Neue Gutachten bestätigen, dass eine Schulprivatisierung geplant ist

25.11.17, GiB-Demo vor dem Tagungsort des Landesparteitags der Partei Die Linke, Foto (c) Frank Wecker

Von Carl Waßmuth

Zwei neue Gutachten befassen sich mit der vom Berliner Senat geplanten Einbindung der Howoge in die sogenannte Berliner Schulbauoffensive (BSO). Gegenstand und Ergebnisse der Untersuchungen bestätigen die Berechtigung der Sorgen hinsichtlich Privatisierung und Umgehung der Schuldenbremse. Die Gutachten tragen die folgenden Titel:

Thorsten Beckers, Andrej Ryndin (2018): Gutachterliche Stellungnahme: Das „HOWOGE-ÖÖP-Modell“ und der Status quo im Vergleich Eine Analyse zentraler Aspekte der Einbindung der HOWOGE in die „Berliner Schulbau-Offensive“ unter Rückgriff auf institutionenökonomische Erkenntnisse (52 Seiten, davon fünf Seiten Literaturverzeichnis)

sowie

Georg Hermes, Holger Weiß (2018): Rechtsgutachterliche Stellungnahme zur geplanten Einbindung der HOWOGE  Wohnungsbaugesellschaft mbH in die Umsetzung der „Berliner Schulbauoffensive“ (37 Seiten)

Beide Stellungnahmen sind von der Senatsverwaltung für Finanzen des Landes Berlin beauftragt worden. Die Stellungnahmen wurden am Montag, den 12.11.2018, an den Vorsitzenden des Hauptausschusses versandt, drei Arbeitstage nach der öffentlichen Anhörung, die die Volksinitiative „Unsere Schulen“ durchgesetzt hatte. Das Rechtsgutachten von Hermes / Weiß liegt bereits seit dem  29.9.2018 vor. In der Anhörung erwähnte der Senator das Gutachten mit keinem Wort, noch nicht einmal hinsichtlich der – mit ihm abgestimmten – Fragestellungen. Der späte Zeitpunkt der Bekanntgabe schränkt die Abgeordneten ebenso wie die Volksinitiative in ihren Möglichkeiten zur Diskussion der Ergebnisse ein.

In der Anhörung am 7. November hatte der Senator Anliegen der Volksinitiative mehrheitlich als „Unterstellungen“ eingeordnet und vorgetragene Bedenken als „gegenstandslos“ bezeichnet. Die Fragestellungen der nun vorgelegten Gutachten bestätigen nun, dass die vorgetragenen Bedenken für den Senat so viel Gegenstand enthielten, um dazu 95 Seiten starke wissenschaftliche Gutachten zu bestellen (und zu bezahlen). Auf die Volksinitiative wird explizit Bezug genommen:

Das HOWOGE-ÖÖP-Modell wird von […] „Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V.“ kritisiert. In diesem Zusammenhang ist von GiB eine Volksinitiative mit dem Titel „Unsere Schulen“ gestartet worden, für die eine ausreichende Anzahl an Unterschriften gesammelt werden konnte, um eine Befassung des Berliner Abgeordnetenhauses bzw. der dort zuständigen Ausschüsse mit dem HOWOGE-ÖÖP-Modell zu „erzwingen“. (Beckers / Ryndin 2018)

Senat beauftragt kritische Gutachter und bestimmt die Fragestellung

Wer sind diese Gutachter? Die Autoren Beckers, Hermes, Weiss und Ryndin hatten in den Jahren 2016 und 2017 zum Themenbereich ÖPP und die Auslagerung öffentlicher Aufgaben in GmbHs mehrere Gutachten verfasst, teilweise gemeinsam, teilweise einander ergänzend. Dabei kritisierten sie Privatisierungstendenzen und machten Vorschläge, wie damit verbundene Risiken für das Gemeinwohl durch Gesetze und Änderungen des Grundgesetzes reduziert werden könnten. Diese Gutachten hatten die folgenden Auftraggeber:

  • ADAC e.V.
  • Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen e.V. (BVMB)
  • Ministerium für Verkehr des Landes Baden-Württemberg (Verkehrsminister Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen)
  • SPD-Bundestagsfraktion

Diese Auftraggeber waren somit Vertreter von Nutzern, von einer betroffenen Branche, von einem grünen Verkehrsminister (mit den Grünen auf Bundesebene in der Opposition) sowie von Parlamentariern, die mit den Gutachten die Pläne und Vorschläge der Bundesregierung prüfen wollten. Im vorliegenden Fall beauftragt die Regierung diese Gutachter selbst und bestimmt die Fragestellung. Weswegen hat nicht die Berliner SPD-Fraktion diese Gutachten beauftragt und die Fragestellung selbst festgelegt?

Die späte Bekanntgabe der Gutachten wurde bezüglich des dadurch eingeschränkten Diskurses schon angesprochen. Es ist jedoch auch aus einem zweiten Grund überraschend, nun jetzt erst von diesen Fragestellungen zu erfahren. Wenn die enthaltenen Fragen für die BSO eine Bedeutung haben, hätte man die Antworten doch zu Beginn des Entscheidungsprozesses – also 2016  – benötigt. Mit den neunen Stellungnahmen zeichnet sich das Bild, dass der Senator seit zwei Jahren ein Vorhaben betreibt, dazu die Howoge im Aufsichtsrat mit Aufgaben betraut, Ausschreibungen der Howoge im Schulbereich duldet und sogar einen Rahmenvertrag mit der Howoge hat ausarbeiten lassen. Gleichzeitig zeigen die Fragestellungen, dass dem Senator die darin formulierten Sachverhalte die ganze Zeit offenbar unklar waren.

