Der erste verheerende Schritt zu massenhaften Klinikschließungen

In der gestrigen Sitzung des Vermittlungsausschusses haben sich Bund und Länder über das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz geeinigt. Das Bündnis Klinikrettung kritisiert die Entscheidung.

Laura Valentukeviciute, Sprecherin vom Bündnis Klinikrettung:
„Minister
Lauterbach sucht Mittel und Wege, um die Krankenhauslandschaft umzukrempeln und die Zahl der Kliniken zu reduzieren. Das Gesetz ist Teil seiner Strategie, und mit der Einigung im Vermittlungsausschuss ist nun der erste verheerende Schritt getan. Damit kann Lauterbach die Krankenhäuser den umstrittenen Leveln zuordnen. Vor allem die Grund- und Notfallversorgung auf dem Lande ist dadurch gefährdet.“

Klaus Emmerich, Klinikvorstand im Ruhestand:
Die Länder haben sich vom Bund erpressen lassen und einen Freifahrtschein unterschrieben. Damit kann Lauterbach mit der systematischer Schließung der Kliniken beginnen.“
Emmerich weiter: „Dieses
Gesetz ist eine Mogelpackung. Es definiert die Qualität der medizinischen Versorgung über Strukturmerkmale, zum Beispiel Behandlungsmengen komplexerer Eingriffe. Das hat mit wohnortnaher Grundversorgung nichts zu tun. Auf Grundlage des Gesetzes werden viele kleine wohnortnahe Krankenhäuser geschlossen werden.“

GiB-Infobrief | Krankenhausreform stoppen: Welche Lösungen wir wirklich brauchen

Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,

jetzt tritt ein, wovor wir seit langem warnen: Gleich zu Beginn des Jahres wurden ungewöhnlich viele Krankenhausschließungen angekündigt. Über Bayern rollt eine regelrechte Schließungswelle hinweg: In Schongau, Selb, Kemnath, Tirschenreuth, Mainburg und Kösching werden die Krankenhäuser entweder komplett geschlossen oder die Notaufnahmen dichtgemacht. Davon betroffen sind 125.000 EinwohnerInnen. Sie werden eine stationäre Notfallversorgung künftig nicht mehr in 30 Fahrzeitminuten erreichen. Auch fünf Krankenhäuser des thüringisch-bayerischen Klinikverbunds Regiomed befinden sich in einem Insolvenzverfahren, das absehbar zum Abbau von Kliniken führen wird. Das alles ist dramatisch, aber keine Überraschung. Nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft fehlen den Krankenhäusern monatlich 504 Millionen Euro. 78 Prozent der Krankenhäuser erwarten für das abgelaufene Geschäftsjahr ein negatives Ergebnis, die Zahl der Insolvenzen droht sich zu verdoppeln.

Die PolitikerInnen in Bund und Land spielen derweil ein verheerendes Spiel: Sie streiten sich um einzelne Punkte der Reform und schieben sich gegenseitig die Schuld für die Schließungen zu. Aber einvernehmlich verlauten sie, dass die Reform kommen muss, um den Kahlschlag zu beenden. Dabei ist sie selbst das Drehbuch für ein Schließungsprogramm in drei Teilen:

1. Das Kahlschlag-Level 1i kommt: Im Rahmen des Krankenhaustransparenzgesetzes werden die sogenannten sektorenübergreifenden Versorger des Levels 1i eingeführt. Damit werden voraussichtlich mehr als 350 Krankenhäuser der Grundversorgung in ambulante Zentren umgewandelt,  rund 20 Prozent der stationären Akutversorgung bräche auf einen Schlag weg.

2. Der Entzug von Leistungsgruppen führt zu Schließungen: Künftig dürfen Kliniken nur dann eine bestimmte Behandlung anbieten, wenn ihnen die entsprechende Leistungsgruppe zugeteilt wurde. Das System ist aber so eingerichtet, dass die Leistungsgruppen wegen rigider Mengenvorgaben und zu knapper Finanzierung an möglichst wenige Häuser gehen – mit Schließungen als absehbare Folge.

3. Die Vorhaltefinanzierung ist ein Etikettenschwindel: Genau wie die Fallpauschalen sind die neuen Vorhaltepauschalen an die Fallmengen geknüpft und zu knapp angesetzt, so dass weiterhin Krankenhäuser aufgrund von Unterfinanzierung schließen werden. Zudem wird die Bürokratie durch komplizierte Abrechnungsverfahren vermehrt.

Aktuell blockieren die Länder das erste Reformgesetz im Bundesrat, Lauterbachs Kahlschlagpläne sind also vorerst ins Stocken geraten. Allerdings ist die Blockade vor allem Ausdruck eines politischen Machtkampfes zwischen CDU und SPD, weniger ein Ringen um eine Verbesserung der Reform. Auch die meisten Landesregierungen setzen auf Privatisierung, Kommerzialisierung und Schließungen. Weder der Bund noch die Länder entwickeln tragbare Alternativkonzepte. Dabei ist die Lösung des Problems unkompliziert: Der Umstieg auf Selbstkostendeckung würde genügen, um die Ausgaben der Kliniken vollständig zu finanzieren. Rendite ist in diesem Finanzierungsmodell gar nicht erst vorgesehen, die Krankenhäuser wären für die Privaten endlich unattraktiv.

