Kostenexplosion bei S-Bahn: Bündnisse fordern sofortigen Stopp der Ausschreibung

Pressemitteilung

Die Bündnisse Bahn für Alle, Eine S-Bahn für Alle sowie das Netzwerk Gemeingut in BürgerInnenhand fordern vom Senat den sofortigen Abbruch der S-Bahn-Ausschreibung. Die eklatante Kostenexplosion gefährde die Entwicklung des ökologischen Verkehrsträgers. Statt acht Milliarden Euro sollen jetzt 20 Milliarden Euro ausgegeben werden.

Dazu Carl Waßmuth, Sprecher von Bahn für Alle:

Wir haben von Anfang an gewarnt, dass mit der S-Bahn-Ausschreibung eine Kostenexplosion droht. Denn die privaten Bieter verlangen eine Rendite, und die Banken verlangen von den Bietern Rekordzinsen für die Wagenbeschaffung. Dafür müssen letztendlich die Fahrgäste und Steuerzahlenden blechen. Das Versprechen, durch die Ausschreibung zügig die Anschaffung neuer Wagen zu klären und einen reibungslosen Betrieb zu sichern, wird durch das Chaos der Verzögerung zunichte gemacht.

Jorinde Schulz von Gemeingut in BürgerInnenhand ergänzt:

Etliche gescheiterte Vergaben in Deutschland haben gezeigt, dass bürokratische Wettbewerbsverfahren zu Gerichtsprozessen oder teuren Pleiten führen. Aber es gibt eine Alternative: Würde Berlin die Bahnen selbst kaufen und über eine Beteiligung an der S-Bahn Berlin GmbH mit Brandenburg selbst betreiben, könnte das Geld gespart und in den Ausbau und den Kauf weiterer Wagen gesteckt werden. Deswegen fordern wir den sofortigen Abbruch der Ausschreibung.

Nach dem Ende der Nullzinszeit kostet nun der Kredit der privaten Bieter zusätzliche sieben Milliarden Euro – für eine Investitionssumme von acht Milliarden Euro. Für sieben Milliarden Euro könnte Berlin mühelos die ganze S-Bahn Berlin kaufen.

Die S-Bahn gehört nach Auffassung von Bahn für Alle, Eine S-Bahn für Alle und Gemeingut zur öffentlichen Daseinsvorsorge, ist dem Gemeinwohl verpflichtet und darf nicht gewinnorientiert sein. Erst recht verbietet sich eine Privatisierung des Betriebs, wie sie mit der Ausschreibung vorangetrieben wird. Vor einem Jahr hatte das Bündnis Bettina Jarasch als zuständiger Senatorin über 10.000 Unterschriften für einen Stopp der Ausschreibung übergeben. Jarasch versprach daraufhin, zu prüfen, ob Berlin die S-Bahn-Mehrheit kaufen würde. Auch Kai Wegner versprach dem S-Bahn-Bündnis, einen Stopp der Ausschreibung zu prüfen. Es blieb bei den Versprechen.

Durch den Eintritt von Siemens und Stadler in das DB-Konsortium würde die S-Bahn selbst dann teilprivatisiert, wenn die S-Bahn Berlin GmbH den Zuschlag bekommt. Entscheidungen zur Wagenbeschaffung können auch nach dem Abbruch der Ausschreibung ohne Zeitnot getroffen werden. Aktuell verkehrende Wagen der Baureihe 481/482 wurden aufgearbeitet und können bis 2030 fahren. Die Baureihe 483/484 wurde gerade erst neu entwickelt, die zugehörigen Wagen werden derzeit sukzessive ausgeliefert.

Eine von Bahn für Alle, Eine S-Bahn für Alle und Gemeingut angefragte juristische Stellungnahme zeigt auf, dass mehrere Alternativen zur aktuellen Ausschreibung bestehen: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2021/06/Benno_Reinhardt_Positionspapier_Vergabe_S-Bahn_Berlin.pdf

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Unterschreiben Sie hier den Aufruf „Eine S-Bahn für Alle – Berliner S-Bahn retten!“.

Strategietreffen des Bündnis Klinikrettung zur Krankenhausreform

Einladung

Mit der aktuellen Krankenhausreform steht unsere Gesundheitsversorgung auf dem Spiel. Werden Lauterbachs Pläne Wirklichkeit, sehen wir einem Jahrzehnt von Krankenhausschließungen, Privatisierungen und weiterhin schlimmen Arbeitsbedingungen für das Krankenhauspersonal entgegen.

Dem Bündnis Klinikrettung ist es ein Anliegen, dass die im Reformprozess bisher weitestgehend ignorierten Betroffenen der Reform in der Öffentlichkeit und im Bundestag gehört werden. Wir wollen, dass eine Abkehr von Privatisierung und Profitmache im Krankenhausbereich endlich auf den Tisch kommt. Wie wir das organisieren können, dazu wollen wir uns auf einem zweitägigen Strategietreffen in Göttingen austauschen!

Bündnis Klinikrettung – Strategietreffen zur Krankenhausreform
Datum: 29.-30. September
Ort: Our House OM10, Obere-Masch-Straße 10, 37073 Göttingen

Interessierte sind herzlich eingeladen! Bitte anmelden mit Namen, Emailadresse und ggf. Angabe der Initiative/Organisation bis zum 20. September an: info@klinikrettung.de Es ist bei Bedarf auch möglich, nur am Samstag teilzunehmen. Wir nehmen sehr gerne weitere Vorschläge für die Tagesordnung entgegen.

