Schulprivatisierung: Bewertung Beckers-Ryndin-Gutachten

 

Von Carl Waßmuth

Das Gutachten umfasst 52 Seiten. In Sprache und Gliederung zielt es auf eine wissenschaftlich vorgebildete Leserschaft ab. Nachfolgend eine Zusammenfassung und Auswertung des Gutachtens.

Fragestellung

Fragestellung beeinflussen Untersuchungsergebnisse maßgeblich. Nachvollziehbar wären hier Fragestellungen gewesen wie: „Handelt es sich bei den Vorhaben um Privatisierung? Wird es teurer? Dauert es länger?“ Tatsächlich sind die formulierten Fragen ähnlich. Sie enthalten jedoch (teilweise sehr verschraubt formulierte) Nebenbedingungen, die das Untersuchungsergebnis beeinflussen. Nachfolgend werden die Fragen wiedergegeben, wobei Nebenbedingungen zur Hervorhebung extrahiert wurden:

Untersuchungsfrage 1: Inwieweit wird durch das HOWOGE-ÖÖP-Modell ermöglicht, [im Schulbau] die Aufgaben der (Bau-)Planung und Steuerung wahrzunehmen?

Nebenbedingungen:

  • adäquat
  • auf Seiten der öffentlichen Hand
  • speziell im Vergleich zum bislang traditionellen Ansatz der Organisation und Finanzierung von Schulbauvorhaben („traditioneller Ansatz“, gleichzeitig im Status quo angewendeter Ansatz)
  • insoweit diese nicht sinnvoll an private Auftragnehmer übertragen werden können
  • im Sinne einer Umsetzung der Baumaßnahmen
  • um die zeitlichen Ziele hinsichtlich der Investitionsrealisierungen der BSO zu erreichen

Untersuchungsfrage 2: Welche Kosteneffekte sind beim HOWOGE-ÖÖP-Modell zu erwarten?

Nebenbedingungen:

  • aus Sicht des Landes Berlin
  • im Vergleich zum traditionellen Ansatz
  • unter Berücksichtigung von jeweils vorliegenden „Gefahren“ hinsichtlich der Implementierung von ÖPP-Vorhaben und Privatisierungs-ähnlichen Modellen und den mit diesen einhergehenden Auswirkungen auf die Kosten

Untersuchungsfrage 3: Inwieweit trägt das HOWOGE-ÖÖP-Modell dazu bei, kreditfinanzierte Investitionen im Rahmen der BSO zu ermöglichen?

Nebenbedingungen 3a:

  • im Kontext der grundgesetzlichen Schuldenbremse
  • im Vergleich zum traditionellen Ansatz

Nebenbedingungen 3b:

  • in einem identischen Ausmaß wie im Rahmen von ÖPP-Projekten

Horizont

In der Auseinandersetzung um die 2017 erfolgte Organisationsprivatisierung im Autobahnbau betonten Prof. Beckers et al. mehrfach die Bedeutung eines grundgesetzlichen Schutzes vor weitergehenden Privatisierungen:

„Die zu gründende Gesellschaft sollte dauerhaft im vollständigen Eigentum des Bundes stehen. Eine zukünftige Kapitalprivatisierung (also ein Verkauf des Eigenkapitals) sollte durch eine grundgesetzliche Privatisierungsschranke verhindert werden. […] Der Bund sollte eine (Staats-) Garantie für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft abgeben. Im Grundgesetz sollte ein entsprechendes Gebot fixiert werden. Dadurch wird dauerhaft eine Form der Finanzierungsprivatisierung verhindert, die für Maut- und Steuerzahler mit unnötigen Mehrkosten einhergehen würde.“ [1]

Einfachgesetzliche Regelungen hielten Beckers et.al.  für nicht ausreichend und vertragliche Regelungen erst recht nicht. Sie machten sogar einen eigenen Vorschlag für einen neuen GG-Artikel.

In der vorliegenden Untersuchung betrachten die Autoren weder das Grundgesetz noch die Landesverfassung, und auch nicht einfache Gesetze. Alle eingeforderten Schutzmaßnahmen sollen allein auf Ebene der Verträge stattfinden. Dies ist ein deutlich eingeschränkter Horizont der Betrachtung, der vermutlich auf Vorgaben des auftraggebenden Senators beruht.

Ergebnisse „zeitliche Effektivität“

Basis der Einschätzung zur zeitlichen Effektivität: Es wurde keine genaue Analyse der Leistungsfähigkeit und der Möglichkeit zum Ausbau von Planungs- und Steuerungskapazitäten mit Bezug zum im Status quo angewendeten traditionellen Ansatz der Organisation und Finanzierung der Schulbauvorhaben einerseits und zum HOWOGE-ÖÖP-Modell andererseits durchgeführt. Alle Einschätzungen zur zeitlichen Effektivität beruhen auf Plausibilitätsüberlegungen.