Im Gegensatz zu den Nebelkerzen und Machtspielchen des politischen Establishments sprechen die BürgerInnen mit klarer Stimme. In einer aktuellen Umfrage von Allensbach gaben 92 Prozent der Befragten an, dass der Staat keinesfalls an der Gesundheit sparen sollte. In diesen Chor stimmen wir ein: Mit der Unterfinanzierung der Krankenhäuser muss endlich Schluss sein! Diese Forderung wird auch unser neuer Kurzfilm unterstreichen, in dem – anders als in den regierungspolitischen Gremien – endlich die Betroffenen zu Wort kommen. Das Budget des Films ist noch zu 20 Prozent ungedeckt, wir freuen uns also über finanzielle Unterstützung. Zum kommenden DRG-Forum – einem der wichtigsten Treffen von Krankenhauslobby und Politik Ende März in Berlin – bereiten wir außerdem eine Überraschung vor. Bleiben Sie mit uns am Ball, es wird spannend!

Mit aktivistischen Grüßen
Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz

P.S.: Zur Frage, woher das Geld für die Finanzierung der Gemeingüter kommen soll, arbeiten wir derzeit ebenfalls. Wir fordern zur Stärkung der Daseinsvorsorge die Wiedereinführung der Vermögensteuer für Superreiche! Nach unserer Aktion zur symbolischen Pfändung von LIDL, BMW & Co. kurz vor Weihnachten, erarbeiten wir gerade die Pläne für eine Konferenz im April für Aktive aus Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft.

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Unsere aktuellen Petitionen

Rettet das SEZ!

Stoppen Sie Lauterbachs katastrophale Reformpläne – für eine echte Krankenhausrevolution!

Vermögensteuer für die Daseinsvorsorge– – – – – – – –

Presseschau (Auswahl)

Neu auf der Gemeingut-Website

29. Januar: Dr. med. Bernd Hontschik befasst sich in seinem Beitrag „Revolution sieht anders aus“ mit der Krise in der Krankenhausversorgung, ihren Ursachen und den möglichen Wegen heraus. Es ist ein Plädoyer für echte Veränderungen und eine tiefgreifende Analyse, mit der sich Hontschik von der aktuellen Berichterstattung zur Krankenhausreform abhebt. Der Beitrag erschien zuerst als Kolumne in der Frankfurter Rundschau. https://www.gemeingut.org/revolution-sieht-anders-aus/

29. Januar: Der bekannteste deutsche Lobbyist für Klinikschließungen Dr. Reinhard Busse stellt seine neue Studie vor – eine Art Rammbock für die ins Stocken geratene Krankenhausreform, deren Architekt er selber ist. Seit Jahren versucht er mit den gleichen Argumenten die Zentralisierung der Krankenhauslandschaft durchzusetzen. Bündnis Klinikrettung kritisiert das in einer Pressemeldung. https://www.gemeingut.org/alte-leier-busses-vergebliche-reanimation-der-krankenhausreform Busses „Darstellungen seien längst […] in ihrer Kernaussage revidiert“ – schreibt der Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte: https://www.bibliomedmanager.de/news/dkg-und-vlk-reagieren-auf-busses-berechnungen
In der gleichen Pressekonferenz erklärte Lauterbach die Blockadehaltung der Länder für beendet. Worauf Lauterbach seine Aussage stützt ist allerdings unklar, denn er ist den Ländern kein Deut entgegengekommen. https://www.bibliomedmanager.de/news/lauterbach-wenn-die-reform-nicht-kommt-waere-das-ein-skandal Die Krankenhausgesellschaften haben sogar am gleichen Tag einen Aufruf gegen Lauterbachs Pläne gestartet: https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/1_DKG/1.7_Presse/1.7.1_Pressemitteilungen/2024/2024-01-30_Anlage_Aufruf_der_Krankenhaeuser.pdf

29. Januar: In einer Pressemitteilung fordert Gemeingut gemeinsam mit den Bündnissen Eine Bahn für alle und Eine S-Bahn für alle den sofortigen Abbruch der S-Bahnausschreibung in Berlin. Damit reagieren sie auf neue Informationen zu einer Kostenexplosion bei diesem Privatisierungsvorhaben, von 8 auf 20 Milliarden. https://www.gemeingut.org/kostenexplosion-bei-s-bahn-buendnisse-fordern-sofortigen-stopp-der-ausschreibung/

9. Januar: Das Berliner Sport- und Erholungszentrum (SEZ), ein ikonisches Ostberliner Gebäude, das zudem als Schwimmbad und Erholungsstätte genutzt werden könnte, wurde vor kurzem an das Land Berlin zurückgegeben. Jetzt will das Land es abreißen. Deswegen hat Gemeingut eine Petition zur Rettung des SEZ gestartet und ruft mit Postkarten (bestellbar unter info@gemeingut.org) zum Protest auf. Im Beitrag „Widerstand gegen Abrisspläne am SEZ: ‚Das würden die Menschen hier nie verzeihen‘“ kommt Carl Waßmuth von Gemeingut zu Wort. https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/widerstand-gegen-sez-abrissplaene-das-wuerden-die-menschen-hier-nie-verzeihen-li.2177614 Die Taz zitiert im Beitrag „Jetzt endgültig ausgeplantscht“ Gemeingut-Teammitglied Jorinde Schulz. https://taz.de/Ein-Abrissplan-und-zwei-Petitionen/!5982775/

