen beide Gesetze müssen wir protestieren – und rufen daher zu Aktionen auf, bei denen wir Ihre Unterstützung brauchen!

1. Schicken Sie einen Brief an Ihren Ministerpräsidenten oder Ihre Ministerpräsidentin

Der Bundestag hat das Krankenhaustransparenzgesetz bereits beschlossen und damit den ersten Schritt von Lauterbachs Plan zur Schließung unzähliger, weiterer Krankenhäuser abgesegnet. Die gute Nachricht: Am 24. November kann der Bundesrat noch Einspruch erheben! Seine Mitglieder, die Landesregierungen, hätten allen Grund dazu. Denn die geplante, künstliche Leveleinteilung der Krankenhäuser über ein „Transparenzregister“ greift tief in die Länderhoheit über die Krankenhausplanung ein. Wir haben eine Briefvorlage erstellt, mit der Sie Ihre Ministerpräsidentin oder Ihren Ministerpräsidenten an ihre Verantwortung erinnern können, sich für den Erhalt aller Krankenhäuser einzusetzen.

→ Hier geht es zur Briefvorlage, https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/2023-11-14_Briefvorlage_Bundesrat_Krankenhaustransparenzgesetz.odt, und zur Liste aller Adressen der MinisterpräsidentInnen, https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/Adressen_MP_Laender.odt.

Was sieht das Gesetz vor? Die Veröffentlichung eines „Transparenzregisters“ soll angeblich dazu dienen, BürgerInnen über die Qualität der Krankenhäuser zu informieren. Das Register soll die Krankenhäuser künstlich in Level einteilen und damit fälschlicherweise den Anschein erwecken, ein niedrigeres Level bedeute eine niedrigere Qualität. Die BürgerInnen sollen so dazu gebracht werden, die Krankenhäuser der unteren Level zu meiden und nur noch große, hochspezialisierte Krankenhäuser aufzusuchen. Alle sonstigen Informationen, die im neuen Register aufgeführt werden, sind bereits heute im Krankenhausverzeichnis einsehbar. Um Transparenz geht es also gar nicht, sondern darum, die kleinen Krankenhäuser weiter zu schwächen – obwohl diese hohe Qualität bieten und den Grundstein einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung bilden.

2. Machen Sie bei einer Aktion vor Ihrem Krankenhaus mit

Lauterbach plant, am 23. November sein nächstes Reformgesetz der Presse vorzustellen. Danach könnte es Schlag auf Schlag gehen. Wir wollen, dass der Widerstand gegen Krankenhausschließungen unmittelbar bei der Gesetzesverkündung öffentlich sichtbar wird. Deswegen rufen wir am 23. November zur bundesweiten Beteiligung an Aktionen auf. Unsere Idee ist ganz einfach: Mit Absperrband und Schildern stellen sich KlinikretterInnen vor das lokale Krankenhaus und setzen so ein Zeichen für den Erhalt der flächendeckenden wohnortnahen Krankenhausversorgung. Mit einem Foto wird die Aktion dokumentiert und dieses zusammen mit einer Bündnis-Pressemeldung an die Medien versendet. In einigen Städten planen Aktive bereits Aktionen – machen Sie mit!

→ Möchten Sie teilnehmen oder können Sie sich vorstellen, eine eigene Aktion auf die Beine zu stellen? Dann schreiben Sie uns an info@klinikrettung.de mit dem Betreff „Klinikrettungsaktion“ – wir helfen Ihnen, die nächstgelegene Aktion zu finden oder Ihre eigene zu verwirklichen.

Der Kampf gegen Lauterbachs Krankenhausreform ist besonders zäh. Selten haben wir einen Minister erlebt, der Stimmen von Betroffenen und Beschäftigten so konsequent ignoriert. Das merken wir an häufigen Hilferufen an das Bündnis Klinikrettungen und vielen Anmeldungen zu unserem Online-Vortrag am kommenden Dienstag. Dort werden wir über den aktuellen Stand der Krankenhausreform und die nächsten Aktionen dagegen informieren.

→ Mit diesem Link können Sie an der Online-Veranstaltung am Dienstag, den 21. November um 18 Uhr teilnehmen – Anmeldungen vorab sind gerne gesehen: https://vk.attac.de/b/car-h6i-brh-y8h

Gerne können Sie die Einladung zum Vortrag weiter leiten. Wir freuen uns über ein großes Interesse und halten Sie über den weiteren Widerstand auf dem Laufenden.

 

Mit herzlichen Grüßen

Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz
für die Aktiven von Gemeingut

Strategietreffen des Bündnis Klinikrettung zur Krankenhausreform

Einladung

Mit der aktuellen Krankenhausreform steht unsere Gesundheitsversorgung auf dem Spiel. Werden Lauterbachs Pläne Wirklichkeit, sehen wir einem Jahrzehnt von Krankenhausschließungen, Privatisierungen und weiterhin schlimmen Arbeitsbedingungen für das Krankenhauspersonal entgegen.

Dem Bündnis Klinikrettung ist es ein Anliegen, dass die im Reformprozess bisher weitestgehend ignorierten Betroffenen der Reform in der Öffentlichkeit und im Bundestag gehört werden. Wir wollen, dass eine Abkehr von Privatisierung und Profitmache im Krankenhausbereich endlich auf den Tisch kommt. Wie wir das organisieren können, dazu wollen wir uns auf einem zweitägigen Strategietreffen in Göttingen austauschen!

Bündnis Klinikrettung – Strategietreffen zur Krankenhausreform
Datum: 29.-30. September
Ort: Our House OM10, Obere-Masch-Straße 10, 37073 Göttingen

Interessierte sind herzlich eingeladen! Bitte anmelden mit Namen, Emailadresse und ggf. Angabe der Initiative/Organisation bis zum 20. September an: info@klinikrettung.de Es ist bei Bedarf auch möglich, nur am Samstag teilzunehmen. Wir nehmen sehr gerne weitere Vorschläge für die Tagesordnung entgegen.