  • HOWOGE wird ihre Personalkapazitäten im Bereich der Projektplanung und -steuerung deutlich aufzustocken haben
  • Die bezirklichen Verwaltungsbereiche sind durch Einsparungen in den vergangenen Jahrzehnten stark in Mitleidenschaft gezogen worden
  • Die Bauverwaltungen der Bezirke können bei der Personalgewinnung weniger flexibel agieren als die HOWOGE. Dadurch tragen sie ein deutlich höheres Risiko des „letztendlichen Verfehlens zeitlicher Realisierungsziele“[2]

Ergebnisse „Wirtschaftlichkeit“

  • Es sind Nachteile im Hinblick auf die Erreichung des Ziels der Wirtschaftlichkeit zu erwarten (Einschränkungen: „gewisse, wohl eher geringfügige Nachteile“)
  • Mit dem HOWOGE-ÖÖP-Modell gehen Transaktionskosten einher, die so bei einer Projektrealisierung nach dem traditionellen Ansatz nicht anfallen
    • Die Transaktionskosten beim HOWOGE-ÖÖP-Modell werden nicht annähernd so hoch sein wie bei ÖPP-Vorhaben
    • Die Transaktionskosten beim HOWOGE-ÖÖP-Modell werden keine völlig vernachlässigbare Größenordnung aufweisen
  • Kapitalkosten werden durch Forfaitierung mit Einredeverzicht geringfügig, aber durchaus noch wahrnehmbar oberhalb von Kapitalkosten des Landes Berlin liegen
  • Es besteht ein Risiko, dass die HOWOGE sich im Bereich ihres Kerngeschäftes [dem Wohnungsbau] durch das HOWOGE-ÖÖP-Modell mit einem institutionellen Risiko „infiziert“ und dadurch höhere Kosten für ihr (Fremd-)Kapital anfallen
    • Dem „Infektions-Risiko“ kann begegnet werden, indem der HOWOGE ausreichend hohe Vergütungszahlungen erhält, z.B. in Form einer Asset-Managementgebühr, die auch einen „Sicherheitspuffer“ enthält
    • Diese Kosten können als „rechte Tasche – linke Tasche“-Effekt eingestuft werden.
  • Steuerliche Effekte und damit einhergehende Kosten für das Land Berlin wurden nicht untersucht

Ergebnisse „Anreizsetzung, Kontrolle und Steuerung“

Im Rahmen des HOWOGE-ÖÖP-Modells werden im öffentlichen Bereich durch privatrechtliche Verträge Aufgaben auf eine privatrechtliche Gesellschaft, die HOWOGE, übertragen (= Definition formeller oder Organisationsprivatisierung)

  • Mit der Übertragung [öffentlicher Aufgaben] einhergehend werden sich die Möglichkeiten der politischen und insbesondere legislativen sowie der gesellschaftlichen Kontrolle der Realisierung von Schulbauvorhaben reduzieren
  • Es wird einen Rückgang an politischen und gesellschaftlichen Kontrollmöglichkeiten beim HOWOGE-ÖÖP-Modell geben
    • Dieser Rückgang lässt sich durch vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Land Berlin und der HOWOGE begrenzen (implizit: nicht ausschließen)
    • Kontrolle der Aktivitäten der HOWOGE durch die Exekutive auf gesellschaftsrechtlichem Wege beim HOWOGE-ÖÖP-Modell von hoher Relevanz

Ergebnisse „weitere Privatisierung“

  • HOWOGE-ÖÖP-Modell kann in ein ÖPP-Vorhaben umgewandelt werden
    • Dafür wären langfristig sämtliche Erhaltungsaufgaben und der Betrieb bei den einbezogenen Schulimmobilien zu integrieren
    • Dazu wären sämtliche Aufgaben von der HOWOGE an einen privaten Auftragnehmer weiterzugeben, der dann der „private Partner“ im Rahmen des ÖPP-Projektes wäre.
    • Für diese Modifikationen dürfte eine politische Mehrheit auf Landesebene und eine Zustimmung der betroffenen Bezirke erforderlich sein
    • Im Falle der vermutlich erforderlichen Anpassung bzw. Weiterveräußerung von Erbbaurechten wäre die Zustimmung des Abgeordnetenhauses bzw. von dessen Hauptausschuss erforderlich.
  • Anstelle eines ÖPP-Vorhabens könnte „aus dem HOWOGE-ÖÖP-Modell heraus“ ein ÖPP- bzw. Privatisierungs-ähnliches Modell umgesetzt werden, in dem die HOWOGE komplett oder teilweise an private Investoren verkauft wird
    • Exekutive müsste den Verkauf beschließen
    • Mehrheit im Abgeordnetenhaus wäre erforderlich, Verweis auf HERMES / WEISS (2018)
    • „Vertragliche Privatisierungsbremse“ im Vertrag des Landes Berlin mit der HOWOGE könnte vorgeben, dass im Fall einer Beteiligung Dritter an der HOWOGE das HOWOGE-ÖÖP-Modell rückabzuwickeln wäre
  • Das HOWOGE-ÖÖP-Modell könnte auch auf indirektem Wege in eine Vertragsbeziehung vom Land Berlin mit einem privaten Unternehmen umgewandelt werden, indem die HOWOGE die ihr übertragenen Aufgaben im Rahmen der BSO (sämtliche Planungs- und Steuerungsaufgaben sowie sonstige Aufgaben in der Gewährleistungsphase) komplett an einen privaten Auftragnehmer gegen Vergütung weiterreicht
    • In den vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Land Berlin und der HOWOGE können Regelungen vereinbart werden, die einem derartigen Einbezug eines Auftragnehmers durch die HOWOGE entgegenstehen
  • Auch weitere ÖPP-/Privatisierungs-ähnliche Modelle bezüglich der Schulimmobilien sind im Rahmen des HOWOGE-ÖÖP-Modells denkbar.
    • Implizit: Durch eine Implementierung des HOWOGE-ÖÖP-Modells würden die Hürden für die zukünftige Realisierung von ÖPP- und ÖPP-/Privatisierungs-ähnlichen Modellen bei den betroffenen Schulimmobilien gesenkt
    • zukünftige Realisierung von ÖPP-/Privatisierungs-ähnliche Modellen im Vergleich zum Status quo erscheinen nicht „wesentlich erleichtert“
    • Senkung der Hürden nur dann nicht merklich, wenn adäquate „Privatisierungsbremsen“ in die Verträge des Landes Berlin mit der HOWOGE aufgenommen werden (Apostrophierung im Original)

