Update zur Aktionsmail: Hilfe für die Berliner S-Bahn

Am 26. Januar hatten wir dazu aufgerufen, der Berliner Politik E-Mails mit der Forderung nach einem Stopp der Ausschreibung der S-Bahn Berlin zu schreiben. Die Ausschreibung kann zu einer Privatisierung und Zerschlagung des Verkehrsträgers führen. Viele Menschen sind offenbar dem Aufruf gefolgt, vielen Dank für euren und Ihren Einsatz!

Inzwischen sind drei Antworten eingegangen. Wir dokumentieren die Antworten und geben Argumente an, wo wir der Auffassung waren, dass Unrichtiges behauptet wird oder die eigentliche Aussage noch aussteht. Diese Bausteine dürfen und sollen gern für weiteren Schriftverkehr verwendet werden! Eine beretis erfolgte Antwort von GiB auf einen der Briefe ist unten abgedruckt.

1. Antwort von Kai Wegner, CDU

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie sich wegen der S-Bahnausschreibung an mich wenden. In den letzten Tagen haben mich viele Bürgerinnen und Bürger in dieser Angelegenheit kontaktiert, das zeigt die Bedeutung des Anliegens. Aufgrund der großen Anzahl von Anfragen erhalten Sie von mir eine allgemeine Antwort.

Wir als CDU teilen Ihre Bedenken und Sorgen hinsichtlich der vom SPD-Grünen-Linken-Senat konzipierten S-Bahnausschreibung für die Teilnetze 2 und 3. Wir kritisieren das Konzept schon seit 2 Jahren. Die Ausschreibung ist viel zu umständlich, kleinteilig und langwierig. Zudem birgt sie die Gefahr der S-Bahnnetz-Zerschlagung.

Mit dieser Ausschreibung drohen viele ineffiziente Strukturen zwischen den Akteuren zu entstehen. Dies gilt insbesondere im Betrieb und der Instandhaltung der verschiedenen Teilnetze sowie der Infrastruktur und im Verhältnis mit dem Verkehrsverbund. Das Land Berlin sollte seinen Einfluss, auch mit Blick auf das Mobilitätsinteresse der Berliner und die Nachhaltigkeit unserer Stadt, nicht aus der Hand geben. Darüber hinaus droht eine „Zerstörung“ des bestehenden einheitlichen Berlin-Brandenburger S-Bahnnetzes.

Weiterhin besteht aus unserer Sicht die begründete Gefahr der Entlassung tausender Mitarbeiter. Aufgrund der befristeten Ausschreibungsdauer besteht für die Mitarbeiter keine langfristige Beschäftigungsperspektive, was zu einem Fachkräftemangel, insbesondere im Fahrdienst, führen könnte. Es ist zu befürchten, dass sich die Arbeitsbedingungen durch Tarifflucht, massiver Erschwerung zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Rechte sowie diverser Möglichkeiten zum Aufbau von Subunternehmerpyramiden deutlich verschlechtern.

Aus den genannten Gründen muss intensiv geprüft werden, ob und wie die aus grüner Hand mit Billigung der SPD entstandene S-Bahnausschreibung gestoppt und die S-Bahn in einer Hand bleiben kann. Das Einheitsnetz der S-Bahn Berlin GmbH und die S-Bahn Berlin müsen erhalten werden. Die CDU Berlin steht fest an der Seite der Beschäftigten.

Mit den besten Grüßen

Kai Wegner

Die CDU Berlin ist aus der Wahlwiederholung als mit Abstand stärkste Partei hervorgegangen. Intensiv prüfen, wie „die  S-Bahnausschreibung gestoppt und die S-Bahn in einer Hand bleiben kann“ – das muss unbedingt in die Verhandlungen rein. Schließlich gibt es Gründe, warum die rot-grün-rote Regierung so abgestraft wurde. Der Versuch der S-Bahnprivatisierung könnte dazugehören …

2. Antwort der Senatskanzlei (Franziska Giffey)

 .. vielen Dank für Ihre Nachricht vom 27. Januar 2023, die in der Bürgerberatung der Regierenden Bürgermeisterin eingegangen ist und mir zur Beantwortung übergeben wurde.

Ihre Befürchtungen bzgl. einer möglichen „Zerschlagung“ der Berliner S-Bahn und Nachteile für die Beschäftigten durch „Lohndumping“ sind durchaus nachvollziehbar, jedoch unbegründet.

Die zu erwartenden Nachteile haben wir umfangreich begründet.

Grundsätzlich gilt, dass die Länder Berlin und Brandenburg rechtlich verpflichtet sind, Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) wettbewerblich auszuschreiben.

Dies gilt nur, wenn Berlin nicht direkt vergeben möchte. Juristische Wege dazu wurden von uns aufgezeigt (bestimmende Einflussnahme zum Beispiel durch Kauf der Mehrheit der Anteile).

Aus der europarechtskonformen Vergabe im Wettbewerb leiten sich rechtliche Anforderungen ab, wie das Erfordernis einer Losteilung.

Diese Ableitung ist strittig. Sie lässt sich bestenfalls mit der Absicht einer mittelstandsfreundlichen Konfiguration der Ausschreibung erklären – die jedoch durch die konkrete Ausschreibung nicht gewährleistet wird. Man hätte also auch in einem Stück ausschreiben können.

Für die Betriebsleistungen auf den Teilnetzen „Nord-Süd“ und „Stadtbahn“ sind daher zwei Fachlose vorgesehen, bei denen im Ergebnis des Vergabeverfahrens theoretisch zwei verschiedene Bieter den Zuschlag erhalten können. Dass die Bildung von Teillosen zwingend zu einer Zerteilung des Betriebs führt, ist im Übrigen nicht ausgemacht. Es ist gerade die Besonderheit des vom Senat beschlossenen Kombinationsverfahrens, dass die Abgabe eines Gesamtangebots möglich ist.

Das Gesamtangebot lässt allerdings die Ringbahn außen vor. Außerdem: Wozu alles, wenn man das doch nicht möchte? Man könnte es gleich so gestalten, dass die Struktur den tatsächlichen Anforderungen von Berlin und Brandenburg entspricht.

Soweit die daraus folgenden Synergieeffekte sich in einem wirtschaftlicheren Angebot wiederfinden, wird sich das Gesamtangebot im Wettbewerb durchsetzen.

Diese Wirtschaftlichkeit findet nur auf der Ebene der Bieter statt, ist also betriebswirtschaftlich. Volkswirtschaftlich ist die Trennung in jedem Fall nachteilig.

Sofern im Ergebnis des Vergabeverfahrens mehrere Unternehmen mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen beauftragt werden, sehen die die zur Vergabe anstehenden Verträge umfassende netzübergreifende Leistungs- und Kooperationspflichten der beauftragten Unternehmen vor, die möglichen Koordinationsproblemen vorbeugen.

Die Leistungs- und Kooperationspflichten gab es auch bei der Abelliopleite und bei der Londoner Metro. Sie haben das Chaos im Nachgang der jeweiligen Privatisierung nicht verhindert.

Anders als von Ihnen vermutet, wird die Berliner S-Bahn mit der aktuellen Ausschreibung nicht privatisiert.

Das ist nicht richtig. Der Betrieb wird funktional privatisiert: Private erhalten die Konzession. Die Beschaffung und die Wartung wird materiell privatisiert. Die Finanzierung wird privatisiert (private Kredite privater Bieter, gedeckt durch einen Schattenhaushalt, statt transparenter öffentlicher Schulden).

Die S-Bahn Fahrzeuge selbst wurden schon immer durch Private hergestellt und geliefert. Die Konstruktion und Lieferung der künftigen Neufahrzeuge durch private Hersteller ist auch in der aktuellen Ausschreibung vorgesehen. Diese „Partnerschaft“ mit der privaten Bahnindustrie ist insoweit unerlässlich, da nur diese Hersteller das technische Know-how zur Konzeption und Herstellung von komplexen S-Bahn-Fahrzeugen verfügen.

Entscheidend ist für die Privatisierung, wem die Wagen im Anschluss gehören, nicht wer sie baut. Wenn sie Privaten gehören, und das ist durch die Ausschreibung möglich, dann ist es eine Privatisierung.

Diese besondere Expertise gilt auch für die Instandhaltung und den Betrieb der S-Bahn Fahrzeuge. Aktuell erfolgt dies durch die S-Bahn Berlin GmbH, ein privatwirtschaftlich verfasstes und gewinnorientiertes Unternehmen, das im mittelbaren Eigentum der Bundesrepublik Deutschland steht.

Die S-Bahn Berlin GmbH ist formell privat, aber nicht materiell. Die neuen Bieter können auch materiell private Unternehmen sein oder Beteiligung von Finanzinvestoren wie Black Rock aufweisen.

Gewinne des Betreibers kommen nicht dem Land Berlin, sondern der Deutschen Bahn AG, bzw. dem Bund zu Gute. Seit 2015 fließen jedes Jahr ca. 50 Millionen Euro Gewinn für den Betrieb der S-Bahn an den Bahnkonzern. Insofern ist die Privatisierung der Berliner S-Bahn ein Ergebnis der Bahnreform der 1990-er Jahre und keine Folge der aktuellen Vergabeverfahren der Länder.

Wenn diese Gewinnabflüsse künftig an Berlin statt an den Bund oder ein bundeseigenes Unternehmen  fliessen sollen, dann helfen weitere, dann auch materiell private Bieter gar nicht. Dann muss man die S-Bahn Berlin GmbH eben kaufen.

Ihr Vorschlag, dass das Land Berlin zumindest Mehrheitseigentümer der S-Bahn Berlin GmbH werden sollte, ist kein realistisches Szenario. Das Land Berlin hat ein solches Anliegen in der Vergangenheit wiederholt an den Bund bzw. die Deutsche Bahn AG adressiert.

Das Szenario ist durchaus realistisch. Fast jede Rekommunalisierung stößt zunächst auf Widerstand der Alteigentümer. Diese Vorbehalte können ausgeräumt werden, und das ist in der Geschichte oft genug passiert, in Berlin zuletzt bei den Wasserbetrieben.

Auch aktuell gibt es weder von der Deutschen Bahn AG noch vom Bund als alleinigem Eigentümer Signale, dass sich die seit langem bekannte, ablehnenden Haltung geändert hätte und auch nur in Erwägung gezogen würde, dass sich der Bahnkonzern mit der S-Bahn Berlin GmbH von einem hoch renditeträchtigen Teil ihres Kerngeschäfts trennt.

Es ist Aufgabe der Regierung, solche Signale abzufragen und attraktive Angebote zu machen. Im Übrigen können Berlin und Brandenburg unangemessene Renditen aus einem nachteiligem Privatisierungsvertrag kaum durch weitere solcher Verträge verhindern.

Bei der Ausschreibung legen die Länder Berlin und Brandenburg auf die Wahrung der Sozialstandards einen hohen Stellenwert.

Auch der höchste vorherige Stellenwert von Standards in einer Ausschreibung wird im Zuge einer späteren Insolvenz zunichte gemacht.

Deshalb sehen die Vertragsunterlagen hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes umfangreiche Tariftreueverpflichtungen vor. Mit Regelungen, die bundesweit einzigartig sind, sorgen die Länder dafür, dass der Wettbewerb für die künftige Leistungserbringung nicht zulasten der Beschäftigten geht.

Das sind völlig unbelegte Behauptungen, leider.

Die Vertragsunterlagen enthalten sowohl für das mit der Durchführung der eigentlichen Verkehrsdienstleistungen als auch für das technische Werkstattpersonal eine Personalübernahmeverpflichtung. Ein eventueller neuer Betreiber wird das für die Durchführung der von ihm geschuldeten Leistungen unmittelbar erforderliche Personal übernehmen müssen. Zudem enthalten die Vertragsunterlagen eine verpflichtende Auszubildendenquote. Soziale Zusagen sind außerdem noch wertungsrelevant. Im Ergebnis ist das anstehende Vergabeverfahren auf eine Art und Weise sozialverträglich ausgestaltet, wie es in Deutschland noch nicht praktiziert worden ist.

Diese vorgeblichen Superlative können nicht beeindrucken. Milliardenschwere Verträge im Bereich der Daseinsvorsorge haben ihre Grenze, wo die Unternehmen auf das haftende Eigenkapital beschränkt sind. Nicht die Ausprägung der Verträge machen sie so kritikwürdig, sondern dass der Gegegstand – die Daseinsvorsorgeund der Klimaschutz – über Verträge dieser Art grundsätzlich nicht befriedigend gesteuert und kontrolliert werden können.

Vor dem Hintergrund dieser Aspekte zielt die aktuelle S-Bahn-Ausschreibung darauf ab, den Betrieb und die Instandhaltung der Berliner S-Bahn als Eckpfeiler eines ökologischen ÖPNV unter Rückgriff auf die erforderliche Expertise privatwirtschaftlich verfasster Bahnunternehmen langfristig zu stärken – und dies unter Zugrundelegung anspruchsvoller Sozialstandards, hoher Qualitätsanforderungen an Beschaffung, Betrieb und Instandhaltung sowie umfassender Umweltstandards.

Worauf abgezielt wird, ist für die betroffenen Menschen nicht ausreichend, wenn es mit den gewählten Mitteln nicht erreichbar ist.

Die Länder wollen im Wege der wettbewerblichen Ausschreibung erreichen, dass sie für diese Leistungen gute Angebote zu angemessenen Preisen erhalten. Nur so wird das S-Bahn-Angebot und die dringend erforderlichen Mehrleistungen und Kapazitätserhöhungen auch in den kommenden Jahrzehnten aus den Landeshaushalten finanzierbar sein.

Was die angemessenen Kosten betrifft, so wäre eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung erforderlich, um die Behauptung etwas zu substantiieren. Dabei ist unbedingt die volkswirtschaftliche Betrachtung heranzuziehen. Dort fließen auch Insolvenzen ein und sind mit einem entsprechenden Risikoaufschlag zu bewerten, ebenso wie andere Risiken, die allein in dem gewählten Ausschreibungsmodell vorkommen, nicht jedoch bei einer öffentlichen Erbringung. Derzeit ist schon allein das Risiko von Zinsanstiegen in den Refinanzierungskonstrukten der privaten Bieter ausreichend – ganz ohne weitere Risikoaufschläge -, um die Unwirtschaftlichkeit der Ausschreibung zu belegen.

3. Antwort von Klaus Lederer, Bürgermeister von Berlin sowie Senator für Kultur und Europa

… vielen Dank für Ihre Mail zur S-Bahn-Ausschreibung. DIE LINKE tritt für die Kommunalisierung der Berliner S-Bahn ein, auch um auf Ausschreibungen der S-Bahn-Leistungen verzichten zu können und einen einheitlichen S-Bahn-Betrieb zu gewährleisten. Denn der öffentliche Nahverkehr in Berlin gehört zur Daseinsvorsorge. Wenn die S-Bahn in kommunaler Hand ist, hat das Land Berlin endlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten sowie direkten Einfluss auf die Geschäftspolitik, auf Investitionen und Instandhaltung u.a. um eine S-Bahn-Krise wie 2009 zu verhindern. Außerdem könnten die Gewinne der S-Bahn für einen besseren Verkehr in Berlin verwendet werden, statt in die Kassen der DB AG oder privater Unternehmen abzufließen. Wir lehnten und lehnen die Aufspaltung der S-Bahn und die Schaffung zusätzlicher Schnittstellen ab. Insofern teilen wir Ihre prinzipielle Kritik an der Ausschreibung, da bei Ausschreibungen immer die Gefahr einer Privatisierung von Teilen des Berliner S-Bahn-Betriebs verbunden ist.

Um jedoch auf eine Ausschreibung verzichten zu können, braucht es einen direktvergabefähigen Betrieb, den wir in Berlin aktuell nicht haben. Auch eine Direktvergabe an die S-Bahn-Berlin GmbH ist aufgrund des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht möglich, solange das Land nicht beherrschende Eigentümerin ist. Es gibt also drei Möglichkeiten, auf Ausschreibungen der Berliner S-Bahn verzichten zu können:
– Den Kauf der S-Bahn Berlin GmbH, so dass der Betrieb direkt an die S-Bahn Berlin GmH vergeben werden kann. Bislang waren die DB und der Bund nicht zu einem Verkauf bereit. Wir erwarten vom Senat, dass er entsprechend der Koalitionsvereinbarung in Gespräche zum Kauf der Berliner S-Bahn eintritt. Aktuell befinden sich hierzu die Senatsverwaltung für Mobilität und die Senatsverwaltung für Finanzen in Gesprächen, um das Vorgehen zu koordinieren. Ein Kernpunkt ist hier die Wirtschaftlichkeitsprüfung, die laut Landeshaushaltsordnung vorgesehen ist bei Unternehmensbeteiligungen. Diesen Weg beschreitet der Senat mit Priorität.
– Den Aufbau eines landeseigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU), das von dem Land direkt mit dem Betrieb der S-Bahn beauftragt werden kann. Aufgrund der Komplexität und Anforderungen an ein leistungsfähiges EVU und da der Senat nicht über eigene personelle und fachliche Kompetenzen für einen solchen Unternehmensaufbau verfügt, muss ein entsprechendes Konzept inklusive Wirtschaftlichkeitsprüfung extern vergeben werden, um auf dieser Basis einen Fahrplan einschließlich personeller Anforderungen auf Verwaltungsebene zu erstellen. Für den organisatorischen Umsetzungs- und Aufbauprozess geht der Senat aktuell von einem Zeitraum von 8-10 Jahren aus.
– Die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das eine Direktvergabe an die S-Bahn Berlin GmbH verhindert. Hierzu bereitet der Senat eine Bundesratsinitiative im Rahmen der 2023 geplanten 12. Novelle des GWB vor. Ziel wird sein, alle in Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 und EWG Nr. 1107/70 des Rates (VO (EG) Nr. 1370/2007) vorgesehenen Möglichkeiten der Direktvergabe über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr auch im nationalen Vergaberecht anwenden zu können. Nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 können einige der dort vorgesehenen Arten der Direktvergabe durch nationales Recht ausgenommen werden. Von dieser Möglichkeit hatte Deutschland Gebrauch gemacht.

DIE LINKE verfolgt alle drei Wege und konnte diese in der letzten Koalitionsvereinbarung verankern. Der Kauf der S-Bahn durch das Land wäre die beste Variante, auch da dann die Einheit des S-Bahn-Betriebs erhalten bleiben könnte. Allerdings ist die einzige Variante, die alleine in der Hand des Landes Berlin liegt, der Aufbau eines eigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens. Dieses braucht aber Zeit und würde zu einer getrennten Vergabe von Fahrzeugbeschaffung und Betrieb führen, was ungleich größere Risiken einer Privatisierung und Zerschlagung des S-Bahn-Systems mit sich brächte.
Ein Abbruch der Ausschreibung des Betriebs führt daher nur weiter, wenn es gelingt, kurzfristig die genannten Ausgangsbedingungen (z.B. durch Kauf der S-Bahn oder Änderung des GWB) zu ändern. Aktuell ist dies nicht absehbar, wir verfolgen aber alle drei Wege weiter.
Solange eine Ausschreibung erfolgen muss, sind wesentliche Ziele von uns in dem laufenden Ausschreibungsverfahren die Vermeidung von Schnittstellen und der Zerschlagung des Gesamtsystems sowie die Absicherung der Beschäftigten. Wir konnten sowohl die von der Grünen Verkehrsverwaltung beabsichtigte getrennte Ausschreibung der beiden Teilnetze und von Fahrzeugbeschaffung und Instandhaltung sowie einer Loslimitierung verhindern, so dass ein Gesamtangebot für beide Teilnetze inklusive Fahrzeugbeschaffung und Instandhaltung möglich ist. Auch konnte die verpflichtende Vorgabe eines anderen Werkstattstandorts verhindert werden, was das Aus für bestehende Werkstattstandorte bedeutet und einen Vorteil für private Bieter geschaffen hätte. Für die Beschäftigten der S-Bahn und der Werkstätten konnten wir umfangreiche Übernahmeverpflichtungen sowie die Bindung an repräsentative Tarifverträge und soziale Kriterien bei der Angebotsbewertung, beispielsweise Urlaubsdauer und Ausbildungsquote, erreichen. Auch ein Fahrzeugangebot auf Grundlage der Standards der Ring-Ausschreibung ist möglich.
Die Schaffung eines kommunalen Fahrzeugparks ist eine langjährige Forderung der Berliner LINKEN, auch nach den Erfahrungen der S-Bahn-Krise 2009. Es kann also ein Schritt in Richtung Kommunalisierung sein. Die Wagen gehören der landeseigenen Fahrzeuggesellschaft. Für die Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge wird ein langfristiger Vertrag abgeschlossen. Die Fahrzeuge werden dem künftigen Betreiber, egal ob landeseigen, bundeseigen (S-Bahn-Berlin GmbH) oder privat, für die Verkehrsleistungen zur Verfügung gestellt. Erst landeseigene Fahrzeuge schaffen die Möglichkeit der Direktvergabe an ein landeseigenes Unternehmen und damit des Verzichts auf Ausschreibungen.
Antworten auf verschiedene Fragen, auch zu anderen von Ihnen angesprochenen Punkten im Zusammenhang mit der S-Bahn-Ausschreibung finden sie auch in den FAQ des Landesverbandes der LINKEN unter folgendem Link: https://dielinke.berlin/s-bahn-faq/.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Lederer

Sehr geehrter Herr Lederer,

danke für Ihre Antwort. Sie nennen drei Gründe, weswegen die aktuelle Ausschreibung schlecht ist, sowie zugehörige Alternativen, die Sie angeblich verfolgen.