21. Dezember: Gemeingut fordert die Politik auf, endlich die im Grundgesetz verankerte Vermögensteuer wiedereinzusetzen und die Einnahmen daraus für dringend notwendige Investitionen in die Daseinsvorsorge zu nutzen. Mit Aktionen vor Filialen von LIDL, Aldi und BMW haben Aktive von Gemeingut mit symbolischen Pfändungen von Superreichen begonnen, um auf die Forderung aufmerksam zu machen. https://www.gemeingut.org/vermoegensteuer-gemeingut-pfaendet-lidl-aldi-und-bmw/ Der Freitag veröffentlichte einen Gastbeitrag von Carl Waßmuth zu dem Thema, (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/neue-staatsverschuldung-oder-vermoegensteuer) Ralf Wurzbacher führte mit ihm ein ausführliches Interview (https://www.nachdenkseiten.de/?p=107803).

19. Dezember: In seiner jährlichen Pressekonferenz stellte das Bündnis Klinikrettung seine Bilanz zur Situation der Krankenhäuser in Deutschland im Jahr 2023 vor: 23 Krankenhäuser wurden geschlossen, fast 100 Krankenhäuser sind aktuell von der Schließung bedroht. https://www.gemeingut.org/buendnis-klinikrettung-bilanziert-stockende-krankenhausreform-grassierender-klinikkahlschlag/ Anlässlich der Pressekonferenz berichtete WDR in der Aktuellen Stunde (ab Min. 15:50) über die Schließungen, Jorinde Schulz von Gemeingut kam zu Wort. https://www.ardmediathek.de/video/aktuelle-stunde/aktuelle-stunde-oder-19-12-2023/wdr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLXNvcGhvcmEtYjM1NjBiZDEtOWY0MC00NzBhLWJkZWQtNTkzYWRiNzAxZWU0. Auch MDR und Bayern2 nahmen die Bilanzzahlen in ihre Berichterstattung auf (Sendungen nicht mehr verfügbar). Außerdem wurden Gemeingut und das Bündnis Klinikrettung in Berichten im Tagesspiegel, radioeins, jw und perspektive-online.net zitiert: https://www.tagesspiegel.de/gesundheit/krankenhauskahlschlag-in-deutschland-schliessungen-bedrohen-menschenleben-und-schwachen-kommunen-10949662.html, https://www.jungewelt.de/artikel/465699.gesundheitswesen-masterplan-kliniksterben.html, https://perspektive-online.net/2023/12/wie-die-profitgier-unser-gesundheitssystem-zerstoert/

11. Dezember: Die Varisano Kliniken in Frankfurt-Höchst sind von der Schließung bedroht. Herbert Storn von Gemeingut stellt die Entwicklungen bei Varisano und die Aktivitäten des Bündnisses für eine sichere Gesundheitsversorgung im Main-Taunus-Kreis und Frankfurter Westen dar. https://www.gemeingut.org/ueberall-in-deutschland-sind-die-krankenhaeuser-in-aufruhr-der-fall-varisano-kliniken-frankfurt-hoechst/

30. November: In der neuen „Handreichung für Initiativen gegen eine Klinikschließung“ unterstützt das Bündnis Klinikrettung Initiativen, die sich gegen eine drohende oder beschlossene Krankenhausschließung wehren möchten, mit Empfehlungen und Vorschlägen für Aktionen, Umgang mit politischen Gremien und Pressearbeit. https://www.gemeingut.org/handreichung-fuer-initiativen-gegen-eine-klinikschliessung/

23. November: In einer Pressekonferenz stellte Gemeingut seine Analyse zur Berliner Schulbauoffensive dar. Die Einbindung der landeseigenen, formell privatisierten Wohnungsgesellschaft Howoge hat die Kosten mehr als verzehnfacht. Gemeingut fordert, alle Schulbauverträge mit Howoge aufzuheben und stattdessen den Bau und die Sanierung wieder komplett den Bezirken und der Landesbauverwaltung zu überlassen. https://www.gemeingut.org/kosten-mehr-als-verzehnfacht-howoge-ist-im-schulbau-so-noetig-wie-ein-kropf/ Die Kritik wurde bei Telepolis aufgegriffen: https://www.telepolis.de/features/11-7-Milliarden-Euro-fuer-noch-nix-Berliner-Schulbau-als-Luftbuchung-9539590.html?seite=all

23. November: Am 23. November beriet der Bundesrat über das Krankenhaustransparenzgesetz, am 24. fand eine Bund-Länder-Sitzung zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz statt. Anlässlich dieser Termine organisierte das Bündnis Klinikrettung bundesweite Proteste und initiierte einen Briefmarathon an die Bundesratsmitglieder. https://www.gemeingut.org/krankenhausreform-schreitet-voran-bundesweit-protestieren-buergerinnen-und-krankenhauspersonal-fuer-wohnortnahe-krankenhaeuser/ Unser Protest zeigte Wirkung: Der Bundesrat erhob Einspruch gegen das Gesetz und rief den Vermittlungsausschuss an. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesrat-stimmt-gegen-karl-lauterbachs-transparenzgesetz-fuer-krankenhaeuser-a-f89416d2-19f6-43a2-9325-ba18c8f68326