Ergebnisse „Schuldenbremse und Fiskalpakt“

  • Im Rahmen des HOWOGE-ÖÖP-Modells sind im Lichte der grundgesetzlichen Schuldenbremse im Gegensatz zum traditionellen Ansatz kreditfinanzierte Investitionen in die Schulinfrastruktur möglich (Untersuchungsfrage 3.a).
  • Unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen Schuldenbremse können im Rahmen des HOWOGE-ÖÖP-Modells kreditfinanzierte Investitionen in einem identischen Ausmaß wie im Rahmen von ÖPP-Projekten realisiert werden (Untersuchungsfrage 3.b)
  • Eine Aussage, ob mit dem HOWOGE-ÖÖP-Modell die Vorgaben des europäischen Fiskalpakts als „europäische Schuldenbremse“ eingehalten werden, erfolgt explizit nicht

Fazit

  • Beckers und Ryndin benennen zu erwartende Mehrkosten.
  • Beckers und Ryndin benennen einen Rückgang der Möglichkeiten der Steuerung und Kontrolle.
  • Beckers und Ryndin benennen eine Anzahl erheblicher Privatisierungsgefahren.
  • In der Einschätzung der Gefahren für das Gemeinwohl durch Mehrkosten, reduzierte Steuerung und Kontrolle sowie infolge Privatisierung fallen die Bewertungen jedoch sehr zurückhaltend aus.
  • Von Beckers und Ryndin werden Mechanismen zur Risikobegrenzung vorgeschlagen oder sogar vorausgesetzt, für die es im aktuellen politischen Prozess noch keine vertragliche oder gesetzlichen Entsprechung gibt. Ein Beispiel dafür ist die Annahme im Fazit, dass adäquate „Privatisierungsbremsen“ (Anführungsstriche im Original) in die Verträge des Landes Berlin mit der HOWOGE aufgenommen werden.
  • Beckers und Ryndin halten eine Umgehung der Schuldenbremse mit dem „HOWOGE-ÖÖP-Modell“ für möglich. Zur Einhaltung des europäischen Fiskalpakts äußern sie sich nicht.

Hier geht es zu einer Zusammenfassung und Auswertung des Hermes-Weiss-Gutachtens

[1] Thorsten Beckers, Georg Hermes, Dr. Holger Weiß (2016): „Kurzgutachten: Ökonomische Beurteilung von Privatisierungsvarianten für die Bundesautobahnen und Gestaltungsempfehlungen für grundgesetzliche Privatisierungsschranken“, beauftragt vom Ministerium für Verkehr des Landes Baden-Württemberg, November 2016

[2] Alle folgenden Zitate aus: Thorsten Beckers, Andrej Ryndin (2018): Gutachterliche Stellungnahme: Das „HOWOGE-ÖÖP-Modell“ und der Status quo im Vergleich Eine Analyse zentraler Aspekte der Einbindung der HOWOGE in die „Berliner Schulbau-Offensive“ unter Rückgriff auf institutionenökonomische Erkenntnisse

6 Kommentare

  1. Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Schulprivatisierung: Bewertung Hermes-Weiss-Gutachten

  2. Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Neue Gutachten bestätigen, dass eine Schulprivatisierung geplant ist

  3. Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Die wichtigsten Dokumente zur Berliner Schulbauoffensive und zur Volksinitiative „Unsere Schulen“ im Überblick

  4. Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Kurzstudie — BSO und Beschäftigte in Berlin und Brandenburg

  5. Pingback:Gemeingut » Blog Archive » Unser Einsatz gegen Schulprivatisierung – was haben wir erreicht

  6. Pingback:Kurzstudie – BSO und Beschäftigte in Berlin und Brandenburg — Gemeingut

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert