Gabriel rettet die Autobahnen doch nicht vor der Privatisierung

Bild: Tim Reckmann, flickr.com, Lizenz: (CC BY-NC-SA 2.0)

Bild: Tim Reckmann, flickr.com, Lizenz: (CC BY-NC-SA 2.0)

Liebe Freundinnen und Freunde der öffentlichen Daseinsvorsorge,

was auch immer Sie in den letzten Tagen gehört oder gesehen haben: Sigmar Gabriel rettet die Autobahnen nicht vor der Privatisierung. Im Gegenteil: Seiner hartnäckigen Arbeit ist es zu verdanken, dass das Vorhaben näher denn je vor seinem Durchbruch steht. Am 9. Dezember will das Kabinett den zugehörigen Grundgesetzentwurf verabschieden. Wie das? Hatten nicht viele Zeitungen gemeldet, „Gabriel stoppt die Autobahnprivatisierung“? Leider fehlt in dieser Berichterstattung eine wesentliche Information. Berichtet wurde über zwei Privatisierungsformen: über die Privatisierung der Autobahnen als solche (also die Strecken samt Asphalt, Standstreifen und Leitplanken) sowie über die Privatisierung einer neu geplanten Gesellschaft, die alle Autobahnen verwaltet. Das erste lehnen CDU, CSU und SPD ab, das zweite soll die SPD per Veto verhindert haben.

Entscheidend ist: Es gab und gibt Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPPs) als dritte Privatisierungsform. Und dagegen legte Gabriel kein Veto ein, und auch sonst niemand in der Bundesregierung. Die Bundesregierung will noch nicht einmal über ÖPP sprechen. Als die taz bei Gabriel anfragte, ob ÖPP ausgeschlossen wird, ließ er antworten: Das wäre eine Detailfrage. Dabei ist ÖPP bei weitem kein Detail: Mit ÖPP kann das ganze Geld, das den Autobahnen zugedacht ist für die kommenden 30 Jahre – geschätzt 300 Milliarden Euro aus Steuern und Maut-Gebühren – an die Finanzmärkte gebracht werden. Gabriel und Co. schützen uns mit großem Tamtam vor den ersten beiden Privatisierungsmöglichkeiten – und ermöglichen so der dritten Privatisierungsform den Durchbruch.

Was wäre passiert, wenn Gabriel vor zwei Jahren gesagt hätte: Ziel ist die Schaffung eines Organisationsrahmens für privat finanzierte Infrastrukturinvestitionen – also für ÖPP? Das hätte niemals die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erhalten. Also hat Gabriel wörtlich gesagt: „Es geht nicht um eine Neuauflage von ÖPP-Projekten.“ Um dann danach genau das minutiös vorbereiten zu lassen, samt einer die Öffentlichkeit täuschenden Medienkampagne kurz vor der entscheidenden Kabinettssitzung. Das alles ist bedrückend, ja macht wütend – aber noch ist nicht aller (Privatisierungs-)Tage Ende.

Kleinere Zeitungen haben begonnen, den sogenannten Leitmedien durch differenzierte Berichterstattung entgegenzutreten. Größere beginnen nachzuziehen, auch Radiosendungen und kritische Internet-Blogs. Um diese Privatisierung zu stoppen, braucht es aber noch weit mehr an kritischer Öffentlichkeit. Wenn Sie das, was wir in diesem Brief schreiben, so empörend finden wie wir, dann verbreiten Sie das Schreiben im Freundeskreis, unter Kollegen und Verwandten.
Wir unsererseits regen weiter Medien dazu an, die „Gabriel-der-Retter“-Show  platzen zu lassen. Einige Beiträge kamen so schon zustande, eine Auswahl daraus finden Sie unten in der Presseschau. Schauen Sie rein!

Mit solidarischen Grüßen

Laura Valentukeviciute

für das GiB-Team

P.S. Vielleicht animiert Sie unsere Presseschau dazu, einen LeserInnenbrief zu schreiben. Nach allem was wir aus den Redaktionen hören, sind Leserbriefe noch immer ein wichtiges Korrektiv für unkritische oder zu eng mit der Politik verbundene Herausgeber.