Tatsächlich ist jedoch das einzige, was sichtbar von der Berliner Landesregierung, also auch von Ihnen, verfolgt wird, die Ausschreibung, deren mögliches Ergebnis Sie laut Ihrer Aussage nicht wünschen. Ihre Aussagen sind vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig.

Dass eine Gesamtvergabe (für zwei Drittel des Netzes, was auch schon eine Teilung mit schlimmen Folgen darstellt) möglich ist, ist – anders als Sie es darstellen – kein Erfolg. Zum einen können auch bei der Gesamtvergabe Private den Zuschlag bekommen. Das ist auch dann der Fall, wenn die DB die Ausschreibung gewinnt, da die DB sich für ihr Angebot zu einem Konsortium mit Privaten zusammengeschlossen hat. Und zum anderen sind auch in dieser Variante hunderte Millionen Euro teure Bauwerke nötig, die allein der Aufteilung dienen.

Sie sind Teil der aktuellen Landesregierung. Regierungen handeln. Wenn es durch das Handeln der Regierung mit Beteiligung der Linken in Berlin zu einer Privatisierung der S-Bahn kommt, dann werden die Menschen auch Ihnen das zuschreiben.

Davon abgesehen ist Wahlkampf. Die Menschen erwarten von der Politik öffentliche Positionierungen, auch ich. Den Kauf der S-Bahn Berlin GmbH können Sie persönlich öffentlich fordern, Geheimdiplomatie ist nicht nötig. Und Sie können die DB — ebenfalls öffentlich — auffordern, ein Angebot zu machen. Werden Sie es tun? Noch vor dem Sonntag?

 


Liebe Freundinnen und Freunde von Bahn für Alle, Gemeingut und Eine S-Bahn für Alle,

wir brauchen Ihre aktive Mithilfe! In Berlin und Brandenburg sollen große Anteile des Nahverkehrs unter den Hammer kommen: die Berliner S-Bahn. Pro Jahr befördert sie mehr als 300 Millionen Fahrgäste, das sind dreimal so viele wie die Deutsche Bahn jährlich mit der gesamten ICE-Flotte befördert. In den meisten Bundesländern wurden S-Bahn- und Regionalverkehr längst zerschlagen und separat ausgeschrieben: Die Berliner S-Bahn fährt in einem unabhängigen Netz  und blieb verschont. Bisher.
Im Juni 2020 startete der Berliner Senat die Ausschreibung des Verkehrs auf zwei künstlich herausgetrennten „Teilnetzen“ der S-Bahn. Die Teilstücke können an verschiedene Betreiber gehen. Ausgeschrieben sind auch Bau, Wartung und Instandhaltung von Fahrzeugen. Es ist ein Vorhaben direkt aus der neoliberalen Hölle, ein Abklatsch der Privatisierung der Londoner U-Bahn – nur 20 Jahre später. Darum geht es:

  • Mit der Ausschreibung will der Senat durch Wettbewerbsdruck Kosten einsparen. Das ging bisher schon immer zu Lasten der Qualität und auf dem Rücken der Beschäftigten. Zuverlässiger Nahverkehr hat seinen Preis, das zeigen Insolvenzen von Betreibern in anderen Bundesländern. Zudem wird die öffentliche Hand durch drohende Insolvenzen erpressbar.
  • Der Senat preist einen Fahrzeugpool als „Kommunalisierung“. In Wirklichkeit handelt es sich um eine landeseigene Briefkastenfirma, die zur Erbringung ihrer Aufgaben eine öffentlich-private Partnerschaft eingeht. Damit öffnet der Senat Black Rock und Co. die Tür. Wie wichtig fachgerechte Wartung ist, zeigte das Berliner S-Bahn-Chaos der 2000er Jahre, als man die Deutsche Bahn auf Börsenkurs bringen wollte.
  • Je nach Zuschlag können es bis zu vier Akteure werden, die künftig im dicht vertakteten S-Bahn-Netz interagieren sollen – bei Störungen ein Fest für Anwälte, die Fahrgäste bleiben dann allerdings auf der Strecke.
  • Das Vorhaben ist auch Geldverschwendung: Eine halbe Milliarde Euro kosten Bauwerke, die nur für die Auftrennung des Netzes gebaut werden sollen und sonst keinen Nutzen haben. Außerdem ist ein neuer Fahrzeugtyp ausgeschrieben, obwohl nach mehrjähriger Entwicklungszeit die ersten Fahrzeuge eines neuen S-Bahn-Typs ausgeliefert werden. Warum bestellt man für den Ausbau des Verkehrsangebots nicht einfach weitere Fahrzeuge nach?

Wir fordern: Sofortige Rücknahme der Ausschreibung! Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn stoppen! Die S-Bahn als Betrieb der öffentlichen Daseinsvorsorge muss dem Gemeinwohl verpflichtet und darf nicht gewinnorientiert sein.

Doch gute Argumente allein reichen nicht, man benötigt auch Aufmerksamkeit. Seit 2019 haben wir daher Aktionen durchgeführt, ein Filmclip wurde gedreht, wir haben eine Zeitung erstellt und in den S-Bahnen verteilt, Unterschriften gesammelt und immer die Presse informiert – die uns jedoch weitgehend ignorierte. Bis vor einer Woche! Über unsere Unterschriftenübergabe an die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch berichteten rbb, ntv, Radio Eins, die Süddeutsche Zeitung, die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost, die taz und viele andere Zeitungen bundesweit.

In Berlin wird die Wahl wiederholt. Schreiben Sie E-Mails an die Verantwortlichen der politischen Parteien! Die Ausschreibung muss abgebrochen und die S-Bahn geschützt werden. Sie sind nicht aus Berlin? SPD und Grüne regieren auch im Ampel-Klimakabinett, und Privatisierungen im Nahverkehr schaden dem Klima. Sie sind aus Berlin? Verlangen Sie, dass man Ihre S-Bahn ausbaut, statt sie zu zerschlagen.
Schreiben Sie an so viele Adressaten wie möglich. Wenn 50 Menschen 5 bis 10 E-Mails versenden, werden es 250 bis 500 E-Mails! Bitten Sie auch Freundinnen und Freunde um Mithilfe. Einige Briefmuster haben wir entworfen, nutzen Sie die Vorlagen in den Links zu den Namen und am Ende unseres Rundbriefes. Aber formulieren Sie gern auch Eigenes! Je unterschiedlicher die E-Mails sind, desto größer der Eindruck auf die Politik.
Hier sind wichtige E-Mail-Adressen:

Franziska Giffey (SPD)    Die-Regierende-Buergermeisterin@senatskanzlei.berlin.de, franziska.giffey@spd.parlament-berlin.de
Klaus Lederer (Die Linke)    lederer@linksfraktion.berlin
Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen)    senatorin@senuvk.berlin.de, bettina.jarasch@gruene-berlin.de
Kai Wegener (CDU)    kai.wegner@cdu.berlin
Sebastian Czaja (FDP)    info@sebastian-czaja.de
Olaf Scholz (SPD)    olaf.scholz@bundestag.de
Anja Hajduk (Bü90/Die Grünen)    anja.hajduk@gmail.com
Stefan Gelbhaar (Bü90/Die Grünen)    stefan.gelbhaar@bundestag.de
Bernd Riexinger (Die Linke)    bernd.riexinger@bundestag.de
Mario Czaja (CDU)    mario.czaja@bundestag.de,  buero@marioczaja.de
Volker Wissing (FDP)    volker.wissing@bundestag.de

In der Hoffnung, dass die S-Bahn Berlin noch gerettet werden kann:
Ihre Aktiven von
Gemeingut in BürgerInnenhand, Bahn für Alle, Aktionsbündnis EINE S-Bahn für ALLE

Carl Waßmuth | Katrin Kusche  | Ludwig Lindner

* * *
Presseschau zur S-Bahn Berlin (Auswahl)

Aktive der Bündnisse Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE sowie von Gemeingut in BürgerInnenhand übergaben am 16. Januar der Berliner Verkehrssenatorin 10.328 Unterschriften gegen die Zerschlagung der Berliner S-Bahn. Die Nachricht wurde bundesweit von den Medien aufgegriffen. Hier einige Beispiele:

16.01.2023 | Berliner Zeitung: Unter der Überschrift „Neuer Betreiber für S-Bahn-Strecken gesucht: Mehr als 10.000 Unterschriften dagegen“ bringt die Berliner Zeitung die dpa-Meldung zur Unterschriftenübergabe.

16.01.2023 | B.Z. |Berliner Morgenpost | n-tv.de …: Eine etwas kürzere Meldung mit einem Zitat von Carl Waßmuth (GiB) findet sich unter der Überschrift „Initiativen übergeben Unterschriften gegen S-Bahn-Ausschreibung“ in der B.Z., unter der Überschrift „Unterschriftenübergabe gegen S-Bahn-Ausschreibung“ in der Berliner Morgenpost sowie bei n-tv.de, dort unter der Rubrik Regionalnachrichten Berlin Brandenburg unter der Überschrift „Übergabe gegen S-Bahn-Ausschreibung“. Auch viele andere Medien bringen diese Meldung, zum Beispiel: msn.com, gewerkschaftliche-linke-berlin.de, live.vodafone.de, Augsburger Allgemeine

16.01.2023 | Süddeutsche Zeitung: Die bundesweite Bedeutung der Ausschreibung ist der Süddeutschen Zeitung einen Artikel wert. Sie weiß: „Bei den jetzt zu vergebenden Strecken handelt es sich um die größte Ausschreibung in der Berliner S-Bahn-Geschichte.“

16.01.2023 | rbb: Die in Berlin bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern beliebte rbb-Abendschau berichtete im Nachrichtenblock über die Unterschriftenübergabe und zeigte dazu Filmmaterial. Leider sind die Beiträge immer nur wenige Tage online und daher nicht mehr abrufbar.

Ein Video von der Unterschriftenübergabe mit den Redebeiträgen von Carl Waßmuth für das Bündnis EINE S-Bahn für ALLE und von Bettina Jarasch (Berliner Verkehrssenatorin) sowie Rückfragen aus dem Publikum findet sich unter diesem Link im Internet.

Hintergrundartikel zur S-Bahn-Ausschreibung:

Februar 2022 | Berliner Mieterecho: In einem ausführlichen Beitrag konnten im vergangenen Jahr Jorinde Schulz und Carl Waßmuth im Berliner Mieterecho die Probleme der Ausschreibung der Berliner S-Bahn thematisieren und auch inhaltliche Bezüge zur von der Bundesregierung geplanten Trennung von Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn AG herstellen, die von Gemeingut, Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE abgelehnt wird. Titel des Beitrags „Auf dem Weg ins Wettbewerbsdesaster? Die Ausschreibung der Berliner S-Bahn hat begonnen“.

Außerdem nach wie vor empfehlenswert: Die vom Aktionsbündnis EINE S-Bahn für ALLE herausgegebene und kostenlos zum Verteilen bestellbare sowie online verfügbare Zeitung: „S-Bahn-Roulette. Privatisierung jetzt stoppen“

* * *
Vorschläge für Schreiben und E-Mails

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der SPD Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau…,
die SPD als präsentiert sich im Wahlkampf als besonders sozial. Ihre Mitverantwortung für die Ausschreibung der S-Bahn zeigt die SPD aber als extrem unsoziale Partei. Die SPD will bei der S-Bahn Kosten sparen – Ersparnisse, die aus geringeren Löhnen der Beschäftigten resultieren. Geht Ihr Plan auf, dann erzwingen Sie Lohndumping. Die Anbieter haben ein haftendes Eigenkapital von nur 25.000 Euro, es besteht ständig die Gefahr von Insolvenzen – wie wir sie in anderen Bundesländern nach Ausschreibungswettbewerben im Schienenverkehr schon erleben mussten. Im Zuge dieser Pleitegefahr sind die in die Ausschreibung eingeflossenen Zusicherungen für die Beschäftigten nichts wert.
Glauben Sie, Berlin könne die Kontrolle über Tarifbedingungen und über die Daseinsvorsorge behalten, nachdem sie an Private abgegeben wurde? Und das über schlichte Bedingungen in einer Ausschreibung, die Berlin 15 bis 30 Jahre bindet? Die Privatisierung der Wasserbetriebe hat uns alle doch eines Besseren belehrt – nur die SPD nicht?
Die SPD Berlin setzt sich sehr für den U-Bahn-Ausbau ein. Dabei geht es um kurze Abschnitte, die allerdings Kosten in Milliardenhöhe verursachen würden. Das S-Bahnnetz versorgt schon heute ganz Berlin und fährt zudem weit nach Brandenburg hinein. Bei der S-Bahn soll mit öffentlichem Geld das Netz aufgetrennt werden. Und den Betrieb möchte man zur Kosteneinsparung hochriskant auf mehrere Betreiber aufteilen. Neue U-Bahn-Tunnel graben, aber die S-Bahn zerschlagen? Das passt nicht zusammen!
Diese S-Bahn-Ausschreibung ist seit 2016 ein von Grund auf unsoziales und ungerechtes Projekt der Grünen. Private leihen sich Geld bei Banken, um damit Tarifbedingungen zu unterlaufen. Und die Menschen in Berlin sollen bezahlen, inklusive der Zinsen. Genau wie die hunderte Millionen Euro teuren Bauten, die man nur benötigt, um das Netz aufzutrennen. Will die SPD wirklich mitschuldig werden an der Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn Berlin?
Rekommunalisieren Sie die S-Bahn! So wie es mit dem Berliner Wasser gemacht wurde: Wenn sogar RWE und Veolia verkauft haben, sollte es auch möglich sein, die S-Bahn Berlin GmbH von der bundeseigenen DB AG zu erwerben. Die SPD stellt mit Olaf Scholz schließlich den Kanzler.
Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der CDU Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau …,
mit der Ausschreibung der S-Bahn Berlin betreiben Rot-Grün-Rot ein hochriskantes und extrem teures Vorhaben. Die Wirtschaftlichkeit gegenüber einer Direktvergabe wurde nie untersucht. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase werden die Kosten für die Zinsen der Anbieter stark steigen und Kostennachteile gegenüber einer öffentlichen Finanzierung verursachen.
Aber das ist noch nicht alles: Unter dem Deckmantel der Mittelstandsfreundlichkeit droht mit der Ausschreibung die massive Beschädigung des für Berlin unverzichtbaren Verkehrsträgers. Durch die Aufteilung auf drei oder vier milliardenschwere Lose erhält kein einziger Mittelständler einen Vorteil. Aber das System S-Bahn, das nur als intaktes Netz gut funktionieren kann, würde zerschlagen.
Konservative Politik bedeutet, Gutes zu bewahren. Das S-Bahn-Chaos seit 2009 wurde maßgeblich durch die zerstörerischen Sparpläne unter Hartmut Mehdorn verursacht. Seither hat die S-Bahn sich neu aufgestellt und viele Probleme in den Griff bekommen. Werkstätten wurden wiedereröffnet, alte Wagen generalüberholt, eine neue Wagenreihe ist entwickelt und wird derzeit sukzessive ausgeliefert. Störungen kommen immer noch vor, aber in weit geringerem Maße und nicht mehr, weil Dutzende Wagen kaputt sind. Dies alles geschah vor allem im Zuge politischer Einflussnahme unter der großen Koalition 2011 bis 2016 mit Beteiligung der Berliner CDU. Die neue Ausschreibung droht diesen Erfolg zunichte zu machen.
Verhindern Sie die Verschleuderung von Milliarden Euro an Steuergeldern, fordern Sie eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit der S-Bahn-Ausschreibung ein!
Bewahren Sie die Berliner S-Bahn, sprechen Sie sich für einen Stopp der Zerschlagung in mehrere Lose aus!

Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der Linken Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau…,
die Linke steht für eine sozial gerechte Daseinsvorsorge. Privatisierungen haben Sie immer abgelehnt. Die aktuelle Ausschreibung der S-Bahn Berlin durch die Verkehrssenatorinnen Günther und Jarasch von den Grünen ist Neoliberalismus in Reinform. Sie geht sogar weit über das hinaus, was die neoliberale Gesetzgebung auf Bundesebene vorschreibt. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile und auch nichts von der zusätzlichen Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen im Zuge einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft mit 30 Jahren Laufzeit. Diese Abgabe des Wagenfuhrparks an Private wäre eine besonders weitreichende Privatisierung. Hier soll ein privater Bieter die Wagen für mindestens dreißig Jahre bekommen – einseitige Kündigungen vor Ablauf durch Berlin dieser Frist hätten eine gute Chance auf Ausgleich der entgangenen Gewinne für die Restlaufzeit. Die neue Landesgesellschaft ist als Briefkastenfirma konzipiert, sie entwickelt keine eigene Tätigkeit, sondern reicht nur Steuergeld an Private durch.
Bei der S-Bahn Berlin geht es Stand 2020 um bis zu 11 Milliarden Euro, heute vermutlich 13 Milliarden oder mehr. Dieses Volumen können sich private Firmen sichern – ohne dass damit sichergestellt ist, dass sie die damit verbundenen Leistungen erbringen, schonend mit Wagen und Infrastruktur umgehen oder gar auf Lohndumping verzichten.
Gestatten Sie die Einschätzung, dass linke Politik nicht gerade im Aufwind ist. Unklare Haltungen zu linken Kernfragen wie Privatisierungen könnten dieses Problem verstärkt haben. Der Prozentanteil der Menschen in Deutschland, die Privatisierungen klar ablehnen, ist viel höher als Ihre Wahlergebnisse. Glauben die Menschen Ihnen nicht mehr, dass Sie gegen Privatisierungen eintreten?
Seit den Anfängen der S-Bahn-Ausschreibung 2016 ist viel passiert. Es gab eine Serie gravierender Pleiten im Nachgang vergleichbarer Ausschreibungen im Nahverkehr in Deutschland. Großbritannien hat Bahnen sogar wieder verstaatlicht. Es gibt Alternativen zur Ausschreibung in ihrer aktuellen Form. Eine glaubwürdige progressiv linke Politik muss diese Zerschlagung und Privatisierung unmissverständlich ablehnen. Sie formulieren in Ihrem Wahlprogramm für die Wiederholungswahl: „Wir überführen die S-Bahn in kommunale Hand und verhindern die Ausschreibung der S-Bahn-Leistungen.“ Warum tun Sie das nicht als derzeit regierende Partei? Fordern Sie jetzt den Stopp der Ausschreibung – jetzt, noch vor der Wahl – öffentlich!

Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau…,
die Grünen stehen für Klimaschutz. Dazu gehört ein Ausbau von öffentlichem Verkehr, um den Menschen einen Ausweg aus dem Sackgasse des Autoverkehrs zu bieten. Die aktuelle Ausschreibung der S-Bahn Berlin gefährdet allerdings den Nahverkehr in Berlin massiv – und zwar auf der rein technischen Ebene: Die Aufteilung der Londoner Metro 2003 auf zwei Betreiber ist nach nur weniger Jahren  gescheitert, weil die Anbieter vor dem anspruchsvollen Betrieb kapitulieren mussten. Was von den Grünen jetzt für Berlin geplant ist, ist noch komplexer und anfälliger. Klemmt es nach dieser Vergabe bei der S-Bahn, werden sich die neuen Betreiber, der Wagenvermieter, die S-Bahn Berlin GmbH und die DB Netz AG gegenseitig die Schuld zuschieben. Die S-Bahn wird 300 Millionen Mal pro Jahr genutzt – wenn sie dauerhaft schlecht funktioniert, werden sehr, sehr viele Menschen die Grünen dafür verantwortlich machen.
Die grüne Spitzenkandidatin und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch hat am 16. Januar die mehr als 10.000 Unterschriften gegen die Ausschreibung entgegengenommen. Ihre (grüne) Amtsvorgängerin Regine Günther hatte Bürger*innen zur Frage der S-Bahn nicht empfangen. Es ist gut, dass Bettina Jarasch diese Blockade beendet hat. Daran sollte sich jetzt auch ein Dialog auf Augenhöhe anschließen.
„Die Zeiten des Neoliberalismus sind vorbei“, sagte Bettina Jarasch am 16. Januar wörtlich. Aber die aktuelle Ausschreibung ist Neoliberalismus reinsten Wassers. Sie geht weit über das hinaus, was das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung oder die EU vorschreiben. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile. Und auch die Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen über eine öffentlich-private Partnerschaft mit 30 Jahren Laufzeit ist nur den Grünen zuzuschreiben, die dieses Privatisierungsextra eingebaut haben.
Die Kontrolle über die Daseinsvorsorge behalten, wenn man sie an einmal an Private abgegeben hat – das klappt nicht. Es spielt keine Rolle, welche Bedingungen vorher gestellt wurden, wenn die Privaten mit Insolvenz drohen oder tatsächlich pleitegehen können. Die S-Bahn-Ausschreibung ist alles andere als alternativlos. Berlin hat die Möglichkeit der Direktvergabe. Dazu muss Berlin juristisch formuliert „einen bestimmenden Einfluss auf das betreffende Unternehmen ausüben“. Zum Beispiel durch einen Einstieg bei der der S-Bahn Berlin GmbH. Bettina Jarasch hat uns versprochen, die DB zu fragen, ob sie die S-Bahn Berlin GmbH verkaufen möchte. Wir werden sie beim Wort nehmen.
Seit 13 Jahren hat Berlin der DB die Frage nach den Kaufbedingungen nicht mehr gestellt. Damals wollte die DB nicht, inzwischen hat man aber hohe Schulden – 35 Milliarden Euro. Die Grünen sind jetzt in der Bundesregierung, mit Anja Hajduk und Stefan Gelbhaar sind zwei Grüne im DB-Aufsichtsrat. Der Bund als Eigentümer kann so einen Verkauf fordern. Berliner Aktive haben erzwungen, dass die Konzerne RWE und Veolia die Wasserbetriebe herausgeben mussten – obwohl sie nicht verkaufen wollten. Wie viel mehr Möglichkeiten haben die Grünen als Teil der Regierung!
Für den Klimaschutz benötigt Berlin seine S-Bahn. Die geplante Ausschreibung muss daher angehalten und andere Optionen geprüft werden – jetzt, bevor es zu spät ist!
Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der FDP Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau …,
mit der Ausschreibung der S-Bahn Berlin betreiben Rot-Grün-Rot ein hochriskantes und extrem teures Vorhaben. Die Wirtschaftlichkeit gegenüber einer Direktvergabe wurde nie untersucht. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase werden die Kosten für die Zinsen der Anbieter stark steigen und Kostennachteile gegenüber einer öffentlichen Finanzierung verursachen.
Aber das ist noch nicht alles: Unter dem Deckmantel der Mittelstandsfreundlichkeit droht mit der Ausschreibung die massive Beschädigung des für Berlin unverzichtbaren Verkehrsträgers. Durch die Aufteilung auf drei oder vier milliardenschwere Lose erhält kein einziger Mittelständler einen Vorteil.
Unter dem Slogan „Wettbewerb“ eröffnen die Grünen nur ein neues Oligopol. Drei oder vier Großkonzerne dürfen dann in Berlin Dependancen einrichten, mit deren Hilfe sie die Berlinerinnen und Berliner abkassieren. Ein unternehmerisches Risiko übernehmen sie nicht: Wenn die Rendite nicht mehr stimmt, machen sie den Laden zu, schreiben nur lächerliche 25.000 Euro Eigenkapital der Tochtergesellschaft ab und verschwinden mit den zuvor ausgeschütteten Gewinnen. Die Fahrgäste bekommen keine zusätzliche Wahlfreiheit durch mehrere Betreiber: Wenn die Zuverlässigkeit auf der S-Bahnstrecke von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeit nicht stimmt, sind sie dem regionalen Monopolisten ausgeliefert.
Die Wirtschaft in Berlin benötigt eine starke und leistungsfähige S-Bahn. Wird die S-Bahn erneut ins Chaos getrieben, kommen die Menschen nicht mehr rechtzeitig zu ihrer Arbeit oder stehen noch länger im Stau.
Verhindern Sie die Verschleuderung von Milliarden Euro an Steuergeldern, fordern Sie eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit der S-Bahn-Ausschreibung ein!
Bewahren Sie die Berliner S-Bahn, sprechen Sie sich für einen Stopp der Zerschlagung in mehrere Lose aus!

Mit freundlichen Grüßen

Wer an bundesweit aktive Mitglieder der SPD schreiben möchte: Dorothee Martin und Werner Gatzer sitzen im Aufsichtsrat der DB AG.  Und dann ist da natürlich Olaf Scholz ..

Wer an bundesweit aktive Mitglieder der Grünen schreiben möchte: Anja Hajduk und Stefan Gelbhaar sitzen im Aufsichtsrat der DB AG und MdB Matthias Gastel im Aufsichtsrat der DB Netz AG.

Und wer sich auf Bundesebene an die FDP wenden möchte: Volker Wissing ist der zuständige Verkehrsminister. Ministerialrätin Martina Kohlhaas leitet Wissings „Steuerungsgruppe Transformation DB AG“ im BMVI und sitzt im Aufsichtsrat DB Netz AG.

Die wichtigsten Argumente der Befürworter

„Die Vergabe in Ausschreibungen war eine Reaktion auf die Krise, in die die S-Bahn ab 2009 nach Technikproblemen, Wartungsmängeln und Missmanagement geraten war.“ (dpa am 16.1.2023)

Das S-Bahn-Chaos ist vielen noch in Erinnerung. Ab 2005 wollte Bahnchef Mehdorn an die Börse, und dazu wurde das Tochterunternehmen S-Bahn Berlin GmbH gnadenlos ausgesogen, Werkstätten geschlossen und die Wartung stark vernachlässigt. Das ist 18 Jahre her. Die Ausschreibung „reagiert“ auf nichts, im Gegenteil. Die für die S-Bahn wichtigen Entwicklungen seit 2010 werden ignoriert: 1. Die damalige Geschäftsführung wurde entlassen – der für die Sparorgie Verantwortliche leitet jetzt eine Firma, die in der Ausschreibung mitbietet. 2. Die Werkstätten wurden wiedereröffnet, alte Wagen generalüberholt, eine neue Wagenreihe ist entwickelt und wird derzeit sukzessive ausgeliefert. Störungen kommen immer noch vor, aber in weit geringerem Maße. Mit anderen Worten: Die politische Einflussnahme hinsichtlich der Qualität kann noch verbessert werden, aber im Grundsatz ist sie gelungen. 3. Das Vorbildprojekt Metro London ist inzwischen krachend gescheitert. Als auf technischer Ebene faktisch die Metro am Ende war, warf die Stadt die privaten Betreiber wieder raus – zu hohen Kosten, aber ohne weitere Diskussionen. 4. Auch in Deutschland hat die Praxis der Ausschreibungen im Nahverkehr eine Schneise von Insolvenzen, Betriebsabbrüchen, Zugausfällen und Kostenexplosionen gezogen. Als besonders unrühmlich wurde Abellio bekannt, andernorts gibt es jedoch ganz ähnliche Probleme.

„Wir müssen ausschreiben, das schreibt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor.“ Bettina Jarasch, bei der Unterschriftenübergabe zu den Demonstrierenden am 16.1.2023

Das stimmt nicht, Berlin und Brandenburg haben auch die Möglichkeit der Direktvergabe. Dazu müssen die beiden Länder einen bestimmenden Einfluss auf das betreffende Unternehmen ausüben. Das ist das Ergebnis einer juristischen Einschätzung, die wir eingeholt haben. Und es wäre möglich durch Erwerb von Anteilen an der S-Bahn Berlin GmbH (mit anschließender Ausübung des Einflusses über die Eigentümerversammlung).

„Die Deutsche Bahn will die S-Bahn Berlin nicht verkaufen.“ (Bettina Jarasch am 16.1.2023)

Diese Information ist 13 Jahre alt, im Januar 2010 war die DB angefragt worden und hatte innerhalb weniger Tage abweisend geantwortet. Im Wassersektor haben Berliner Aktive erreicht, dass die Konzerne RWE und Veolia erst 2011 ihre Verträge mit Berlin offenlegen mussten, 2012 und 2013 mussten sie dann auch verkaufen – obwohl sie zuvor definitiv nicht verkaufen wollten. Die DB AG hat inzwischen wirklich hohe Schulden – 35 Milliarden Euro. Sie könnten jetzt ein Grund für einen Verkauf werden. Außerdem sind die Grünen inzwischen in der Bundesregierung, mit Anjy Hajduk und Stefan Gelbhaar sind sie im Aufsichtsrat der DB vertreten. Abgesehen von öffentlichem Druck auf das Unternehmen – wie bei RWE und Veolia – wäre zusätzlich auch Druck über den Bund als öffentlicher Eigentümer möglich. Hier können Briefe an entsprechende Bundespolitikerinnen und –politiker hilfreich sein.

„Durch die Ausschreibung spart Berlin 800 Millionen Euro.“ Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen), Berliner Verkehrssenatorin 2016 bis 2021

Bedauerlicherweise hat Regine Günther nie offengelegt, wie sie auf diese Einsparung kam. Dann hätte man den Finger auf ihren Rechenfehler legen können. Vermutlich war es auch nur eine dreiste Behauptung. Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann hatte Baden-Württemberg auch vor einer Nahverkehrsausschreibung eine „Wettbewerbsrendite“ versprochen, tatsächlich kam es zu erheblichen Mehrkosten. Auf Mehrkosten deutet auch in Berlin alles von Anfang an hin. Entgegen den Vorschriften des Landes Berlin gab es für verschiedene Varianten einer künftigen S-Bahn-Betriebs bedauerlicherweise nie eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Die Opposition im Abgeordnetenhaus hätte eine solche Untersuchung vermutlich erzwingen können. Inzwischen hat sich der wichtigste Kostentreiber gefährlich weiterentwickelt: Während Berlin bei einer Direktvergabe die S-Bahn ohne Schulden betreiben könnte, stehen hinter der Ausschreibung Kredite von privaten Bietern in Milliardenhöhe. Diese leihen sich das erforderliche Geld bei Banken. Über die langen Laufzeiten von 15 bis 30 Jahren fallen dort hohe Zinsen an. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase steigen die Zinskosten steil an. Was auch immer Frau Günther 2019 hat errechnen lassen – heute ist es Makulatur. Durch die Zinsentwicklung sind Kostensteigerungen von mehreren Milliarden Euro zu erwarten – wenn man ausschreibt.

„Die Zeiten des Neoliberalismus sind vorbei. […] Die Bedingungen für die Beschäftigten bleiben erhalten, das bestimmen wir über den Rahmen der Vergabe.“ (Bettina Jarasch, 16.1. 2023)

Die aktuelle Ausschreibung ist Neoliberalismus in Reinform. Sie geht sogar weit über das hinaus, was die neoliberale Gesetzgebung auf Bundesebene vorschreibt. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile und auch nichts von der zusätzlichen Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen im Zuge einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit 30 Jahren Laufzeit. Man hätte genauso gut auch „nur“ einen neuen Betreiber für die ganze S-Bahn suchen können. Grundsätze einer mittelstandsfreundlichen Vergabe kommen als Grund nicht infrage: Für keines der Teilstücke kann ein Mittelständler anbieten, dafür sind die Teile immer noch viel zu groß, die zugehörigen Auftragsvolumina betragen jeweils mehrere Milliarden Euro. Obwohl aber nur große Konzerne anbieten können, wird ein haftendes Eigenkapital von nur 25.000 Euro zugelassen. Es sind also große Gewinne möglich, kommt es wider Erwarten aber zu Verlusten, legen die betroffenen Firmen sofort den Offenbarungseid ab. Im Zuge dieser Pleitegefahr sind auch alle Zusicherungen für die Beschäftigten das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben werden. Es ist auch historisch mehr als naiv, zu glauben, der Staat könne die Kontrolle über die Daseinsvorsorge irgendwie doch behalten, nachdem er sie an Private abgegeben hat – über schlichte Bedingungen in einer Ausschreibung.

Oft wurde uns in Diskussionen entgegengehalten: „Das ist keine Privatisierung, sondern eine wettbewerbliche Vergabe.“

Privatisierungen sind extrem unbeliebt, und so wundert es nicht, dass die Verantwortlichen nach anderen Bezeichnungen suchen, um den Ausverkauf zu kaschieren. Bei der S-Bahn Berlin geht es um acht bis 11 Milliarden Euro (Stand 2020, heute vermutlich 10 bis 13 Milliarden Euro). Dieses Volumen können sich private Firmen sichern – ohne dass damit sichergestellt ist, dass sie auch die damit verbundenen Leistungen erbringen, von einem schonenden Umgang mit den Wagen und der Infrastruktur und einem Verzicht auf Lohndumping ganz zu schweigen. Eine besonders weitreichende Privatisierung ist bei der Abgabe des Wagenfuhrparks vorgesehen. Hier soll ein privater Bieter die Wagen für mindestens dreißig Jahre bekommen – einseitige Kündigungen vor Ablauf durch Berlin dieser Frist haben eine gute Chance auf Ausgleich der entgangenen Gewinne für die Restlaufzeit.

„Es gibt einen Parlamentsvorbehalt – wenn wir mit dem Ergebnis der Ausschreibung nicht zufrieden sind, lehnen wir es ab.“ (Sven Heinemann, SPD, 2019)

Die Ausschreibung wird bereits seit 2019 vorbereitet, die Vergabeentscheidung steht trotzdem erst für 2024 an – ein deutlicher Beleg für die Komplexität der geplanten Privatisierung. Was wird das Parlament wohl sagen, wenn es nach fünf Jahren der Ausschreibung endlich den (wirtschaftlichen) Gewinner der Ausschreibung vorgestellt bekommt? „Nein, so einen hatten wir uns nicht vorgestellt“ oder „lass uns lieber abbrechen und noch einmal fünf Jahre neu ausschreiben“? Wohl kaum. Zumal der Gewinner der Ausschreibung in diesem Fall – und nur in diesem – Anspruch auf eine erhebliche Entschädigung hätte (für „positives Interesse“). Bei einem vorzeitigen Abbruch der Ausschreibung wären die Ansprüche auf Ausgleich erheblich geringer (für „negatives Interesse“). Siehe auch das juristische Positionspapier zur Aufhebung der S-Bahn-Vergabe von RA Benno Reinhardt.

Ein Argument gegen die Ausschreibung, dem seit 2019 von Rot-Rot-Grün bzw. Rot-Grün-Rot konsequent ausgewichen wird:
Für die Aufteilung des Netzes sind erhebliche zusätzliche Bauwerke nötig. Besonders spektakulär ist die geplante Brücke diagonal über das Karower Kreuz, das größte Eisenbahnkreuz im Nordosten Berlins. Diese mehrere hundert Meter lange Brücke wird viele hundert Millionen Euro kosten – und sie nützt den Menschen in Berlin gar nichts. Ebenso verhält es sich mit Ausfahrten und Nachtabstellanlagen, die anstelle von Infrastrukturteilen errichtet werden, die es schon gibt. Besonders extrem würde die physische Zerstörung von Werkstätten ausfallen. Die S-Bahn Berlin hat derzeit Werkstätten für alle Wagen im Netz. Diese darf sie jedoch nicht ansetzen, wenn sie mitbietet, sie muss die neu zu errichtenden – aus Steuergeldern bezahlten – Werkstätten nutzen. Bestehende Werkstattanlagen samt dem zugehörigen Gleisvorfeld werden im Zuge der Ausschreibung für den Abriss freigegeben – obwohl sie voll funktionsfähig sind.

 

Unsere Bankverbindung:

Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V.
GLS Bank
IBAN: DE20 4306 0967  1124 2291 00
BIC: GENODEM 1 GLS

 

 

Über 10.000 fordern von Bettina Jarasch: S-Bahn-Ausschreibung stoppen

Aktionsbündnis übergab Unterschriften

Gemeinsame Pressemitteilung von Bahn für Alle, Gemeingut in BürgerInnenhand, Eine S-Bahn für Alle

Berlin, den 16. Januar 2023: Aktive der Bündnisse Bahn für Alle und Eine S-Bahn für Alle sowie von Gemeingut in BürgerInnenhand haben heute vor der Senatsverwaltung für Verkehr gegen die derzeit laufende Ausschreibung der Berliner S-Bahn protestiert. Sie übergaben Bettina Jarasch als zuständiger Senatorin 10.328 Unterschriften für einen Stopp der Ausschreibung. Dazu Carl Waßmuth, Vorstand von Gemeingut in BürgerInnenhand:

„Durch die Ausschreibung würde das für Berlin unverzichtbare S-Bahn-Netz auseinandergerissen. Zugleich drohen Milliarden Euro an Mehrkosten, die dann dem Ausbau eines klimagerechten Verkehrs fehlen werden. Frau Jarasch kann und muss diesen Wahnsinn stoppen – sofort.“

Die S-Bahn gehört nach Auffassung der Unterzeichnenden zur öffentlichen Daseinsvorsorge, ist dem Gemeinwohl verpflichtet und darf nicht gewinnorientiert sein. Erst recht verbietet sich eine Privatisierung des Betriebs. Durch den Eintritt von Siemens und Stadler in das DB-Konsortium würde die S-Bahn aber selbst dann teilprivatisiert, wenn die S-Bahn Berlin GmbH den Zuschlag bekommt.

Entscheidungen zur Wagenbeschaffung können auch nach dem Abbruch der Ausschreibung ohne Zeitnot getroffen werden. Aktuell verkehrende Wagen der Baureihe 481/482 wurden aufgearbeitet und können bis 2030 fahren. Die Baureihe 483/484 wurde gerade erst neu entwickelt, die zugehörigen Wagen werden derzeit sukzessive ausgeliefert. Carl Waßmuth weiter:

„Niemand auf der Welt käme auf den Gedanken, nach der Neuentwicklung einer ganzen Baureihe sofort wieder eine Neuentwicklung zu bezahlen. Auf so was kommt man nur in Berlin.“

Die Aktiven übergaben der Senatorin zusammen mit den Unterschriften einen offenen Brief.
Sie weisen darin auf weitere Kostentreiber hin:

  • Die gesamte Ausschreibung beruht darauf, dass private Bieter sich Geld leihen, das sie dann über die Laufzeit der 15- bzw. 30-Jahresverträge zurückbekommen. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase steigen die Kosten für diese Kredite um ein bis zwei Milliarden Euro – Profite für Banken, aber ohne Mehrwert für Berlin. Das Land könnte sich deutlich günstiger Geld leihen.
  • Für die geplante Zerschlagung des Netzessind umfangreiche Bauwerke nötig, die keinen weiteren Nutzen haben als die Aufteilung Netzes für die Ausschreibung. Die Diagonalbrücke über das Karower Kreuz könnte 300 bis 500 Millionen Euro kosten. Zusätzliche Ausfahrten, Bahnsteigkanten und Nachtabstellgleise würden weitere viele hundert Millionen Euro erfordern.

Eine von Bahn für Alle, Eine S-Bahn für Alle und Gemeingut angefragte juristische Stellungnahme zeigt auf, dass mehrere Alternativen zur aktuellen Ausschreibung bestehen.

Hintergrundinformationen:
Positionspapier von RA Benno Reinhardt, Brief an Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, Unterschriftenaufruf und weiteres Infomaterial

Fotos von der Übergabe:

Foto: Klaus Ihlau

Foto: Klaus Ihlau

Foto: RBB

Foto: Klaus Ihlau

Foto: Carl Waßmuth

Foto: Carl Waßmuth

Foto: Carl Waßmuth

Foto: Carl Waßmuth



„schulbaublatt berlin“ – das neue Zirkular zum größten Bauvorhaben der Stadt

Pressemitteilung von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V.:

Berlin, den 23. November 2022: Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) startet ein Zirkular zum Schulbau in Berlin. Heute erscheint die erste Ausgabe der Reihe, die den Namen schulbaublatt berlin trägt, kurz sb³. Schriftleiter Karl-Heinz Ludewig von GiB zum Erscheinen des ersten Heftes:

„Der Schulbau in Berlin gehört zu Deutschlands größten Bauprojekten. Folgt man den Zahlen des Landesrechnungshofs, wird wegen der Kostenüberschreitungen die Größenordnung von Stuttgart 21 erreicht –insgesamt über 10 Milliarden Euro! Was die Verzögerungen betrifft, übertrifft Berlin seine eigenen traurigen Rekorde beim BER – nach aktueller Planung wird es vom Start im Jahr 2016 ganze 15 Jahre bis zur Fertigstellung 2031 dauern. Eine solche Maßnahme benötigt die kritische Begleitung durch die Zivilgesellschaft. Das neue schulbaublatt berlin soll dazu beitragen.“

Erarbeitet wurde das Heft von der Arbeitsgruppe Schulbau von GiB. Die AG trägt in der ersten Ausgabe Fakten zusammen, warum es eine fatale Entscheidung des letzten Senats war, die Howoge Wohnungsbaugesellschaft mbH per Erbbau in den Schulbau einzubeziehen. Dazu Carl Waßmuth von Gemeingut, Vorstand von GiB:

„Die Howoge hat bis heute weder Schulplätze geschaffen noch saniert. In ihren Prognosen kündigt sie an, pro saniertem Schulplatz das Zweieinhalbfache des Bundesdurchschnitts zu verlangen und pro neu gebautem Schulplatz das Fünffache. Gleichzeitig haben die Bezirke eine enorme Leistungsfähigkeit und ein beachtenswertes Kostenbewusstsein gezeigt. Mehr dazu im Schulbaublatt Berlin!“

Die digitale Fassung kann hier heruntergeladen werden: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/11/schulbaublatt_berlin_ausgabe_01.pdf

GiB beteiligt sich am kommenden Sonnabend, dem 26. November, an der Demonstration „Schule muss anders“ (Start 14 Uhr am Moritzplatz). Dort werden auch gedruckte Exemplare der ersten Ausgabe vom schulbaublatt berlin erhältlich sein. Die Hefte sind gratis, Spenden sind willkommen. Die Erstellung des ersten Heftes erfolgte mit Unterstützung der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt und von Attac Berlin. Das Zirkular kann bei GiB abonniert werden unter ag-schulbau@gemeingut.org.