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Bündnis Klinikrettung
Strategietreffen am 29. und 30. September 2023
PROGRAMM

Freitag

16:30 Begrüßung

  • kurze Vorstellungsrunde: Name, Ort/Bundesland, Initiative
  • Vorstellung und Zwischenbilanz des Bündnis Klinikrettung (Aktivitäten, Erreichtes)

17:00 Input & Diskussion: Krankenhausreform

  • Stand der Reform/Eckpunktepapier: Leistungsgruppen, Level, Vorhaltepauschalen (Klaus Emmerich, Laura Valentukeviciute)
    nächste Schritte im Gesetzgebungsprozess und unsere Interventionsmöglichkeiten (Laura Valentukeviciute, Jorinde Schulz)

17:55 Pause mit Kaffee & Tee

18:05 Akteursanalyse: Befürworter*innen & Gegner*innen der Reform

  • Rolle der Krankenkassen und anderer Verbände – DKG, BDPK, KBV, VKD u.a. (Thomas Strohschneider)
  • (unterschiedliche) Positionierungen der privaten Krankenhausbetreiber und Investoren (Anne Schulze-Allen)
  • erste Ideen für unsere Gegenstrategie (Herbert Storn)

19:00 Sitzungsende

20:00 Gemeinsames Abendessen

  • Abessina, Ritterplan 2, 37073 Göttingen

Samstag

09:30 Zusammenfassung der Ergebnisse vom Vortag

09:45 Strategie für den Reformprozess: Positionen & Kernforderungen

  • unsere Positionen zu Kernthemen (z.B. Ambulantisierung/MVZ/Level 1i/Gesundheitskioske, DRG/Vorhaltepauschalen, Fachkliniken)
  • Was sind unsere Maximalforderungen? Was wären akzeptable Verbesserungen? (z.B. Gewinnverbot und Selbstkostendeckung, Finanzhilfen/Inflationsausgleich)

11:00 Pause mit Kaffe und Tee

11:15 Strategie für Abwehr von Schließungen vor Ort

  • lokale Medien, Schließungsgutachten, Zeit gewinnen
  • Ländergruppen organisieren

12:30 Mittagspause

13:45 Planung unserer Aktivitäten

  • Verbreiterung des Bündnisses: Mit welchen Akteuren arbeiten wir zu welchen Punkten zusammen? (u.a. ver.di, Hebammenverbände, niedergelassene Ärzt*innen, Direktor*innen, Initiativen vor Ort)
  • Terminplanung auf Zeitleiste
  • Aktionsformen und Materialien überlegen (evtl. Social Media)

15:15 Pause mit Kaffee & Tee

15:30 Planung weiter, konkrete Schritte vereinbaren

  • Ergebnisse zusammentragen
  • Aufgaben festhalten, Verantwortlichkeiten verteilen, Arbeitsgruppen bilden

17:00 Sitzungsende

 

Krankenhausreform – Kahlschlag per Gesetz

Die Einschätzung des Bündnis Klinikrettung zu Lauterbachs Krankenhausreform

Die Bilanz ist erschreckend: Über 55 Krankenhäuser mussten seit 2020 bundesweit schließen, 14 allein im laufenden Jahr. Weitere 74 Kliniken sind akut von Schließung bedroht. In einer aktuellen Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geben 96 Prozent der Krankenhäuser an, ihre laufenden Kosten nicht aus den Einnahmen decken zu können; 69 Prozent sehen ihre Existenz gefährdet.

Besonders kleine Krankenhäuser, die als Allgemeinversorger für ländliche Gebiete fungieren und wichtige Abteilungen für Notfälle sowie Kinderstationen und Geburtshilfe bereitstellen, sind betroffen. Versorgungslücken, lange Anfahrtswege und Wartezeiten prägen zunehmend die Krankenhauslandschaft.

Lauterbach versprach, die Lage der Krankenhäuser durch eine Reform der Krankenhausfinanzierung zu verbessern. Nichts weniger als eine „Revolution“ stünde bevor. Verbal ging der Minister damit auf die breite Kritik an den DRG-Fallpauschalen ein (DRG: Diagnosis Related Groups). Mit den Fallpauschalen vergüten die Kassen den Krankenhäusern holzschnittartig Behandlungsfälle. Private Kliniken picken sich gern lukrative Behandlungen heraus und steigern möglichst deren Mengen, um Profite zu generieren. Öffentliche Grundversorger mit hohen Vorhaltekosten haben das Nachsehen.

Seit seiner Einführung 2003 trägt das DRG-System erheblich dazu bei, dass Klinikleitungen bestrebt sind, Personal einzusparen und die Arbeit unerträglich zu verdichten. Hinzu kommt, dass die Bundesländer ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, Gelder für Investitionen bereitzustellen. Der politische Kurs der letzten Jahrzehnte führt inzwischen flächendeckend zu Schließungen unterfinanzierter Abteilungen – vor allem Geburtshilfe und Pädiatrie – oder ganzer Kliniken und befeuert Privatisierungen. Die vier größten Krankenhauskonzerne ziehen jährlich rund eine Milliarde Euro Gewinn aus dem Krankenhauswesen. Der Anteil privater Kliniken steigt kontinuierlich an, während die Zahl von öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern seit Jahrzehnten abnimmt.

Kein Cent mehr für Krankenhäuser

Seit Juli liegt nun ein Eckpunktepapier von Bund und Ländern für die Krankenhausreform vor. Ein Blick darauf macht klar: Lauterbach löst sein Versprechen in keiner Weise ein, stattdessen stehen noch mehr Ökonomisierung und Bürokratie auf dem Programm: Die DRG-Fallpauschalen sollen nicht abgeschafft, sondern nur gekürzt und zum Teil durch die sogenannten Vorhaltepauschalen ersetzt werden. Aber auch diese Pauschalen decken die realen Kosten der Häuser nicht. Außerdem bleiben durch die Beibehaltung von Fallpauschalen deren Fehlanreize bestehen. Das Gesamtbudget ist dabei strikt gedeckelt, im Klartext: Es gibt keinen Cent zusätzlich für die Krankenhäuser. Somit verschärft sich die finanzielle Misere.