22. November: Die umstrittene Einstufung der Krankenhäuser anhand von Leveln, und insbesondere das Level 1i, das zu zahlreichen Schließungen führen würde, ist nicht vom Tisch, sondern wird unter teilweise neuem Namen im geplanten Krankenhaustransparenzgesetz eingeführt – das analysiert Laura Valentukeviciute von Gemeingut in Ihrem Artikel. https://www.gemeingut.org/das-level-1i-ist-nicht-vom-tisch-und-die-einteilung-bleibt-weiterhin-gefaehrlich/

Presseberichte über Gemeingut und Bündnisse, in denen Gemeingut aktiv ist

30.11.2023, junge welt: Der Beitrag zitiert Laura Valentukeviciute: „Krankenhäuser seien vielfach unterfinanziert […]. Lauterbachs großspurig angekündigte Reform werde daran nichts ändern. Auch die verhängnisvolle Ausrichtung des Gesundheitswesens an ökonomischen Prinzipien bleibe bestehen. Nach und nach werde die Krankenhauslandschaft auf diese Weise ausgedünnt. Und das mit voller Absicht.“ https://www.jungewelt.de/artikel/464249.gesundheitssystem-das-gewollte-krankenhaussterben.html

24.11.2023, BR: In der Berichterstattung zu Klinikschließungen in Bayern wird die Kritik der bayerischen Aktionsgruppe  gegen Klinikschließungen, Mitglied im Bündnis Klinikrettung, aufgenommen: „Aus Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger sind die Umstrukturierungen vor allem eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung auf dem Land. Immer wieder kritisiert etwa die Aktionsgruppe „Schluss mit Kliniksterben in Bayern“, finanzielle Notlagen, wie die von Diakoneo, dürften nicht darüber entscheiden, welchen bayerischen Einwohnern eine wohnortnahe klinische Versorgung zur Verfügung stehe und welchen nicht. Von Land und Bund fordern sie mehr Geld für kleine Krankenhäuser.“ https://www.br.de/nachrichten/bayern/sterben-auf-raten-kleine-kliniken-muessen-versorgung-reduzieren,TwXwtcZ

03.11.2023, junge welt: Über die Krankenhausschließungen, die Reform und die Wege aus der Krise spricht im Interview Laura Valentukeviciute und stellt die Alternative vom Bündnis Klinikrettung dar: „Erwirtschaften von Rendite muss unmöglich sein“. https://www.jungewelt.de/artikel/462345.kliniksterben-in-der-brd-erwirtschaften-von-rendite-muss-unm%C3%B6glich-sein.html Wenig später veröffentlichte die Röhn-Klinikum AG ihre Bilanz der ersten neun Monate des Jahres 2023: „Der Konzerngewinn wurde um 33,7 Prozent auf 23,8 Millionen Euro verbessert“. https://www.bibliomedmanager.de/news/new654e1b24c9826306331000-rhoen-klinikum-verbessert-konzerngewinn-und-umsatz

November, Blätter für deutsche und internationale Politik: Ulrike Baureithel widmet sich Lauterbachs Krankenhausreform in einer ausführlichen Analyse und greift dabei auch die Kritik des Bündnis Klinikrettung an der Vorhaltefinanzierung und an Lauterbachs Zentralisierungsplänen auf. https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/november/klinikreform-die-kranken-zahlen-die-zeche [Bezahlschranke] Das Bündnis wird ebenfalls in Baureithels Artikel für den Freitag vom 19. Oktober zu den Problemen der geplanten Leistungsgruppen zitiert: „Die Bundesländer können sich also zwischen Pest und Cholera entscheiden. Verteilen sie die Leistungsgruppen auf möglichst wenige Krankenhäuser, müssen die anderen ihr Behandlungsangebot einschränken. Verteilen sie es an viele, gibt es pro Haus zu wenig Geld – und die Schließungen sind vorprogrammiert.“ https://www.freitag.de/autoren/ulrike-baureithel/karl-lauterbach-erfuellt-traeume-von-apothekerlobby-und-co-koelner-seilschaften  [Bezahlschranke]

Krankenhausreform

In mehreren Beiträgen wurde Lauterbach mit den Worten zitiert: „Mehr als 100 Krankenhäusern droht ohne das Gesetz 2024 die Insolvenz.“ In der Nennung der Quelle für die Zahl verzettelt sich das Bundesministerium und nennt mal die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), mal den Deutschen Evangelischen Krankenhausverband. Unsere Recherche ergibt, dass es weder die eine noch die andere Organisation ist: Lauterbach zitiert die Zahlen aus der Jahresbilanz vom Bündnis Klinikrettung, will uns aber nicht nennen.
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/148843/Krankenhausinsolvenz-Bundesgesundheitsministerium-verweist-auf-bestehende-Berechnungen,
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/148613,
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/krankenhausreform-kommt-sie-noch-rechtzeitig,U1R1pLa  