Pressekontakt: Carl Waßmuth, info@gemeingut.org

 

***
Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) tritt ein für die Bewahrung und Demokratisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Gemeingüter wie Wasser, Bildung, Mobilität, Gesundheit, Wohnen, öffentliches Grün und vieles andere soll zurückgeführt werden unter demokratische Kontrolle. Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Arbeit gegen Privatisierung ist die Aufklärung über ÖPP.

 

 

Die Post vergesellschaften! Privatisierungsdesaster muss beendet werden

Pressemitteilung von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e. V.:

Berlin, den 9. November 2022: Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) weist Vorschläge der privatisierten Post zu Regulierungsaufweichungen scharf zurück. GiB fordert die Vergesellschaftung der Post zur Umwandlung in ein Unternehmen, in dem das Gemeinwohl in der Satzung verankert ist.

Dazu Ludwig Lindner, Vorstand bei GiB und Sprecher für Logistik:

„Die Postprivatisierung ist eine beispiellose Geschichte des Niedergangs eines öffentlichen Gemeingutes. Vor hundert Jahren wurde die Post noch mehrmals täglich zugestellt, heute kann sich niemand mehr sicher sein, ob sie überhaupt ankommt. Dass die Post die gesetzlichen Vorgaben aufweichen will, folgt unmittelbar aus dieser Entwicklung. Druck aus der Zivilgesellschaft ist nötig, damit die Politik dies verhindert.“

Laura Valentukeviciute vom GiB-Vorstand meint:

„Ihre größten Vermögen hat die privatisierte Post bereits verscherbelt, bis hin zur Postbank. Selbst die Postämter: Das waren früher oft die schönsten Gebäude am Marktplatz, heute muss man zum Subunternehmer weit draußen, bei dem prekäre Arbeitsbedingungen bestehen.“

GiB fordert den Bundestag auf, eine Studie in Auftrag zu geben, die die volkswirtschaftlichen Schäden der unzuverlässigen Post aufarbeitet und quantifiziert. Wie viele Menschen haben wirtschaftliche Nachteile erlitten, weil Dokumente nicht rechtzeitig oder gar nicht ankommen, Fristen nicht eingehalten werden können, oder ohne eigenes Verschulden Mahnverfahren eröffnet werden?

Dr. Michael Fischer, Inhaber eines Ingenieurbüros in Berlin:

„Bei uns kam die Post drei Wochen lang nicht mehr. Für uns als Dienstleister ist das eine Katastrophe. Wir haben mehrfach bei der Netzagentur Beschwerde eingereicht. Viel besser ist es nicht geworden. In Deutschland funktionieren nach der Privatisierung anscheinend die einfachsten Dinge nicht mehr.“

Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) fordert insbesondere:

Keinerlei Aufweichung der gesetzlichen Zeitvorgaben für die Briefzustellung.
Vergesellschaftung der Deutschen Post, insbesondere der gesellschaftlich systemrelevanten Briefzustellung. Verankerung von Gemeinwohlorientierung in der Unternehmenssatzung. Faire Arbeitsbedingungen. Gewinne fließen nicht mehr an AktionärInnen, sondern in die Verbesserung des Systems Post.
Logistik-Engagement im Ausland sozial- und klimagerecht umbauen. Firmenteile, die für Postverkehr in Deutschland nicht notwendig sind, sollten an die betreffenden Länder sozialverträglich abgegeben werden.

Pressekontakt: Ludwig Lindner, info@gemeingut.org

Copyright Foto:  Katrin Kusche, wortformer.de

***
Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) tritt ein für die Bewahrung und Demokratisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Gemeingüter wie Wasser, Bildung, Mobilität, Gesundheit, Wohnen, öffentliches Grün und vieles andere soll zurückgeführt werden unter demokratische Kontrolle. Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Arbeit gegen Privatisierung ist die Aufklärung über ÖPP.

 

 

Skandalöse Wohnungsrückkäufe in Berlin

Ein Beitrag von Carl Waßmuth, zuerst erschienen in der Zeitschrift Lunapark21 extra, Heft 20-21/2019 „Mietenexplosion vs. Daseinsvorsorge“. (Ein oder mehrere Exemplare der Zeitschrift können kostenlos bei GiB per E-Mail bestellt werden.).

Die öffentliche Hand hat eine Verantwortung im Bereich des Wohnens. Ein wichtiges Instrument dazu sind Wohnungen in öffentlichem Eigentum, die bedürftigen Mieterinnen und Mietern kostengünstig bereitgestellt werden. Nach Angaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wurden allerdings seit 2000 rund 900.000 Wohnungen privatisiert, die zuvor dem Bund, den Ländern oder den Kommunen gehört hatten.1 Diese Wohnungsbestände bildeten später den Kern von heute breit kritisierten Konzernen wie der Deutschen Wohnen und Vonovia.2 Die erzielten Preise der Verkäufe lagen deutlich unter dem damaligen Marktwert, man sprach ganz offiziell von Notverkäufen. Die wenigen Einnahmen flossen ohne besondere Sozialbindung in die Haushalte. So weit so schlecht. Was spricht nun dagegen, heute das Rad zurückzudrehen? In Berlin werden derzeit vom Senat vormals privatisierte Wohnungen zurückgekauft. Wie ist das zu bewerten?

Ehemalige GSW-Quartiere in Spandau und Reinickendorf

Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag kaufte im September 2019 insgesamt 5.964 Wohnungen3 in den Bezirken Spandau und Reinickendorf von der ADO Properties S.A. Das Immobilienunternehmen mit Sitz in der Steueroase Luxemburg ist ausschließlich in Berlin tätig. In den von der Gewobag erworbenen Wohnungen soll laut Angaben des Berliner Senats Wohnraum für 10.000 Mietpartien bereitstehen.4 Der Kaufpreis soll 920 Millionen Euro betragen haben, das entspricht 2.850 Euro pro Quadratmeter und liegt somit über Neubauniveau.5 Die Wohnungen stammen aus den 2004 privatisierten Beständen der vormals landeseigenen Wohnungsgesellschaft GSW, die nach dem Verkauf durch die Koalition aus SPD und PDS (heute: DIE LINKE) an die Deutsche Wohnen gegangen war. Der Erlös von 2004 hatte zirka 550 Euro pro Quadratmeter betragen, in heutigen Preisen 645 Euro pro Quadratmeter oder 38.213 Euro pro Wohnung.

Was hat die Gewobag dafür erhalten? Aus dem Geschäftsbericht der ADO Properties 2017 lässt sich die bisherige Unternehmensstrategie entnehmen:

„Wir streben regelmäßige Mieterhöhungen bis Marktniveau im Rahmen der regulatorischen und rechtlichen Grenzen sowie über Mieterfluktuation ohne Modernisierungsinvestitionen an. Darüber hinaus prüfen wir kontinuierlich Mietsteigerungspotenziale und streben durch gezielte Investitionen in die Modernisierung, Sanierung und Neupositionierung unserer Immobilien, die eine Erhöhung der Mietpreise ermöglichen, nach einem Wachstum oberhalb des Mietspiegels.“

Der Gesamtverlust Berlins, gebildet aus Verschleuderung und überteuertem Rückkauf, beläuft sich somit bisher auf 712 Millionen Euro. Der Rückkauf war inflationsbereinigt 4,4-mal teurer als die Einnahmen bei der Privatisierung. Die Wohnungen sind mit 340 Millionen Euro Grundschulden belastet, die noch zu tilgen sind, zuzüglich Verzinsung. Dazu werden vermutlich aufgestaute Investitionskosten in dreistelliger Millionenhöhe kommen. Der Berliner CDU-Baupolitiker Christian Gräff kommentiert den Rückkauf wie folgt: „Billig verkauft, teuer zurückgekauft“ und sieht als „bisher einzigen Gewinner das private Wohnungsunternehmen als Verkäufer“. Auch von der FDP kommt Kritik: „Der Kauf ist bei der momentanen Höhe der Immobilienpreise der völlig falsche Weg“, sagt die Finanzpolitikerin Sibylle Meister. Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen, zumal dieselbe Landesregierung gerade einen Mietendeckel erarbeitet, der erhebliche Auswirkungen auf die Preise von Immobilien haben dürfte, in denen Mieten zuvor einer extremen Steigerung unterlagen. Bausenatorin Katrin Lompscher von der Partei DIE LINKE wertet den Rückkauf hingegen als grandiosen Erfolg: „Mit dem Erwerb schließen wir den größten Rekommunalisierungsankauf in der Geschichte Berlins ab.“ Dies sei „ein guter Tag für die Mieter Berlins“, so die Linke-Politikerin.

Für den „guten Tag für die Mieter Berlins“ legte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag eigens einen gestückelten Schuldschein im Gesamtwert von 700 Millionen Euro auf, bei dem die Tranchen Laufzeiten von 400 Tagen bis zu 40 Jahren haben. Die langlaufenden Kreditabschnitte sind laut finanzen.net die „längste Namensschuldverschreibung, die ein Unternehmen jemals ausgegeben hat“, der Kredit insgesamt der „bislang größte Schuldschein eines Immobilienunternehmens“.6 Die Verzinsung der durchschnittlich 22 Jahre laufenden Verschuldung ist aktuell noch unbekannt. 2016 hatte die Gewobag einen 30-jährigen Schuldschein im Volumen von 147 Millionen Euro zu durchschnittlich 1,7 Prozent Verzinsung emittiert.7 Selbst wenn die Zinsen nun geringer sind und etwa bei 1,5 Prozent liegen, fallen dadurch 271 Millionen Euro zusätzlich an.

Der Rückkauf erfolgte über 23 sogenannte Share-Deals.8 Die ADO hatte ihre Bestände zuvor auf 54 Gesellschaften aufgeteilt, an denen sie aus Gründen der Steuervermeidung jeweils 94,9 Prozent der Anteile hielt. Nach dem Teilrückkauf verbleiben noch 16.044 Wohnungen bei der ADO (Stand 2. Halbjahr 2018). Wenn Berlin diese Wohnungen zu Preisen in Höhe der ersten Charge erwerben wollte, so wären dafür weitere 2,5 Milliarden Euro fällig.

Das Beispiel Kosmos-Viertel

Das Kosmos-Viertel war 1998 an die „Schönefeld Wohnen GmbH“ verkauft worden. Der Kaufpreis lag bei 800 Mark pro Quadratmeter, in heutigen Preisen etwa 550 Euro.9 Der Rückkaufpreis 2019 soll 250 Millionen Euro betragen haben, über 2.000 Euro pro Quadratmeter.10 Dazu kommt, dass die Wohnungen sanierungsbedürftig sind. Strategie des Eigentümers war eine weitreichende Vernachlässigung. Teilweise stand die Hälfte aller Wohnungen leer. Ab 2004 kamen vermehrt Mietwohnungen in den Fokus, bei denen die Miete im Zuge von staatlichen Transferleistungen vom Amt bezahlt wurde. Aufzüge in den sechs- bis elfgeschossigen Bauten waren immer wieder defekt, Menschen mit Behinderungen waren dadurch tagelang in ihren Wohnungen gefangen. Bei den Familien mit Kindern lag der Anteil der Familien mit alleinerziehenden Müttern zeitweilig über 50 Prozent.

Das Beispiel Karl-Marx-Allee

1993 waren die Wohnungen der Karl-Marx-Allee privatisiert worden. Das damalige Verfahren war komplex und intransparent. Es wurden zahlreiche Einzelgesellschaften gegründet und in Steuersparmodelle eingebracht. Dem anfänglichen Erbbauvertrag folgte der Komplettverkauf. Die Einnahmen pro Quadratmeter betrugen etwa 700 Mark, in heutigen Preisen 531 Euro. Nachdem die Steuersparmodelle nach 25 Jahren ausgelaufen waren, setzte eine Welle von Weiterverkäufen ein, die Deutsche Wohnen zeigte sich interessiert und begann zu kaufen. Einzelne Mieter übten ein Vorkaufsrecht aus. Für 670 Wohnungen sprang die Gewobag ein, es sollen „unter 4.500 Euro pro Quadratmeter“ bezahlt worden sein, bei einem Mittelwert von 3.850 Euro pro Quadratmeter. Damit war der Rückkauf mehr als siebenmal so teuer wie der ursprüngliche Erlös.

Fazit

2018 erwarben Berliner Wohnungsbaugesellschaften 3.746 Wohnungen.11 2019 waren es bisher in den drei größeren Transaktionen 8.477 Wohnungen – für einen Preis von 1,37 Milliarden Euro. Bezogen auf den Gesamtbestand der Wohnungen in Berlin ist das weniger als ein halbes Prozent – Tropfen auf heiße Steine. Die Rückkäufe erfolgen zu einem Zeitpunkt, an dem der Kaufpreis denkbar hoch ist – obwohl durch den Mietendeckel ein Rückgang der Immobilienpreise absehbar ist.

Der Bund der Steuerzahler sieht durch die Rückkäufe hohe Kosten bei geringem Effekt:

„Der Aufkauf von einigen Tausend Wohnungen wird bei einem Bestand von rund 1,92 Millionen Wohnungen in Berlin nicht die hohen Immobilienpreise […] umkehren“, erklärte Verbandschef Alexander Kraus. „Eine haushaltsrechtlich vorgeschriebene Wirtschaftlichkeitsuntersuchung hätte ergeben müssen, dass eine Verbesserung der Wohnraumversorgung so nicht erreicht werden kann.“12

Nun ist es nicht so, dass eine Sache unterbleiben muss, wenn sie nicht sofort alles erreicht, was in ihrer Zielstellung liegt. Wenn zehn Jahre lang weiter jährlich 10.000 Wohnungen aufgekauft werden, käme man auf eine Bestandserweiterung von 100.000 – das wäre durchaus eine relevante Größe. Zuletzt hatte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, den Rückkauf der 65.000 GSW-Wohnungen vorgeschlagen. Dazu errechnete der Tagesspiegel:

„Unter Zugrundelegung der Werte aus der Karl-Marx-Allee, bei der die Gewobag laut Deutsche Wohnen 3850 Euro pro Quadratmeter zahlen muss, läge der Kaufpreis für den von Müller vorgeschlagenen Deal bei 13,7 Milliarden Euro.“13

Der Rückkaufpreis liegt bei einem Vielfachen der ursprünglich erzielten Einnahmen. Die Immobilien-Aktiengesellschaften erhalten so aus Steuergeldern frisches Kapital für ihre alten, vielfach sehr schlecht instandgehaltenen Bestände und können nun ihre Marktmacht ausbauen – zu Lasten aller Mieterinnen und Mieter in der Stadt. Nicht der geringe Umfang an sich ist also zu kritisieren, sondern die exorbitant hohen Preise, die einen Rückerwerb im größeren Umfang schlicht unmöglich machen. Dazu kommt: Tatsächlich handelt es sich bei den Rückkäufen in Berlin keineswegs um eine echte Rückabwicklung der Privatisierungen. Die alten Mieten werden nicht wieder eingesetzt, nicht einmal inflationsbereinigt. Verdrängte Mieter können nicht zurückkehren und bekommen auch keine Entschädigungen.

Privatisierungen und Rückkäufe müssen zusammen bewertet werden. Es sind zwei Schritte eines Entstaatlichungsprozesses. Die öffentliche Wahrnehmung bewirkt zumeist, dass Privatisierer und Privatisiererinnen, so Thilo Sarrazin und Annette Fugmann-Heesing, geschasst wurden. Wer Rückkäufe bewirkt, den erwartet ein freundlicher Empfang. Erschöpfte Mieterinnen und Mieter, lange Jahre durch Mietpreissteigerungen und Wohnungsmängel in privatisierten Wohnungen gequält, bejubeln die Rückkäufe. Man kann sie verstehen. Aber dennoch sind die Rückkäufe weder gerecht noch mietenpolitisch wirksam. Eine kleine Gruppe wird massiv subventioniert zu Lasten aller anderen. Die Auswahl, welche Wohnungen gekauft werden, folgt parteipolitischem Kalkül und nicht sozialen Kriterien. Es wurde weder geprüft noch nachgewiesen, ob hier die 10.000 am stärksten drangsalierten Mieterparteien Berlins freigekauft wurden. Vielmehr versucht der Senat den Eindruck zu erwecke n, es würden aus Mitgefühl mit den betroffenen Mietern Fehler der Vergangenheit korrigiert. Das Mitgefühl des Senats wurde die ganzen 25 Jahre zuvor vermisst. Nicht allein der Umstand der Privatisierung war skandalös. Auch danach wurden die Mieter und Mieterinnen mit den neuen Eigentümern alleingelassen. Für die Durchsetzung ausstehender Reparaturen und Sanierungen gab es keinerlei Unterstützung. Der Mietenmarkt blieb weitgehend unreguliert, Mietspiegel und Mietpreisbremse faktisch wirkungslos.

Die Berliner Rückkäufe von 2019 erfolgten unter völlig intransparenten Bedingungen. Welche Berater beteiligt waren, welche Kriterien für die Preisfindung galten – alles geheim. Der Stadtgesellschaft wurde auch verwehrt, darüber mitzubestimmen, ob nicht andere Investitionen als dringender anzusehen wären. Die Bezahlung der Rückkäufe erfolgt über Schattenhaushalte der privatrechtlichen GmbHs und Aktiengesellschaften. Diese Kredite sind wegen ihrer Intransparenz zu kritisieren, aber auch, weil hohe Zinsen zu zahlen sind – allein der jüngste Gewobag-Schuldschein verursacht fast 300 Millionen Mehrkosten gegenüber regulären Landesanleihen.

Tatsächlich entstehen durch solche scheinemanzipatorischen Rückkäufe Privatisierungskreisläufe, bestehend aus Verkäufen, Rückkäufen und möglicherweise – nach einer Sanierung der Bestände auf Kosten der öffentlichen Hand – erneuten Verkäufen. Bei jeder Transaktion wird kräftig umverteilt: von Mieterinnen und Mietern und Steuerzahlenden hin zur Immobilienwirtschaft. Zurück bleiben heruntergewirtschaftete Wohnungsbestände und völlig überschuldete öffentliche Haushalte. Für die Mieterinnen und Mieter interessiert sich diese Politik nur zu einem Zeitpunkt: wenn diese den goldenen Handschlag für die Investoren legitimieren sollen. Die beteiligten Top-Leute aus Berliner Politik und Management der Wohnungsbaugesellschaften spazieren durch die Drehtüren der Beratergesellschaften und Immobilienfirmen. Finanzsenator Matthias Kollatz wechselte in sein derzeitiges Amt direkt von einem der weltgrößten Berater: von Pricewaterha useCoopers. In den Vorständen der Berliner Wohnungsbaugesellschaften findet man vormalige Top-Leute von Ernst & Young oder vom größten deutschen Immobilienkonzern, der Vonovia.

Carl Waßmuth ist Mitbegründer von Gemeingut in BürgerInnenhand und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von attac. Er ist Bauingenieur und dort Sachverständiger für Türme und Maste aus Stahl sowie für Infrastrukturen. Carl Waßmuth arbeitet seit 15 Jahren politisch und wissenschaftlich zu Privatisierungen, zuletzt zu den Plänen für eine weitreichende Schulprivatisierung in Berlin.

Anmerkungen:
Für die zur Verfügung gestellte Abbildung danken wir Joachim Römer: www.unterblicken.de.

1 Claßen, Gudrun/Zander, Christoph (2010): Handel mit Mietwohnungsportfolios in Deutschland. Umfang und Auswirkungen vor dem Hintergrund von Internationalisierung und Professionalisierung, in: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Informationen zur Raumentwicklung, Heft 5/6, S. 377–390. Die zugehörige Wohnfläche ist nicht genau bekannt, kann aber überschlägig geschätzt werden. Zum damaligen Zeitpunkt lag die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in Deutschland bei 39,5 m². Damit hätte die verkaufte Fläche bei ca. 35,5 Millionen m² gelegen.

2 Solche aus dem Ausland unrühmlich bekannten Immobilien-Aktiengesellschaften spielten bis dahin in Deutschland keine nennenswerte Rolle. Nach: Werle, Hermann/ Maiworm, Joachim (2019): Den Aktionären verpflichtet – Immobilien-Aktiengesellschaften: Umverteilungsmaschinerie und neue Macht auf den Wohnungsmärkten, Berliner MieterGemeinschaft, Berlin.

3 Genauer: 5.894 Wohnungen und 70 Gewerbeeinheiten

4 Auch hier wurde die erworbene Wohnfläche nicht angegeben. In Reinickendorf lag 2016 die durchschnittliche Wohnfläche pro Person bei 38,5 m². Damit hätte die rückgekaufte Fläche für 10.000 MieterInnen bei ca. 38.500 m² gelegen, der Rückkaufpreis bei 2.390 Euro pro m².

5 Nach eigenen Angaben bauen die Berliner Wohnungsbaugesellschaften für 2.400 bis 2.500 Euro pro m² neu.

6 „Gewobag emittiert bislang größten Schuldschein eines Immobilienunternehmens“, online unter https://www.finanzen.at/nachrichten/anleihen/gewobag-emittiert-bislang-groessten-schuldschein-eines-immobilienunternehmens-1028504301

7 Das war damals hinsichtlich der Laufzeit für eine privatrechtliche Gesellschaft der bisherige Laufzeitrekord. https://www.dertreasurer.de/news/finanzen-bilanzen/gewobag-begibt-schuldschein-mit-30-jahren-laufzeit-55851/

8 Werner Rügemer (2019): Traumrendite für Investor – Der Berliner Senat kauft privatisierte Wohnungen teuer zurück, ver.di publik 06/2019

9 Barthel, Everwien, Probst (2019): Rekommunalisierung in Berlin-Altglienicke, Experten halten Kaufpreis für Kosmosviertel für unwirtschaftlich, RBB vom 13.3.2019

10 Barthel, Everwien, Probst 2019, a.a.O.

11 Davon 638 im Rahmen eines Vorkaufsrechts in sogenannten Milieuschutzgebieten zur Erhaltung der Sozialstruktur.

12 RBB (2019) https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/02/berlin-kosmos-viertel-rueckkauf-kritik-kosten-bund-steuerzahler.html (Angebot nicht mehr online verfügbar)

13 RBB (2019): Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Deutsche-Wohnen-Tochter, RBB vom 12.4.2019

GiB-Infobrief: Lauterbach besucht uns und verspricht Beteiligung

Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,

laut sein lohnt sich! Das haben wir letzten Donnerstag bei unserer Aktion anlässlich der GesundheitsministerInnenkonferenz (GMK) in Magdeburg wieder feststellen können. Unsere Forderungen und Protestrufe gegen den Klinikkahlschlag erreichten im Wortsinn die Ohren der MinisterInnen im Herrenkrug-Hotel in Magdeburg. Karl-Josef Laumann, der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister, traute sich nicht, seinen Schmähpreis, die „Goldene Abrissbirne“, persönlich entgegenzunehmen. Offensichtlich war ihm seine Rolle als Schließungsvorreiter zu unangenehm. Dafür kam Bundesgesundheitsminister Lauterbach heraus und hörte sich unsere Forderungen an.
Das Bündnis Klinikrettung hat sechs Vorschläge für eine Krankenhaus-Rettungsreform ausgearbeitet: sofortigen Schließungsstopp, die Abschaffung der Fallpauschalen und den damit verbundenen Bürokratieabbau, die Einführung einer einheitlichen öffentlichen BürgerInnenversicherung, die Erfüllung der Investitionsverpflichtungen der Länder in Verbindung mit der Rekommunalisierung der Krankenhäuser und um die demokratische Beteiligung der BürgerInnen am Reformprozess.
Immerhin: Lauterbach lud uns tatsächlich zur Beteiligung an der Beratung der Krankenhausreform ein. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten dafür sorgen, dass er seine Einladung nicht vergisst.

Vor der Aktion hatten wir bereits eine Pressekonferenz anlässlich der GMK abgehalten. Jorinde Schulz zeigte dort auf, dass es ein fataler Dreiklang aus Gewinnabführung, Fallpauschalensystem und Mangel an Investitionen ist, der massenweise Krankenhäuser in den Ruin treibt. Der ehemalige Klinikleiter Klaus Emmerich machte der anwesenden Presse deutlich: Um das deutsche Krankenhauswesen zu retten, brauchen wir einen radikalen Kurswechsel – weg von Privatisierung und Kommerzialisierung hin zu auskömmlich finanzierter, öffentlicher Daseinsvorsorge. Schulz und Emmerich legten außerdem die Vorschläge für die Krankenhaus-Rettungsreform detailliert dar, inklusive Sofortfinanzierungsprogramm in Höhe von mindestens 20 Milliarden Euro jährlich. Im Anschluss kürte Laura Valentukeviciute den zweiten Preisträger des Schmähpreises die „Goldene Abrissbirne“, Karl-Josef Laumann, und verlas die satirische Laudatio. Hier eine kleine Kostprobe: „In seiner zehnjährigen Karriere als Gesundheitsminister hat Herr Laumann mindestens 45 Krankenhäuser dichtgemacht. Mit der empfohlenen Schließung von gut 60 Prozent der Krankenhäuser würde in Nordrhein-Westfalen die Versorgung von derzeit knapp 340 Krankenhäusern auf fantastische 130 optimiert. Wir sind sicher: Die kranken PatientInnen werden die langen Fahrten durch die wunderbar krankenhausleere Landschaft als erfrischend und heilsam empfinden!“
Die Pressekonferenz wurde aufgezeichnet, das Video ist hier online zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=QgstoSkPcOs. Die inhaltlichen Beiträge von Jorinde Schulz und Klaus Emmerich sowie die Laudatio von Laura Valentukeviciute sind außerdem hier in Textform zu finden: https://www.gemeingut.org/zur-gmk22-das-buendnis-klinikrettung-veroeffentlicht-sechs-vorschlaege-fuer-eine-krankenhaus-rettungsreform-und-verleiht-die-goldene-abrissbirne/

Leider war die Krankenhausreform kein Thema bei der GesundheitsministerInnenkonferenz. Der politische Prozess zu Kliniken bekommt derzeit von den Medien keine Aufmerksamkeit. Die ExpertInnenkommission, mit den Gesundheitsökonomen Reinhard Busse und Boris Augurzky als wohl prominentesten Schließungslobbyisten an der Spitze, soll noch in diesem Jahr nicht nur Vorschläge unterbreiten, sondern auch die Beratungen mit den Verbänden abschließen. Im Jahr 2023 soll die Reform bereits umgesetzt werden. Wir müssen damit rechnen, dass Vorschläge der Kommission demnächst veröffentlicht werden. Wir werden den darauf folgenden Gesetzgebungsprozess kritisch begleiten – so wie in Magdeburg!

Mit herzlichen Grüßen
Carl Waßmuth
für die Aktiven von GiB

PS: Wer das Bündnis Klinikrettung auch im Sommer unterstützen möchte, kann Unterschriften für unseren neuen Aufruf „Rendite raus aus dem Krankenhaus!“ sammeln. Die Unterschriftenliste kann hier heruntergeladen werden: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/05/Rendite-raus-aus-dem-Krankenhaus_Unterschriftenliste.pdf . Online unterschreiben kann man hier: gemeingut.org/rendite-raus-aus-dem-krankenhaus.

Finanziell unterstützen

Presseschau (Auswahl)

Pressemitteilungen und Beiträge von GiB und unseren Bündnissen

23. Juni: Zu unseren Aktivitäten anlässlich der GesundheitsministerInnenkonferenz (GMK) hat das Bündnis Klinikrettung zwei Pressemitteilungen veröffentlicht: „Das Bündnis Klinikrettung veröffentlicht sechs Vorschläge für eine Krankenhaus-Rettungsreform und verleiht die ‚Goldene Abrissbirne'“ (https://www.gemeingut.org/zur-gmk22-das-buendnis-klinikrettung-veroeffentlicht-sechs-vorschlaege-fuer-eine-krankenhaus-rettungsreform-und-verleiht-die-goldene-abrissbirne/) und „Bundesgesundheitsminister Lauterbach kommt zur Preisverleihungs-Gala und sagt dem Bündnis Klinikrettung die Beteiligung an der Krankenhausreform zu“ (https://www.gemeingut.org/bundesgesundheitsminister-lauterbach-kommt-zur-preisverleihungs-gala-und-sagt-dem-buendnis-klinikrettung-die-beteiligung-an-der-krankenhausreform-zu/)

1. Juni: 2019 beauftragte der Gesundheitsminister Laumann (CDU) den Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Reinhard Busse von der TU Berlin, die Beratungsfirma Lohfert & Lohfert AG und die Partnerschaft Deutschland GmbH mit einem Gutachten zur Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen. Darauf folgte die Empfehlung über 60 Prozent der Krankenhäuser in NRW zu schließen. Eine kritische Analyse liefert Peter Cremer vom Bündnis Klinikrettung im Beitrag „Das Lobbygutachten, das den Kahlschlag der Krankenhauslandschaft in NRW vorbereitete“: https://www.gemeingut.org/das-lobbygutachten-das-den-kahlschlag-der-krankenhauslandschaft-in-nrw-vorbereitete/

31. Mai: Pressemitteilung „Frisch ausgepackt: Sonderzeitungen zu Klinikschließungen“. Das Bündnis Klinikrettung und Gemeingut in BürgerInnenhand haben die Sonderzeitung „Klinikschließungen: Zahlen, Gründe, Folgen“ neu aufgelegt. https://www.gemeingut.org/frisch-ausgepackt-sonderzeitung-zu-klinikschliessungen/

18. Mai: Im Landkreis Konstanz sollen zwei Krankenhäuser, in Radolfzell und Singen, zugunsten einer Zentralklinik geschlossen werden. Für das Krankenhaus Stühlingen ist eine Schließung ebenfalls absehbar. Die Argumente für die Schließungen entstammen einem Gutachten der Beratungsfirma Lohfert & Lohfert, das die Autoren Peter Cremer, Dr. Rainer Neef und Jorinde Schulz im Beitrag „Das Gutachten von Lohfert & Lohfert – eine kritische Einschätzung“ unter die Lupe genommen haben. https://www.gemeingut.org/das-gutachten-von-lohfert-lohfert-fuer-den-klinikverbund-konstanz-eine-kritische-einschaetzung/

18. Mai: Pressemitteilung „Howoge gefährdet Schulbestand“. Fast sechs Jahre Verzögerung: Abriss statt Sanierung geplant? Aktive von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) haben gegen die Einbindung der Howoge in den Berliner Schulbau protestiert. Eine Guillotine trug die Aufschrift: „Die Schulbau-Revolution der Howoge: Abriss statt Sanierung“. GiB wies damit auf die Gefahr hin, dass die mit elf Großsanierungen beauftragte Howoge am Ende die ihr anvertrauten Schulen abreißt statt sie zu erhalten und zu ertüchtigen, https://www.gemeingut.org/howoge-gefaehrdet-schulbestand/

5. Mai: Wählt NRW die Klinikrettung? Die anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen entscheidet maßgeblich über die Zukunft der Krankenhäuser im bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands. Das Bündnis Klinikrettung hat dazu die NRW-Wahlprogramme zum Thema Krankenhäuser sorgfältig analysiert. https://www.gemeingut.org/waehlt-nrw-die-klinikrettung/

Presseberichte über GiB und Bündnisse, in denen GiB aktiv ist

Krankenhäuser

Über die Aktion am 23. Juni zur GMK in Magdeburg gab es folgende Medienberichte: 

MDR-Videobeitrag „Gesundheitsministerkonferenz: Neues Infektionsschutzgesetz geplant“ (https://www.mdr.de/sachsen-anhalt-heute/video-633170_zc-37460f2c_zs-0dc2cd9a.html), junge Welt „Die Fehler Lauterbachs“ (https://www.jungewelt.de/artikel/429050.gesundheitsministerkonferenz-die-fehler-lauterbachs.html), Volksstimme „Wie Havelberger spontan Gesundheitsminister Lauterbach treffen“ (https://www.volksstimme.de/lokal/havelberg/wie-havelberger-spontan-gesundheitsminister-lauterbach-treffen-3397156?reduced=true) (Bezahlschranke)

28. Juni, extinctionrebellion.de: Im Beitrag „Konkurrenz belebt das Geschäft“ wird auch das Thema die Gier nach dem Profit im Krankenhaussektor aufgegriffen und die Arbeit von Gemeingut in BürgerInnenhand erwähnt. https://extinctionrebellion.de/blog/konkurrenz-belebt-das-gesch%C3%A4ft/

15 Mai, Singener Wochenblatt und weitere: In dem Bericht über den lokalen Widerstand gegen überhastete Klinikschließungen im Landkreis Konstanz kommen auch Aktive des Bündnis Klinikrettung mit Kritik an einem Gutachten zu den Krankenhäusern des lokalen Klinikverbunds zu Wort.
https://www.wochenblatt.net/konstanz/c-nachrichten/viele-zweifel-an-der-richtigen-methodik-des-glkn-gutachtens_a84465

https://www.seemoz.de/lokal_regional/buendnis-klinikrettung-zum-gutachten-fuer-den-klinikverbund-konstanz-ii/

https://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/kreis-konstanz/neubau-wirklich-noetig-spd-fraktion-fordert-sanierungsgutachten-fuer-das-klinikum-in-singen;art372432,11164250

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/krankenhaus-stuehlingen-schliesst-102.html

Bahn

Am 24. Juni hat das Bündnis Bahn für Alle die Studie „Die Bahn in Deutschland: Trennung von Netz und Betrieb zu Lasten von Klima, Fahrgästen und Beschäftigten?“ veröffentlicht (https://bahn-fuer-alle.de/statt-effizienzgewinnen-drohen-selbstbeschaeftigung-synergieverluste-und-weitere-privatisierung/).

Darüber berichteten folgende Medien: 

24. Juni, Lok-Report: „Bahn für alle: Studie zu Folgen einer möglichen Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn“ https://www.lok-report.de/news/deutschland/verkehr/item/33869-bahn-fuer-alle-studie-zu-folgen-einer-moeglichen-trennung-von-netz-und-betrieb-bei-der-bahn.html

23. Juni, tagesschau.de: Ausführlicher Bericht über die Studie. Die Folgen für die Fahrgäste, die Beschäftigten und das Klima werden aus Vergleichen anderer Bahnsysteme in Europa sowie anderer Bereiche wie Wasser- oder Gesundheitsversorgung abgeleitet. https://www.tagesschau.de/investigativ/swr/deutsche-bahn-trennung-netz-betrieb-studie-101.html

23. Juni, Tagesspiegel: „Monatelange Streckensperrungen: Wie Wissings Radikalkur das Bahnchaos beseitigen soll“. Im Hauruck-Verfahren soll sich die Bahn sanieren. Doch noch sind rechtliche Fragen ungeklärt. Das Bündnis „Bahn für Alle“ warnt vor einer Zerschlagung. https://plus.tagesspiegel.de/wirtschaft/monatelange-streckensperrungen-wie-wissings-radikalkur-das-bahnchaos-beseitigen-soll-516348.html (Bezahlschranke)

6. Juni, Gießener Zeitung: Die Stellungnahme zum Zug-Unglück bei Garmisch von „Bahn für alle“ mit dem Titel „Sicherheit ist im Bahnbetrieb oberstes Gebot – Zerschlagung und Privatisierung stoppen!“, https://www.giessener-zeitung.de/2022/06/06/buendnis-bahn-fuer-alle-sicherheit-ist-im-bahnbetrieb-oberstes-gebot-zerschlagung-und-privatisierung-stoppen/ Auch Merkur.de zitiert in der Berichterstattung über das Zug-Unglück bei Garmisch aus der Stellungnahme von „Bahn für alle“, https://www.merkur.de/lokales/garmisch-partenkirchen/garmisch-partenkirchen-ort28711/polizei-regionalzug-zugunglueck-garmisch-todesopfer-ursache-91592754.html

Weitere Medienbeiträge

Krankenhäuser

27. Juni, Deutsches Ärzteblatt: Der Marburger Bund kritisiert den imensen Bürokratie-Aufwand, der mit dem Fallpauschalen-System Einzug gehalten hat: „Trotz jahrelanger Bekenntnisse zum Bürokratieabbau wird der Dokumentationsaufwand immer absurder. Es ist zum Verzweifeln, das raubt uns Zeit, die wir nicht haben“.

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/135438/Marburger-Bund-beklagt-Buerokratieirrsinn-an-Kliniken

20. Juni, FAZ: Selbst die wirtschaftsfreundliche FAZ berichtet über die Probleme der Kommerzialisierung im Gesundheitswesen. Denn zunehmend kaufen sich Finanzinvestoren in die ambulanten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und andere Einseinrichtungen ein und unterwerfen diese verschärften Profitzwängen. Eine Gefahr für PatientInnenwohl und flächendeckende Versorgung, laut Vorstandsvorsitzender Wolfgang Eßer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/aerzte-warnen-finanzinvestoren-gefaehrden-das-patientenwohl-18113108.html

Im Mai hatte auch das Ärzteblatt vom Ausmaß und vom Widerstand gegen die rasante Kommerzialisierung der Medizin berichtet, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/134455/Junge-Aerztinnen-und-Aerzte-wollen-sich-nicht-der-Macht-des-Geldes-unterordnen

https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=225184

Am 11. April ging die junge welt auf eine Studie des Berliner IGES-Instituts zur Kommerzialisierung der ambulanten Versorgung. Die Anzahl der Arztpraxen in Händen von Private-Equity-Fonds hätte sich in den Jahren 2018/19 in einigen Bezirken um 72 Prozent erhöht. https://www.jungewelt.de/artikel/424410.gesundheitssystem-im-griff-des-kapitals.html

Über die geplante Krankenhausreform in Niedersachsen berichteten mehrere Medien. Laut dem Gesetzesentwurf der Landesregierung sollen 40 von 168 Krankenhäusern schließen. Das Land stockt gleichzeitig seine Investitionsmittel auf – diese aber sollen vor allem in kostspielige Zentralklinikprojekte fließen, während kleine wohnortnahe Häuser schließen müssen. https://www.om-online.de/om/foerderverein-st-anna-klinik-warnt-vor-krankenhaus-schliessungen-126254

https://www.bibliomedmanager.de/news/niedersachsen-erhoeht-investitionen-in-seine-kliniken

Mit der Frage der Krankenhaus-Finanzierung beschäftigten sich mehrer Medien:

Die strukturellen Gründe für die dramatische finanzielle Schieflage der Krankenhäuser schildert die DKG in einer Pressemitteilung vom 23. Juni: https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/die-wirtschaftliche-lage-spitzt-sich-weiter-zu-kliniken-immer-staerker-von-schliessung-bedroht/. Auch der 18. Krankenhaus Rating Report stellt massive Substanzverluste in den Kliniken fest. https://www.bibliomedmanager.de/news/aufschwung-durch-pandemie-hilfen-doch-der-substanzverlust-steigt

10. Juni, Redaktionsnetzwerk Deutschland: In einem Brandbrief forderte die deutsche Krankenhausgesellschaft (DGK), Ver.di und der Ärzteverband Marburger Bund Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf, die von der Schließung bedrohte Krankenhäuser zu retten. Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie und der aktuellen Preissteigerungen sind diese in wirtschaftlicher Bedrängnis. Die DKG wiederholte damit ihre Forderung vom Mai https://www.rnd.de/politik/brandbrief-an-karl-lauterbach-krankenhaeuser-haben-finanzierungsprobleme-KRX3ZEX5RBDOXOUPIE2A3TJHM4.html

https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/krankenhaeuser-fordern-soforthilfe/

Auch die Bayerische Krankenhausgesellschaft forderte ein finanzielles Soforthilfepaket für die Kliniken. https://www.bibliomedmanager.de/news/bayerischen-kliniken-fehlen-540-millionen-euro-im-laufenden-jahr In Rheinland-Pfalz, so berichtet der swr, ist laut einer Studie die finanzielle Lage der Kliniken zwar aktuell verbessert, langfristig sei aber mit Budget-Problemen und Schließungen zu rechnen. https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/wirtschaftslage-kliniken-in-rlp-100.html

Berlins Krankenhausgesellschaft klagte ebenfalls gegenüber der Berliner Zeitung darüber, finanziell vom Land ausgehungert zu werden und fordert eine Investitionsoffensive. https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/berlins-senat-laesst-die-krankenhaeuser-am-langen-arm-verhungern-li.223529?pid=true (Bezahlschranke), https://www.bibliomedmanager.de/news/berliner-krankenhaeuser-fordern-klinikoffensive

Anfang Juni hatte Lauterbach den Krankenhäusern noch jede finanzielle Hilfe verwehrt, trotz seines rekordhohen Etats. https://www.bibliomedmanager.de/news/lauterbach-laesst-kliniken-abblitzen

https://www.bibliomedmanager.de/news/45815-rekordetat-fuer-lauterbach

1. Juni, tagesschau.de: Über die dramatischen Zustände in deutschen Kinderkliniken berichtete die Tagesschau. Personalmangel und fehlende Betten sind die Folge langjähriger systematischer Vernachlässigung, formuliert es der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Florian Hoffmann: „Ein System, das man über Jahre nach unten gefahren hat, kann man nicht einfach wieder hochfahren. Selbst wenn die Politik jetzt gegensteuert, werden Veränderungen frühestens in einigen Jahren greifen. Der Trend wird erstmal noch weiter bergab gehen.“ https://www.tagesschau.de/inland/lage-kinderkliniken-101.html

31. Mai, BibliomedManager: Die Monopolkommission hat am 30. Mai ein Gutachten unter dem Titel „Krankenhausversorgung nach Corona: Wettbewerb, Planung und Finanzierung neu organisieren“ veröffentlicht, https://www.bibliomedmanager.de/fileadmin/user_upload/BibMan/Dokumente/Oeffentlich/2022_05_31_Monopolkommission_Sondergutachten_Krankenhaus.pdf. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisiert: „Die Vorschläge atmeten ‚einen extrem wettbewerblichen Geist und verkennen, dass Gesundheit und Gesundheitsversorgung kein normales Wirtschaftsgut darstellen’“. https://www.bibliomedmanager.de/news/monopolkommission-will-planung-zurechtstutzen

27. Mai, Süddeutsche Zeitung: Fast zynisch muten die Aussagen des Frankfurter Uniklinik-Chefs Jürgen Graf in der Süddeutschen an. Nicht nur sprach der Chef einer urbanen Großkliniken ländlichen Krankenhäusern die Existenzberechtigung ab – er argumentierte außerdem dafür, den Zugang zum Gesundheitswesen weniger niedrigschwellig zu gestalten.