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Bündnis Klinikrettung
Strategietreffen am 29. und 30. September 2023
PROGRAMM

Freitag

16:30 Begrüßung

  • kurze Vorstellungsrunde: Name, Ort/Bundesland, Initiative
  • Vorstellung und Zwischenbilanz des Bündnis Klinikrettung (Aktivitäten, Erreichtes)

17:00 Input & Diskussion: Krankenhausreform

  • Stand der Reform/Eckpunktepapier: Leistungsgruppen, Level, Vorhaltepauschalen (Klaus Emmerich, Laura Valentukeviciute)
    nächste Schritte im Gesetzgebungsprozess und unsere Interventionsmöglichkeiten (Laura Valentukeviciute, Jorinde Schulz)

17:55 Pause mit Kaffee & Tee

18:05 Akteursanalyse: Befürworter*innen & Gegner*innen der Reform

  • Rolle der Krankenkassen und anderer Verbände – DKG, BDPK, KBV, VKD u.a. (Thomas Strohschneider)
  • (unterschiedliche) Positionierungen der privaten Krankenhausbetreiber und Investoren (Anne Schulze-Allen)
  • erste Ideen für unsere Gegenstrategie (Herbert Storn)

19:00 Sitzungsende

20:00 Gemeinsames Abendessen

  • Abessina, Ritterplan 2, 37073 Göttingen

Samstag

09:30 Zusammenfassung der Ergebnisse vom Vortag

09:45 Strategie für den Reformprozess: Positionen & Kernforderungen

  • unsere Positionen zu Kernthemen (z.B. Ambulantisierung/MVZ/Level 1i/Gesundheitskioske, DRG/Vorhaltepauschalen, Fachkliniken)
  • Was sind unsere Maximalforderungen? Was wären akzeptable Verbesserungen? (z.B. Gewinnverbot und Selbstkostendeckung, Finanzhilfen/Inflationsausgleich)

11:00 Pause mit Kaffe und Tee

11:15 Strategie für Abwehr von Schließungen vor Ort

  • lokale Medien, Schließungsgutachten, Zeit gewinnen
  • Ländergruppen organisieren

12:30 Mittagspause

13:45 Planung unserer Aktivitäten

  • Verbreiterung des Bündnisses: Mit welchen Akteuren arbeiten wir zu welchen Punkten zusammen? (u.a. ver.di, Hebammenverbände, niedergelassene Ärzt*innen, Direktor*innen, Initiativen vor Ort)
  • Terminplanung auf Zeitleiste
  • Aktionsformen und Materialien überlegen (evtl. Social Media)

15:15 Pause mit Kaffee & Tee

15:30 Planung weiter, konkrete Schritte vereinbaren

  • Ergebnisse zusammentragen
  • Aufgaben festhalten, Verantwortlichkeiten verteilen, Arbeitsgruppen bilden

17:00 Sitzungsende

 

Krankenhausreform – Kahlschlag per Gesetz

Die Einschätzung des Bündnis Klinikrettung zu Lauterbachs Krankenhausreform

Die Bilanz ist erschreckend: Über 55 Krankenhäuser mussten seit 2020 bundesweit schließen, 14 allein im laufenden Jahr. Weitere 74 Kliniken sind akut von Schließung bedroht. In einer aktuellen Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geben 96 Prozent der Krankenhäuser an, ihre laufenden Kosten nicht aus den Einnahmen decken zu können; 69 Prozent sehen ihre Existenz gefährdet.

Besonders kleine Krankenhäuser, die als Allgemeinversorger für ländliche Gebiete fungieren und wichtige Abteilungen für Notfälle sowie Kinderstationen und Geburtshilfe bereitstellen, sind betroffen. Versorgungslücken, lange Anfahrtswege und Wartezeiten prägen zunehmend die Krankenhauslandschaft.

Lauterbach versprach, die Lage der Krankenhäuser durch eine Reform der Krankenhausfinanzierung zu verbessern. Nichts weniger als eine „Revolution“ stünde bevor. Verbal ging der Minister damit auf die breite Kritik an den DRG-Fallpauschalen ein (DRG: Diagnosis Related Groups). Mit den Fallpauschalen vergüten die Kassen den Krankenhäusern holzschnittartig Behandlungsfälle. Private Kliniken picken sich gern lukrative Behandlungen heraus und steigern möglichst deren Mengen, um Profite zu generieren. Öffentliche Grundversorger mit hohen Vorhaltekosten haben das Nachsehen.

Seit seiner Einführung 2003 trägt das DRG-System erheblich dazu bei, dass Klinikleitungen bestrebt sind, Personal einzusparen und die Arbeit unerträglich zu verdichten. Hinzu kommt, dass die Bundesländer ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, Gelder für Investitionen bereitzustellen. Der politische Kurs der letzten Jahrzehnte führt inzwischen flächendeckend zu Schließungen unterfinanzierter Abteilungen – vor allem Geburtshilfe und Pädiatrie – oder ganzer Kliniken und befeuert Privatisierungen. Die vier größten Krankenhauskonzerne ziehen jährlich rund eine Milliarde Euro Gewinn aus dem Krankenhauswesen. Der Anteil privater Kliniken steigt kontinuierlich an, während die Zahl von öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern seit Jahrzehnten abnimmt.

Kein Cent mehr für Krankenhäuser

Seit Juli liegt nun ein Eckpunktepapier von Bund und Ländern für die Krankenhausreform vor. Ein Blick darauf macht klar: Lauterbach löst sein Versprechen in keiner Weise ein, stattdessen stehen noch mehr Ökonomisierung und Bürokratie auf dem Programm: Die DRG-Fallpauschalen sollen nicht abgeschafft, sondern nur gekürzt und zum Teil durch die sogenannten Vorhaltepauschalen ersetzt werden. Aber auch diese Pauschalen decken die realen Kosten der Häuser nicht. Außerdem bleiben durch die Beibehaltung von Fallpauschalen deren Fehlanreize bestehen. Das Gesamtbudget ist dabei strikt gedeckelt, im Klartext: Es gibt keinen Cent zusätzlich für die Krankenhäuser. Somit verschärft sich die finanzielle Misere.

Die Schließungslobby sitzt mit am Tisch

In Lauterbachs Expertenkommission für die Krankenhausreform dominieren zwei Gesundheitsökonomen mit engen Verbindungen zu unternehmensfreundlichen Stiftungen und Krankenhauskonzernen: die Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky. Sie befürworten schon seit Jahren Krankenhausschließungen. Damit ist vorprogrammiert, dass der Abbau von Krankenhäusern ungebremst weitergehen wird. Wenn Lauterbach nun öffentlich verlauten lässt: „Wir stehen am Vorabend eines Krankenhaussterbens“, ist das purer Zynismus. Denn als verantwortlicher Minister hätte er die Möglichkeit, Krankenhäuser zu retten – doch er tut das Gegenteil. Schon seine ursprünglichen Reformpläne sahen explizit die Schließung von 20 Prozent aller Kliniken vor.

Die Konturen der Krankenhausreform wurden bereits 2019 in einer von Busse verantworteten Studie der Bertelsmann Stiftung vorgezeichnet. In deren Vorstand sitzt Brigitte Mohn, die gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Klinikum AG ist – wie einst auch Karl Lauterbach. Augurzky wiederum leitet die konzernnahe Rhön Stiftung. Die Rhön-Klinikum AG gehört mittlerweile Asklepios, Deutschlands zweitgrößtem Krankenhauskonzern. Den großen Konzernen nützen Ökonomisierung und Zentralisierung. Es sind deren Interessen, die sich unter dem Tarnmantel wissenschaftlicher Expertise in die Reform eingeschlichen haben.

Lauterbach wiederum verkauft die Schließung von Krankenhäusern als Heilmittel gegen Personalmangel und angebliche Geldknappheit. Das vorhandene Personal solle einfach auf weniger Krankenhäuser verteilt werden. Die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die fehlenden Ausbildungsplätze geht er nicht an. Auf Schulen übertragen wären das Schulschließungen, weil Lehrkräfte fehlen, und die Bildung von Mammutschulen mit riesigen Klassenverbänden.

Leistungsgruppen als Schließungsinstrument

Auf Lauterbachs erste Schließungsankündigungen folgte ein Aufschrei aus der Bevölkerung. Auch die Länder sahen sich durch Lauterbachs Vorhaben in ihrer Planungshoheit eingeschränkt. Im jüngsten Eckpunktepapier sind einige der ursprünglichen Vorschläge nun vermeintlich abgeschwächt. Die Einführung von Krankenhausleveln, anhand derer kleine Krankenhäuser zwangsweise zu bloßen Pflegezentren degradiert werden sollten, hat Lauterbach vorerst zurückgenommen. Auch der Plan, die bereits stark dezimierte Geburtshilfe nur noch in großen Krankenhäusern anzubieten, wurde kassiert.

Ein näherer Blick macht aber deutlich, dass die Reform nach wie vor flächendeckend auf Schließungen abzielt, das erfolgt jetzt allerdings indirekt. Als Instrument dafür dienen die neuen Leistungsgruppen, an deren Zuteilung auch die Vorhaltepauschalen gekoppelt sein sollen. Die Leistungsgruppen gliedern die medizinischen Bereiche in Teilbereiche auf, den Bereich Innere Medizin zum Beispiel in Herzchirurgie, Lungentransplantation usw.

Nur wenn einem Krankenhaus durch das Land eine bestimmte Leistungsgruppe zugeteilt wird, darf es die entsprechenden Behandlungen durchführen. Dafür müssen die Krankenhäuser vorgegebene Kriterien erfüllen, zum Beispiel eine jährliche Mindestzahl an Behandlungen erbringen oder eine ärztliche oder technische Mindestausstattung aufweisen. Was zunächst wie Qualitätssicherung klingt, wird unter dem Vorzeichen des Budgetdeckels schnell zu einem Schließungsinstrument. Denn für die Länder besteht der Anreiz, die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser zu verteilen, da dann für jedes Krankenhaus aus den begrenzten Krankenhauserlösen mehr Geld zur Verfügung steht. Anstatt Krankenhäuser finanziell und personell so zu ertüchtigen, dass sie alle notwendigen Behandlungen durchführen können, werden ihnen Behandlungen verboten. Das bedeutet gleichzeitig den Entzug der Finanzierung. Entscheiden sich die Länder trotzdem dafür, möglichst vielen Krankenhäusern Leistungsgruppen zuzuteilen, bekommen alle zu wenig Geld – und die schwächsten machen aufgrund von Verlusten dicht, wie es bereits jetzt vielerorts geschieht.

Eine Reform zugunsten privater Konzerne

In der Krankenhausplanung bekommen die Länder also die Wahlmöglichkeit zwischen Pest und Cholera: aktiv schließen oder sterben lassen. Außerdem ist die Umwandlung von Krankenhäusern in teilambulante Gesundheitszentren ohne Notfallversorgung vorgesehen, sogenannte intersektorale Versorger. Nach diesen greifen schon heute gern private Investoren, die damit Kasse machen wollen.

Erschreckend abwesend in der Reform sind die Belange von PatientInnen und Beschäftigten. Keine einzige Maßnahme zielt darauf ab, regionale medizinische Bedarfe zu ermitteln und sicherzustellen, dass die Gesundheitsversorgung entsprechend ausgestattet wird. Fortwährende finanzielle Knappheit und Schließungen werden den Personalmangel verschärfen. Der Gewinnabschöpfung durch Private schiebt die Reform keinen Riegel vor, gleichwohl fördert sie durch die Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung einen weiteren Privatisierungsschub.

Ein Kurswechsel ist dringend geboten

Beschäftigte und BürgerInnen müssen im Reformprozess gehört werden. Das Gewinnverbot für den Betrieb der Krankenhäuser, das bis 1985 galt, muss wieder auf den Tisch. Zur Lösung der Probleme sollte ein solidarisches Finanzierungsmodell herangezogen werden: die Selbstkostendeckung. Unterfinanzierung, Privatisierung und Renditeerwirtschaftung sind keine Grundlage für ein zukunftsfestes Krankenhauswesen – in den Mittelpunkt gehören Gemeinwohl und medizinische Bedarfe.

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Dieser Beitrag ist am 7. September als Startseitenartikel in der aktualisierten Zeitung „Krankenhausreform: Kahlschlag per Gesetz“ erschienen (die PDF-Datei der Zeitung kann hier eingesehen werden). Wir freuen uns, wenn Sie die Zeitung verbreiten. Für die Bestellung schreiben Sie uns eine Email an info@gemeingut.org und geben Sie bitte die Zahl der gewünschten Exemplare und Ihre Postadresse an.

Bayerische Sonderzeitung zur Krankenhausreform

Das Bündnis Klinikrettung hat seine 4-seitige Zeitung zur Krankenhausreform bereits in mehreren Auflagen veröffentlicht. Heute liegt eine bayerische Sonderausgabe zwei regionalen Zeitungen in Bayern bei, der Main-Post und der Schwabmünchner Allgemeinen. Die Zeitung enthält aktuelle Artikel und Interviews zu Lauterbachs Reformplänen sowie Beiträge, welche die Hintergründe der Krankenhausschließungen beleuchten.

Die Zeitung kann hier als Pdf-Datei heruntergeladen werden: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/06/Zeitungsbeilage_Krankenhausreform-Bayern_GiB.pdf

Gerne verschicken wir Exemplare zur Verteilung vor Ort an Aktive, bitte eine Email schreiben an info@gemeingut.org.

 

Bund-Länder-Beratung: Lauterbach lagert Krankenhausplanung an Unternehmensberater aus

Bündnis Klinikrettung startet Petition gegen Lauterbachs Reformvorschläge

Trotz breiter Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbachs Krankenhausleveln ergab die Bund-Länder-Beratung vom 23. Mai keine substantiellen Veränderungen an seinen Reformvorschlägen. Die Level bleiben, nur wird die Zuordnung zu ihnen leicht gelockert. 689 von insgesamt 1.719 somatischen Krankenhäusern, also ganze 40 Prozent, werden entweder zu bloßen ambulanten Einrichtungen degradiert (Level 1i) oder es sind Fachkliniken (Level F), die nicht zur klinischen Allgemeinversorgung beitragen. Um diesen besorgniserregenden Auswirkungen der Reform entgegenzutreten, hat das Bündnis Klinikrettung eine Petition an die Mitglieder des Gesundheitsausschuss im Bundestag und die MinisterpräsidentInnen der Länder gestartet.

Link zur Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/stoppen-sie-lauterbachs-katastrophale-reformplaene-fuer-eine-echte-krankenhausrevolution


Laura Valentukeviciute, Geschäftsführerin
Gemeingut in BürgerInnenhand:

„Nach wie vor bedeutet die Krankenhausreform massenweise Krankenhausschließungen. Zudem bleibt unklar, wie viel die Länder bei der Krankenhausplanung mitentscheiden werden. Lauterbachs scheinbares Entgegenkommen bei den Leveln ist ein Täuschungsmanöver und die Länder machen es bereitwillig mit. Denn sowohl Laumann, Holetschek als auch ihren KollegInnen kommt es sehr gelegen, durch Schließungen Investitionsfördermittel für Krankenhäuser zu sparen. Nur will niemand dafür verantwortlich sein. Deswegen gibt es einerseits den Scheinwiderstand der Länder gegen die Reform und andererseits das Scheinentgegenkommen von Lauterbach. Am Ende wollen sie alle das gleiche – Krankenhausschließungen.“

Laut der Reform wird die zukünftige Krankenhausplanung von der Ausgestaltung der Leistungsgruppen und der Zuordnung von Kliniken zu Leveln abhängen. Mit dieser Aufgabe hat Lauterbach die Unternehmsberatungen Oberender AG und BinDoc beauftragt, die außerdem für das Bundesgesundheitsministerium eine Auswirkungsanalyse der Krankenhausreform erstellen sollen. Ein Vorstandsmitglied und eine Beirätin der Oberender AG sind bzw. waren beruflich mit der Rhön-Klinikum AG verbunden. Auch Lauterbach selbst war dort Aufsichtsratsmitglied. Für die Stiftung des Rhön-Kliniken-Gründers Eugen Münch fertigte die Oberender AG inmitten der Pandemie zusammen mit Prof. Dr. Boris Augurzky eine Studie an, die Klinikschließungen empfahl.(1) Derselbe Boris Augurzky sitzt nicht nur im Vorstand der Münch-Stiftung, sondern auch als Experte in Lauterbachs Regierungskommission zur Krankenhausreform.


Dazu Jorinde Schulz, Sprecherin
Bündnis Klinikrettung:

„Die Entscheidung über Krankenhauslevel und Leistungsgruppen ist Bestandteil der Krankenhausplanung und damit eine ureigene Aufgabe der öffentlichen Hand. Sie sollte Gegenstand breiter, öffentlicher Debatte sein. Stattdessen beauftragt Herr Lauterbach zwei Beraterfirmen mit Verbindungen zu einem der größten Krankenhauskonzerne Deutschlands und Kunden aus der Pharmaindustrie. Dass er gleichzeitig davon spricht, eine „Entökonomisierung“ im Krankenhauswesen anzustreben, ist blanker Hohn.“

Das Bündnis Klinikrettung hat eine Petition gestartet, um den aktuellen Reformplänen entgegenzutreten und Alternativen zu präsentieren.
Die Petition „Stoppen Sie Lauterbachs katastrophale Reformpläne – für eine echte Krankenhausrevolution“ kann auf der online Plattform openpetition.de unterzeichnet werden: https://www.openpetition.de/petition/online/stoppen-sie-lauterbachs-katastrophale-reformplaene-fuer-eine-echte-krankenhausrevolution


Klaus Emmerich,
Klinikvorstand i.R., Mitbegründer der Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern kritisiert:

„Kliniken sind nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines Netzes der Gesundheitsversorgung. Die aktuelle Reform ist von GesundheitsökonomInnen vorbereitet worden, die Kliniken als Einzelunternehmen aus betriebswirtschaftlicher Sicht betrachten. Sie haben keine Ahnung, wie die Gesamtstrukturen auf dem Land funktionieren. Deswegen wird in dieser Reform bundeseinheitlich diktiert, basierend auf Statistiken, ohne Rücksicht auf die Spezifika vor Ort.“

Klaus Emmerich weiter:

„Sowohl Lauterbach als auch seine MinisterkollegInnen gehen die Ursachen der Misere nicht an. Viele Probleme wären gelöst, wenn wir die Fallpauschalenfinanzierung abschaffen und mit der Selbstkostendeckung ersetzen sowie die Renditen in Krankenhäusern begrenzen würden. Es ist ein Skandal, dass es verschwiegen wird: Für die Abrechnung komplexer DRG-Fallpauschalen sitzen jährlich 145 Tausend klinische MitarbeiterInnen am Computer, statt sich um die Behandlung der PatientInnen zu kümmern. In Zeiten akuten Personalmangels ist dies schlicht und einfach inakzeptabel.“

(1) https://www.kma-online.de/aktuelles/management/detail/studie-empfiehlt-umwandlung-von-kleinen-klinken-nicht-schliessung-48385

Protest gegen Krankenhausschließungen und Lauterbachs Reform in Dresden

Am Freitag, dem 21. April, protestierten Aktive vom Dresdner Bündnis für Pflege, Mitglied im Bündnis Klinikrettung, gegen Lauterbachs Reformpläne. Mit einem Krankenhausfriedhof machten sie auf die über 500 Krankenhausschließungen seit 1991 aufmerksam und skandalisierten, dass mit der Krankenhausreform 600 weitere Schließungen drohen. Krankenhausbeschäftigte forderten in Redebeiträgen eine bedarfsgerechte und gemeinwohlorientierte Gesundheitsversorgung, denn: Gesundheit ist keine Ware!

DRG – Diese Reform ist Gefährlich! Protestkundgebung für eine gemeinwohlorientierte Alternative zur geplanten Krankenhausreform

Pressemitteilung GiB/Bündnis Klinikrettung

Gesundheitspolitische Initiativen verleihen Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ an Gesundheitsökonom Boris Augurzky

Unter dem Motto „DRG – Diese Reform ist Gefährlich!“ protestierten heute sechs gesundheitspolitische Initiativen vor dem DRG-Forum im Estrel Hotel in Berlin-Neukölln. Ein Schwerpunkt des diesjährigen Forums ist die angestrebte Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und seiner Regierungskommission. Die Initiativen kritisierten die Reformvorschläge scharf und forderten stattdessen ein Gesetz, das eine bedarfsgerechte, gemeinwohlorientierte und vollständig ausfinanzierte Gesundheitsversorgung sichert.