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Presseschau

Auf unserer Webseite veröffentlichen und analysieren wir die vor drei Tagen erstmals bekanntgewordenen Entwürfe für die Grundgesetzänderungen: https://www.gemeingut.org/wordpress/der-autobahnbau-wird-per-grundgesetzaenderung-privatisiert-und-viele-schulen-gleich-mit/

Deutschlandradio Kultur sendete am 22.11.16 ein Live-Interview mit Gemeingut in BürgerInnen-hand: „Debatte über Privatisierung der Autobahnen ist Polit-Theater. Gabriel gebe sich dabei vor-dergründig als Privatisierungsgegner, der er aber nicht wirklich sei. Und Schäuble gebe bereitwillig den Buhmann, weil er „es so dringend möchte, dass privates Kapital Zugang zu den Autobahnen bekommt.“ Alles im Dienste der Schuldenbremse und eines vermeintliche schuldenfreien Haushaltes. Also habe die SPD „zwei dicke rote Linien gezogen: die doppelte Privatisierungbremse. (…) Wenn das jetzt Fußball wäre, dann hätten die die beiden Linien hinter der Torlinie gezogen. Und da steht jetzt Gabriel und sagt: Ich fange den Ball auf. Und er fängt ihn auch auf, aber ein Tor ist es trotzdem.“,  Carl Waßmuth im Gespräch mit Anke Schaefer http://www.deutschlandradiokultur.de/initiative-gemeingut-in-buergerinnenhand-debatte-ueber.1008.de.html?dram:article_id=371959

Die Berliner Zeitung und rbb-Info-Radio berichten am 25.11. über Widerstand von Seiten der Ge-werkschaften und der Länder gegen die geplante Gründung einer Fernstraßengesellschaft. Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske und der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatten in Berlin zu einer gemeinsamen Pressekonferenz geladen. Bsirske warnte vor einer „mögliche Privatisierung durch die Hintertür“. Hermann wies darauf hin, dass das neue Infrastruk-tur-Gesetz, was die Zuständigkeit bei den Bundes- und Autobahnen neu regelt, eigentlich nur eine Einigung am Rand war. „Und auch nicht ganz freiwillig, sagt Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann.“ http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/privatisierung-der-autobahnen-verdi-zeigt-schlupfloecher-im-koalitionsvertrag-25171396 und http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/wirtschaft_aktuell/201611/80167.html

Der „Tagesspiegel“ berichtet am 23.11 unter der Überschrift „Bundesautobahngesellschaft – Machtkampf um die Fernstraßen“: „Kritiker sagen, dass mit „Mammut- ÖPP“ im Straßenbau schrittweise eine Quasi-Privatisierung an die großen Baukonzerne stattfindet, die allein in der Lage sind, zusammen mit potenten Finanzinvestoren, etwa Versicherungen, solche Großprojekte zu stemmen. Zu den Kritikern gehören daher auch die mittelständischen Straßenbauunternehmen. Deren Verbandschef Hans-Hartwig Loewenstein verweist darauf, dass der Staat sich immer günsti-ger verschulden könne als Private und daher Autobahnprojekte in staatlicher Eigenregie billiger seien. Erst recht, wenn in den ÖPP „internationale Finanzartisten“ beteiligt würden, die hohe Ren-diteerwartungen haben. Auch der Bundesrechnungshof sieht aus diesem Grund ÖPP kritisch.“ http://www.tagesspiegel.de/politik/bundesautobahngesellschaft-machtkampf-um-die-fernstrassen/14873802.html

Die „Junge Welt“ berichtet am 22.11.: „Showkampf um Autobahnen: Debatte um Infrastrukturge-sellschaft: Laut Medienberichten »stoppt« Wirtschaftsminister Gabriel Privatisierung. In Wahrheit tritt er für eine andere Variante ein“ https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2016/11-22/024.php

Die „taz“ schreibt am 22.11.16: „Gabriel trickst bei Autobahnen: Verkehr Der SPD-Chef will verhindern, dass sich private Investoren an der Gesellschaft für Bau und Betrieb von Fernstraßen beteiligen. Doch er lässt eine große Hintertür offen, https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5356179&s=autobahn&SuchRahmen=Print/

Im „Neuen Deutschland“ warnte  Sabine Leidig am 17.11.2016 in einem Gastbeitrag vor den Folgen einer Autobahn-Teilprivatisierung für Klima, Demokratie und Grundgesetz, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1032387.private-renditen-in-beton-gegossen.html

2 Kommentare

  1. Schließlich heißt er ja Sigmar und nicht Erzengel.

    Denn dann wäre die Sache eine andere 😉

    Da er also irdisch ist, wird die Hure Grundgesetz solange bearbeitet, bis sie dem Kapital gefällt.

    Man könnte ja in Deutschland auch mal eine Verfassung auf den Weg bringen, die vom Volk beschlossen und auch nur im Volksentscheid geändert wird. Aber das ist wahrscheinlich dann doch zu demokratisch 😉

    Deshalb bin ich stolz, ein Deutscher zu sein 😉

    LGW

  2. Pingback:Privatisierung von Autobahnen — Gemeingut

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