Fragen zu Kosten und Vergabe sind noch offen

Rings um die Gutachten stellen sich Nebenfragen, die für eine Einordnung der getätigten Aussagen ebenfalls von Bedeutung sind: Wie viel haben die Gutachten gekostet? Wie wurden die Gutachten ausgeschrieben, nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl der Gutachter? Wurden noch weitere Gutachter angefragt? Wurden noch weitere Gutachteraufträge erteilt? Die salamischeibchenweise Weitergabe von Informationen ist für eine offene Diskussion problematisch und führt zu fortgesetzten Informationsasymmetrien.

Was die Gutachten nicht enthalten

Die vorgelegten Gutachten sind keine Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen (WUs). Eine solche WU ist bei ÖPP-Vorhaben Standard. Die zumeist bei privaten Beratern in Auftrag gegebenen WUs erfüllen zwar in vieler Hinsicht nicht die Anforderungen hinsichtlich des Gemeinwohls und oft auch nicht simple wissenschaftliche Kriterien. Dies hat Prof. Beckers in Schriften und Vorträgen mehrfach scharf kritisiert. Hier wird jedoch bisher gänzlich auf eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung verzichtet. Fehlerhafte Aussagen können auf Fehler geprüft werden, fehlende Aussagen nicht. Zwei Beispiele: Der Barwert der Abschreibungen / Investitionen bis zum Ende der Laufzeit der Verträge wird nicht berechnet. Die Gutachten enthalten keine Kosten-Nutzen-Analyse.

Die vorgelegten Untersuchungen stellen auch keine valide Untersuchung dahingehend dar, ob es wirklich schneller geht. Es wird schon in der Fragestellung nur von „zeitlichen Zielen“ gesprochen. Die konkreten Bedingungen der Howoge und des Landes Berlin bezüglich des vorhandenen Personals werden nicht betrachtet. Außer Acht gelassen wird, welche Zeitverzögerungen allein durch die Implementierung des Modells entstehen.

Die vorgelegten Untersuchungen können auch eine Auskunft des Landesrechnungshofs oder des statistischen Bundesamts hinsichtlich der Verbuchung der Schulden (innerhalb oder außerhalb der Schuldenbremse) ersetzen. Der Landesrechnungshof Hamburg kommt zum Beispiel zum Ergebnis, dass die Kredite bzw. Zahlungsverpflichtungen im dortigen Mieter-Vermieter-Modelle (auch im Schulbau) öffentliche Schulden sind. Dieses Ergebnis wird in den vorliegenden Gutachten nicht einmal rezipiert. Fragen der Zurechnung der Schulden zum europäischen Fiskalpakt werden gar nicht beantwortet. Insofern enthalten die beiden Gutachten zwar Hinweise, wie die Kredite vermutlich verbucht werden könnten, sie ersetzen aber nicht die Bewertung der dafür faktisch maßgeblichen Institutionen.

Der gravierendste Mangel in der Fragestellung der Gutachten ist, dass die Alternative „Ausbau des öffentlichen Personals“ überhaupt nicht betrachtet wird. Würden die zahlreichen Risiken auch eintreten, wenn die öffentliche Hand selbst planen und bauen würde? Alle benannten Privatisierungsrisiken, die sich auch nach Auffassung der Gutachter bestenfalls begrenzen, jedoch nicht ausschließen lassen, würden vollständig entfallen. Bei der Betrachtung des Risikos der Verzögerung müsste nicht die kaputtgesparte Verwaltung mit den Möglichkeiten der Howoge verglichen werden, sondern der Aufbau von Personal in der öffentlichen Verwaltung mit der Auslagerung der Aufgaben auf die Howoge. Dass die Howoge dieses Personal selbst nicht hat, nur auf Zeit einstellt und ihrerseits wieder und auf Generalplaner und Generalunternehmer zurückgreifen muss, die selbst wiederum Personal aufbauen müssten, wäre zu berücksichtigen. Die wichtige Betrachtung der Kostenrisiken fehlt ohnehin gänzlich, auch hier entstehen erhebliche Kostenrisiken allein durch die Einbindung der Howoge im sogenannten ÖÖP-Modell.

Zusammengefasst kann konstatiert werden:

  • Die Gutachten wurden vom Finanzsenator beauftragt, um sein Vorhaben Howoge-BSO zu stützen
  • Die Fragestellung engt den Fokus stark ein und blendet die Alternative Personalaufbau aus
  • Trotzdem bestätigen beide Gutachten, dass es sich um eine Privatisierung mit umfangreichen Risiken handelt
  • Die Gutachten wurden bewusst zurückgehalten
  • Die Gutachten belegen, dass auch der Entwurf für den Rahmenvertrag bewusst zurückgehalten wurde
  • Beide Gutachten fordern zur Begrenzung der Risiken umfangreiche Nachbesserungen am Rahmenvertrag
  • Beide Gutachten konstatieren, dass auch im Optimalfall (wenn alle Nachbesserungen erfolgt sind) Risiken insbesondere durch die Privatisierung verbleiben, die nicht verringert oder begrenzt werden können

Hier geht es zu einer Zusammenfassung und Auswertung des Beckers-Ryndin-Gutachtens

Hier geht es zu einer Zusammenfassung und Auswertung des Hermes-Weiss-Gutachtens

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