Für seine besondere Rolle bei der Förderung der neoliberalen Kürzungs- und Schließungsstrategien im Krankenhauswesen wurde der Gesundheitsökonom Boris Augurzky mit dem Schmähpreis die „Goldene Abrissbirne“ bedacht.

Anja Voigt, Intensivpflegerin, aktiv in der Berliner Krankenhausbewegung und dem Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite:
„Die geplante Krankenhausreform ist ein Etikettenschwindel. Die DRGs werden nicht abgeschafft, der Kostendruck beim Personal bleibt bestehen und die vorgesehene Mischung aus Vorhaltepauschalen und DRG-Fallpauschalen setzt neue finanzielle Anreize, statt das tatsächlich Notwendige zu finanzieren. Als Intensivpflegerin fordere ich eine bedarfsgerechte Planung und kostendeckende Finanzierung aller Personalkosten als Mindeststandard für jede Krankenhausreform.“

 

Michael Friedrichs, Facharzt für Anästhesiologie und Mitglied im Verein Demokratischer Ärzt*innen (vdää*):
„Als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin habe ich in den letzten 30 Jahren die Veränderungen in den Krankenhäusern hautnah miterlebt. Es war schon bei Einführung der DRG-Systematik klar, dass es zu massiven Fehlsteuerungen kommen würde. Zudem ist ein bürokratischer Wasserkopf entstanden. Controller der Konzerne versuchen mit kreativ verfeinerter Codierung den Erlös zu steigern. Die Krankenkassen versuchen dagegenzuhalten, und so bläht sich die Bürokratie weiter auf. Das Fallpauschalensystem ist vollständig gescheitert. Es muss abgeschafft und durch die Selbstkostendeckung ersetzt werden.“

Friedrichs weiter: „Die Regierungskommission zur Krankenhausreform hat nicht einmal den Mut, die Personalkosten insgesamt aus der DRG-Systematik herauszunehmen, wie es bei den Pflegekräften bereits als Notmaßnahme erfolgt ist.“

Laura Valentukeviciute, Sprecherin des Bündnis Klinikrettung:
„Lauterbach behauptet, seine Regierungskommission sei Lobby-frei. Tatsächlich sitzen die privaten Krankenhauskonzerne und die Versicherungen mit am Tisch. Besonderen Dank für die Entwicklung der Reformvorschläge widmete Lauterbach dem Berater Boris Augurzky. Augurzky setzt sich seit fast zwei Jahrzehnten für Renditeoptimierung und Zentralisierung im Krankenhaussektor ein. Als Vorreiter des Klinikkahlschlags hat er unseren Schmähpreis,  die „Goldene Abrissbirne“ mehr als verdient.“

Valentukeviciute weiter: „Die Reformvorschläge müssen von den Beschäftigten, den Patient*innen und den Vertreter*innen kommunaler Krankenhäuser und nicht von Berater*innen aus der Privatwirtschaft entwickelt werden. Sonst hat – wie sich jetzt zeigt – Gewinn statt Gemeinwohl Vorrang.“

 

Frieder Hummes, Assistenzarzt und aktiv bei den Bunten Kitteln:
„Ich habe keine Lust mehr in einem System zu arbeiten, in dem das Geld vor den Menschen kommt. Auch der aktuelle Reformvorschlag ändert nichts an den ökonomischen Zwängen, denen ich als Arzt im Krankenhaus täglich ausgeliefert bin. Ich habe keine Lust mehr, von der Politik ignoriert zu werden, obwohl ich Ideen und Vorschläge habe, was geändert werden muss. Diese Reformvorschläge sind ein Flickwerk am gescheiterten DRG-System, das auch diesmal nicht funktionieren kann. Wir brauchen endlich ein kostendeckendes, gemeinwohlorientiertes Gesundheitssystem und an den Vorschlägen dazu müssen Menschen mitwirken, die täglich davon betroffen sind.“

Die satirische Laudatio für Preisträger Boris Augurzky: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/03/Laudatio_Augurzky_end.pdf

Pressekontakte:
Anja Voigt: 0172-3182206
Michael Friedrichs: 0157-77569063
Laura Valentukeviciute: 0176-23320373, info@klinikrettung.de

Organisatoren der Protestkundgebung:
• Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite
• Bündnis Klinikrettung
• Bunte Kittel
• Schluss mit Kliniksterben Bayern
• Solidarisches Gesundheitswesen
• Verein demokratischer Ärzt*innen – vdää*

Hintergrund:
Das DRG-Forum ist nach eigener Darstellung das jährliche „Familientreffen der Gesundheitsbranche“ – zwei Tage lang treffen sich Krankenhausmanager*innen und Gesundheitslobby, während Firmen „Entscheidungsträger*innen“ umwerben. Dieses Jahr steht die Krankenhausreform an, die auch beim DRG-Forum Thema ist. Die Reform soll zu gravierenden Einschnitten in der Krankenhausversorgung führen. Es drohen: massiver Klinik- und Bettenabbau, gefährlich verlängerte Fahrzeiten zur nächsten Klinik, Engpässe und lange Wartezeiten in den verbleibenden Krankenhäusern und erhebliche Arbeitsverdichtung für die Krankenhausbeschäftigten.
Die Organisator*nnen der heutigen Kundgebung fordern deswegen die Rücknahme der bisherigen Reformvorschläge und die Ausarbeitung einer Krankenhausreform im Sinne von Patient*nnen und Beschäftigten:
• Orientierung an der Bedarfsgerechtigkeit in der Versorgung
• Gemeinwohlorientierung und Gewinnverbot
• Stopp der Privatisierung von Krankenhausträgern
• Abschaffung des Fallpauschalensystems (DRG, Diagnosis Related Groups)
• Kostendeckung in der Krankenhausfinanzierung
• Verbindliche Personalschlüssel für alle Bereiche im Krankenhaus
• Demokratisierung von Krankenhausplanung und Steuerung
• Erhalt der flächendeckenden wohnortnahen Krankenhausversorgung

Bündnis Klinikrettung zieht Bilanz: Klinikschließungen 2022, Versorgungsengpässe und die Probleme der Krankenhausreform

Mit den Level 1i-Krankenhäusern werden ländliche Gebiete zu Gesundheitsregionen zweiter Klasse

Auf seiner heutigen Pressekonferenz hat das Bündnis Klinikrettung zum dritten Mal in Folge eine Jahresbilanz der erfolgten und geplanten Klinikschließungen gezogen. Außerdem legte das Bündnis eine kritische Analyse der Vorschläge der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ dar und präsentierte dringend notwendige Reformalternativen.
Beispielhaft für die Misere der örtlichen Gesundheitsversorgung bei einer drohenden Krankenhausschließung berichtete einer der Initiatoren des erfolgreichen Bürgerbegehrens in Eckenförde.