16. Januar, DKG: In einer Pressekonferenz  prognostiziert die Deutsche Krankenhausgesellschaft, dass sich die Krankenhausinsolvenzen im Jahr 2024 verdoppeln und damit auf 80 Insolvenzen anwachsen werden. Außerdem präsentiert sie die Ergebnisse einer von ihr beauftragten Auswirkungsanalyse der geplanten Vorhaltefinanzierung. Die Studie zeigt: Die Vorhaltepauschalen werden genauso wie die DRG-Fallpauschalen fallzahlenbezogen berechnet und werden daher keine Entökonomisierung, aber umso mehr Bürokratie bringen. https://www.dkgev.de/dkg/presse/pressekonferenz/

14. Januar, ZDF: Das Magazin Berlin direkt berichtete über die Krankenhausreform, beispielhaft wurden die geplante Schließung und die Proteste dagegen in Tirschenreuth gezeigt. https://www.zdf.de/politik/berlin-direkt/berlin-direkt-clip-3-628.html

16. November, DGB: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) schaltet sich in die Reformdebatte ein und fordert eine umfassende Finanzierung der Krankenhausreform durch Steuermittel. Er kritisierte: „Das vermeintliche Ziel der Reform, lediglich Überkapazitäten abzubauen, wird der tatsächlichen Versorgungssituation bei weitem nicht gerecht und zielt erkennbar einseitig nur auf die laufenden Diskussionen um Klinikschließungen ab. Daneben ist aber aus gewerkschaftlicher Sicht ebenso der Abbau von Fehl- und Unterversorgung erforderlich. Ziel der Reform muss eine gute Versorgung in Stadt und Land sein. Hier bedarf es jedoch einer dezidierten neuen Krankenhausplanung sowie einer Einbeziehung der Beschäftigten der Krankenhäuser.“ https://www.dgb.de/uber-uns/dgb-heute/sozialpolitik/++co++68458b80-8387-11ee-954d-001a4a160123

15. November, nordkurier.de: Der Beitrag berichtet von der Forderung der Länder an den Bund, eine Überbrückungsfinanzierung für die Kliniken bereitzustellen. Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern Stefanie Drese (SPD) äußert in diesem Zusammenhang: „Wir haben keine Überkapazität, da wir in den 90er Jahren eine Strukturbereinigung hinter uns gebracht haben. Wo wir am 1. Januar 1990 insgesamt 55 Kliniken mit rund 19.000 Betten hatten, sind es heute noch 37 mit gut 10.000 Betten. […] Es muss anerkannt werden, dass für die Qualität der Versorgung auch die Erreichbarkeit von Bedeutung ist.“ https://www.nordkurier.de/politik/krankenhausreform-lauterbach-verschiebt-revolution-2051041

10. November, bibliomedmanager.de: Die Bundesregierung will die Kliniken zentralisieren, weil die Qualität in kleinen wohnortnahen Krankenhäusern angeblich zu schlecht sei. Eine Forsa Untersuchung ergab allerdings, dass die große Mehrheit mit Klinik-Behandlungen zufrieden ist und dass knapp 80 Prozent derjenigen, die in den letzten fünf Jahren im Krankenhaus behandelt wurden, dafür in einem Krankenhaus im Umkreis von 20 Kilometern ihres Wohnortes waren.“ https://www.bibliomedmanager.de/news/49197-die-grosse-mehrheit-mit-klinik-behandlungen-zufrieden

Revolution sieht anders aus

Von Dr. med. Bernd Hontschik

Der Beitrag ist zuerst am 8.12.2023 in der Frankfurter Rundschau erschienen: https://www.fr.de/meinung/kolumnen/revolution-sieht-anders-aus-92719181.html

Krankenhäuser mit dem Rücken zur Wand

Nie zuvor gab es so viel Unruhe und Chaos in der Krankenhauslandschaft unseres Landes. Die Ankündigung einer Revolution vor einem Jahr schien daher überfällig. Als Grundübel benannte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Vergütungssystem der Krankenhäuser, das sogenannte DRG-System: „Es geht darum, dass wir das System der Fallpauschalen systematisch überwinden.“ Insider staunten, schließlich hatte Lauterbach doch maßgeblich zu dessen Einführung im Jahr 2003 beigetragen und es zwanzig Jahre lang verteidigt, bis auch er jetzt endlich erkannte, dass eine Krankenhausfinanzierung nach Fallzahlen und Schwere der behandelten Diagnosen den eigentlichen Auftrag des Gesundheitswesens pervertierte.

Plötzlich waren die Krankenhäuser zu einem ökonomischen Denken in Gewinn- und Verlustkategorien gezwungen. Gewinne machte der, dem es gelang, mit möglichst wenig Personal und möglichst geringen Kosten möglichst viele Kranke in möglichst kurzer Zeit zu behandeln. Verluste machte, wer in erster Linie zeitraubende, empathische Medizin betreiben wollte und erst in zweiter Linie auf die Vergütung achtete. Nicht mehr die Kranken waren Gegenstand der Heilkunst, sondern die Krankheit wurde zum Gegenstand von Fallpauschalen.

Wo diese Fallpauschalen Bilanzgewinne versprachen, da blühten die Abteilungen auf, so etwa in der operativen Augenheilkunde oder der Orthopädie, besonders in der Chirurgie der Wirbelsäule und den Gelenkersatzoperationen. Da explodierten die Fallzahlen. Wo die Fallpauschalen regelmäßig zu Defiziten führten, verkümmerten die Abteilungen und wurden reihenweise geschlossen, so etwa in der Kinderheilkunde oder den Entbindungsstationen. Mit Medizin hatte das alles fortan nichts mehr zu tun.

