Investitionsausgleich kann nur der Anfang sein: Bündnis Klinikrettung fordert neue Krankenhausfinanzierung

Zynischer Reformprozess: Lauterbach lässt die Krankenhäuser am langen Arm verhungern

Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung und der Initiative Wenckebach-Krankenhaus muss bleiben

Das Bündnis Klinikrettung protestiert heute gemeinsam mit anderen Krankenhausbeschäftigten gegen Lauterbachs Krankenhaus-Kahlschlag. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat angesichts massenhafter drohender Klinikinsolvenzen bundesweit zu Kundgebungen aufgerufen. Auch das Bündnis Klinikrettung kritisiert, dass Lauterbach den Krankenhäusern trotz Inflation und massiv gestiegener Energiekosten Hilfszahlungen verweigert. Das Bündnis fordert darüber hinaus einen radikalen Kurswechsel bei der Krankenhausreform und ein Ende der Krankenhausschließungen.

Laura Valentukeviciute, Bündnis Klinikrettung:

„Lauterbach lässt die Krankenhäuser am langen Arm verhungern. Es ist zynisch, wie der Gesundheitsminister ganz bewusst den Zusammenbruch der Krankenhausversorgung forciert. Mit seiner Krankenhausreform soll die systematische Unterfinanzierung einfach weitergehen, die Fortsetzung des Krankenhaus-Kahlschlags ist vorprogrammiert. Wir fordern die auskömmliche Finanzierung der Krankenhäuser über die Selbstkostendeckung und damit ein Gewinnverbot. Unsere Krankenkassenbeiträge und Steuergelder gehören nicht in die Taschen privater Investoren.“

Charlotte Rutz-Sperling, Initiative Wenckebach-Krankenhaus muss bleiben:

„Wir kämpfen für den Erhalt unseres Wenckebach-Krankenhauses, das die Krankenhausversorgung für 200.000 Menschen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg bietet. Seine schrittweise Schließung ist die Konsequenz der Zentralisierungsbestrebungen unter dem Titel „Gesundheitsstadt 2030“, entwickelt unter anderem von Karl Lauterbach. Statt Hochglanzprospekte für schädliche Schließungen, oder beschönigend, ‚Verlagerung‘, brauchen wir eine Krankenhausplanung und -finanzierung, welche die wohnortnahe Versorgung sichert. Unsere Forderung: Krankenhäuser in kommunaler Hand erhalten!“

Ausführliche Stellungnahme des Bündnis Klinikrettung zur Krankenhausreform: https://www.gemeingut.org/krankenhausreform-kahlschlag-per-gesetz/

Krankenhausreform – Kahlschlag per Gesetz

Die Einschätzung des Bündnis Klinikrettung zu Lauterbachs Krankenhausreform

Die Bilanz ist erschreckend: Über 55 Krankenhäuser mussten seit 2020 bundesweit schließen, 14 allein im laufenden Jahr. Weitere 74 Kliniken sind akut von Schließung bedroht. In einer aktuellen Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geben 96 Prozent der Krankenhäuser an, ihre laufenden Kosten nicht aus den Einnahmen decken zu können; 69 Prozent sehen ihre Existenz gefährdet.

Besonders kleine Krankenhäuser, die als Allgemeinversorger für ländliche Gebiete fungieren und wichtige Abteilungen für Notfälle sowie Kinderstationen und Geburtshilfe bereitstellen, sind betroffen. Versorgungslücken, lange Anfahrtswege und Wartezeiten prägen zunehmend die Krankenhauslandschaft.

Lauterbach versprach, die Lage der Krankenhäuser durch eine Reform der Krankenhausfinanzierung zu verbessern. Nichts weniger als eine „Revolution“ stünde bevor. Verbal ging der Minister damit auf die breite Kritik an den DRG-Fallpauschalen ein (DRG: Diagnosis Related Groups). Mit den Fallpauschalen vergüten die Kassen den Krankenhäusern holzschnittartig Behandlungsfälle. Private Kliniken picken sich gern lukrative Behandlungen heraus und steigern möglichst deren Mengen, um Profite zu generieren. Öffentliche Grundversorger mit hohen Vorhaltekosten haben das Nachsehen.