Die vollständige Bilanz 2022 mit Schließungsliste: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/1_Bilanz_BKR_Krankenhausschliessungen_2022-1.pdf
Die Analyse der Krankenhausreform: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/2_Beurteilung_BKR_Krankenhausreform_2022-12.pdf

Laura Valentukeviciute, Bündnis Klinikrettung:
„Die Zahl unserer Krankenhäuser sinkt dramatisch weiter. Im Jahr 2022 schließen bis Jahresende insgesamt 13 Krankenhäuser, hinzu kommen 11 Krankenhäuser mit Teilschließungen, hauptsächlich Geburtshilfen. Unterfinanzierung und geplanter Abbau der Krankenhäuser spitzen sich weiter zu. Die Anzahl der drohenden Schließungen liegt rekordhoch bei 68.“

 

Valentukeviciute weiter:
„Die geplante Krankenhausreform hilft uns keinen Deut weiter. Lauterbachs Deckelung des Gesamtbudgets bedeutet, dass die knappen vorhandenen Ressourcen lediglich umverteilt werden. Deswegen wird es auch weiter ökonomisch bedingte Schließungen von Allgemeinkrankenhäusern geben. Die Probleme des DRG-Systems werden nicht wie versprochen überwunden, sondern teilweise sogar verschärft.“

Eine gravierende, bisher in der Öffentlichkeit wenig beachtete Folge der Reform ist die Aufteilung von Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung in die Level 1n und 1i. Nur Krankenhäuser des Levels 1n sollen noch eine Notfallversorgung bereitstellen. Krankenhäuser des Levels 1i hingegen sollen nicht unbedingt ärztlich, sondern von speziell ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden, sie sollen lediglich über stationäre Pflegebetten verfügen und ambulante ärztliche Behandlung nur auf Abruf leisten.

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R.:
„Man muss es deutlich sagen: Level 1i, das sind keine Krankenhäuser mehr. Ihnen fehlt die ärztliche Verfügbarkeit rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche, eine stationäre Notaufnahme sowie eine Intensivstation für klinische Notfälle. Wir reden hier von circa 650 der knapp 1.900 verbliebenen Krankenhäuser, die geschlossen und im Grunde in „bessere Pflegeheime“ umgewandelt werden sollen. Die Folge wird sein, dass ländliche Regionen zu Gesundheitsregionen zweiter Klasse degradiert werden.“

 

Henning Brien, Bürgerbegehren Eckernförde:
„In den ländlichen Regionen brauchen die Menschen wohnortnahe Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung mit Geburtsstation, einer zentralen Notaufnahme und idealerweise einer Kindermedizin. Das gehört zur Daseinsvorsorge und muss gewährleistet werden. Dies entlastet obendrein den regionalen Schwerpunkt- und den überregionalen Maximalversorger.“

Brien weiter: „Auch bei uns in Eckernförde wird die Krankenhausschließung mitunter damit begründet, dass das knappe Personal besser in wenigeren Kliniken konzentriert werden sollte. Das beste Beispiel, dass das reines Wunschdenken ist, zeigt sich an den Hebammen. Die Geburtsstationen schließen seit Jahren – und im Vergleich zu anderen Stationen überproportional häufig. Deswegen gibt es aber nicht mehr Hebammen die geburtshilflich arbeiten – im Gegenteil. Die meisten Hebammen gehen nach dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes nicht in die großen Zentren und stehen dem „Geburtsmarkt“ nicht mehr zur Verfügung. Somit steigt die Anzahl der betreuten Geburten pro Hebamme an den weiterhin bestehenden Geburtsstationen an. In Folge entsteht eine Verdichtung der Arbeit und die direkte Betreuungszeit für die einzelne Schwangere reduziert sich. Alleine im Kreißsaal zu liegen hat wenig mit Qualität zu tun.“

Kontakte für Rückfragen
Laura Valentukeviciute: laura.valentukeviciute@gemeingut.org, 0176 23320373
Klaus Emmerich: klaus_emmerich@gmx.de, 0177 1915415


Weitere Materialien

Folien zur Bilanzpressekonferenz:
https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/3_Krankenhausreform_Klaus-Emmerich_Folien-1.pdf

Wenn der versprochene Ersatz ausbleibt, 3 Beispiele: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/4_Wenn-der-versprochene-Ersatz-ausbleibt-1.pdf

Das Bündnis Klinikrettung hat eine ausführliche Studie zur Selbstkostendeckung als Finanzierungsmodell vorgelegt: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/2022-10_Studie_Selbstkostendeckung_Buendnis_Klinikrettung_aktualisierte_Ausgabe_2022-12-12.pdf

Die Bewertung der Reform durch die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/01/Grosse-Krankenhausreform-Bewertung-der-dritten-Empfehlung-der-Regierungskommissison_KE_12-2022.pdf

Kann ein MVZ ein geschlossenes Krankenhaus ersetzen?

Von Rainer Neef

Zur Entwicklung Medizinischer Versorgungszentren und der Frage der Grundversorgung

Rund 30 Krankenhausschließungen verzeichnet das Bündnis Klinikrettung zwischen 2020 und 2022. Immer häufiger ist dabei zu beobachten, dass ganze Gebiete durch die Schließung beeinträchtigt werden, da sich die Entfernung zum nächsten grundversorgenden Krankenhaus gravierend erhöht. Für Pkw-BenutzerInnen und Rettungswagen steigt die Fahrzeit auf über 30 Minuten (die quasi-amtliche Maximalentfernung), für Menschen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, noch weitaus mehr. Immer häufiger wird daher ein ambulanter Versorgungs-Ersatz angekündigt, benannt als Gesundheitszentrum, Gesundheitscampus o.ä. Bei den dem Bündnis Klinikrettung bekannten Schließungen war der angekündigte Ersatz meist auch nach zwei Jahren nicht zustande gekommen. Nur in Einzelfällen entstanden Medizinische Versorgungszentren (MVZ), wie es sie seit 2004 gibt – aber sie bieten lediglich Einzelelemente einer Grundversorgung.