Das System der Fallpauschalen ist aber nicht allein dafür verantwortlich, dass in den vergangenen vier Jahren knapp sechzig Krankenhäuser geschlossen wurden und über siebzig akut von Schließung bedroht sind. Der zweite Grund ist, dass sämtliche Landesregierungen allesamt über Jahrzehnte ihren gesetzlichen Auftrag ignorierten, in die Krankenhaussubstanz zu investieren. Sie ließen ihre Krankenhäuser sozusagen verhungern und eines nach dem anderen in die Schuldenfalle laufen. Und so kommt es, dass heute knapp siebzig Prozent der Kliniken ihre Existenz akut gefährdet sehen. Fast kein Krankenhaus kann seine Ausgaben aus den laufenden Einnahmen decken. Die Situation der Krankenhäuser ist also im ganzen Land dramatisch.

Doch halt: Da gibt es noch die privaten Klinikkonzerne. Dort ist gar keine Rede von Schließungen oder von Unterdeckung der laufenden Ausgaben. Im Gegenteil: Die vier größten Konzerne expandieren ständig und erwirtschaften im Jahr rund eine Milliarde Gewinn für ihre Aktionäre. Wie geht das denn? Das Rätsel ist schnell gelöst: Kündigung der Tarifverträge, Outsourcing aller nichtmedizinischen Leistungen, Personalverknappung über Schmerzgrenzen hinaus und Konzentration auf lukrative Leistungen, mit anderen Worten: Kosten senken und Einnahmen steigern. Medizin wird nur noch in lukrativen Sektoren betrieben. Ein allgemeiner Versorgungsauftrag im Sinne einer öffentlichen Daseinsvorsorge gilt für börsennotierte Konzerne nicht.

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Weitere Informationen zu Dr. Hontschik: https://chirurg.hontschik.de/
Aktuell im Handel ist sein Buch „Heile und herrsche! – Eine gesundheitspolitische Tragödie“, Westend Verlag.

Alte Leier: Busses vergebliche Reanimation der Krankenhausreform

Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung

Morgen stellt der Gesundheitsökonom Reinhard Busse seine neue Studie zur Veröffentlichung von Qualitätsdaten in der künftig zentralisierten Krankenhausversorgung vor. In der Studie geht es um die Sterblichkeit und Komplikationen bei einer engen Auswahl von Behandlungen. Diese Daten sollen in einem Transparenzregister erfasst werden, das den PatientInnen die Krankenhauswahl erleichtern und damit auch ihre Behandlung verbessern soll.

Das Transparenzregister gehört zur Zentralisierungsstrategie von Lauterbachs Krankenhausreform, die Busse maßgeblich geprägt hat. VertreterInnen von PatientInnen und kleinen Krankenhäusern blieben vom Reformprozess ausgeschlossen, was sich im Charakter des Reformvorhabens deutlich wiederspiegelt. Das Bündnis Klinikrettung, das zahlreiche lokale Initiativen gegen Krankenhausschließungen vereint, kritisiert, dass in der Studie ein sehr eng gefasstes Verständnis von Qualität der Krankenhausversorgung zugrunde gelegt wird. Kleine Krankenhäuser der Grundversorgung werden abgewertet, obwohl es sie im ländlichen Regionen dringend braucht.

Das Bündnis Klinikrettung hat ein Flugblatt mit acht Beispielen erstellt, die aufzeigen, warum wohnortnahe Kliniken unentbehrlich und unersetzbar sind: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/Warum-wohnortnahe-Kliniken-unentbehrlich-sind_Faltblatt_Gemeingut.pdf

Laura Valentukeviciute, Sprecherin vom Bündnis Klinikrettung:
„Mit der neuen Studie singt Busse seine alte Leier. Bereits 2019 verbreitete er als Lobbyist für die Bertelsmann-Stiftung einen verengten Qualitätsbegriff, um kleine Häuser schlechtzureden – mit den gleichen, vielfach widerlegten Argumenten. Aus seinen Interviews ist seine Ignoranz gegenüber den Nöten der Menschen auf dem Land bekannt, die ihr Krankenhaus durch seine Zentralisierungskonzepte einfach nicht mehr rechtzeitig erreichen werden. So ist es auch konsequent, dass er seine Studie gemeinsam mit einem Uniklinikleiter vorstellen möchte, dem die Realität der kleinen Krankenhäuser ebenso wenig bekannt sein dürfte.“

In seiner Studie hat Busse die Sterblichkeit nach der Behandlung von Herzinfarkt, Schlaganfall und Pneumonie sowie Komplikationen nach Hüftersatz und Gallenblasenbehandlung untersucht.