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-frankfurt-am-main-uniklinik-chef-mehr-reform-bei-krankenhaus-landschaft-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220527-99-447627

24. Mai, BibliomedManager: Auf die ebenfalls zynische Forderung des Chefs der Techniker Krankenkasse Jens Baas im Spiegel, nach der Pandemie massiv Betten zu schließen, reagierte der DKG-Chef Gerald Gaß mit einem Gegenvorschlag: Durch eine Reduktion der Anzahl an Krankenkassen würde teurer Bürokratie-Aufwand nachhaltig vermindert. https://www.bibliomedmanager.de/news/dkg-chef-gass-findet-scharfe-worte, https://www.spiegel.de/wirtschaft/jens-baas-techniker-krankenkasse-die-schlupfloecher-des-systems-werden-gnadenlos-ausgenutzt-a-2ebdddd9-1a5f-4b4d-a3ea-62fbe47f9af2

20. Mai, SWR: Wie schlimm es um die Notfallversorgung in Baden-Württemberg steht, berichtet der swr. Die gesetzliche vorgeschriebene First von 15 Minuten bis zur Ankunft eines Rettungswagens wird nirgendwo im Bundesland außer in Mannheim und im Großraum Stuttgart eingehalten. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mehr-rettungseinsaetze-hilfe-kommt-spaeter-an-100.html

12. Mai, junge Welt: Von der potenziellen Goldgrube Klinikaufkauf berichtet Ralf Wurzbacher im Beitrag „Hessens Landesregierung will halbe Milliarde Euro in privatisiertes Unikrankenhaus Gießen und Marburg stecken. Asklepios-Eigner wollen mehr“. Dabei hatten sie das Klinikum für einen Spottpreis erworben – mit dem Verspreche, keine staatlichen Hilfen zu beanspruchen. https://www.jungewelt.de/artikel/426371.gesch%C3%A4ft-mit-der-gesundheit-goldgrube-klinik.html

6. Mai, junge Welt: Thomas Böhm vom Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ erklärt in diesem Interview, welche desaströsen Konsequenzen der neue Krankenhausplan der Landesregierung in NRW haben wird: „Man stelle sich im ländlichen Raum folgende Situation vor: Du fährst mit dem Opa 40 Kilometer ins Krankenhaus; danach wieder heim, weil der Arzt sagt, dass eine Aufnahme nicht nötig sei. Nachts wird es schlimmer, also fährst du wieder los. Das darf nicht sein! […] Für Eingriffe, die nicht so dringend sind, gibt es schon jetzt wochen- oder monatelange Wartezeiten. Das könnte sich noch verschärfen.“

https://www.jungewelt.de/artikel/425979.profite-mit-menschenleben-die-ambulanzen-sind-jetzt-schon-%C3%BCberlastet.html

4. Mai, MDR: Die Vorsitzenden der Krankenhausgesellschaften in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kritisieren die Besetzung von Gesundheitsminister Lauterbachs ExpertInnenkommission für die Krankenhausreform, berichtet dieser Artikel. Problematisch sei unter Anderem, dass keine Vertreter von Krankenhäusern aus lädnlichen, strukturschwachen Regionen dabei seien. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/lauterbach-krankenhausreform-kommission-100.html

3. Mai, taz: Die marode Situation der Geburtsstationen in Deutschland schildert dieser Artikel. Innerhalb von zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Kliniken mit Geburtshilfe beinahe halbiert. Der Hebammenverband schlägt Alarm. https://taz.de/Keine-Sicherheit-bei-der-Geburt/!5847561/

3. Mai, mehrere Medien: Über die Studie „Ich pflege wieder, wenn“ berichten mehrere Medien. Ihr Kernpunkt: Das eigentliche Problem in der Pflegearbeit sind die unerträglichen Arbeitsbedingungen. Würden diese sich ändern, wären viele Pflegekräfte bereit, wieder in den Beruf zurückzukehren oder mehr Stunden zu arbeiten. https://www.swr.de/swraktuell/radio/pflege-expertin-fachkraeftemangel-gar-nicht-so-gravierend-aber-rahmen-bedingungen-muessen-stimmen-100.html

https://www.sueddeutsche.de/politik/pflege-studie-pflegekraefte-berufsausteiger-1.5577508,

https://www.spiegel.de/wirtschaft/es-koennte-300-000-pflegekraefte-mehr-geben-wenn-die-bedingungen-stimmen-a-387ac571-95ba-4136-a07a-90de90704a62

Zu Schließungen und drohenden Schließungen berichteten:

23. Juni, Radio Mainwelle: In Bischofsgrün machen sich BürgerInnen für den Erhalt ihrer örtlichen Klinik stark. 4000 Unterschriften sind dafür zusammengekommen, berichtet das Lokalradio. https://www.mainwelle.de/4000-unterschriften-fuer-den-erhalt-der-hoehenklink-bischofsgruen-4272142/

22. Juni, Bilbiomed: Auch in Schleswig-Holstein scheint der Prozess der Klinikkonzentrationen weiterzugehen. In Pinneberg organisieren sich bereits die BürgerInnen gegen Krankenhausschließungen, die im Rahmen eines Zentralklinikvorhabens geplant sind. Nun wird auch die Zusammenlegung zweier Häuser in Flensburg geplant.

https://www.bibliomedmanager.de/news/diako-und-malteser-fusionieren-in-flensburg

13. Juni, wdr: Im Alfried Krupp Krankenhaus in Essen-Rüttenscheid schloss Ende Juni die Frauenklinik. Im vergangenen Jahr hatten dort noch über 800 Geburten stattgefunden. https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/alfried-krupp-krankenhaus-in-essen-schliesst-frauenklinik-100.html

11. Juni, Radio Lippe: In Lemgo organisierten sich BürgerInnen und Beschäftigte gegen die Schließung der Orthopädie und Unfallchirurgie des örtlichen Krankenhauses. https://www.radiolippe.de/nachrichten/lippe/detailansicht/lemgo-protest-gegen-schliessung-der-unfallchirurgie-im-krankenhaus.html

7. Juni, Schwäbische und weitere: Trotz heftiger BürgerInnenproteste vorab beschloss der Ravensburger Kreistag Anfang Juni die Schließung des Klinikums in Bad Waldsee für 2023. Nicht einmal 24 Stunden nach dem Kreitsagsbeschluss wurden die Beschäftigten über die Schließung von Chirurgie und Orthopädie bereits Ende Oktober diesen Jahres informiert. Die Betriebsräte hatten bereits im Vorfeld vor einer Kündigungswelle wegen der Schließung gewarnt, die den Personalmangel verschärfen würde.

https://www.schwaebische.de/landkreis/landkreis-ravensburg/bad-waldsee_artikel,-naechster-tiefschlag-in-bad-waldsee-orthopaedie-und-chirurgie-muessen-schon-im-oktober-schliessen-_arid,11516842.html,

https://www.wochenblatt-news.de/das-krankenhaus-bad-waldsee-muss-schliessen-offener-brief-von-oberbuergermeister-henne/,

https://www.oberschwabenklinik.de/service/aktuelles/detailseite/kreistag-beschliesst-die-kuenftige-osk-struktur.html,

https://www.schwaebische.de/landkreis/landkreis-ravensburg/ravensburg_artikel,drohende-krankenhaus-schliessung-betriebsraete-sehen-gefahr-einer-kuendigungswelle-_arid,11509374.html (Bezahlschranke) 

31. Mai, Südkurier: Im Krankenhaus Bad Saulgau, dessen Schließung jüngst vom Kreistag besiegelt wurde, soll die Frauenheilkunde bereits im Juni dichtmachen. Wie in so vielen Fällen beginnt der Abbau der örtlichen Gesundheitsversorgung schon lange vor einer beschlossenen Schließung. https://www.suedkurier.de/region/linzgau/kreis-sigmaringen/station-fuer-frauenheilkunde-schliesst-am-mittwoch-im-krankenhaus-bad-saulgau;art372548,11162987 Über den Protest des Schongauer Aktionsbündnises „Pro Krankenhaus“ berichtete am 28. Mai merkur.de: https://www.merkur.de/lokales/schongau/schongau-ort29421/stapelweise-unterschriften-pro-krankenhaus-erhalt-schongau-buergerbegehren-91575647.html

10. Mai, Süddeutsche Zeitung: Die systematische Unterfinanzierung von Krankenhäusern der Grundversorgung führt nun im Landkreis Kelheim dazu, dass die vormals kommunale Goldberg-Klinik keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen wird. Denn aufgrund der finanziellen Probleme wird sie von der Caritas Regensburg übernommen, die als kirchlicher Träger Abtreibungen ablehnt.

https://www.sueddeutsche.de/bayern/kelheim-klinik-abtreibung-caritas-bayern-1.5582077

1. April, SWR: Es wird über die teure neue Zentralklinik in Göppingen berichtet, für die die Klinik in Geislingen schließen musste, https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/neubau-alb-fils-kliniken-goeppingen-100.html

Schulbau Berlin

28. Juni, taz Berlin: Große Pause statt Bauoffensive – Anhand von Beispielen aus zwei Berliner Bezirken wird dargestellt, dass die Sanierung bzw. der Bau von Schulen nicht vorankommt. https://taz.de/Schulplatzmangel-in-Berlin/!5860909/

3. Juni, Tagesspiegel: Einer der Gründe der CDU im Abgeordnetenhaus, einen Missbilligungsantrag gegen die Bildungssenatorin Busse zu stellen, ist die schleppend vorangehende Schulbauoffensive. https://www.tagesspiegel.de/berlin/missbilligungsantrag-im-abgeordnetenhaus-berliner-cdu-wirft-bildungssenatorin-busse-voelliges-versagen-vor/28397214.html

Berlin autofrei

Der Gesetzesentwurf der Initiative „Berlin autofrei“ wurde vom Berliner Senat abgelehnt. Darüber berichten mehrere Medien, zum Beispiel: Tagesspiegel „Der Senat hat ein drängendes Problem bloß umgeparkt“, https://www.tagesspiegel.de/berlin/volksbegehren-berlin-autofrei-gestoppt-der-senat-hat-ein-draengendes-problem-bloss-umgeparkt/28350100.html, rbb24 „Senat erteilt Volksbegehren „Berlin autofrei“ Absage“,  https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/05/berlin-senat-erteilt-volksbegehren-berlin-autofrei-absage.html

GiB-Infobrief: Wie wir Minister Lucha die „Goldene Abrissbirne“ verliehen haben

Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,

letzte Woche Mittwoch war Weltgesundheitstag. Das ist meist eine wohlfeile Gelegenheit für Regierungen und ihre PressesprecherInnen, schwülstige Fensterreden zu halten. Dieses Jahr gab es jedoch für die Presse etwas anderes zu berichten: Wir haben Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha unseren Schmähpreis für KlinikschließerInnen, die „Goldene Abrissbirne“, verliehen!

In der Pressestelle des Ministeriums war man offenbar auf eine derart kritische Würdigung von Luchas Politik nicht vorbereitet: Als unsere Aktiven Iris Stellmacher und Joachim Flämig den Preis in Form einer golden eingerahmten Karikatur überbrachten, ließ man keine Medien zu – das fand die Presse wenig souverän und berichtete erst recht über das Ereignis.

Wir beobachten die Entwicklung der Kliniklandschaft in Baden-Württemberg seit Jahren und waren entsprechend gut vorbereitet: Die zunehmend bedrohliche Situation im Bundesland stellten wir in einer Bilanz vor, die auch eine aktuelle Liste aller geschlossenen und bedrohten Krankenhausstandorte Baden-Württembergs enthält. Bundesweite Angaben ergänzen die Bilanz und zeigen zum einen, dass Schließungen an vielen Orten Deutschlands gefährliche Löcher in die Versorgung reißen, und zum anderen, dass in Baden-Württemberg besonders forsch und rücksichtslos vorgegangen wird. Präsentationen erläuterten die Hintergründe und Folgen der Schließungen sowie der Zentralisierung von Krankenhausstandorten.

Laura Valentukeviciute und Dr. med. Bernd Hontschik vom Bündnis Klinikrettung hatten anlässlich der Schmähpreisverleihung eine satirische Laudatio auf Manfred Lucha verfasst. Laura Valentukeviciute trug die kritische Würdigung in unserer bundesweiten Pressekonferenz vor. Die Künstlerin Katharina Greve hatte für uns als Preis eine – wie wir finden – treffende Zeichnung angefertigt, in der sie den Schließungsprozess mit bitterem Humor karikiert.

Warum Baden-Württemberg und Manfred Lucha? Zwischen 1990 und 2016 wurden in Baden-Württemberg pro Jahr durchschnittlich zwei Krankenhäuser geschlossen, seit seinem Amtsantritt hat Lucha im Schnitt 4,3 Kliniken jährlich dichtmachen lassen und fordert dazu auf, bei Schließungen „nicht eine Sekunde zu zögern“. Während von Lucha sage und schreibe 3,5 Milliarden Euro für neue Zentralkliniken eingeplant sind, wird kleineren Krankenhäusern die notwendige Finanzierung versagt. Neben der Versorgung fallen dadurch medizinische Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze und funktionierende Infrastrukturen weg, von den Umweltschäden durch die Bauwut ganz zu schweigen. Diese Entwicklung gilt es zu stoppen – der Schmähpreis wird nicht unsere letzte Aktion dazu sein.

Mit herzlichen Grüßen

Jorinde Schulz und Carl Waßmuth
für die Aktiven von GiB

PS: Der Schmähpreis „Goldene Abrissbirne“ für Klinikschließer ist nicht an einen Jahresrhythmus gebunden. Solange die Schließungen im Krankenhaussektor derart dicht aufeinander erfolgen wie im Moment, behalten wir uns vor, weitere Schmähpreisverleihungen ebenfalls in kurzen Abständen folgen zu lassen. Wir halten Sie dazu auf dem Laufenden!

Finanziell unterstützen

Presseschau (Auswahl)

Pressemitteilungen von GiB und unseren Bündnissen

6. April: Auf einer Pressekonferenz zog das Bündnis Klinikrettung Bilanz über die Krankenhausschließungen in Baden-Württemberg und verlieh die erste „Goldene Abrissbirne“ an Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha.                      
https://www.gemeingut.org/erster-schmaehpreis-fuer-klinikschliesser-die-goldene-abrissbirne-geht-an-baden-wuerttembergs-gesundheitsminister-manfred-lucha
Die Laudatio der „Goldenen Abrissbirne“ in voller Länge gibt es auf Youtube zum Nachschauen – viel Spaß! https://www.youtube.com/watch?v=7ac64usapsk
Über die Pressekonferenz schrieben mehrere regionale Medien: Der Südwestrundfunk (6. April) berichtete von der Vergabe des Schmähpreises. Sprecherin Jorinde Schulz kritisierte, dass überdurchschnittlich viele Klinikschließungen in diesem Bundesland erfolgten. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/schmaehpreis-goldene-abrissbirne-fuer-bw-gesundheitsminister-lucha-100.html Die Stuttgarter Nachrichten widmeten sich am selben Tag der Frage, warum „ausgerechnet“ der Gesundheitsminister von Baden-Württemberg die „Goldene Abrissbirne“ erhält. https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.klinikschliessungen-lucha-erhaelt-schmaehpreis-goldene-abrissbirne.95e962db-c8a1-474d-9650-5f7711441018.html Auf baden online erschien ein Artikel im ähnlichen Wortlaut. https://www.bo.de/region/lucha-erhalt-schmahpreis-goldene-abrissbirne Außerdem begleitete regio tv (7. April) Iris Stellmacher und Joachim Flämig vom Bündnis Klinikrettung bei Ihrer persönlichen Überbringung des Schmähpreises in Stuttgart. https://www.regio-tv.de/mediathek/video/manfred-lucha-erhaelt-schmaehpreis-fuer-klinikschliessungen/

22. März: Am 31. März wurde das erste Krankenhaus des Jahres geschlossen, die Sana Klinik Roding im ostbayerischen Landkreis Cham in der Oberpfalz. Fast 10.000 Menschen verlieren damit ihre wohnortnahe stationäre Grundversorgung. Der Trend zum Abbau von Krankenhäusern setzt sich unter dem neuen Bundesgesundheitsminister ungebrochen fort. Das Bündnis Klinikrettung kritisierte das in einer Pressemitteilung. https://www.gemeingut.org/lauterbach-schaut-tatenlos-zu/
Derweil steigert der Sana-Konzern seine Umsätze, berichtet Bibliomedmanager am 12. April. https://www.bibliomedmanager.de/news/45395-sana-setzt-auf-neue-geschaeftsfelder Einen langen Abschnitt unserer Pressemitteilung hat am 23. März die Zeitung junge welt in der Rubrik „abgeschrieben“ veröffentlicht. https://www.jungewelt.de/artikel/423178.kliniksterben-hält-unvermindert-an.html

21. März: In ihrer Pressemitteilung mit dem Titel „Besorgniserregende Entwicklung im bayerischen Klinikschließungsprozess“ berichtet die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern über die Entwicklungen in der bayerischen Krankenhauslandschaft. In Verbindung mit Klinikschließungen zeichnen sich drei Trends ab, die eine ausreichende wohnortnahe klinische Versorgung gefährden: versprochene und nicht eingehaltene Anschlussversorgung, Klinikkonzentration und Missachtung der Sicherstellungsregelungen. https://www.gemeingut.org/besorgnis-erregende-entwicklung-im-bayerischen-klinikschliessungsprozess/

Eine ausführliche Presseschau zur Lage der Krankenhäuser seit Jahresanfang findet sich weiter unten.

Presseberichte über GiB und Bündnisse, in denen GiB aktiv ist

22. und 23. März, BR24: Gleich in zwei ausführlicheren Beiträgen wird die Unterfinanzierung der Krankenhäuser in Bayern beleuchtet. Klaus Emmerich vom Bündnis Klinikrettung kritisiert, dass die Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen und nur die Hälfte der vorgesehenen Investitionen tätigen. Dadurch leide die Qualität der Medizin. Radiobeitrag „Wie die Länder die Kliniken kaputtsparen“, https://www.br.de/radio/br24/sendungen/der-funkstreifzug/gesundheit-finanzen-krankenhaus-100.html, und Zeitungsbericht „Krankenhäuser bekommen zu wenig Geld von Ländern“, https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/krankenhaus-finanzen-laender-lassen-kliniken-im-stich,T0PsYp7.