Die (ökonomische) Gefährdung von Krankenhäusern hat in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen, ihre politische Gefährdung erst recht – die Pläne, 400 bis 700 Krankenhäuser zu schließen1, werden derzeit aktualisiert. Die Frage ist: Kann der betroffenen Bevölkerung in Form von MVZ eine Grundversorgung geboten werden, wie sie der Spitzenverband gesetzlicher Krankenversicherungen (GKV) in Abstimmung mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss Gesundheitswesen formuliert hat, nämlich eine Einrichtung mit Innerer Medizin und Chirurgie sowie Anästhesie, mit durchgängig geöffneter („24/7“-) Notaufnahme, und mit Pkw erreichbar in spätestens 30 Minuten2? Kann also ein MVZ überhaupt ein geschlossenes Krankenhaus und dessen medizinische Grundversorgung ersetzen?

Die Entwicklung von MVZ

Seit 2004 können alle Erbringer medizinischer Leistungen MVZ gründen oder erwerben. Damit ist neben Arzt- oder auch Gemeinschaftspraxen ein zweiter ambulanter Versorgungstypus mit stärker unternehmerischer Ausrichtung entstanden. MVZ müssen eine ärztliche Leitung und einen von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zugeteilten Sitz haben. Sie bringen den dort tätigen ÄrztInnen (90% sind Angestellte) den Vorteil einer administrativen Entlastung, besser und flexibler gestaltete Arbeitszeiten und gute Kooperationsmöglichkeiten. Sie sind aber auch ein attraktives Feld für Kapitalanleger, denn das deutsche Gesundheitswesen gilt als stabiler, expandierender und durch Krankenversicherungen gut gesicherter Markt.

Die Zahl der MVZ wuchs sehr rasch auf 1.700 im Jahr 2010 an. 2012 wurde die Trägerschaft durch Änderung von § 95 Abs. 1 SGB V auf Erbringer „ärztlicher Leistungen“ eingeschränkt. Die Begründung dafür lautete, es bestehe die „Gefahr, dass medizinische Entscheidungen von Kapitalinteressen beeinflusst werden.“3. Interessierte Kapitalinvestoren bewältigten jedoch das neue Hindernis, indem sie ein möglichst kleines, eventuell notleidendes Krankenhaus günstig kauften und zum Träger („Plattform“) für den Einstieg ins MVZ-Geschäft machten. Bis 2015 mussten MVZ mindestens zwei Fachgebiete beinhalten, seitdem können sie sich auch auf ein Spezialgebiet beschränken. Dies gab einen erneuten Wachstumsschub auf 3.826 Ende 2020. MVZ vereinigen heute weniger Fächer als zehn Jahre zuvor, und diese sind stärker auf ertragreiche Behandlungen bezogen.4

MVZ-Träger und MVZ-Praxis

Zu den größten Trägern von MVZ zählen die privaten Krankenhauskonzerne. Die neun größten halten durchweg eine große Zahl von MVZ, zusammen mindestens sechs Prozent aller MVZ. Ihre Fächerstruktur ist abgestimmt auf die der jeweiligen Trägerklinik, und sie sind ganz überwiegend auf deren Gelände angesiedelt. Erkennbar handelt es sich um ein Zuarbeitsverhältnis: Stationäre PatientInnen werden für die Klinik akquiriert bzw. vorbehandelt und nach deren Verlassen nachbehandelt – vorzugsweise in kapitalintensiven und ertragreichen Fächergruppen wie z.B. Orthopädie-Endoprothetik oder Neurochirurgie5. Zwischen Klinik und MVZ werden dabei Kosten und Abrechnung optimiert.

In den deutschen „Gesundheitsmarkt“ sind große, hauptsächlich transnationale Private-Equity-Unternehmen eingestiegen. Als reine Profitmaschinen akquirieren sie ohne Ansehen von Inhalten und Branche, aber mit strategischem Blick, ganze Unternehmen. Sie richten sie so zu, dass sie nach 6-10 Jahren mit hohem Profit weiterverkauft werden können. Vehement sind Private-Equity-Unternehmen nach 2016 in das Geschäft mit MVZ eingestiegen. Nach Erwerb einer (kleinen) Klinik als zugelassenem Träger kauften sie teils einzelne MVZ, die sie zu einer Kette zusammenschlossen; vor allem ab 2018 wurden ganze Ketten erworben6. Fast alle dieser MVZ haben nur eine, maximal zwei Spezial-Fachgruppen der besonders kapital- bzw. ertragsstarken Art. Sie werden über Personalkostensenkung und Praxis-Vorgaben (z.B. Diagnose- und Behandlungshäufigkeit) auf raschen Gewinnkurs gebracht7. Ca. 15 Prozent aller MVZ sind heute im Besitz von Private Equity, der Einfluss von Kapitalinteressen auf die Gesundheitsversorgung ist erkennbar gewachsen. So titelte die FAZ im Juni 2022 in Bezug auf investorengetragene MVZ: „Finanzinvestoren gefährden das Patientenwohl“. (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/aerzte-warnen-finanzinvestoren-gefaehrden-das-patientenwohl-18113108.html)

MVZ im Besitz sonstiger privater Träger (vor allem Dialyse und Labormedizin) sind auf deren medizinischen Aktivitätsbereich zugeschnitten und kommen für die Frage nach Grundversorgung ohnehin nicht in Betracht.

Die großen freigemeinnützigen Krankenhausgesellschaften verfügen über deutlich weniger eigene MVZ (zwei bis drei Prozent). Sie verfolgen überwiegend ein Zuarbeitsverhältnis zum Träger-Krankenhaus, vergleichbar den Privaten. Bei einem kleineren Teil sind die MVZ auf eine spezifische karitativ-soziale Haltung zu Gesundheit ausgerichtet, einzelne sollen wohl lokale stationäre oder ambulante Versorgungsdefizite ausgleichen.

MVZ von Kommunen bzw. Landkreisen gibt es als solche nur vereinzelt, die meisten sind den Krankenhausverbünden größerer Städte und Landkreise zugeordnet. Soweit über Internet ermittelbar, halten sie vielleicht drei bis vier Prozent aller MVZ. Auch diese stehen zu den Krankenhäusern überwiegend in einem Zuarbeitsverhältnis. Ein kleinerer Teil aber dient auch als fachlich-ambulante Ergänzung am Ort, manchmal auch außerhalb, etliche wurden eingerichtet zur Behebung ambulanter Defizite in einigen ländlichen Gebieten, oder als Ersatz nach Klinikschließungen. Große öffentliche Träger sind teils Psychiatrien mit wenigen und eher ergänzenden MVZ, einige andere (z.B. Vivantes, Berlin) suchen durch MVZ eine kohärente ambulante Versorgung anzubieten.8.

Neben diesen auf Krankenhäuser ausgerichteten MVZ werden ebenso viele von (GKV-) Vertragsärzt:innen getragen. Auch diese wollen und müssen in unserem ambulanten System Gewinne erwirtschaften, um sich zu halten. Sie sind im Schnitt kleiner, weniger kapitalstark und bieten weniger, aber offenbar breiter gestreute Fachgebiete9.