Die Schließungslobby sitzt mit am Tisch

In Lauterbachs Expertenkommission für die Krankenhausreform dominieren zwei Gesundheitsökonomen mit engen Verbindungen zu unternehmensfreundlichen Stiftungen und Krankenhauskonzernen: die Professoren Reinhard Busse und Boris Augurzky. Sie befürworten schon seit Jahren Krankenhausschließungen. Damit ist vorprogrammiert, dass der Abbau von Krankenhäusern ungebremst weitergehen wird. Wenn Lauterbach nun öffentlich verlauten lässt: „Wir stehen am Vorabend eines Krankenhaussterbens“, ist das purer Zynismus. Denn als verantwortlicher Minister hätte er die Möglichkeit, Krankenhäuser zu retten – doch er tut das Gegenteil. Schon seine ursprünglichen Reformpläne sahen explizit die Schließung von 20 Prozent aller Kliniken vor.

Die Konturen der Krankenhausreform wurden bereits 2019 in einer von Busse verantworteten Studie der Bertelsmann Stiftung vorgezeichnet. In deren Vorstand sitzt Brigitte Mohn, die gleichzeitig Mitglied im Aufsichtsrat der privaten Rhön-Klinikum AG ist – wie einst auch Karl Lauterbach. Augurzky wiederum leitet die konzernnahe Rhön Stiftung. Die Rhön-Klinikum AG gehört mittlerweile Asklepios, Deutschlands zweitgrößtem Krankenhauskonzern. Den großen Konzernen nützen Ökonomisierung und Zentralisierung. Es sind deren Interessen, die sich unter dem Tarnmantel wissenschaftlicher Expertise in die Reform eingeschlichen haben.

Lauterbach wiederum verkauft die Schließung von Krankenhäusern als Heilmittel gegen Personalmangel und angebliche Geldknappheit. Das vorhandene Personal solle einfach auf weniger Krankenhäuser verteilt werden. Die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die fehlenden Ausbildungsplätze geht er nicht an. Auf Schulen übertragen wären das Schulschließungen, weil Lehrkräfte fehlen, und die Bildung von Mammutschulen mit riesigen Klassenverbänden.

Leistungsgruppen als Schließungsinstrument

Auf Lauterbachs erste Schließungsankündigungen folgte ein Aufschrei aus der Bevölkerung. Auch die Länder sahen sich durch Lauterbachs Vorhaben in ihrer Planungshoheit eingeschränkt. Im jüngsten Eckpunktepapier sind einige der ursprünglichen Vorschläge nun vermeintlich abgeschwächt. Die Einführung von Krankenhausleveln, anhand derer kleine Krankenhäuser zwangsweise zu bloßen Pflegezentren degradiert werden sollten, hat Lauterbach vorerst zurückgenommen. Auch der Plan, die bereits stark dezimierte Geburtshilfe nur noch in großen Krankenhäusern anzubieten, wurde kassiert.

Ein näherer Blick macht aber deutlich, dass die Reform nach wie vor flächendeckend auf Schließungen abzielt, das erfolgt jetzt allerdings indirekt. Als Instrument dafür dienen die neuen Leistungsgruppen, an deren Zuteilung auch die Vorhaltepauschalen gekoppelt sein sollen. Die Leistungsgruppen gliedern die medizinischen Bereiche in Teilbereiche auf, den Bereich Innere Medizin zum Beispiel in Herzchirurgie, Lungentransplantation usw.

Nur wenn einem Krankenhaus durch das Land eine bestimmte Leistungsgruppe zugeteilt wird, darf es die entsprechenden Behandlungen durchführen. Dafür müssen die Krankenhäuser vorgegebene Kriterien erfüllen, zum Beispiel eine jährliche Mindestzahl an Behandlungen erbringen oder eine ärztliche oder technische Mindestausstattung aufweisen. Was zunächst wie Qualitätssicherung klingt, wird unter dem Vorzeichen des Budgetdeckels schnell zu einem Schließungsinstrument. Denn für die Länder besteht der Anreiz, die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser zu verteilen, da dann für jedes Krankenhaus aus den begrenzten Krankenhauserlösen mehr Geld zur Verfügung steht. Anstatt Krankenhäuser finanziell und personell so zu ertüchtigen, dass sie alle notwendigen Behandlungen durchführen können, werden ihnen Behandlungen verboten. Das bedeutet gleichzeitig den Entzug der Finanzierung. Entscheiden sich die Länder trotzdem dafür, möglichst vielen Krankenhäusern Leistungsgruppen zuzuteilen, bekommen alle zu wenig Geld – und die schwächsten machen aufgrund von Verlusten dicht, wie es bereits jetzt vielerorts geschieht.

Eine Reform zugunsten privater Konzerne

In der Krankenhausplanung bekommen die Länder also die Wahlmöglichkeit zwischen Pest und Cholera: aktiv schließen oder sterben lassen. Außerdem ist die Umwandlung von Krankenhäusern in teilambulante Gesundheitszentren ohne Notfallversorgung vorgesehen, sogenannte intersektorale Versorger. Nach diesen greifen schon heute gern private Investoren, die damit Kasse machen wollen.

Erschreckend abwesend in der Reform sind die Belange von PatientInnen und Beschäftigten. Keine einzige Maßnahme zielt darauf ab, regionale medizinische Bedarfe zu ermitteln und sicherzustellen, dass die Gesundheitsversorgung entsprechend ausgestattet wird. Fortwährende finanzielle Knappheit und Schließungen werden den Personalmangel verschärfen. Der Gewinnabschöpfung durch Private schiebt die Reform keinen Riegel vor, gleichwohl fördert sie durch die Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung einen weiteren Privatisierungsschub.

