Bundesrechnungshof warnt in neuem Gutachten vor Autobahnprivatisierung per ÖPP

von Carl Waßmuth

Seit dem 30. November 2016 liegt ein Gutachten des Bundesrechnungshofs (BRH) „zu Organisationsformen und Finanzierungsvarianten für die Bundesfernstraßen“ vor. Darin sind deutliche Warnungen enthalten. Die Warnungen betreffen zum einen die Gefahr der Privatisierung, zum anderen die Tendenz, Schulden auszulagern und  damit die Schuldengrenzen zu umgehen.

Drei Privatisierungsformen

Der Bundesrechnungshof unterscheidet drei Privatisierungsformen. Er hebt sich dabei ab von der Berichterstattung der letzten drei Wochen, die nur zwei Varianten einer Privatisierungsform aufführte: die materielle Privatisierung von Straßen und/oder neuer Autobahngesellschaft. Der BRH sieht sowohl die Möglichkeit der formellen als auch der materiellen Privatisierung. Zusätzlich weist er auf die Möglichkeit der funktionalen Privatisierung hin:

„Bei der funktionalen Privatisierung werden Aufgaben von der Privatwirtschaft übernommen, die zuvor vom Staat erfüllt wurden. Der Staat bedient sich zur Erfüllung seiner Aufgaben lediglich der Hilfe von Privaten, ohne dass es zu einer Übertragung der öffentlichen Aufgabe selbst kommt. Das Auftragsverhältnis ist zeitlich begrenzt. Eine funktionale Privatisierung einzelner Strecken hat das Bundesverkehrsministerium bereits durch die laufenden Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) im Bundesfernstraßenbau vorgenommen. Eine solche funktionale Privatisierung wäre jedoch auch für das gesamte oder Teile des Bundesfernstraßennetzes denkbar. Solch eine Teilnetzbildung wurde in einem von der Bauwirtschaft initiierten und geförderten Gutachten bereits im Jahr 2004 empfohlen.“

Der aktuelle Entwurf zur Grundgesetzänderung sieht die formelle Privatisierung vor und ermöglicht und befördert die funktionale Privatisierung via ÖPP. Zudem wird der neuen Verkehrsinfrastrukturgesellschaft die eigenständige Aufnahme von Fremdkapital ermöglicht.

Weitreichende Folgen von Privatisierung

Im Gutachten weist der BRH vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Ausführungen und Erfahrungen ausländischer Rechnungshöfe darauf hin,

„dass funktionale und materielle Privatisierung weitreichende Folgen haben:

  • Das Parlament hätte nur noch sehr mittelbar Einfluss.
  • Der Bund würde bei einer Privatisierung kaum noch direkte Steuerungsmöglichkeiten besitzen.
  • Das staatliche Monopol würde auf Private übergehen. Der Mautregulierung käme damit eine besondere Bedeutung zu.

Der gesamtwirtschaftliche Nutzen einer Straßenbauinvestition kann sich […] deutlich von deren betriebswirtschaftlicher Vorteilhaftigkeit unterscheiden. In dem gesamtwirtschaftlichen Nutzen werden beispielsweise Umweltaspekte oder Fahrzeiten berücksichtigt, die für die betriebswirtschaftliche Vorteilhaftigkeit nicht unbedingt relevant sind. Ohne entsprechende Vorgaben ist davon auszugehen, dass sich betriebswirtschaftlich geführte Organisationseinheiten lediglich an der betriebswirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit einer Straßenbauinvestition orientieren würden. Gesamtwirtschaftlich vorteilhafte Projekte würden dann gegebenenfalls nicht verwirklicht.“

Deutlich weniger Transparenz bei Privatisierung

Zu Transparenz schreibt der BRH:

„Bei der funktionalen und materiellen Privatisierung werden die Unternehmen in der Regel nur in dem vertraglich vereinbarten oder gesetzlich vorgegebenen Umfang Daten und Unterlagen veröffentlichen oder zugänglich machen. Wesentliche Unterlagen und Daten würden – wie bei den bisherigen ÖPP-Projekten auch – als Geschäftsgeheimnisse gewertet und damit nicht öffentlich werden.“

Umgehung der Schuldenbremse möglich

Nach Aussage des BRH wäre eine Umgehung der Schuldenbremse möglich:

„Die Kredite der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft, sofern diese selbstständiger Rechtsträger ist, werden bei der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung nicht berücksichtigt.
Da zur Ermittlung der Kreditgrenze die Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen bereinigt werden, könnte der Bund Kredite aufnehmen und mit diesem Geld das Eigenkapital der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft erhöhen. Der Bund könnte damit laufende Verluste, die durch zu hohe Aufwendungen (z. B. für Personal- oder Instandhaltung) entstanden sind, durch Einzahlungen ins Eigenkapital ausgleichen, ohne dass sich dies auf die Neuverschuldung auswirkt.“

Umgehung der Maastricht-Kriterien offen

Die Auswirkung auf die europäischen Schuldenregeln wären laut BRH von der Ausgestaltung abhängig:

„Derzeit können keine verlässlichen Aussagen darüber gemacht werden, ob eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nach den Kriterien des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) 2010 dem Sektor Staat zuzurechnen ist. Bei rechtsfähigen Organisationsformen (Anstalten des öffentlichen Rechts, GmbH, AG), die Kredite aufnehmen können, ist die Einordnung im Schalenkonzept von der konkreten Ausgestaltung der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft abhängig. Die Rechtsform ist für die Einordnung nicht entscheidend. […] Damit die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft als institutionelle Einheit im Sinne des ESVG gewertet werden kann, muss sie insbesondere die Entscheidungsautonomie in der Ausübung ihrer Hauptfunktion besitzen. Diese Entscheidungsautonomie steht in gewissen Gegensatz zu den Kriterien „Steuerung und Kontrolle durch den Bund“ und „Parlamentarischer Einfluss“. Denn je größer die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten des Bundes sind und je größer der Einfluss des Parlamentes auf die Entscheidungen der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft ist, desto eher handelt es sich nicht um eine institutionelle Einheit im Sinne des ESVG.“

Das veranlasst die Rechnungshöfe, hinsichtlich der Ausgestaltung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft folgende Warnung auszusprechen:

„Der Bundesbeauftragte sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe der Länder sind der Auffassung, dass die Gründung der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft nicht dem Ziel dienen darf, Schulden aus den Kernhaushalten des Bundes auszulagern und die Schuldengrenzen zu umgehen.“

9 Kommentare

  1. Haben die Bundes- und Länderregierungen eigentlich je einmal auf de Empfehlungen oder Warnungen der Rechnungshöfe gehört, wenn es um ÖPP oder ähnliche Privatisierungsmodelle ging ? Auch jetzt könnten die bestens vernetzten ÖPP-Lobbyisten auf allen Ebenen sich wieder einmal sehr still und (un)heimlich durchsetzen.

  2. Da sind noch mehr Probleme versteckt.

    Man nehme mal an, das ich und andere Arbeitnehmer die Forderung der kostenlosen unbürokratischen Benutzung der Bundesstraße und Bundesautobahnen haben möchte, da wir ansonsten nicht zur Arbeit fahren, was einem längst überfälligen aus vielen Gründen berechigten Generalstreik gleich käme.

    Was dann?

    Warum die Leute nicht auf die Straße gehen sollten.

    Wo wir auch immer die Infrastruktur gebrauchen müssen, oder glauben sie gebrauchen zu müssen, ob für eine Demo oder den Weg zur Arbeit, sind wir in Ohnmacht der Macht der Politiker und ihrer Drahtzieher ausgeliefert. Die Infrastruktur der Macht, die heute mittels Handy durch die Überwachung von dem selben, bis ins Private hinein reicht, ist die Macht die alles durchdringt.

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