„Gesundheitszentren“ als Grundversorger?

Wir gehen aus von der quasi-amtlichen Definition stationärer Grundversorgung (s.o.). Dieser wäre hinzuzufügen: Allen Bewohner:innen des deutschen Territoriums, auch in seinen dünnbesiedelten Teilen, steht eine gesundheitliche Grundversorgung zu. Diese Leistungen und Standortqualität müsste ein Gesundheitszentrum aufweisen, wenn es ein Akutkrankenhaus spätestens zum Zeitpunkt seiner Schließung ersetzen sollte. Das impliziert Vorhaltekosten für 24/7-Notaufnahmen, für stationäre Betten, und für eine hinreichende Infrastruktur in Chirurgie und Innerer Medizin. Unter dem Abrechnungssystem der Fallpauschalen, unter dem seit 2005 alle Akutkrankenhäuser und speziell ihr Personal leiden, bedeutet das immer: dauerhafte Verluste, die von ertragreichen Fachgebieten sicher nicht ausgeglichen werden können. Eine 24-stündige-Notaufnahme erfordert einen erheblichen Pool an ärztlichem und Pflegepersonal mit Einsatz- und Bereitschaftspflichten; die kassenärztlichen Notdienste (bei Klinikschließungen immer wieder als Ersatz genannt) sind hierfür zu beschränkt. Rechtlich und finanziell ist ein solches Zwischending zwischen ambulanter und stationärer Behandlung bislang ohnehin nicht machbar, da die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen, Abrechnungssysteme und zugeordneten Institutionen bisher nicht auf einen Nenner gebracht werden konnten.

Erstmals gesetzlich festgelegt wurden „Regionale Gesundheitszentren“ (RGZ) im Niedersächsischen Krankenhausgesetz von 28.6.2022 (§ 2, Abs. 2 und 3 und § 3 Nr. 12) mit (unbestimmter) „ambulanter fachärztlicher Versorgung“, „bettenführender Pflegeeinheit“ und 24/7-„Erreichbarkeit“ – aber eben keine durchgängige ärztliche Präsenz. Die begleitende Enquêtekommission schlug einen Start in MVZ-Form vor, als obligatorisch wurden nur kooperierende Gesundheitsdienste, Betten-Vorhaltung, und Arztpraxen in Allgemeiner und Innerer Medizin vorgesehen – aber keine Chirurgie mit Anästhesie, keine 24/7-Notaufnahme (nur eine Rettungswache), und keine Erreichbarkeitsgrenze. Die gesetzlichen und institutionellen Regelungen für ein RGZ seien aber so unterschiedlich, dass es nicht als eigenständige Versorgungsstufe der geplanten Krankenhaus-Neuordnung (Grund- und Regel-, erweiterte und Maximalversorgung, daneben Fachkrankenhäuser) gefasst werden könnten. Die Kommission, und im Anschluss PolitikerInnen behaupteten, MVZ könnten Versorgungslücken nach Krankenhausschließungen schließen, aber sie genügen nicht einmal der eigenen Definition einer Grund- und Regelversorgung.10 Ein Beispiel für reales Scheitern ist der „Gesundheitscampus Säckingen“, der nach Schließung des Krankenhauses Anfang 2018 „die gesundheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger in der strukturschwachen Region durch Etablierung eines neuen sektorenübergreifenden Versorgungsangebots sicher“ stellen sollte. Übrig geblieben ist ein Ärztehaus. Mietverträge mit örtlichen Praxen und Gesundheitsdiensten und einem Altenpflegeheim wurden abgeschlossen, ambulante OP s sollen möglich werden, eine Notaufnahme nicht. Die Integration (gemeinsames „Case Management“) mit der letzten am Ort verbliebenen Rehaklinik scheiterte; wegen enorm gestiegener Baukosten steht ganze Projekt nun vor dem Scheitern.11

Fazit

Mit der Entwicklung von MVZ sind Konstellationen entstanden, die wenig mit Bedarf und Grundversorgung zu tun haben und viel mit Ertragsmaximierung, besonders durch Spezialisierung auf einzelne ertragsstarke Fächer bzw. deren Kombination. Seitens privater Betreiber ist keine Entwicklung von grundversorgenden MVZ zu erwarten. Für die großen privaten Träger dienen MVZ nur der Ertragsmaximierung in Kooperation mit eigenen Kliniken. Für freigemeinnützige Träger und die große Mehrheit öffentlicher Träger spielen MVZ eine ähnliche Rolle der gezielten Ertragsstärkung. Einige öffentliche (Krankenhaus-)MVZ-Träger brachten immer nur einen unvollständigen und offensichtlich zuschussbedürftigen Versorgungsersatz für geschlossene Krankenhäuser zustande. Vertragsärztliche MVZ haben für die Verpflichtungen einer Grundversorgung ein zu kleines fachliches und finanzielles Potenzial und kein hinreichendes Eigeninteresse. Auch die niedersächsische Enquêtekommission brachte kein realisierbares hinreichendes Konzept zustande. Unter Bedingungen einer gewinnorientierten Krankenversorgung und angesichts der überkomplexe Regelungssysteme und -Institutionen im Krankenhausbereich ist nirgends die Chance für ein funktionierendes System grundversorgender ambulant-stationärer Gesundheitszentren zu erkennen.

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3 Zitiert nach Pavlovic, Andreas, 2021: Finanzinvestoren aus den MVZ heraushalten. In: KVB-Forum 03/ 2021, S. 32

4 Bobsin, Rainer, 2019: Finanzinvestoren in der Gesundheitsversorgung in Deutschland. Hannover: Offizin 4. erw. u. aktualis. Aufl., S. 34 ff.; KVB-Forum 03/ 2021 – Sonderausgabe MVZ, S. 10 ff.

5 KVB-Forum a.a.O., S. 13

6 Bobsin, a.a.O. und derselbe, 2021: erw. u. aktualis. Aufl., 2021, 5. Aufl., Anhang (pdf)

7 Scheuplein, Christoph, 2021: Übernahme von MVZ durch Private-Equity-Investoren in Bayern. In: KVB-Forum 03/ 2021, S. 28-30

8 Eigene Recherche, z.T. nach Bobsin, a.a.O.; KVB-Forum 2021, a.a.O. S. 22f. u. 32ff.

9 Zi-MVZ-Panel, Jahresbericht 2020. Berlin Jan. 2021

10 Enquêtekommission „Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen“ – für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung“: Bericht. Nds. Landtag, Drs. 18/8650 (22.2.2021). Hannover, S. 93 ff. und S. 149 ff.