Seit seiner Einführung 2003 trägt das DRG-System erheblich dazu bei, dass Klinikleitungen bestrebt sind, Personal einzusparen und die Arbeit unerträglich zu verdichten. Hinzu kommt, dass die Bundesländer ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, Gelder für Investitionen bereitzustellen. Der politische Kurs der letzten Jahrzehnte führt inzwischen flächendeckend zu Schließungen unterfinanzierter Abteilungen – vor allem Geburtshilfe und Pädiatrie – oder ganzer Kliniken und befeuert Privatisierungen. Die vier größten Krankenhauskonzerne ziehen jährlich rund eine Milliarde Euro Gewinn aus dem Krankenhauswesen. Der Anteil privater Kliniken steigt kontinuierlich an, während die Zahl von öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern seit Jahrzehnten abnimmt.

Kein Cent mehr für Krankenhäuser

Seit Juli liegt nun ein Eckpunktepapier von Bund und Ländern für die Krankenhausreform vor. Ein Blick darauf macht klar: Lauterbach löst sein Versprechen in keiner Weise ein, stattdessen stehen noch mehr Ökonomisierung und Bürokratie auf dem Programm: Die DRG-Fallpauschalen sollen nicht abgeschafft, sondern nur gekürzt und zum Teil durch die sogenannten Vorhaltepauschalen ersetzt werden. Aber auch diese Pauschalen decken die realen Kosten der Häuser nicht. Außerdem bleiben durch die Beibehaltung von Fallpauschalen deren Fehlanreize bestehen. Das Gesamtbudget ist dabei strikt gedeckelt, im Klartext: Es gibt keinen Cent zusätzlich für die Krankenhäuser. Somit verschärft sich die finanzielle Misere.

Die Schließungslobby sitzt mit am Tisch

In Lauterbachs Expertenkommission für die Krankenhausreform dominieren zwei Gesundheitsökonomen mit engen Verbindungen zu unternehmensfreundlichen Stiftungen und Krankenhauskonzernen: die Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky. Sie befürworten schon seit Jahren Krankenhausschließungen. Damit ist vorprogrammiert, dass der Abbau von Krankenhäusern ungebremst weitergehen wird. Wenn Lauterbach nun öffentlich verlauten lässt: „Wir stehen am Vorabend eines Krankenhaussterbens“, ist das purer Zynismus. Denn als verantwortlicher Minister hätte er die Möglichkeit, Krankenhäuser zu retten – doch er tut das Gegenteil. Schon seine ursprünglichen Reformpläne sahen explizit die Schließung von 20 Prozent aller Kliniken vor.

Die Konturen der Krankenhausreform wurden bereits 2019 in einer von Busse verantworteten Studie der Bertelsmann Stiftung vorgezeichnet. In deren Vorstand sitzt Brigitte Mohn, die gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Klinikum AG ist – wie einst auch Karl Lauterbach. Augurzky wiederum leitet die konzernnahe Rhön Stiftung. Die Rhön-Klinikum AG gehört mittlerweile Asklepios, Deutschlands zweitgrößtem Krankenhauskonzern. Den großen Konzernen nützen Ökonomisierung und Zentralisierung. Es sind deren Interessen, die sich unter dem Tarnmantel wissenschaftlicher Expertise in die Reform eingeschlichen haben.

Lauterbach wiederum verkauft die Schließung von Krankenhäusern als Heilmittel gegen Personalmangel und angebliche Geldknappheit. Das vorhandene Personal solle einfach auf weniger Krankenhäuser verteilt werden. Die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die fehlenden Ausbildungsplätze geht er nicht an. Auf Schulen übertragen wären das Schulschließungen, weil Lehrkräfte fehlen, und die Bildung von Mammutschulen mit riesigen Klassenverbänden.

Leistungsgruppen als Schließungsinstrument

Auf Lauterbachs erste Schließungsankündigungen folgte ein Aufschrei aus der Bevölkerung. Auch die Länder sahen sich durch Lauterbachs Vorhaben in ihrer Planungshoheit eingeschränkt. Im jüngsten Eckpunktepapier sind einige der ursprünglichen Vorschläge nun vermeintlich abgeschwächt. Die Einführung von Krankenhausleveln, anhand derer kleine Krankenhäuser zwangsweise zu bloßen Pflegezentren degradiert werden sollten, hat Lauterbach vorerst zurückgenommen. Auch der Plan, die bereits stark dezimierte Geburtshilfe nur noch in großen Krankenhäusern anzubieten, wurde kassiert.

