Texte aus der taz-Sonderbeilage: „Im siebten Zinshimmel“

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Norbert Häring. Foto: Privat

Rendite: Versicherungsgesellschaften verdienen im hartnäckigen Niedrigzinsumfeld nicht genug. Deshalb wollen sie, dass der Staat sie an Infrastrukturprojekten und -gesellschaften beteiligt. Es winken sichere Renditen auf Kosten der Steuerzahler und der künftigen Nutzer. Von Norbert Häring

Als Sigmar Gabriel im Sommer 2014 anfing uns zu erzählen, der Staat müsse privates Kapital hinzuziehen, um angemessen in Infrastruktur investieren zu können, da konnte sich der Bund für 0,9 Prozent Zinsen langfristig Geld am Kapitalmarkt besorgen – abzüglich der gleich hohen Inflationsrate also zu Kosten von Null. Zwischenzeitlich sind Zins und Inflationsrate etwa im Gleichschritt gesunken. Jede Investition mit einer positiven Rendite aus gesellschaftlicher Sicht sollte entsprechend unverzüglich ausgeführt werden.

Private Geldgeber, die an einzelnen Projekten beteiligt werden, anstatt dem Staat allgemein Geld zu leihen, erwarten dagegen eine auskömmliche Rendite. Der Chefanlagestratege der Allianz, Andreas Lindner, spricht im Interview mit dem Handelsblatt (19.9.2016) von 2,5 Prozent Rendite, wenn der Versicherer Fremdkapitalgeber ist, und von fünf bis acht Prozent, wenn er als Eigenkapitalgeber und Betreiber auftritt. Projekte, die weniger abwerfen, müssen also unterbleiben – oder den Nutzern wird zusätzlich Geld zur Finanzierung dieser privaten Renditen aus der Tasche gezogen. Die Rechnungshöfe stellen demgemäß immer wieder fest, welch schlechtes Geschäft die staatlich-private Finanzierungskooperation für Bürger und Steuerzahler ist.

Warum ist unsere Bundesregierung dennoch erpicht darauf, privates Kapital einzubeziehen? Die Antwort liefert die Entstehungsgeschichte. »Allianz wittert Chancen bei der Infrastruktur«, titelte die Börsen-Zeitung am 28.8.2014. Bei der Finanzierung staatlicher Infrastruktur zu helfen sei sehr attraktiv für die Assekuranz, sagte Allianz-Anlagestratege Lindner. Denn der Staat garantiere einen stabilen Cashflow. Übersetzung: hohe Rendite, kein Risiko – auf Kosten des Steuerzahlers.

Lindners Interview war nur ein Beitrag von vielen, in denen die Versicherungsbranche bekundete, sich zu attraktiven Konditionen an der Infrastrukturfinanzierung beteiligen zu wollen. Denn aufgrund der Niedrigzinsen kann sie die Renditeerwartungen der Versicherten und die Dividendenerwartungen ihrer Anleger nicht mehr ohne weiteres erfüllen. Hinzu kommt die große Peinlichkeit für die Politik, dass die privaten Rentenvorsorgeprodukte, in die sie die Menschen durch Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus gezwungen hat, sich dadurch als schlechtes Geschäft herausstellen. Und so machte sich Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel die Allianz-Argumente zu eigen und gab die Gründung einer Kommission aus Versicherungslobbyisten, Industrievertretern und Alibi-Wissenschaftlern zur Infrastrukturfinanzierung bekannt. Zu den ersten Mitgliedern der vom Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung geleiteten »Fratzscher-Kommission« gehörten Jürgen Fitschen (Deutsche Bank), Helga Jung (Allianz) und Torsten Oletzky (Ergo) sowie eine Reihe von Industrievertretern. Dabei ging es vor allem darum, die Offensichtlichkeit der Subvention von Versicherern durch überhöhte, staatliche garantierte Renditen zu vernebeln. Das gelang nicht gut.

Besonders im ersten Entwurf des Fratzscher-Berichts von Anfang 2015 wird nur allzu deutlich, worum es geht. Dort ist ganz offen von Zusatzkosten der privaten Kofinanzierung die Rede, die man klein halten will. Zur Begründung, warum die vorgeschlagene Infrastrukturgesellschaft keinesfalls Staatsgarantien bekommen sollte, schrieb Fratzscher im ersten Entwurf sogar selbstentlarvend, der Anschein eines Risikos müsse aufrechterhalten werden, weil es sonst keine Rechtfertigung der erwünschten hohen Renditen gebe. Weil das kritisch thematisiert wurde, hat Fratzscher die Argumentation umgestellt. Im Abschlussbericht heißt es, um »die Konformität einer Gesellschaft mit den Maastricht-Kriterien zu gewährleisten«, müsse »eine klare Abgrenzung der Gesellschaft zum Staatssektor erfolgen«. Deshalb dürfe es keine Staatsgarantie geben. Das hat den Hintergrund, dass ein Nebenzweck der privaten Finanzierung darin besteht, staatliche Verschuldung zu verstecken, indem man die Schuldenaufnahme in eine privatrechtliche Gesellschaft auslagert, die vom Staat keine Garantien beanspruchen darf. Doch das Schuldenverstecken in Europa geht auch mit Staatsgarantie, was die Kommissionmitglieder auch wussten, denn sie schreiben im selben Bericht: »In Österreich finanziert die ASFINAG, die ein privatrechtliches Unternehmen im Bundesbesitz ist, die circa 2 200 Kilometer Fernstraßen […] Zur Kapitalaufnahme gibt die ASFINAG Anleihen aus, die mit einer Garantie der Republik Österreich ausgestattet sind. Die ASFINAG wird nicht dem österreichischen Staatssektor zugeordnet. Ihre Verschuldung wird somit bei der Prüfung zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien nicht berücksichtigt.«

Das darf aber in Deutschland so nicht sein, denn die ASFINAG nimmt privates Kapital zu fast gleich niedrigen Zinsen auf wie der Staat. Eine Infrastrukturgesellschaft, die privaten Kapitalgebern keine höheren Renditen beschert, ist für diese völlig uninteressant. Also muss ein theoretisches Risiko erhalten bleiben, mit dem man die Subventionierung der Versicherungsbranche notdürftig verschleiern kann.

Norbert Häring ist promovierter Volkswirt, Wirtschaftsjournalist, Blogger (www.norberthaering.de), Autor populärer Wirtschaftsbücher und Ko-Direktor der World Economics Association sowie ehemaliger Bankenanalyst. Zuletzt erschien von ihm bei Quadriga: »Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen: Der Weg in die totale Kontrolle«. Norbert Häring lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.

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