Dazu Joachim Flämig, Facharzt für Allgemeinmedizin, Vorstandsmitglied der Initiative „Rettet unsere Krankenhäuser Rosmann Breisach“:
„Zwar hat Herr Busse seine Krankheitenliste mittlerweile etwas erweitert, aber viele Krankheiten, vor allem häufige, lässt er auch jetzt völlig außer Acht. Ökonomen neigen dazu, Kosteneinsparungen nach vorne zu stellen, aber als Arzt weiß ich, dass in vielen Notfällen eine Versorgung innerhalb von 30 Minuten lebensentscheidend ist. Sei es, weil häufig nur die schnelle Diagnosesicherung und Erstversorgung das Überleben sichern kann, wie bei inneren Blutungen oder Herzinfarkt. Oder sei es, weil nur die zügige Erstuntersuchung eine lebensgefährliche Verschlimmerung verhindern kann, wie bei Blutvergiftung oder Gehirntrauma. Wohnortnahe Allgemeinkrankenhäuser bieten hierfür das notwendige Knowhow: Erfahrung, technische Ausstattung, Rettungswagen, Notaufnahmestation und Intensivmedizin. Außerdem sind sie täglich 24 Stunden erreichbar. Busses enger Fokus auf die Sterblichkeit verkennt zudem vollkommen, dass die PatientInnen, die das Krankenhaus nicht mehr rechtzeitig erreichen, in seinen Statistiken gar nicht vorkommen. Wir brauchen das Krankenhaus vor Ort – es geht um Leben und Tod.“

Laura Valentukeviciute weiter:

„In die Liste der Krankheiten hat Herr Busse auch die Pneumonie aufgenommen. Diese Krankheit ist die fünfthäufigste Todesursache in Deutschland. Es bleibt Busses Geheimnis, wie er eine so große Zahl von PatientInnen in noch weniger Kliniken behandeln will. Pneumonie kann in einem Krankenhaus in Wohnortnähe sehr gut behandelt werden, die PatientInnen müssen nicht mit weiten Wegen und langen Wartezeiten in Großkliniken noch zusätzlich belastet werden. Ohnehin findet bei Komplikationen eine Verlegung dorthin statt. In der Regel benötigen die PatientInnen Zeit und Ruhe und können wohnortnah am besten versorgt werden. Die Realität sieht anders aus als Busses am Reißbrett entworfene „Qualitätsverbesserung“ durch das Transparenzgesetz. So ist aktuell geplant, eine dringend benötigte Lungenklinik in Donaustauf zu schließen. Wer wirklich die Qualität verbessern will, sollte hier eingreifen und solche Schließungen stoppen und sich nicht in statistischen Luftschlössern verschanzen.“

Hintergrund

Faltblatt „Warum wohnortnahe Kliniken unentbehrlich sind“: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/Warum-wohnortnahe-Kliniken-unentbehrlich-sind_Faltblatt_Gemeingut.pdf

 

Bündnis Klinikrettung bilanziert: Stockende Krankenhausreform, grassierender Klinikkahlschlag

Das Bündnis Klinikrettung präsentierte heute in einer Pressekonferenz seine Jahresbilanz zur Situation der Krankenhäuser in Deutschland. Seit Januar schlossen 22 Krankenhäuser mit insgesamt 5.400 Beschäftigten, deutlich mehr als in den Vorjahren. Fünf der Schließungen standen im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren. Fast 100 Krankenhäuser sind aktuell von der Schließung bedroht. Das Bündnis Klinikrettung kritisiert, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach den Kahlschlag bewusst geschehen lässt und mit seiner Reform noch verschärft.

Ausführliche Schließungsbilanz 2023: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/12/1_Jahresbilanz-Krankenhausschliessungen-2023_Buendnis-Klinikrettung.pdf
Aktuelle Schließungskarte: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/12/3_Karte-Krankenhauskahlschlag_Jahresbilanz-Krankenhausschliessungen-2023.pdf

Die ExpertInnen aus dem Bündnis Klinikrettung erläuterten die Funktionsweise und Auswirkungen der geplanten Vorhaltefinanzierung und warfen einen kritischen Blick auf die vorgesehenen Leistungsgruppen.

Klaus Emmerich, Klinikvorstand im Ruhestand:
„Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat den Krankenhäusern mittels Vorhaltebudgets eine leistungsunabhängige Krankenhausfinanzierung und mehr finanzielle Sicherheit versprochen. Das Gegenteil ist der Fall. Die aktuelle Unterfinanzierung der Krankenhäuser im Umfang von monatlich 650 Millionen Euro soll fortgesetzt werden. Das Vorhaltebudget wird an Leistungsgruppen gekoppelt, die nur limitiert vergeben werden und die strenge Strukturmerkmale voraussetzen. Wer die Strukturmerkmale nicht einhalten kann, ist von der Leistungserbringung und Leistungsabrechnung ausgeschlossen. Der Ruin kleiner Krankenhäuser ist vorprogrammiert und wird bewusst in Kauf genommen. Dem bisherigen kalten Strukturwandel folgt jetzt systematische Klinikschließung.“

Vollständige Analyse der Vorhaltefinanzierung: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/12/5_Vorhaltefinanzierung_Klaus-Emmerich_Jahresbilanz-Krankenhausschliessungen-2023.pdf

Bei der Einführung der Leistungsgruppen orientiert sich Deutschland – nach Empfehlung der Gesundheitsökonomen – an der Schweiz. Dort wurde zwischen 2009 und 2012 eine Krankenhausreform umgesetzt, bei der die Kantone die in der Reform vorgesehenen Leistungsgruppen Schritt für Schritt einführten. Die Erfahrungen aus über zehn Jahren zeigen, dass die Leistungsgruppensystematik und besonders die enge Verknüpfung von Qualitätsbegriff und Mindestfallzahlen umstritten sind und zu vielen juristischen Prozessen geführt haben.