Ein näherer Blick macht aber deutlich, dass die Reform nach wie vor flächendeckend auf Schließungen abzielt, das erfolgt jetzt allerdings indirekt. Als Instrument dafür dienen die neuen Leistungsgruppen, an deren Zuteilung auch die Vorhaltepauschalen gekoppelt sein sollen. Die Leistungsgruppen gliedern die medizinischen Bereiche in Teilbereiche auf, den Bereich Innere Medizin zum Beispiel in Herzchirurgie, Lungentransplantation usw.

Nur wenn einem Krankenhaus durch das Land eine bestimmte Leistungsgruppe zugeteilt wird, darf es die entsprechenden Behandlungen durchführen. Dafür müssen die Krankenhäuser vorgegebene Kriterien erfüllen, zum Beispiel eine jährliche Mindestzahl an Behandlungen erbringen oder eine ärztliche oder technische Mindestausstattung aufweisen. Was zunächst wie Qualitätssicherung klingt, wird unter dem Vorzeichen des Budgetdeckels schnell zu einem Schließungsinstrument. Denn für die Länder besteht der Anreiz, die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser zu verteilen, da dann für jedes Krankenhaus aus den begrenzten Krankenhauserlösen mehr Geld zur Verfügung steht. Anstatt Krankenhäuser finanziell und personell so zu ertüchtigen, dass sie alle notwendigen Behandlungen durchführen können, werden ihnen Behandlungen verboten. Das bedeutet gleichzeitig den Entzug der Finanzierung. Entscheiden sich die Länder trotzdem dafür, möglichst vielen Krankenhäusern Leistungsgruppen zuzuteilen, bekommen alle zu wenig Geld – und die schwächsten machen aufgrund von Verlusten dicht, wie es bereits jetzt vielerorts geschieht.

Eine Reform zugunsten privater Konzerne

In der Krankenhausplanung bekommen die Länder also die Wahlmöglichkeit zwischen Pest und Cholera: aktiv schließen oder sterben lassen. Außerdem ist die Umwandlung von Krankenhäusern in teilambulante Gesundheitszentren ohne Notfallversorgung vorgesehen, sogenannte intersektorale Versorger. Nach diesen greifen schon heute gern private Investoren, die damit Kasse machen wollen.

Erschreckend abwesend in der Reform sind die Belange von PatientInnen und Beschäftigten. Keine einzige Maßnahme zielt darauf ab, regionale medizinische Bedarfe zu ermitteln und sicherzustellen, dass die Gesundheitsversorgung entsprechend ausgestattet wird. Fortwährende finanzielle Knappheit und Schließungen werden den Personalmangel verschärfen. Der Gewinnabschöpfung durch Private schiebt die Reform keinen Riegel vor, gleichwohl fördert sie durch die Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung einen weiteren Privatisierungsschub.

Ein Kurswechsel ist dringend geboten

Beschäftigte und BürgerInnen müssen im Reformprozess gehört werden. Das Gewinnverbot für den Betrieb der Krankenhäuser, das bis 1985 galt, muss wieder auf den Tisch. Zur Lösung der Probleme sollte ein solidarisches Finanzierungsmodell herangezogen werden: die Selbstkostendeckung. Unterfinanzierung, Privatisierung und Renditeerwirtschaftung sind keine Grundlage für ein zukunftsfestes Krankenhauswesen – in den Mittelpunkt gehören Gemeinwohl und medizinische Bedarfe.

***

Dieser Beitrag ist am 7. September als Startseitenartikel in der aktualisierten Zeitung „Krankenhausreform: Kahlschlag per Gesetz“ erschienen (die PDF-Datei der Zeitung kann hier eingesehen werden). Wir freuen uns, wenn Sie die Zeitung verbreiten. Für die Bestellung schreiben Sie uns eine Email an info@gemeingut.org und geben Sie bitte die Zahl der gewünschten Exemplare und Ihre Postadresse an.

DRG – Diese Reform ist Gefährlich! Protestkundgebung für eine gemeinwohlorientierte Alternative zur geplanten Krankenhausreform

Pressemitteilung GiB/Bündnis Klinikrettung

Gesundheitspolitische Initiativen verleihen Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ an Gesundheitsökonom Boris Augurzky

Unter dem Motto „DRG – Diese Reform ist Gefährlich!“ protestierten heute sechs gesundheitspolitische Initiativen vor dem DRG-Forum im Estrel Hotel in Berlin-Neukölln. Ein Schwerpunkt des diesjährigen Forums ist die angestrebte Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und seiner Regierungskommission. Die Initiativen kritisierten die Reformvorschläge scharf und forderten stattdessen ein Gesetz, das eine bedarfsgerechte, gemeinwohlorientierte und vollständig ausfinanzierte Gesundheitsversorgung sichert.