6. April, junge welt: Anlässlich der Veröffentlichung des Krankenhausreports 2022 werden verschiedene Formen der Versorgung diskutiert. Während die AOK eine Konzentration fordert, plädiert Klaus Emmerich vom Bündnis Klinikrettung für den Erhalt auch kleinerer Kliniken. https://www.jungewelt.de/artikel/424099.gesundheitswesen-lehren-aus-der-pandemie.html

25. März, Frankfurter Rundschau: Wie Konzernchefs auf Kliniken-Einkaufstour gehen, schildert Dr. Bernd Hontschik bildhaft. Anlässlich der Übergabe unserer Petition an den Gesundheitsminister Lauterbach wird hier die zunehmende Privatisierung und Schrumpfung der Krankenhauslandschaft dargelegt. https://www.fr.de/panorama/auf-einkaufstour-91436365.html Dieses und weitere Probleme im Gesundheitssektor thematisiert Dr. Hontschik auch im spannenden neuen Podcast der Bunten Kittel. https://www.bunte-kittel.de/podcast

29. März, NDR: Über den Stand der Diskussionen über die Zusammenlegung der Regio-Kliniken von Sana in Elmshorn und Pinneberg gibt dieser Beitrag Auskunft. Das Bündnis Klinikrettung wird zitiert mit der Aussage, dass die Schließung einer Notfallaufnahme die Kapazität und Qualität der Daseinsvorsorge mindern wird und es eine wohnortnahe Erreichbarkeit braucht. https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Zusammenlegung-der-Regio-Kliniken-Hoffnungen-und-Sorgen,zentralklinikum104.html

4. März, Merkur/BR24: In Schongau setzt sich das Aktionsbündnis gegen Kliniksterben für das Krankenhaus ein, nachdem Pläne zur Zusammenlegung der Klinikstandorte in Schongau und Weilheim zugunsten eines Zentralkrankenhauses bekannt geworden sind. Bereits 800 BürgerInnen haben für den Erhalt des Krankenhauses unterschrieben. https://www.merkur.de/lokales/schongau/kreisbote/aktionsbuendnis-pro-krankenhaus-schongau-sammelt-unterschriften-91388352.html https://www.br.de/nachrichten/bayern/weilheim-schongau-widerstand-gegen-krankenhaus-plaene,Sz5jgZm

Neue Beiträge auf der GiB-Seite

 23. März: Im Zusammenhang mit den großflächig geplanten Klinikschließungen in Niedersachsen sollen mehrere riesige Zentralkliniken neu gebaut werden. Dr. Rainer Neef, Jorinde Schulz und Carl Waßmuth widmen sich in ihrem Artikel „Klinikkahlschlag in Niedersachsen“ dem zerstörerischen Effekt dieser „Megaprojekte“, der in der Praxis systematisch unterschlagen wird. Durch das Verbot von Bürgerentscheiden wird der Widerstand zusätzlich erschwert. https://www.gemeingut.org/klinikkahlschlag-in-niedersachsen/

22. März: Mit der SANA Klinik Roding schließt zum 31. März ein Sicherstellungskrankenhaus. So hat es der Kreistag des Landkreises Cham am 25. Februar beschlossen. Aber darf ein Krankenhaus schließen, das „für die Versorgung der Bevölkerung notwendige Vorhaltung von Leistungen“ anbietet und damit als unverzichtbar gilt? In seinem Beitrag „Sicherstellungszuschläge schützen nicht vor Schließung“ untersucht Klaus Emmerich die Wirksamkeit des Sicherstellungszuschlags. https://www.gemeingut.org/sicherstellungszuschlage-schuetzen-nicht-vor-schliessung/

Krankenhäuser

8. April, Radio Emscher Lippe: Gegen die geplante Schließung der Gynäkologie in Gladbeck, Nordrhein-Westfalen, regt sich Widerstand. Der Stadtrat kritisiert den Klinikträger, St. Augustinus, für seine vorab nicht kommunizierten Entscheidungen und fordert ein Bekenntnis für den Erhalt des Krankenhauses in Gladbeck. https://www.radioemscherlippe.de/artikel/aerger-ueber-schliessung-der-gynaekologie-in-gladbeck-1274172.html

5. April, MDR: In der Sendung Panorama3, unter dem Titel „Spekulanten greifen nach Arztpraxen“ geht es um den wachsenden Markt mit den Arztpraxen. Die Strategie heißt „Kaufe-und-wachse“, die Renditeerwartung beträgt 20 Prozent. Aktuell gehören mehr als 500 allein Augenarztpraxen internationalen Private-Equity-Gesellschaften, trotzdem sprechen die Unternehmen von freier Arztwahl. https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Spekulanten-greifen-nach-Arztpraxen,arztpraxen110.html Über das Thema schreibt auch die junge welt und zitiert aus dem zugehörigen IGES-Gutachten. https://www.jungewelt.de/artikel/424410.gesundheitssystem-im-griff-des-kapitals.html Die Zusammefassung des Gutachtens findet sich hier: https://www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/Presse/Publikation/KVB-FORUM/Einzeldateien-FORUM/2021/KVB-FORUM-3-2021.pdf

5. April, BR24: Der Kreistag von Altmühltag hat am 4. April entschieden, dass das Krankenhaus in Kösching kein akutstationäres Krankenhaus mehr sein wird. „Wir werden weiterhin am Thema bleiben und das bestmögliche für Kösching rausholen“ – so werden die Menschen vor Ort zitiert. https://www.br.de/nachrichten/bayern/kliniken-im-altmuehltal-entscheidung-ueber-zukunft-gefallen,T23qRjG Zur Schließung in Kösching hat sich auch das Aktionsbündnis gegen Krankenhaussterben in Bayern positioniert: https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/kliniken-in-not/geplante-klinikschlie%C3%9Fungen/krankenh%C3%A4user-k%C3%B6sching-eichst%C3%A4tt/

5. April, Nordkurier: Vielversprechend klingt eine neu eingerichtete Regierungskommission in Mecklenburg-Vorpommern, deren erklärte Zielsetzung die Rettung von Krankenhäusern ist, bei Sicherung aller Standorte. Die Arbeit der Kommission werden wir aufmerksam verfolgen. https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/klinik-schliessungen-in-mv-neue-kommission-soll-krankenhaeuser-retten

30. März, NRZ/Junge Welt: Der Essener Stadtrat bremste auf übelste Art einen Volksentscheid für eine gute Gesundheitsversorgung im Essener Norden. Dieser war als Reaktion auf zwei Klinikschließungen im Pandemiejahr 2020 von BürgerInnen ins Leben gerufen worden. „Was wir hier sehen, ist das politisch motivierte Ausbremsen eines Bürgerbegehrens auf einer formalen, schäbigen Ebene“, erklärte Mitinitiatorin Jutta Markowski. https://www.nrz.de/staedte/essen/essen-rat-lehnt-begehren-fuer-stadt-klinik-als-unzulaessig-ab-id234958735.html https://www.jungewelt.de/artikel/423627.schließung-von-krankenhäusern-kiosk-statt-klinik.html

28. März, heise.de: Der Beitrag vom Arzt und Autor Thomas Strohschneider mit dem Titel „Krankenhaus im Ausverkauf: Ärzte-Manager“ ist ein Auszug aus seinem neuen Buch „Krankenhaus im Ausverkauf“. Strohschneider thematisiert die Kommerzialisierung in Krankenhäusern und seine Folgen und schreibt: „In keinem Wirtschaftszweig sind derzeit höhere Renditen zu erzielen“. https://www.heise.de/tp/features/Krankenhaus-im-Ausverkauf-Aerzte-Manager-6655196.html Das Buch ist am 28. März im Westend-Verlag erschienen. https://www.westendverlag.de/buch/krankenhaus-im-ausverkauf-ebook/

24. März, nordbayern.de: Karl Lauterbach hat eine Kommission zur Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft angekündigt. In diesem Beitrag äußert er sich erstmals konkreter dazu: „Es wird eine Expertenkommission sein, die nicht mit den üblichen Verbändevorsitzenden bestückt ist.“ Im Klartext heißt es, dass wieder keine VertreterInnen von Beschäftigten, PatientInnen oder auch keine BürgerInneninitiativen eingeladen werden. https://www.nordbayern.de/politik/17-milliarden-euro-zu-wenig-lauterbach-will-krankenkassenbeitrage-anheben-1.11961501

21. März, Volksstimme: Nachdem 2021 bereits die Kinderklinik dichtmachte, steht nun das gesamte Altmark Klinikum in Gardelegen, Sachsen-Anhalt auf dem Spiel. Der öffentliche Träger spekuliert darauf, die Grund- und Notfallversorgung nach Salzwedel zu verlegen – übrig bliebe lediglich ein geriatrisches Zentrum: https://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/landespolitik/trager-will-altmark-klinikum-deutlich-verschlanken-3354037?reduced=true (hinter Bezahlschranke)

18. März, SWR: Im Beitrag „Neues Krankenhaus-Bündnis kämpft für kleinere Klinikstandorte“ wird über die Gründung eines neuen Krankenhausbündnis Bodensee-Oberschwaben berichtet. https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/friedrichshafen/neues-buendnis-kaempft-fuer-klinikstandorte-100.html

9. März, Badische Neueste Nachrichten: Nach Gengenbach und Oberkirch fällt nun auch die Klinik in Ettenheim der Agenda 2030-Klinikreform im Landkreis Ortenau, Baden-Württemberg, zum Opfer. Die Schmerzmedizin, ein Leuchtturm des Krankenhauses, wird verlagert. Wie in Oberkirch gab es auch in Ettenheim beträchtlichen lokalen Widerstand gegen die Schließung. https://bnn.de/mittelbaden/ortenau/krankenhausreform-klinik-ettenheim-schliesst-neuer-stadnort-neues-konzept-schmerztherapie

4. März, Tag 24: In Sachsen steht eine Kinderklinik auf der Kippe, nachdem schon im vergangenen Jahr zwei schließen mussten. Das Sozialministeriums versucht wenig überzeugend zu beschwichtigen – dabei ist es für die Schließungen verantwortlich. https://www.tag24.de/nachrichten/regionales/sachsen/zwei-geschlossen-die-dritte-auf-der-kippe-was-ist-los-mit-sachsens-kinderkliniken-2356380

März, bibliomedmanager.de: Aus gleich zwei Bundesländern verlauten dramatische Nachrichten zur finanziellen Lage der Krankenhäuser. Sowohl in Niedersachsen als auch in Bayern rechnen die Kliniken mit wachsenden Defiziten. Grund sind neben einer jahrelangen Unterfinanzierung durch die öffentliche Hand auch die Pandemie sowie Inflation: https://www.bibliomedmanager.de/news/wirtschaftliche-lage-in-niedersachsen-schlechter-als-je-zuvor
https://www.bibliomedmanager.de/news/bkg-rechnet-mit-mehr-roten-zahlen

Februar/März, Schwäbische Zeitung/Zollernalbkurier: 400 Millionen Euro soll ein neuer Zentralklinikneubau kosten, dem zwei Klinikstandorte in Albstadt und Balingen in Baden-Württemberg zum Opfer fallen werden. Die kostspieligen Planungen des schlecht erreichbaren und ökologisch fragwürdigen neuen Standorts wurden von Anfang an von lautstarker Kritik aus der Zivilgesellschaft begleitet: https://www.pressreader.com/germany/schwaebische-zeitung-sigmaringen/20220221/282140704815551 https://www.zak.de/Nachrichten/Zentralklinikums-Neubau-in-Balingen-Firstaecker-Gegner-schalten-Rechtsanwalt-ein-149868.html

22. Februar, NDR: Auch die geplanten Klinikschließungen in Ostfriesland/Niedersachsen, welche die Verantwortlich gegen zwei Bürgerentscheide durchdrücken wollen, gehen Hand in Hand mit einem geplanten, riesigen Zentralklinikbau. Schon jetzt sind die Kosten viel höher als zunächst angekündigt. Mindestens 720 Millionen soll der umweltschädliche Neubau auf grüner Wiese nun kosten statt ursprünglich 250 Millionen: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/oldenburg_ostfriesland/Zentralklinik-in-Ostfriesland-soll-nun-720-Millionen-kosten,zentralklinik124.html

7. Februar, NDR: Nicht nur in Elmshorn Pinneberg oder Eckenförde ist die Bevölkerung angesichts der drohenden Krankenhausschließungen besorgt. Seit Langem schließen im gesamten Bundesland gegen die Bedürfnisse vor Ort Geburtsstationen. Nun melden sich die Hebammen in einem Hilferuf zu Wort. https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Hebammen-besorgt-ueber-Geburtshilfesituation-in-Schleswig-Holstein,hebammen336.html

Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP)

14. März, MDR: Baubeginn für die Ortsumgehungen Mühlhausen, Höngeda und Großengottern im Zuge der B 247. Dies ist das Pilotprojekt für öffentlich-private Partnerschaften bei Bundesstraßen, die schon bei Autobahnbau- und Betrieb viel Kritik an sich gezogen haben. https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/nord-thueringen/unstrut-hainich/ortsumfahrung-bundessstrasse-muehlhausen-100.html#sprung2

Berliner Schulbau  4. April, Tagesspiegel: Aufgrund einer parlamentarischen Anfrage wurde bestätigt, dass die Absenkung der flexiblen Mittel von 28.000 auf 3.000 € pro Schule und Jahr auf längere Zeit „festgeschrieben“ wird. Somit würden fünf Jahre lang je 13 Millionen Euro verloren gehen – 65 Millionen Euro also insgesamt. https://www.tagesspiegel.de/berlin/nur-noch-3000-euro-pro-einrichtung-berliner-schulen-verlieren-flexible-gelder-fuer-laengere-zeit/28224890.htm

S-Bahn Berlin

Frühjahr, neuköllnisch S. 11: Der Beitrag in der Zeitung der Neuköllner LINKEN berichtet über den Stand der Ausschreibung und führt als negatives Beispiel der Privatisierungen den insolventen Nahverkehrsbetreiber Abellio an, der 52 Strecken in vier Bundesländer betrieb. https://www.die-linke-neukoelln.de/fileadmin/neukoelln/zeitung/2022/nk22.1.w.pdf

Klinikkahlschlag in Niedersachsen

Von Dr. Rainer Neef, Jorinde Schulz und Carl Waßmuth

Die niedersächsische Landesregierung plant in einem neuen Gesetzesentwurf, die Krankenhauslandschaft im Bundesland radikal auszudünnen. Demnach sollen 30 bis 40 der derzeit 168 Krankenhäuser Niedersachsens schließen. Der Kahlschlag forciert den schon seit Jahren stattfindenden Schließungsprozess. So weist die Krankenhausstatistik für Niedersachsen für 2010 noch 198 Krankenhäuser aus, 2019 waren es 177 – ein Rückgang um zwölf Prozent. Niedersachsen plant damit einen signifikant höheren Abbau seiner Klinikstandorte als der Bundesdurchschnitt: Auf Bundesebene wurde die Zahl der Krankenhäuser im Zeitraum 2010 bis 2019 von 2.064 auf 1.914 verringert, das heißt um gut sieben Prozent. Schon das ist zu viel. Das Grünbuch 2020, herausgegeben vom Bundesinnen- und Bundesforschungsministerium, attestierte den deutschen Krankenhäusern bereits im Dezember 2020 unzureichende Vorsorgekapazitäten für Pandemien.

In die Debatte um die angekündigten Krankenhausschließungen platzte ein Bericht der ostfriesischen Nordwest-Zeitung (NWZ) über den Besuch der Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) in Emden1. Sie befürwortete warm das auf der grünen Wiese bei Georgsheil neu zu bauende Zentralklinikum im westlichen Ostfriesland. Nach seinem Bau sollen die drei mittelgroßen Kliniken Aurich, Emden und Norden geschlossen werden, voraussichtlich im Jahr 2027. Vor Ort haben die Schließungspläne zu massiven BürgerInnenprotesten geführt. Wie in vielen anderen Fällen beginnt der Schließungsprozess auch hier lange vor der Fertigstellung der versprochenen Zentralklinik: So schloss der Kreißsaal in Emden schon Ende März 2021. Dies schien den Enthusiasmus der Gesundheitsministerin keinesfalls zu schmälern. In ihrer Begeisterung über das „Megaprojekt“ übersah sie Probleme mit der Erreichbarkeit, zu welchen die geplanten Schließungen führen werden. Kein Wunder, denn in der Präsentation des Projekts hatten die Kreisbehörden den Zirkel der Erreichbarkeit vorsichtshalber auf 40 Pkw-Fahrminuten ausgedehnt. Das widerspricht der offiziell definierten Erreichbarkeitsgrenze von 30 Fahrminuten.

Wohnortnähe? Fehlanzeige!

Selbst bei einem 40-Minuten-Fahrradius gibt es rund 15.000 EinwohnerInnen aus der Stadt Wiesmoor und Umgebung sowie aus dem nordöstlichen Küstenstrich bei Dornum, die das Zentralklinikum nicht in 40 Minuten erreichen. Bei 30 Fahrminuten lassen sich aus dem Schließungssimulator der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Simulator) für das ganze Gebiet mindestens 25.000 EinwohnerInnen schätzen, die im Rettungsfahrzeug in dieser Zeit das neue Zentralkrankenhaus nicht erreichen werden. Auch die Krankenhäuser Wittmund und Westerstede in angrenzenden Landkreisen, auf die die Unterlagen verweisen, können zwar in 40, nicht aber in 30 Fahrminuten erreicht werden. Die geplante Zentralklinik stellt damit absehbar eine deutliche und vorschriftswidrige Verschlechterung dar.

Ähnlich ist die Lage im östlichen Ostfriesland. Dort ist eine Zentralklinik in Twistringen geplant, die voraussichtlich 2027 oder 2028 arbeitsfähig sein wird. Dafür sollen die Krankenhäuser in Bassum, Diepholz und Sulingen geschlossen werden. Dabei stehen dem Krankenhaus in Sulingen als unentbehrlichem ländlichem Krankenhaus Zuschüsse der GKV zu, der sogenannte Sicherstellungszuschlag. Circa 28.000 Einwohner werden die Zentralklinik in Twistringen nicht binnen 30 Pkw-Minuten erreichen können.

Unsummen für Neubau – gegen den Willen der BürgerInnen

Die geschätzten Baukosten für das Zentralklinikum in Georgsheil lagen zuletzt bei mindestens 600 Millionen Euro. In ersten, wesentlich optimistischeren Schätzungen waren es noch 250 Millionen. Die Gesundheitsministerin hat versprochen, dass sich das Land mit 70 Prozent an den Kosten beteiligen wird. Nur durch diese Förderung ist das Projekt überhaupt machbar. Von der in Aussicht gestellten Landesförderung ließen sich schätzungsweise die sechs ostfriesischen Krankenhäuser, die aufgrund der Neubauten in Georgsheil und Twistringen schließen sollen, grundlegend modernisieren und die Gehälter der Pflegenden angemessen aufstocken. Das ließ die Ministerin allerdings in ihrem Lob des „Megaprojekts“ unerwähnt.

Die Bezeichnung „Megaprojekt“ ist aufschlussreich. Sie erinnert an andere Megaprojekte, deren zerstörerischer Charakter bereits aufgedeckt wurde, wie Staudämme, Stuttgart 21 et cetera. Auch dort handelt es sich um aufgezwungene Projekte, die gegen den expliziten Willen der Bürgerinnen und Bürger umgesetzt werden. Im NWZ-Artikel heißt es scheinheilig: „Das Projekt war lange umstritten. In zwei Bürgerentscheiden konnten Bürger darüber abstimmen.“ Dazu fehlen zwei wichtige Informationen. Erstens: Die Zentralklinik wurde in beiden Bürgerentscheiden abgelehnt. Der erste fand 2017 statt und wurde von BürgerInnen initiiert. Damals stimmten 62 Prozent für den Erhalt des Emder Klinikums, in der benachbarten Stadt Aurich waren es 63 Prozent, die für den Erhalt der dortigen Ubbo-Emmius-Klinik votierten. Zwei Jahre später rief die Stadt erneut einen Bürgerentscheid ins Leben, in den die Trägergesellschaft der Kliniken 200.000 Euro investierte. Doch immer noch stimmten 46 Prozent für den Erhalt des Emder Krankenhauses. Das blieb nicht ohne Konsequenzen, so dass – zweitens – im vergangenen November der niedersächsische Landtag weitere Bürgerentscheide über Krankenhausstandorte gesetzlich unterband: „Unzulässig ist ein Bürgerbegehren über […] Entscheidungen als Träger von Krankenhäusern.“2 SPD und CDU begründeten die Gesetzesänderung unter anderem damit, dass die bedarfsgerechte medizinische Versorgung der Bevölkerung zu wichtig sei, um sie einer hochemotional aufgeladenen Entscheidung zu überlassen. Ihnen ist offensichtlich das Risiko zu groß, dass engagierte BürgerInnen vor Ort Klinikschließungen verhindern – dafür musste das demokratische Instrument dran glauben.

Desaströse Megaprojekte

Die Zerstörung, die von Megaprojekten ausgeht, ist umfassend: Sie erfolgt ökologisch, sozial und gleichzeitig ganz materiell. Zerstört werden zunächst die intakten Arbeitsstrukturen der Teams, die nahräumliche stationäre Versorgung, die Arbeitsplätze am Ort. Funktionierende Arbeitsabläufe, die MitarbeiterInnen über Jahre aufgebaut haben, sowie gewachsene Strukturen in der Gemeinde fallen der Schließung zum Opfer.

Auch die Gebäude der bestehenden Kliniken werden zerstört, denn Krankenhäuser lassen sich kaum umnutzen, wenn überhaupt, dann nur mit massivem Teilabriss. Die örtliche Medizintechnik muss ebenso dran glauben, denn die meisten Geräte sind ortsfest oder werden im Rahmen der Zentralisierung für veraltet erklärt. Ohne Not werden diese Werte vernichtet.

Der Neubau ist ebenfalls zerstörerisch. Im Fall Georgsheil stellt er keine Erweiterung der Kapazität an Betten und Versorgung dar, sondern eine Reduktion. Dafür wird die grüne ostfriesische Wiese dauerhaft versiegelt, werden tausende Tonnen überwiegend schädlicher Baumaterialien untrennbar miteinander verbunden und in die Umwelt eingebracht, darunter viele toxische Kunststoffe sowie in der Gewinnung extrem umweltschädliche Materialien wie Aluminium. Der Meganeubau wird allein in der Errichtung tausende Tonnen zusätzliches Kohlendioxid emittieren, ein Vielfaches dessen, was für den Erhalt und die Ertüchtigung der Bestandskliniken über deren gesamte Lebensdauer nötig wäre. Die ökologische Bilanz von Megaprojekten ist mithin katastrophal.

Über den Zeitraum des Baus entstehen zwar Arbeitsplätze, aber was sind diese Arbeitsplätze wert, wenn durch sie die stationäre Versorgung verringert und die Umwelt massiv geschädigt wird? Genauso gut kann man den Menschen das Geld direkt geben oder besser noch: sie gut für gesellschaftlich sinnvolle Arbeit bezahlen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die erwartbare intensivierte Beanspruchung der MitarbeiterInnen in den Zentralkliniken. Nicht nur müssen die zerschlagenen alten Arbeitsstrukturen mühsam neu aufgebaut werden. Alle bisherigen Klinikleitungen, die mit Neubauten zu tun hatten, haben Personal reduziert und später durch Leiharbeit und Überstunden kompensieren müssen (Beispiel Klinikum Dortmund). Das gilt vor allem bei privaten Krankenhauskonzernen, für die große Zentralkliniken ein Mittel für Einsparungen sind. Außer in Niedersachsen gibt es ein Dutzend Zentralklinikprojekte, vor allem in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen.