Ein Kurswechsel ist dringend geboten

Beschäftigte und BürgerInnen müssen im Reformprozess gehört werden. Das Gewinnverbot für den Betrieb der Krankenhäuser, das bis 1985 galt, muss wieder auf den Tisch. Zur Lösung der Probleme sollte ein solidarisches Finanzierungsmodell herangezogen werden: die Selbstkostendeckung. Unterfinanzierung, Privatisierung und Renditeerwirtschaftung sind keine Grundlage für ein zukunftsfestes Krankenhauswesen – in den Mittelpunkt gehören Gemeinwohl und medizinische Bedarfe.

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Dieser Beitrag ist am 7. September als Startseitenartikel in der aktualisierten Zeitung „Krankenhausreform: Kahlschlag per Gesetz“ erschienen (die PDF-Datei der Zeitung kann hier eingesehen werden). Wir freuen uns, wenn Sie die Zeitung verbreiten. Für die Bestellung schreiben Sie uns eine Email an info@gemeingut.org und geben Sie bitte die Zahl der gewünschten Exemplare und Ihre Postadresse an.

Offener Brief an Prof. Dr. Augurzky – Erhalt für Kliniken statt „schöpferische Zerstörung“!

Das Bündnis Klinikrettung dokumentiert einen offenen Brief an Boris Augurzky, der in Interviews Kliniken als „Ramsch“ bezeichnet und „schöpferische Zerstörung“ in der deutschen Kliniklandschaft gefordert hat.

 

An
Prof. Dr. Boris Augurzky
Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“ am RWI

 

Oberkrämer, Himmelskron, Breisach und Göttingen, den 09. August 2022

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Augurzky,

in einem Interview mit der Online-Plattform „Digitales Gesundheitswesen“ bescheinigen sie 13 Prozent der deutschen Kliniken „Ramsch-Status“. In einem anderen Gespräch fordern sie für das Jahr 2022 eine „schöpferische Zerstörung“ der Krankenhauslandschaft in Deutschland. Sie scheinen dabei zu vergessen oder bewusst zu ignorieren, dass in den von Ihnen als Ramsch betitelten Krankenhäusern täglich Menschen arbeiten, die anderen Menschen helfen gesund zu werden und dabei häufig Leben retten. Ihre Aussage verkennt diese Leistungen, ja will sie gar „schöpferisch zerstören“. Das Argument fokussiert auf Kennzahlen und basiert auf einer engen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Sie werden kaum mehr als 0,1 Prozent der Kliniken von innen kennen, die Sie sich anmaßen, zu „Ramsch“ zu erklären und abwickeln zu wollen. Das kann man auch betriebswirtschaftliche Arroganz nennen – oder, wie Sie es selbst ausdrücken: Banken-Jargon, angewandt auf die Gesundheitsversorgung.

Die Prämisse ihrer Argumentation, nämlich Krankenhäuser ausschließlich als Renditeobjekte zu betrachten, grenzt an Menschenverachtung. Sie widerspricht außerdem dem Grundgesetz, welches im Artikel 2 Absatz 2 das Recht der Menschen auf körperliche Unversehrtheit festhält. Weiter zur Erinnerung: Das Menschenrecht auf den „höchsten erreichbaren Stand an körperlicher und geistiger Gesundheit“ gehört zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten nach dem UN Sozialpakt von 1966, Artikel 12. Dieses Recht haben PatientInnen wie MitarbeiterInnen. Dazu gehört auch der Artikel 31 der Europäischen Grundrechtecharta: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen! Soweit die moralischen Aspekte einer sozialen und gerechten Gesellschaft, die Sie bei Ihrer Betrachtung der Krankenhäuser nicht berücksichtigen. Nun zu Ihrem Fachgebiet: die Betriebswirtschaft. Leider unterschlagen Sie auch in Ihren betriebswirtschaftlichen Einschätzungen der Krankenhauslandschaft zentrale Aspekte der Krankenhausfinanzierung und unterlassen die ausführliche Analyse der wirtschaftlichen Defizite vieler Häuser.

Eine Untersuchung kommunaler Großkrankenhäuser und von der Schließung betroffener mittlerer und kleiner Krankenhäuser ergibt Folgendes: Sämtliche Ergebnisse der Häuser sind durch hohe Abschreibungen, Zinslast, Wertberichtigungen und Rückstellungen belastet, also durch sogenannte buchhalterische (nicht reale) Risikoabwägungen geprägt. Dies führt häufig zu Defiziten, die wiederum als Argumente für Schließungen herhalten. Dabei ist allerdings festzuhalten, dass die Risiken bei den von uns untersuchten Krankenhäusern häufig äußerst freizügig bewertet werden, so dass im Zweifelsfall hohe Verluste auf dem Jahresabschluss ausgewiesen werden – frei nach dem Motto: „welches Schweinderl hätten‘s denn gern?“ Das findet bei Ihnen keine Erwähnung. In eine seriöse Bewertung der finanziellen Lage der deutschen Krankenhäuser müsste außerdem einfließen, dass schätzungsweise 15 Prozent der Arbeitsleistung der MitarbeiterInnen in den Kliniken von politisch gewollter, meist aber unsinniger administrativer Arbeit blockiert wird. Hinzu als finanzieller Faktor kommen die Schattenwirtschaften, die sich um das Gesundheitswesen herum entwickelt haben – wie etwa Beraterfirmen, MDK oder IT-Branche –, die unsinnige Codiersoftware entwickeln statt sinnvolle Arbeitshilfen für die MitarbeiterInnen.