Für seine besondere Rolle bei der Förderung der neoliberalen Kürzungs- und Schließungsstrategien im Krankenhauswesen wurde der Gesundheitsökonom Boris Augurzky mit dem Schmähpreis die „Goldene Abrissbirne“ bedacht.

Anja Voigt, Intensivpflegerin, aktiv in der Berliner Krankenhausbewegung und dem Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite:
„Die geplante Krankenhausreform ist ein Etikettenschwindel. Die DRGs werden nicht abgeschafft, der Kostendruck beim Personal bleibt bestehen und die vorgesehene Mischung aus Vorhaltepauschalen und DRG-Fallpauschalen setzt neue finanzielle Anreize, statt das tatsächlich Notwendige zu finanzieren. Als Intensivpflegerin fordere ich eine bedarfsgerechte Planung und kostendeckende Finanzierung aller Personalkosten als Mindeststandard für jede Krankenhausreform.“

 

Michael Friedrichs, Facharzt für Anästhesiologie und Mitglied im Verein Demokratischer Ärzt*innen (vdää*):
„Als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin habe ich in den letzten 30 Jahren die Veränderungen in den Krankenhäusern hautnah miterlebt. Es war schon bei Einführung der DRG-Systematik klar, dass es zu massiven Fehlsteuerungen kommen würde. Zudem ist ein bürokratischer Wasserkopf entstanden. Controller der Konzerne versuchen mit kreativ verfeinerter Codierung den Erlös zu steigern. Die Krankenkassen versuchen dagegenzuhalten, und so bläht sich die Bürokratie weiter auf. Das Fallpauschalensystem ist vollständig gescheitert. Es muss abgeschafft und durch die Selbstkostendeckung ersetzt werden.“

Friedrichs weiter: „Die Regierungskommission zur Krankenhausreform hat nicht einmal den Mut, die Personalkosten insgesamt aus der DRG-Systematik herauszunehmen, wie es bei den Pflegekräften bereits als Notmaßnahme erfolgt ist.“

Laura Valentukeviciute, Sprecherin des Bündnis Klinikrettung:
„Lauterbach behauptet, seine Regierungskommission sei Lobby-frei. Tatsächlich sitzen die privaten Krankenhauskonzerne und die Versicherungen mit am Tisch. Besonderen Dank für die Entwicklung der Reformvorschläge widmete Lauterbach dem Berater Boris Augurzky. Augurzky setzt sich seit fast zwei Jahrzehnten für Renditeoptimierung und Zentralisierung im Krankenhaussektor ein. Als Vorreiter des Klinikkahlschlags hat er unseren Schmähpreis,  die „Goldene Abrissbirne“ mehr als verdient.“

Valentukeviciute weiter: „Die Reformvorschläge müssen von den Beschäftigten, den Patient*innen und den Vertreter*innen kommunaler Krankenhäuser und nicht von Berater*innen aus der Privatwirtschaft entwickelt werden. Sonst hat – wie sich jetzt zeigt – Gewinn statt Gemeinwohl Vorrang.“

 

Frieder Hummes, Assistenzarzt und aktiv bei den Bunten Kitteln:
„Ich habe keine Lust mehr in einem System zu arbeiten, in dem das Geld vor den Menschen kommt. Auch der aktuelle Reformvorschlag ändert nichts an den ökonomischen Zwängen, denen ich als Arzt im Krankenhaus täglich ausgeliefert bin. Ich habe keine Lust mehr, von der Politik ignoriert zu werden, obwohl ich Ideen und Vorschläge habe, was geändert werden muss. Diese Reformvorschläge sind ein Flickwerk am gescheiterten DRG-System, das auch diesmal nicht funktionieren kann. Wir brauchen endlich ein kostendeckendes, gemeinwohlorientiertes Gesundheitssystem und an den Vorschlägen dazu müssen Menschen mitwirken, die täglich davon betroffen sind.“

Die satirische Laudatio für Preisträger Boris Augurzky: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/03/Laudatio_Augurzky_end.pdf