In ganz Deutschland kennt man Ostfriesenwitze. Jetzt zeigt sich, dass die OstfriesInnen, welche die Megaprojekte deutlich ablehnten, sehr klug und vorausschauend sind. Es ist die Landesregierung, die behauptet, etwas würde besser, indem man es kaputt macht. Und weil das in Ostfriesland keiner glaubt, hat man in ganz Niedersachsen Bürgerentscheide zu Krankenhäusern verboten. Damit niemand versucht, es den Ostfriesen nachzumachen – und man ungehindert 40 weitere Kliniken kaputt machen kann.

1 https://www.nwzonline.de/plus-ostfriesland/zentralklinik-uthwerdum-kosten-steigen-400-millionen-architektenwettbewerb-siegerentwurf_a_50,10,1621168447.html abger. 15.6.21; https://www.anevita.de/klinikverbund/zentralklinik/ abger. 25.4.21;

2 siehe Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG), geändert am 13.10.2021, https://www.voris.niedersachsen.de.

Lauterbach schaut tatenlos zu

Erste Krankenhausschließung 2022: In Roding schließt ein Sicherstellungskrankenhaus


Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung

Berlin, den 22. März 2022: Am 31. März soll das erste Krankenhaus des Jahres geschlossen werden, die Sana Klinik Roding im Landkreis Cham. 9.986 Menschen aus der Umgebung wird damit die wohnortnahe stationäre Grundversorgung entzogen. Der Trend zum Abbau von Krankenhäusern setzt sich unter dem neuen Gesundheitsminister ungebrochen fort: Seit Karl Lauterbachs Ernennung am 8. Dezember letzten Jahres wurden bereits zwei Krankenhäuser und etliche Abteilungen geschlossen.

Die Lungenklinik Borstel in Segeberg, Schleswig-Holstein, das Main-Spessart-Klinikum Marktheidenfeld in Bayern sowie die Hauptabteilung Kinder- und Jugendmedizin in der Helios-Klinik in Leisnig schlossen zum 31. Dezember 2021. Anfang 2022 kam das Aus für den Kreißsaal im Ratzeburger DRK-Krankenhaus. Die Geburtshilfe im Krankenhaus in Eckernförde ist schon seit Mitte Dezember 2021 vorübergehend geschlossen, ihre endgültige Schließung steht an. Neben dem Krankenhaus in Roding steht ein weiteres Krankenhaus in Bayern kurz vor dem Aus, die Klinik Schongau. Die Geburtsabteilungen in Preetz in Schleswig-Holstein und im Bethanien-Klinikum im nordrhein-westfälischen Iserlohn sind ebenfalls unmittelbar bedroht.

Laura Valentukeviciute, Sprecherin des Bündnis Klinikrettung, verurteilt die Schließungen:

„Schlag auf Schlag schließen lebenswichtige Stationen und Krankenhäuser. Mit dem Aus für die Klinik in Roding verlieren nun knapp 10.000 Menschen ihr Krankenhaus im unmittelbaren Wohnumfeld. Das ist kein Einzelfall, sondern Teil des bundesweiten Klinikkahlschlags. Und trotz anderslautender Versprechungen lässt Gesundheitsminister Lauterbach genau wie sein Vorgänger die Klinikschließungen weiterhin zu.“

Mit Roding schließt nicht irgendein Krankenhaus. Als Sicherstellungskrankenhaus war es laut Gesetz „für die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar“. Der Eigentümer, der Sana Konzern, erhielt dafür öffentliche Gelder als Zuschuss für die Erhaltung des bedarfsnotwendigen Krankenhauses.

Klaus Emmerich von der Aktionsgruppe gegen Kliniksterben in Bayern kritisiert die Entscheidung:

„Die Schließung des Krankenhauses Roding erfolgt, obwohl es laut Gesetz als unverzichtbar gilt. Mit der Schließung werden nicht nur gesetzliche Regelungen umgangen, sondern auch Steuergelder missbraucht. 400.000 Euro jährlich erhielt der Sana-Konzern, um den dauerhaften Fortbestand der Klinik zu sichern – ohne die Aufgabe zu erfüllen. Dieser Vorgang ist empörend und beispiellos. Den EinwohnerInnen der Region Roding wird die wohnortnahe klinische Versorgung verweigert. Erschwerend hinzu kommt, dass der versprochene Gesundheitscampus, der das Krankenhaus ersetzen soll, noch nicht einmal konzipiert ist.“

Pressekontakte
Laura Valentukeviciute, Tel. 0176-233 203 73, laura.valentukeviciute@gemeingut.org,
www.gemeingut.org

Klaus Emmerich, Tel. 0177-1915415, klaus_emmerich@gmx.de, https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/

Hintergrundinformationen

– Klaus Emmerich „Sicherstellungszuschläge schützen nicht vor Schließung“,

– Mehr Informationen zur Krankenhausschließung in Roding finden sich auf der Webseite der Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern

– Am 26. Januar 2022 stellte die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern in einer digitalen Pressekonferenz die unzureichende klinische Versorgung und das Kliniksterben in Bayern detailliert dar.

Sicherstellungszuschläge schützen nicht vor Schließung

Autor des folgenden Beitrags ist Klaus Emmerich, Klinikvorstand i. R., Buchautor zum Thema Kliniksterben und Mitbegründer vom Bündnis Klinikrettung sowie der Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern.

Szenario Klinikschließungen – systematisch gefördert

Gesundheitsökonomen wie Prof. Dr. Boris Augurzky oder Prof. Dr. Reinhard Busse  propagieren den Abbau von Klinikbetten und -standorten. Nur 600 der aktuell 1.914 Krankenhäuser in Deutschland sollen  erhalten bleiben.[1] Dazu entwickelte Dr. Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit im RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, schon 2014 im Rahmen einer Studie Krankenhausplanung 2.0 entsprechende Normen: Solange innerhalb von 30 Fahrzeitminuten noch ein Allgemeinkrankenhaus mit den Fachabteilungen Innere Medizin und Chirurgie erreichbar ist (Kliniken der Basisversorgung) oder weniger als 5.000 zusätzliche Einwohner nach einer Klinikschließung innerhalb von 30 Fahrzeitminuten kein Krankenhaus mehr erreichen, sei dies vertretbar.[2]

Die Lobbyisten für den Klinikkahlschlag setzten sich rasch durch: Die gesetzlichen Krankenkassen simulieren seitdem über einen GKV-Kliniksimulator exakt die Folgen einer Schließung. Ziel ist es, zu belegen, dass nach den definierten Anfahrzeiten viele Kliniken „problemlos“ geschlossen werden können.[3] Einen medizinischen Beleg für zumutbare 30 Fahrzeitminuten konnten die Gesundheitsökonomen nicht liefern.

Im Gegensatz zur Schließungsstrategie steht das vom Bundesinnen- und Bundesforschungsministerium beauftragte Grünbuch 2020, das unzureichende Vorsorgekapazitäten für Pandemien bescheinigte und leider völlig unbeachtet blieb. Dort ist zu lesen: „Die … dargestellte künftige Struktur der stationären Notfallstufen berücksichtigt nur unzureichend die erforderlichen kapazitiven Vorhaltungen zur Bewältigung eines eskalierenden Ausbruchs einer Infektionskrankheit, deren adäquate Bereitschaftsplanung und Evaluierung, kontinuierliches Training und Übung. …  Die Gesundheit der Bevölkerung ist Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, sodass Versorgungskapazitäten auch mögliche Krisensituationen berücksichtigen sollten. Der Mangel an medizinischem und pflegerischem Fachpersonal muss konsequent angegangen werden.“[4]

Sicherstellungszuschlag zur Gesichtswahrung bei Klinikschließungen

Um in der Öffentlichkeit das Problem der Klinikschließungen zu verharmlosen, führte der Gesetzgeber den Sicherstellungszuschlag ein. Unzumutbare Härten für die Bevölkerung sollen verhindert werden. Erreichen aufgrund einer simulierten Klinikschließung mehr als 5.000 zusätzliche Einwohner ein Krankenhaus nicht mehr innerhalb von 30 Fahrzeitminuten, so wird das Krankenhaus nach gesetzlichen Vorgaben des § 136c Absatz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit § 5 Absatz 2 Krankenhausentgeltgesetz und § 17b Absatz 1a Nr. 6 mit jährlich 400.000beziehungsweise 600.000 Euro bezuschusst, je nach Ausstattung seiner Fachabteilungen. So gibt es für zusätzliche gynäkologische und geburtshilfliche Fachabteilungen jährliche Förderung bis zu 600.000 Euro, und es gelten erweiterte Regelungen.

§ 5 Absatz 2 Krankenhausentgeltgesetz definiert für Krankenhäuser: „Zur Sicherstellung einer für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Vorhaltung von Leistungen, die auf Grund des geringen Versorgungsbedarfs mit den auf Bundesebene vereinbarten Fallpauschalen und Zusatzentgelten nicht kostendeckend finanzierbar ist, vereinbaren die Vertragsparteien nach § 11 bei Erfüllung der Vorgaben nach den Sätzen 2, 4 und 5 sowie der Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 136c Absatz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Sicherstellungszuschläge nach § 17b Absatz 1a Nummer 6 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes.“ (Hervorhebungen durch den Autor)

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die dafür vorgesehenen Rahmenbedingungen in der „Regelung des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Vereinbarung von Sicherstellungszuschlägen gemäß § 136c Absatz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch

(SGB V)“ für ein Krankenhaus der Basisversorgung (Innere Medizin und Chirurgie) erlassen:

„Ein Krankenhaus, für das ein Zuschlag nach § 17b Absatz 1a Nummer 6 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) vereinbart wird, muss für die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung unverzichtbar … sein. Zum Nachweis der Voraussetzung nach Satz 1 wird überprüft, ob flächendeckend eine Erreichbarkeit von in Satz 3 festgelegten PKW-Fahrzeitminuten eines anderen geeigneten Krankenhauses vorliegt, und somit bei einer Schließung des Krankenhauses die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung nicht gefährdet wäre.

Die PKW-Fahrzeitminuten betragen:

1. für die notwendigen Vorhaltungen nach § 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1: 30 PKW-Fahrzeitminuten …

… Eine Gefährdung der flächendeckenden Versorgung für basisversorgungsrelevante Leistungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 liegt vor, wenn durch die Schließung des Krankenhauses, dessen Zuschlagsfähigkeit überprüft wird, zusätzlich mindestens 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner PKW-Fahrzeiten von mehr als 30 Minuten aufwenden müssen, um das nächste geeignete Krankenhaus zu erreichen (Betroffenheitsmaß).“[5] (Hervorhebungen durch den Autor)

Unwirksamkeit des Sicherstellungszuschlags

Leider hilft der gesetzliche Sicherstellungszuschlag nicht, allen Einwohnern Deutschlands ein wohnortnahes Krankenhaus sicher zu garantieren. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Erstens: Geringer Versorgungsbedarf

Der Gemeinsame Bundesausschuss definiert den geringen Versorgungsbedarf. Er begründet ihn wie folgt: „Mit dem Sicherstellungszuschlag können nur Defizite aufgrund eines geringen Versorgungsbedarfs, nicht jedoch Defizite aufgrund von Unwirtschaftlichkeiten ausgeglichen werden. Ein geringer Versorgungsbedarf liegt vor, wenn die durchschnittliche Einwohnerdichte im Versorgungsgebiet des Krankenhauses unterhalb von 100 Einwohnerinnen und Einwohnern je Quadratkilometer … liegt.“[6]

Die Orientierung an der geringen Einwohnerdichte wirft elementare Fragen auf:

  • Darf in einer dicht besiedelten Region ein Krankenhaus aus ökonomischen Gründen jederzeit schließen?
  • Rechtfertigen beispielsweise viel mehr Einwohner, nämlich 27.990, mit längeren Fahrzeiten als 30 Minuten zum nächstgelegenen Krankenhaus die Schließung der Klinik Schongau? Hier liegt die durchschnittliche Einwohnerdichte unglücklicherweise laut GKV-Kliniksimulator bei 101 Einwohnern pro Quadratkilometer?[7]
  • Ist dann die Klinik Schongau, die aller Wahrscheinlichkeit nach schließen wird, für betroffene 27.990 Einwohner etwa nicht versorgungsrelevant?[8]

Die Antwort ist eindeutig: Selbstverständlich dürfen zusätzliche 27.990 Einwohner nahe Schongau mit einer durchschnittlichen Einwohnerdichte von 101 Einwohnern pro Quadratkilometer (kein Sicherstellungszuschlag) nicht gegen zusätzliche 9.986 Einwohner nahe Roding mit einer Einwohnerdichte von 94,8 Einwohnern pro Quadratkilometer (gewährter Sicherstellungszuschlag) in Vergleich gesetzt werden.[9] Genau das geschieht aber und zeigt: Für die Kriterien gibt es keinerlei medizinische Grundlage. Es gibt keine Rechtfertigung, weshalb den 27.990 Einwohnern bei eskalierenden klinischen Notfällen Entfernungen über 30 Fahrzeitminuten zugemutet werden dürfen. Das kann bei Herzinfarkten und traumatischen Unfallverletzungen lebensentscheidend sein.

Zweitens: Finanzieller Zuschlag statt Schließungsverbot

Der Gesetzgeber regelt nach § 5 Absatz 2 Krankenhausentgeltgesetz Sicherstellungszuschläge zur Sicherung versorgungsrelevanter Krankenhäuser. Das ist eine finanzielle Hilfe. Es fehlt jedoch eine gesetzliche Regelung, die die Schließung versorgungsrelevanter Sicherstellungskrankenhäuser untersagt. Und so dürfen Klinikträger nach Belieben Sicherstellungskrankenhäuser schließen und Versorgungslücken aufreißen. Die Schließung der SANA Klinik Roding zum 31. März durch den Kreistag Cham und die SANA Kliniken AG ist ein praktisches Beispiel. Das Nachsehen haben die Bürger[10].

Der Klinikträger, der Landkreis Cham, darf sogar bekräftigen: „Durch diese Maßnahmen werden wir eine zeitgemäße, qualitativ hochwertige ärztliche Versorgung in unserem Flächenlandkreis sicherstellen“.[11]

In einem Protestschreiben richtete sich die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern deshalb in einem Appell an die Fraktionsleiter und den Gesundheitsausschuss des Bayerischen Landtags sowie an den Bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek:

„Mit der anstehenden Schließungsentscheidung werden anerkannte Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses für Sicherstellungskrankenhäuser in dünn besiedelten Regionen einfach ignoriert. … Schließt die SANA Klinik Roding zum 31.03.2022, so werden ab 01.04.2022 insgesamt 9.986 Einwohner ein Krankenhaus der Grundversorgung nicht mehr binnen 30Fahrzeitminuten erreichen. Das kann in Notfällen lebensentscheidend sein. Ein so schwerwiegender Verstoß gegen den Grundsatz einer flächendeckenden stationären Versorgung der Bevölkerung ist von landespolitischer Relevanz. Von der Landespolitik muss ein klares Signal kommen, ob sie weiterhin zu diesem Grundsatz steht oder ob Klinikschließungen im freien Ermessen der örtlichen Entscheidungsträger liegen.“[12]

Drittens: Geringer Umfang des Sicherstellungszuschlags

Eine jährliche Förderung von 400.000 Euro oder 600.000 Euro reicht zur Sicherung versorgungsrelevanter Krankenhäuser nicht aus. Die Kliniken Nordoberpfalz AG beispielsweise benötigten für ihre verbliebenen fünf Klinikstandorte in ländlichen Regionen im Jahr 2019 einen Finanzzuschuss des Trägers im Umfang von 50 Millionen Euro.[13] Um diese Finanzlast zu verringern, wurden im Jahr 2020 – mitten in der Corona-Pandemie – eine Rehaklinik in Waldsassen und eine Akutklinik in Vohenstrauß geschlossen. Die zwei Krankenhäuser des Landkreises Kelheim belasten den Landkreis im Jahr 2021 mit immerhin 16 Millionen Euro.[14] Dagegen nehmen sich 400.000 Euro oder 600.000 Euro fast lächerlich aus. Ein Klinikträger wird angesichts millionenstarker Finanzdefizite seine Entscheidung nicht von einem derartigen Zuschuss abhängig machen. Das Beispiel der SANA Klinik Roding zeigt, dass der Sicherstellungszuschlag hier nicht greift und deshalb versagt.

Viertens: Keine Lösung für bereits unterversorgte Regionen

Bayern verfügt bereits heute über 115 Postleitzahlregionen, in denen mehr als 5.000 Einwohner ihr nächstgelegenes Krankenhaus nicht innerhalb von 30 Fahrzeitminuten erreichen.[15] In Niedersachsen gibt es 65 solcher Postleitzahlregionen.[16]

Es fehlen jegliche gesetzliche Regelungen, die die Schäden der Krankenhauspolitik der letzten Jahrzehnte wieder beheben (in der Zeit von 1998 bis 2019 gab es 497 Klinikschließungen. Deutschland ist bereits heute klinisch unterversorgt.

Fazit

Das Kliniksterben geht weiter, und der Sicherstellungszuschlag schützt nicht vor der Schließung bedarfsnotwendiger Allgemeinkrankenhäuser. Es entsteht der Eindruck, dass der Sicherstellungszuschlag lediglich der Argumentation dient, Klinikschließungen nur dort voranzutreiben, wo es dem Bürger angeblich nicht schadet. Der Sicherstellungszuschlag korrigiert auch keine klinische Unterversorgung, die heute bereits in diversen Regionen Deutschlands mit unzumutbaren Entfernungen zum nächstgelegenen Krankenhaus existiert.

Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung zur Schlieöung des Krankenhauses in Roding: „Lauterbach schaut tatenlos zu“.

Mehr Informationen zum Krankenhaus in Roding und die Pressemitteilungen dazu von der Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern finden sich auf der Webseite: https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/kliniken-in-not/geplante-klinikschlie%C3%9Fungen/krankenhaus-roding/


[1] Klaus Emmerich, 2019, Diskussion um Qualität und Schließung ländlicher Krankenhäuser, München, GRIN Verlag,  https://www.grin.com/document/498994, Bertelsmann Stiftung 5.7.2019, STUDIE: Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich, Gütersloh, Bertelsmann Stiftung, 2020, Richtungspapier zu mittel- und langfristigen Lehren – Zwischenbilanz nach der ersten Welle der Corona-Krise 2020, Gütersloh:

www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/zwischenbilanz-nach-der-ersten-welle-der-corona-krise-2020-all

[2] Boris Augurzky, Andreas Beivers, Niels Straub, Caroline Veltkamp, 2014, Krankenhausplanung 2.0, http://www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/rwi-materialien/RWI-Materialien_84_Krankenhausplanung.pdf

[3] GKV-Spitzenverband 2021, GKV-Kliniksimulator, https://gkv-kliniksimulator.de/

[4] Dissens zu notwendigen Klinikkapazitäten in der Bundesregierung, https://klinikkapazitaetencorona.jimdofree.com/, Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit e. V., GRÜNBUCH 2020 https://zoes-bund.de/wp-content/uploads/2020/12/201130_Gruenbuch_2020_digital-BF.pdf

[5] Homepage Dissens zu notwendigen Klinikkapazitäten in der Bundesregierung, https://klinikkapazitaetencorona.jimdofree.com/

[6] Gemeinsamer Bundesausschuss, Regelung des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Vereinbarung von Sicherstellungszuschlägen gemäß § 136c Absatz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch

(SGB V), https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2312/SiRe-RL_2020-10-01_iK_2020-12-09.pdf

[7] https://www.gkv-kliniksimulator.de/downloads/simulation1/Kurzbericht_GVE_2021_317100.pdf

[8] Gemeinsamer Bundesausschuss, ebenda

[9] GKV-Kliniksimulator, Präsentation Klinik Schongau, https://www.gkv-kliniksimulator.de/downloads/simulation1/Praesentation_GVE_2021_317100.pdf

[10] GKV-Kliniksimulator, Präsentation Klinik Roding,  https://www.gkv-kliniksimulator.de/downloads/simulation1/Praesentation_GVE_2021_327703.pdf

[11] Landkreis Cham, Strategische Neuausrichtung der Sana Kliniken des Landkreises Cham, https://www.landkreis-cham.de/aktuelles-nachrichten/alle-meldungen/strategische-neuausrichtung-der-sana-kliniken-des-landkreises-cham/

[12] https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/kliniken-in-not/geplante-klinikschlie%C3%9Fungen/krankenhaus-roding/

[13] Landkreis Cham, ebenda

[14] Oberfalz TV, Kliniken Nordoberpfalz AG: Hinter den Kulissen brodelt es, https://www.otv.de/kliniken-nordoberpfalz-ag-hinter-den-kulissen-brodelt-es-516637/

Oberpfalz TV, Kliniken Nordoberpfalz AG: Michael Hoffmann wird neuer Vorstand, https://www.otv.de/kliniken-nordoberpfalz-ag-michael-hoffmann-wird-neuer-vorstand-523840/

[15] Hallertauer Zeitung, 2021, Kreis greift für Kliniken tief in die Tasche, Mainburg

[16] Homepage Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern, https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/unterversorgung/, Homepage Neue Krankenhäuser simulieren und einfordern, https://neue-kliniken-simulieren.jimdofree.com/