Wie steht es nun um die Wertschöpfung in den Häusern durch tatsächliche Arbeit an PatientInnen? Aus der oben erwähnten Untersuchung geht hervor, dass die operativen Ergebnisse (EBITDA, Wertschöpfung und Substanzwert) der untersuchten Kliniken meist positiv sind, und sich in den letzten Jahren nach oben entwickelt haben. Das heißt: die Leistung der MitarbeiterInnen ist positiv. Negativ entwickeln sich die Häuser, weil die Politik sich weigert, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zu Finanzierung der Investitionen nachzukommen, und weil das DRG-System falsche Anreize zur Versorgung setzt. Denn in diesem wird vor allen Dingen die hochkomplexe und vieloperative Medizin honoriert. Das tägliche Geschäft hingegen ist völlig unterfinanziert. Nicht die eigentliche Arbeit in den Kliniken ist das Problem, sondern das von Ihnen propagierte reine markt- und renditeorientierte Wettbewerbsmodell. Diese Erwägungen zur Struktur der Krankenhausfinanzierung fehlen in Ihrer leichtfertigen „Ramsch“-Bewertung. Aber Gesundheit ist keine Ware, sondern ein zu schützendes Gemeingut!
Betriebswirtschaftlich nützlich ist nicht der Wettbewerb, sondern die Sicherung der Arbeit (nur so kann das medizinische Knowhow der Menschen erhalten bleiben), die Stärkung der Versorgungsqualität durch mehr Ausbildung, der Einsatz von mehr ArbeitnehmerInnen, die Nutzung bezahlbarer Medizintechnik sowie gesunde Arbeitsumgebungen in sanierten Alt- wie in innovativen Neubauten. Ja, das kostet Geld. Die Gesellschaft hat aber dieses Geld. Es muss nun sinnvoll aus den Krankenkassen, den Pharmakonzernen, den Medizintechnikkonzernen und von allen BürgerInnen demokratisch kontrolliert verteilt werden. Der Wettbewerb zerstört. Solidarität bietet Innovation. BionTech beispielsweise hätte ohne staatliche, solidarische Fördermittel von rund 375 Mio. Euro niemals so schnell einen Impfstoff entwickeln können. Geboten ist die gerechte Verteilung von Leistung und Ertrag.

Wir bitten Sie eindringlich: Basieren Sie Ihre einflussreiche Beratungstätigkeit im Krankenhausbereich nicht auf vorschnellen, von Wettbewerbsideologie und betriebswirtschaftlicher Engstirnigkeit geprägten Schlüssen. Analysieren Sie die Krankenhausfinanzierungsstruktur und ihre Mängel, vergessen Sie die Menschenrechte nicht – und setzen Sie sich ein für den Erhalt der Kliniken!

 

Mit freundlichen Grüßen,

Peter Cremer, Bündnis Klinikrettung
Iris Stellmacher und Joachim Flämig, Bürgerinitiative „Rettet unser Krankenhaus Rosmann-Breisach“
Klaus Emmerich, Klinikvorstand i. R. und Aktionsgruppe „Schluss mit Kliniksterben in Bayern“
Dr. Rainer Neef, medinetz Göttingen

Zur Krankenhauspolitik in Deutschland: Privatisierung und Ökonomisierung führen zu Klinikschließungen

Aus Sicht von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) und dem Bündnis Klinikrettung fördert die Corona-Politik eine ganze Reihe von Widersprüchen zutage, die unser Gesundheitssystem prägen, das zunehmend unter ökonomische Zwänge gerät. Leider werden aber diese Widersprüche medial so zugeschüttet, dass sie in der öffentlichen Debatte mehr oder weniger keine Rolle spielen. Den kritischen Initiativen kommt hier die demokratiepolitisch unverzichtbare Rolle eines Korrektivs zu, zumal wenn es um die Gesundheit geht.

Hier zunächst die wichtigsten Widersprüche in Kurzform:

  • In den Medien malt die offizielle Politik das Bild von überfüllten Krankenhäusern und Intensivstationen, während gleichzeitig Krankenhäuser und Intensivstationen unvermindert geschlossen werden.
  • Obwohl die Krankenhaus- und Intensivkapazitäten als entscheidende Kriterien für drastische Eingriffe ins öffentliche und private Leben und die Wirtschaft genommen werden, wird die Unterfinanzierung der Krankenhäuser nicht geändert.
  • Auch wenn inzwischen der Pflegenotstand nicht geleugnet wird, so wird doch nichts zu seiner strukturellen Behebung getan.
  • Obgleich es auch in einer breiteren Öffentlichkeit angekommen ist, dass die Corona-Politik die sozialen Gegensätze verschärft und Inklusion in den Hintergrund gedrängt hat, wird nichts dafür getan, das zu ändern.
  • Obwohl die sozial-ökologische Transformation eine Ausweitung der Gemeingüter dringend nahelegt, wird ihre Privatisierung weiter vorangetrieben.

Anfang 2020 hat eine kleine Aktivengruppe bei GiB die Arbeit zum Thema aufgenommen: eine Petition gestartet, eine Forsa-Umfrage beauftragt, Flugblätter produziert, Briefe an die PolitikerInnen versendet, erste Aktionen durchgeführt und die Presse informiert. Ende 2020 haben wir offiziell das Bündnis Klinikrettung gegründet.

In der Gründungspressekonferenz haben wir die Bilanz zu bundesweiten Schließungen gezogen und damit viel Aufmerksamkeit erzeugt. Viele unserer 14 Initiativen wehren sich lautstark gegen die Schließungen vor Ort. Häufig gelingt der Schulterschluss mit Arbeitnehmervertretungen, der Gewerkschaft Ver.di und auch mit regionalen Vereinen.

Und auch die Bevölkerung ist grundsätzlich unserer Meinung, wie die folgenden Umfragen zeigen: Nach einer von GiB bei Forsa in Auftrag gegebenen repräsentativen Meinungsumfrage wünschen 88 Prozent der Bevölkerung keine Krankenhausschließungen. Die Patientenversorgung stellen 96 Prozent über die Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern. Kurz nach der GiB-Umfrage zu Krankenhäusern veröffentlichte der Katholische Krankenhausverband Deutschlands eine ganz ähnliche Umfrage mit ähnlichen Ergebnissen. Danach ist 93 Prozent der Befragten ein wohnortnahes Krankenhaus sehr wichtig (62 Prozent) oder wichtig (31 Prozent). Und 74 Prozent der Bürger glauben nicht, dass Deutschland Pandemien wie die Corona-Pandemie mit deutlich weniger, dafür jeweils größeren Krankenhäusern hätte bewältigen können.

In eine ähnliche Richtung geht auch das Ergebnis der „Initiative Abstimmung 2021“ zum Thema Gewinne mit Krankenhäusern: 160.000 Menschen hatten sich bis zum 26. September per Briefvotum an der Abstimmung beteiligt. Vier Ja-Nein-Fragen waren vorausgewählt worden, die Aussage zu „Keine Profite mit Krankenhäusern“ fiel überdeutlich aus: 97 Prozent der Menschen teilen diese Aussage.

Die Krankenhausschließungen sind systemisch bedingt

Wenn also trotz massiver Widersprüche und trotz anderslautender Meinungsumfragen die Politik nicht zu Änderungen gezwungen werden konnte, dann muss das gravierende Gründe haben. Wir gehen generell davon aus, dass JournalistInnen darauf warten, Missstände, Fehlentwicklung, Skandale oder gar kriminelle Akte aufzuspüren und aufzudecken. Solange es Einzelfälle sind, stimmt das auch. Sobald es aber um strukturelle, systembedingte Vorgänge geht, die nicht infrage gestellt werden sollen, sieht es schon schwieriger aus. Noch dazu, wenn die Sachverhalte kompliziert sind.

Und wenn die Kritik an Fehlentwicklungen mit einer politischen Botschaft kollidiert, die von der Mehrheit der Parteien geteilt wird und hinter der eine starke Lobby steht, wird es schwierig, gehört zu werden. Wie anders soll man es erklären, wenn zur Rechtfertigung bisher nicht gekannter Freiheitseinschränkungen und der bisher größten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eingriffe drei Messziffern genommen werden, die aber nicht kritisch (genug) hinterfragt werden. Die Rede ist natürlich von der Corona-Politik, deren einschneidende Maßnahmen von a) den Inzidenzwerten, b) den Hospitalisierungsinzidenzen und c) der Belegung von Intensivbetten durch Covid-Patienten abhängig gemacht werden. Mindestens zwei der drei Werte hängen aber von der jahrzehntelang verfolgten Krankenhauspolitik ab. Kurz gesagt: Werden Kliniken geschlossen und Betten abgebaut, steigen selbst bei gleichbleibenden Corona-Werten die Inzidenzwerte automatisch und liefern die Rechtfertigung für weitere Einschränkungen.

Von daher und wegen der zunehmenden Kollateralschäden wäre es zwingend notwendig, die Ökonomisierung und Privatisierung im Krankenhaussektor in den Fokus der Medien zu nehmen. Das wird vom Mainstream der Medien aber vermieden. Am Mangel an kritischer Expertise kann es, wie schon dargelegt, nicht liegen.

Tatsächlich sind die Ursachen der jahrzehntelangen Politik der Krankenhausschließungen systemisch bedingt und vor allem im Wirtschaftssystem begründet. Die Erlaubnis, Gewinne machen zu dürfen, löste seit den 1990er Jahren einen Privatisierungsschub aus. Bis dahin wirtschafteten Krankenhäuser nach dem Prinzip der Kostendeckung. Die allgemeine Einführung von diagnosebezogenen Fallpauschalen eröffnete weitere Gewinnchancen für private Träger und Gewinnzwang für öffentliche Häuser. Verluste führen über kurz oder lang zu Schließungen.

Dazu ist es nützlich, sich klarzumachen, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben in Deutschland (390,6 Milliarden Euro 2018) mit 11,7 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt mehr als doppelt so hoch ist wie der Anteil der Automobilindustrie. Dieses große und wachsende Finanzvolumen macht es für das weltweite Kapital auf seiner Jagd nach Renditen so attraktiv, Arztpraxen, Reha-Kliniken, Pflegeheime, medizinische Spezialdienste und Krankenhäuser zu übernehmen. Ehemals gemeinwohlorientierte Einrichtungen werden durch profitorientierte abgelöst. Seit zwei Jahrzehnten wachsen die Privaten unablässig, seit 2014 gibt es mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Konzerne wie Helios, Asklepios oder Sana verzeichnen Milliardenumsätze, und die Gewinne sprudeln. Insolvenzen, Übernahmen und Konzentrationsprozesse sind die Kehrseite der Medaille.

Gewinnträchtig sind vor allem aufwendige Behandlungen; hierauf spezialisieren sich gern die Privaten, so dass die Fachkliniken zunehmen. Allgemeine Behandlungen und Grundversorgung werden schlecht vergütet; einen Großteil davon leisten öffentliche Kliniken. Auch durch Personaleinsparung und Auslagerung von Aufgaben an externe Dienstleister lassen sich Gewinne generieren. Immer mehr PatientInnen werden von immer weniger Pflegekräften versorgt. Deutschland hat hier die schlechteste Position unter zwölf vergleichbaren Ländern. Arbeitsverdichtung, Arbeitshetze, Überforderung und Lohndumping kennzeichnen mittlerweile Versorgung und Pflege in Kliniken. Das die Corona-Epidemie begleitende Beifallklatschen für die Pflegekräfte konnte nicht verdecken, dass auch in der Tarifauseinandersetzung 2020 das Personal vor allem als Kostenfaktor gesehen wurde. Für verschärften Finanzdruck bei den Krankenhäusern sorgen die Länder: Im Jahr 2017 steuerten sie nur noch 44,3 Prozent der benötigten Investitionsmittel bei. Der »Krankenhaus Rating Report 2020« errechnete für mehr als ein Drittel der Kliniken (600 Häuser) ein mittleres bis hohes Insolvenzrisiko.

Schluss mit dem Klinikkahlschlag!

Die Politik der Privatisierung wird nicht zuletzt seit der Corona-Krise zunehmend hinterfragt – zu Recht! Dennoch folgen viele Parteien der Maxime, alles zu privatisieren, was der Staat nicht unbedingt selbst machen muss. Ein Grund dafür ist auch, dass in Bund, Ländern und Kommunen über die Jahre massiv Personal abgebaut worden ist, so dass der Staat mit der Steuerung seiner Aufgaben zunehmend mehr Probleme hat. Unübertroffen dabei ist Hessen, das sogar das Universitätsklinikum Gießen und Marburg verkauft hat. Hören Bund und Länder weiter auf die Beraterlobby, dann landen wir bei wenigen zentralisierten Großkliniken. Zwei Dritteln der Kliniken bundesweit droht die Schließung. Die von privaten Investoren als Ersatz vorgesehenen medizinischen Versorgungszentren mit digitaler Beratung und Diagnostik – freilich ohne 24-Stunden-Notfallversorgung und -betrieb – sind keine Lösung. Profite dürfen nicht vor der Gesundheit rangieren. Wir müssen schleunigst zum Grundsatz zurückkehren, dass Gesundheit keine Ware ist, wie es 96 Prozent der Bevölkerung wünschen.

Trotzdem hat auch die neue Ampelkoalition in ihrem Vertrag keine Kurskorrektur eingeleitet, wie das Bündnis Klinikrettung kritisiert. Das Problem der flächendeckenden Klinikschließungen und der klinischen Unterversorgung in vielen Regionen Deutschlands wird mit keinem Wort erwähnt. Der Klinikschließungsprozess geht trotz Pandemie weiter, in 2021 gab es neun Schließungen und 22 Teilschließungen, fünfzig weitere Krankenhäuser sind akut von Schließungen bedroht. Vor allem ländliche Regionen werden so ihrer Gesundheitsinfrastruktur beraubt. Versprochene Zentralkliniken und Maximalversorger können den Kahlschlag keinesfalls kompensieren. Auch das DRG-Fallpauschalensystem wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Dieses trägt aber wesentlich zum Kliniksterben in Deutschland bei.

Das Bündnis Klinikrettung fordert die Koalition auf, endlich demokratische Mitbestimmung zu ermöglichen und Initiativen, die sich für den Erhalt der klinischen Versorgung einsetzen, in die Arbeit der geplanten Regierungskommission zur Krankenhausversorgung einzubeziehen. Bisher stützte sich die Regierung einseitig auf Gesundheitsökonomen mit bestimmter Forschungsausrichtung und die Bertelsmann Stiftung (Bertelsmann Studie 2019). Es ist zu befürchten, dass auch die neue Koalition denselben Fehler macht. SPD, Grüne und FDP riskieren, als „Klinikzerstörer“ in die Geschichte einzugehen.

Aktualisiert am 28.01.2022, Erstveröffentlichung in der Zeitung graswurzelrevolution, Ausgabe 465, Januar 2022.

Griechenland vor dem Ausverkauf

aus der jungen welt vom 16.6.11

Häfen, Aktienpakete, Wasserversorgung, Flughäfen – alles soll verscherbelt werden

Der Privatisierungsplan der griechischen Regierung weist allein für dieses Jahr 23 Firmen auf, die verkauft werden sollen. Er umfaßt vor allem Infrastrukturfirmen. Punkt eins auf der Liste, die mit der Troika aus Internationalem Währungsfonds, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank besprochen wurde, ist bereits abgehakt: Die Deutsche Telekom übernahm Anfang Juni für rund 400 Millionen Euro weitere zehn Prozent Anteile an der griechischen Telefongesellschaft OTE. Der Telekom-Anteil stieg damit auf 40 Prozent plus eine Stimme – der griechische Staat hält noch zehn Prozent plus eine Stimme. Die Deutsche Telekom hat auch die Unternehmensführung bei OTE. Für sie war vor allem auch das Mobilfunkgeschäft von OTE in Rumänien, Bulgarien und Albanien interessant. OTE hält auch 20 Prozent an Telecom Serbia.

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Harald Wolf gegen PPP


Am 27.05.2011 durfte der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf im Bundestag sprechen. Diese Gelegenheit hat ihm die Linke über „Bundesrats-Karte“ verschafft. Die „Bundesrats-Karte“ ist eine Praxis der im Bundestag vertretenen Parteien – mittlerweile auch von der Linken -, ihren jeweiligen Spitzenkanditaten im Wahlkampf einmal ein großes Podium zu bieten. Und wozu sprach Herr Wolf, der seit zehn Jahren eines der größten PPP-Projekte in Europa politisch deckt und persönlich die Renditegarantien über die Änderungsvereinbarungen im Sinne der privaten Anteilseigner festgezurrt hat? Herr Wolf sprach zu den großen Erfolgen im Protest gegen dieses PPP-Projekt:

Harald Wolf, Senator (Berlin):

[…]

In Berlin haben wir vor einiger Zeit den Erfolg eines Volksentscheids erlebt, der unter dem Motto „Wir wollen unser Wasser zurück“ den Protest gegen die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe im Jahre 1999 durch die damalige Große Koalition artikuliert hat. Über 700 000 Berlinerinnen und Berliner haben diesen Volksentscheid unterstützt.

Ich habe schon die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe angesprochen. Damals ist für 1,7 Milliarden Euro die Hälfte der Anteile an Private veräußert worden. Wenn man ausrechnet, welche Zinsersparnis das bedeutet – 1,7 Milliarden Euro, 4 Prozent Zinsen –, kommt man auf circa 70 Millionen Euro. Die Privaten haben eine Rendite von circa 120 Millionen Euro. Das heißt, ich könnte für den Haushalt jährlich diese Zinsersparnis von 70 Millionen Euro sozusagen als öffentliche Einnahme verbuchen, wenn ich die Anteile noch hätte, und gleichzeitig hätte ich ein Tarifsenkungspotenzial zugunsten der Kundinnen und Kunden in Höhe von 50 Millionen Euro. Es hat sich also weder für die Kunden noch für die Kommune gerechnet.

[…]

Aus derartigen Privatisierungserfahrungen müssen die Lehren gezogen werden.

[…]

Deshalb hat der Senat von Berlin auch beschlossen, die Berliner Wasserbetriebe zu rekommunalisieren. Wir
stehen gegenwärtig in Verhandlungen mit RWE über den Rückkauf der Anteile und in Verhandlungen mit dem
zweiten Anteilseigner, Veolia, über einen Neuabschluss der Verträge.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Senator, ich begrüße Sie im Deutschen Bundestag. – Sie haben lobend den Volksentscheid zu den Berliner
Wasserbetrieben erwähnt. Meine Frage lautet: Haben der Senat von Berlin und Sie persönlich den Volksentscheid unterstützt, oder hat sich der Volksentscheid gegen den Senat gerichtet, nachdem der Senat von Berlin und der zuständige Senator sich geweigert haben, die Verträge über den Verkauf der Wasserbetriebe von Berlin offenzulegen, und der Senat trotz einer Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts diese Verträge weiterhin nur sehr unvollständig offengelegt hat und deshalb durch den Volksentscheid dazu gezwungen werden
musste, die Verträge vollständig offenzulegen? Sie tun so, als wenn das ein Volksentscheid gewesen wäre, der
vom Berliner Senat unterstützt, vielleicht sogar initiiert worden ist. Ich finde es hervorragend, dass Sie das jetzt
prüfen; aber wir wollen doch der historischen Wahrheit die Ehre geben.

Harald Wolf, Senator (Berlin):

Lieber Christian Ströbele, auch ich bin sehr dafür, der historischen Wahrheit die Ehre zu geben, und ich stelle
fest, dass, wenn grüne Politiker aus Berlin im Deutschen Bundestag sitzen, sie manchmal die Verästelungen der
Berliner Politik nicht wirklich wahrnehmen;

(Lachen des Abg. Johannes Kahrs [SPD])

das stellen wir gegenwärtig auch im Wahlkampf fest.

(Beifall bei der LINKEN – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wollen wir doch
mal gucken, was Herr Wolf in der taz zu dem Thema gesagt hat! – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Die elehrungen können Sie im Senat machen, aber nicht hier!)

– Ich spreche gerade mit dem Kollegen Ströbele, der mir eine Frage gestellt hat, die ich, wie sich das gehört, anständig beantworten will.

(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann geben Sie sich mal Mühe!)

Herr Ströbele, das Abgeordnetenhaus von Berlin hat eine Novelle des Informationsfreiheitsgesetzes beschlossen
und damit der Intention des Volksbegehrens Rechnung getragen; denn auf der Grundlage dieses vom Parlament
– übrigens mit aktiver Mitwirkung der Fraktion der Grünen – beschlossenen Gesetzes können die Verträge
veröffentlicht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht die Frage! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gutes Gesetz!)

– Das ist ein gutes Gesetz, genau. Die Offenlegung ist erfolgt, und zwar vor dem Volksentscheid. Der Senat
bzw. das Abgeordnetenhaus hat alles getan, um der Intention des Volksbegehrens Genüge zu tun.
Ich kann mich erinnern – um auch das einmal zu sagen, Kollege Ströbele –:

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie endlich die Frage beantworten?)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus hatte auch – –

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ging doch darum, was Sie und der Senat dazu gemeint haben!)

– Ja, aber das habe ich doch gerade gesagt.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine ganz einfache Frage! Da kann man doch kurz drauf antworten!)

– Ja. Ganz einfache Frage.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch um Ihre Meinung und die des Senats!)

Das Abgeordnetenhaus hat die Verträge auf der Grundlage einer Novelle des Informationsfreiheitsgesetzes offengelegt, und zwar vor dem Volksentscheid.

(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht vollständig! Das wissen Sie doch!)

Das ist die Wahrheit, wenn Sie eine ganz kurze Antwort wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt fahre ich in meinen Ausführungen fort.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal die Frage beantworten? Beantworten Sie doch mal die Frage! – Gegenruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hat er doch beantwortet!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die Frage ist so beantwortet, wie er sie beantworten wollte. Der Herr Senator kann jetzt mit seiner Rede fortfahren. – Bitte schön, Herr Senator.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist nicht beantwortet! Das ist doch albern!)

Harald Wolf, Senator (Berlin):
Ich würde einfach bitten, die Frage, von der Sie meinen, dass sie noch nicht beantwortet ist, jetzt noch einmal
zu wiederholen. Ich beantworte sie dann gern, falls mir doch die Fragestellung entgangen sein sollte.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gebe Ihnen nicht noch drei Minuten mehr Zeit! Hören Sie doch einfach zu!)

– Okay. Dann wird die Frage nicht gestellt, und deshalb kann ich sie auch nicht beantworten. Ich fahre jetzt fort.

Quelle: http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17112.pdf

Was hat Harald Wolf in seinem Bundestagsauftritt vergessen zu erwähnen? Ach ja, dass er und die Berliner Landesregierung 2,46 Millionen Berlinerinnen und Berliner schriftlich aufgefordert haben, bei dem Entscheid „Wir wollen unser Wasser zurück“ mit NEIN zu stimmen. Glücklicherweise sind nur 11.590 Berlinerinnen und Berliner dieser Aufforderung gefolgt, nicht einmal ein halbes Prozent der Angeschriebenen.