Pressekontakte:
Anja Voigt: 0172-3182206
Michael Friedrichs: 0157-77569063
Laura Valentukeviciute: 0176-23320373, info@klinikrettung.de

Organisatoren der Protestkundgebung:
• Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite
• Bündnis Klinikrettung
• Bunte Kittel
• Schluss mit Kliniksterben Bayern
• Solidarisches Gesundheitswesen
• Verein demokratischer Ärzt*innen – vdää*

Hintergrund:
Das DRG-Forum ist nach eigener Darstellung das jährliche „Familientreffen der Gesundheitsbranche“ – zwei Tage lang treffen sich Krankenhausmanager*innen und Gesundheitslobby, während Firmen „Entscheidungsträger*innen“ umwerben. Dieses Jahr steht die Krankenhausreform an, die auch beim DRG-Forum Thema ist. Die Reform soll zu gravierenden Einschnitten in der Krankenhausversorgung führen. Es drohen: massiver Klinik- und Bettenabbau, gefährlich verlängerte Fahrzeiten zur nächsten Klinik, Engpässe und lange Wartezeiten in den verbleibenden Krankenhäusern und erhebliche Arbeitsverdichtung für die Krankenhausbeschäftigten.
Die Organisator*nnen der heutigen Kundgebung fordern deswegen die Rücknahme der bisherigen Reformvorschläge und die Ausarbeitung einer Krankenhausreform im Sinne von Patient*nnen und Beschäftigten:
• Orientierung an der Bedarfsgerechtigkeit in der Versorgung
• Gemeinwohlorientierung und Gewinnverbot
• Stopp der Privatisierung von Krankenhausträgern
• Abschaffung des Fallpauschalensystems (DRG, Diagnosis Related Groups)
• Kostendeckung in der Krankenhausfinanzierung
• Verbindliche Personalschlüssel für alle Bereiche im Krankenhaus
• Demokratisierung von Krankenhausplanung und Steuerung
• Erhalt der flächendeckenden wohnortnahen Krankenhausversorgung

Bündnis Klinikrettung zieht Bilanz: Klinikschließungen 2022, Versorgungsengpässe und die Probleme der Krankenhausreform

Mit den Level 1i-Krankenhäusern werden ländliche Gebiete zu Gesundheitsregionen zweiter Klasse

Auf seiner heutigen Pressekonferenz hat das Bündnis Klinikrettung zum dritten Mal in Folge eine Jahresbilanz der erfolgten und geplanten Klinikschließungen gezogen. Außerdem legte das Bündnis eine kritische Analyse der Vorschläge der „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ dar und präsentierte dringend notwendige Reformalternativen.
Beispielhaft für die Misere der örtlichen Gesundheitsversorgung bei einer drohenden Krankenhausschließung berichtete einer der Initiatoren des erfolgreichen Bürgerbegehrens in Eckenförde.

Die vollständige Bilanz 2022 mit Schließungsliste: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/1_Bilanz_BKR_Krankenhausschliessungen_2022-1.pdf
Die Analyse der Krankenhausreform: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/2_Beurteilung_BKR_Krankenhausreform_2022-12.pdf

Laura Valentukeviciute, Bündnis Klinikrettung:
„Die Zahl unserer Krankenhäuser sinkt dramatisch weiter. Im Jahr 2022 schließen bis Jahresende insgesamt 13 Krankenhäuser, hinzu kommen 11 Krankenhäuser mit Teilschließungen, hauptsächlich Geburtshilfen. Unterfinanzierung und geplanter Abbau der Krankenhäuser spitzen sich weiter zu. Die Anzahl der drohenden Schließungen liegt rekordhoch bei 68.“

 

Valentukeviciute weiter:
„Die geplante Krankenhausreform hilft uns keinen Deut weiter. Lauterbachs Deckelung des Gesamtbudgets bedeutet, dass die knappen vorhandenen Ressourcen lediglich umverteilt werden. Deswegen wird es auch weiter ökonomisch bedingte Schließungen von Allgemeinkrankenhäusern geben. Die Probleme des DRG-Systems werden nicht wie versprochen überwunden, sondern teilweise sogar verschärft.“

Eine gravierende, bisher in der Öffentlichkeit wenig beachtete Folge der Reform ist die Aufteilung von Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung in die Level 1n und 1i. Nur Krankenhäuser des Levels 1n sollen noch eine Notfallversorgung bereitstellen. Krankenhäuser des Levels 1i hingegen sollen nicht unbedingt ärztlich, sondern von speziell ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden, sie sollen lediglich über stationäre Pflegebetten verfügen und ambulante ärztliche Behandlung nur auf Abruf leisten.

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R.:
„Man muss es deutlich sagen: Level 1i, das sind keine Krankenhäuser mehr. Ihnen fehlt die ärztliche Verfügbarkeit rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche, eine stationäre Notaufnahme sowie eine Intensivstation für klinische Notfälle. Wir reden hier von circa 650 der knapp 1.900 verbliebenen Krankenhäuser, die geschlossen und im Grunde in „bessere Pflegeheime“ umgewandelt werden sollen. Die Folge wird sein, dass ländliche Regionen zu Gesundheitsregionen zweiter Klasse degradiert werden.“

 

Henning Brien, Bürgerbegehren Eckernförde:
„In den ländlichen Regionen brauchen die Menschen wohnortnahe Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung mit Geburtsstation, einer zentralen Notaufnahme und idealerweise einer Kindermedizin. Das gehört zur Daseinsvorsorge und muss gewährleistet werden. Dies entlastet obendrein den regionalen Schwerpunkt- und den überregionalen Maximalversorger.“

Brien weiter: „Auch bei uns in Eckernförde wird die Krankenhausschließung mitunter damit begründet, dass das knappe Personal besser in wenigeren Kliniken konzentriert werden sollte. Das beste Beispiel, dass das reines Wunschdenken ist, zeigt sich an den Hebammen. Die Geburtsstationen schließen seit Jahren – und im Vergleich zu anderen Stationen überproportional häufig. Deswegen gibt es aber nicht mehr Hebammen die geburtshilflich arbeiten – im Gegenteil. Die meisten Hebammen gehen nach dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes nicht in die großen Zentren und stehen dem „Geburtsmarkt“ nicht mehr zur Verfügung. Somit steigt die Anzahl der betreuten Geburten pro Hebamme an den weiterhin bestehenden Geburtsstationen an. In Folge entsteht eine Verdichtung der Arbeit und die direkte Betreuungszeit für die einzelne Schwangere reduziert sich. Alleine im Kreißsaal zu liegen hat wenig mit Qualität zu tun.“

Kontakte für Rückfragen
Laura Valentukeviciute: laura.valentukeviciute@gemeingut.org, 0176 23320373
Klaus Emmerich: klaus_emmerich@gmx.de, 0177 1915415


Weitere Materialien

Folien zur Bilanzpressekonferenz:
https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/3_Krankenhausreform_Klaus-Emmerich_Folien-1.pdf

Wenn der versprochene Ersatz ausbleibt, 3 Beispiele: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/4_Wenn-der-versprochene-Ersatz-ausbleibt-1.pdf

Das Bündnis Klinikrettung hat eine ausführliche Studie zur Selbstkostendeckung als Finanzierungsmodell vorgelegt: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/12/2022-10_Studie_Selbstkostendeckung_Buendnis_Klinikrettung_aktualisierte_Ausgabe_2022-12-12.pdf

Die Bewertung der Reform durch die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/01/Grosse-Krankenhausreform-Bewertung-der-dritten-Empfehlung-der-Regierungskommissison_KE_12-2022.pdf

Koalitionsvertrag: SPD, Grüne und FDP riskieren, als „Klinikzerstörer“ in die Geschichte einzugehen

Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung
Das Bündnis Klinikrettung kritisiert den heute veröffentlichten Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Regierung. Darin wird das Problem der flächendeckenden Klinikschließungen und der klinischen Unterversorgung in vielen Regionen Deutschlands mit keinem Wort erwähnt. Hinzu kommt, dass die neue Koalition das DRG-Fallpauschalensystem nicht grundsätzlich in Frage stellt. Dieses trägt aber wesentlich zum Kliniksterben in Deutschland bei. Das Bündnis Klinikrettung fordert die Koalition auf, endlich demokratische Mitbestimmung zu ermöglichen und Initiativen, die sich für den Erhalt der klinischen Versorgung einsetzen, in die Arbeit der geplanten Regierungskommission zur Krankenhausversorgung einzubeziehen.

Laura Valentukeviciute, Sprecherin Bündnis Klinikrettung:

Unser Gesundheitssystem wird gerade gegen die Wand gefahren: eine funktionierende Infrastruktur, die Krankenhäuser, werden kaputtgespart und geschlossen. BürgerInnenproteste werden ignoriert. Dabei beschleunigt sich der Schließungsprozess zusehends: Vor der Pandemie wurden circa 10 Krankenhäuser pro Jahr geschlossen, seit zwei Jahren hat sich das Tempo verdoppelt. Insbesondere, aber nicht nur ländliche Regionen werden so ihrer Gesundheitsinfrastruktur beraubt. Versprochene Zentralkliniken und Maximalversorger können den Kahlschlag keinesfalls kompensieren. Wenn die neu gewählte Regierung diesen Trend nicht stoppt, wird sie in die Geschichte als Zerstörerin der stationären Versorgung eingehen.

Klaus Emmerich, Klinikvorstand i.R. :

In ihrem Koalitionsvertrag duckt sich die neue Regierung genau wie die Vorgängerregierung vor dem Problem der Klinikschließungen weg und nimmt damit einen Kahlschlag der deutschen Krankenhauslandschaft sehenden Auges in Kauf. Wir kritisieren die Absicht der neuen Koalition, wohnortnahe Krankenhäuser in verstärktem Umfang in ambulante Integrierte Versorgungs- und Notfallzentren umzuwandeln. Es ist gut, wenn es Krankenhäusern bei Bedarf ermöglicht wird, ambulante Versorgung zu leisten, und dies entsprechend vergütet wird. So kann der Mangel an Arztpraxen vor allem im ländlichem Raum mit aufgefangen werden. Aber die Kliniken müssen dabei als vollwertige Krankenhäuser erhalten bleiben und dürfen nicht durch ambulante und kurzstationäre Versorgungseinrichtungen ersetzt werden.

HINTERGRUND
Spätestens seit der Veröffentlichung der Bertelsmann Studie im Jahr 2019 zum Abbau der Krankenhauskapazitäten in Deutschland sind die Pläne, die deutsche Krankenhauslandschaft radikal auszudünnen, allgemein bekannt. Von Gesundheitsökonomen wird ein bedarfsgerechter, geordneter Umbau suggeriert. Tatsächlich werden deutschlandweit Kliniken willkürlich und zum Teil plötzlich geschlossen, weil sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Kapazitäten werden dabei häufig nicht ersetzt, so dass die regionale Gesundheitsversorgung massiv unter den Schließungen leidet. Die Gründe für die finanziellen Probleme sind vor allem die unzureichende Finanzierung der laufenden Kosten durch das System der Fallpauschalen sowie die zugesagten, aber nicht getätigten Investitionen seitens der Bundesländer. Die Pandemie erschwert die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser zusätzlich. Operationen und andere Behandlungen werden verschoben, sodass vielen Krankenhäusern ein wichtiger Teil der Einnahmen wegbricht. Die Corona-Hilfen erreichen hingegen nur bestimmte Kliniken.
Das Bündnis Klinikrettung fordert das Ende der stetigen Verschlechterung der Daseinsvorsorge. Lange Wege zu entfernten Krankenhäusern gehen am Bedarf der Menschen vorbei. Bereits heute gibt es Regionen, in denen PatientInnen länger als 30 Fahrzeitminuten, teilweise sogar länger als 40 Minuten benötigen, um das nächstgelegene Allgemeinkrankenhaus zu erreichen. Dies kann in Notfallsituationen lebensentscheidend sein. Eine stärkere Konzentration auf weniger Krankenhäuser löst die Probleme nicht. Denn weniger Kliniken bedeuten nicht weniger Kranke. Und schon heute arbeiten alle Häuser am Limit, die Kapazitäten sind mehr als ausgeschöpft.

Hier geht es zur Stellungnahme vom Bündnis Klinikrettung zum veröffentlichten Papier der AG Gesundheit und Pflege: https://www.gemeingut.org/stellungnahme-vom-buendnis-klinikrettung-zum-papier-der-ag-gesundheit-und-pflege/

Für Rückfragen:

  • Laura Valentukeviciute, laura.valentukeviciute@gemeingut.org, 0176-23320373
  • Klaus Emmerich, klaus_emmerich@gmx.de, 0177-1915415

Quellen:
Destatis, Waren es 1991 noch 2.411 Krankenhäuser, so verbleiben 2019 lediglich 1.914, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/grunddaten-krankenhaeuser-2120611197004.pdf?__blob=publicationFile
Unterversorgte Regionen in Bayern: https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/unterversorgung/