Laura Valentukeviciute, Sprecherin vom Bündnis Klinikrettung:
„Seit der Einführung der Reform in der Schweiz wurden und werden viele Prozesse gegen die Aberkennung der Leistungsgruppen und somit die Schließung der Fachabteilungen vor Gericht ausgefochten. Auch die Schweizer Krankenhausgesellschaft rät in Ihren Stellungnahmen davon ab, Strukturmerkmale wie Mindestfallzahlen als Kriterien für gute Qualität zu nutzen. Deshalb fordern wir die PolitikerInnen in Deutschland dazu auf, sich nicht vom Beispiel der Schweiz blenden zu lassen, sondern von der Schweiz zu lernen und hierzulande keine Leistungsgruppen einzuführen.“

Probleme der Leistungsgruppen am Beispiel Schweiz: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/12/6_Leistungsgruppen_Laura-Valentukeviciute_Jahresbilanz-Krankenhausschliessungen-2023.pdf

Das Bündnis Klinikrettung hat eine Liste von Petitionen gegen Schließung, Privatisierung und Ausdünnung der Krankenhausversorgung erstellt. Rund 1,3 Millionen Menschen haben bei insgesamt 80 Petitionen unterschrieben. Die Liste ist hier zu finden: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/12/4_Uebersicht-Petitionen_Jahresbilanz-Krankenhausschliessungen-2023.pdf

Die gesamte Pressemappe kann man hier herunterladen: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/12/2023-19-12_Jahresbilanz-Krankenhausschliessungen-2023_Pressemappe.pdf

Krankenhäuser in Aufruhr – der Fall Varisano Kliniken Frankfurt Höchst

Von Herbert Storn

Varisano Kliniken Frankfurt Höchst ist ein kommunales Unternehmen, das aufgrund der Unterfinanzierung, des Missmanagements und der politischen Inkompetenz in Schwierigkeiten geraten ist und jetzt von Schließung bedroht ist. Das Bündnis für eine sichere Gesundheitsversorgung im Main-Taunus-Kreis und Frankfurter Westen wehrt sich dagegen. Im Beitrag werden die Entwicklungen zum Klinikverbund Frankfurt-Main-Taunus und die Aktivitäten des Bündnisses dargestellt. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind für die Auseinandersetzungen um Klinikschließungen und die Unterordnung von Gesundheit unter Renditegesichtspunkte in Deutschland – wie sie von Gemeingut in BürgerInnenhand und vielen anderen kritischen Organisationen geführt werden – durchaus verallgemeinerbar.

Varisano Kliniken Frankfurt Höchst – Hofheim – Bad Soden

Unter der neuen Dachmarke Varisano firmieren seit November 2021 nicht nur die drei Krankenhaus-Standorte Frankfurt Höchst, Bad Soden und Hofheim, sondern auch die Seniorenresidenz in Eppstein, das Bildungszentrum des Klinikverbundes, ein Catering-Dienstleister mit Sitz in Kelkheim und Medizinische Versorgungszentren MVZ Bad Soden, MVZ Frankfurt Höchst und MVZ Hofheim. Sie sind bisher meist als Einzelunternehmen wahrgenommen worden, was sich durch die neue Dachmarke ändert. (Varisano vom 23.11.2021)

Überblick und Historie

Das Klinikum Frankfurt Höchst ist nach der Universitätsklinik Frankfurt am Main, zu deren akademischen Lehrkrankenhäusern es gehört, das zweitgrößte Krankenhaus in Frankfurt. Angeschlossen sind Schulen für Krankenpflege, Medizinisch-technische Assistenten, Physiotherapie, Ergotherapie und seit August 2012 operationstechnische Assistenten. Es befindet sich im westlichen Frankfurter Stadtteil Höchst. 1858 gegründet hat es aktuell 968 Betten und 44 tagesklinische Plätze, rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon 300 Ärztinnen und Ärzte und einen Jahresetat von 170 Mio. Euro (Homepage, abgerufen am 25.11.2023)

Seit der Eingemeindung der Stadt Höchst 1928 wurde das Klinikum als einziges der Frankfurter Krankenhäuser als städtischer Eigenbetrieb geführt, während die übrigen zumeist in Trägerschaft von Stiftungen, Vereinen oder gemeinnützigen Gesellschaften standen. Zum 1. Januar 2010 ging es in die private Rechtsform einer bereits ein Jahr vorher gegründeten Gemeinnützigen GmbH über, deren alleinige Gesellschafterin jedoch weiterhin die Stadt ist. Damit einher ging die Namensänderung von Städtische Kliniken Frankfurt a.M.-Höchst zu Klinikum Frankfurt Höchst.

2016 wurde der kommunale Gesundheits-Verbund Kliniken Frankfurt-Main-Taunus als gemeinsame Dachgesellschaft gegründet: Eine eng vernetzte Zusammenarbeit der Krankenhäuser in Bad Soden, Hofheim und Frankfurt Höchst. 2021 wurde das neue Logo Varisano eingeführt.

(Zu den umfangreichen und kostspieligen Umbaumaßnahmen findet sich hier eine Übersicht)

Die Kliniken des Main-Taunus-Kreises

Das Krankenhaus Hofheim wurde 1905 als Ordens-geführtes „Marienheim“ gegründet, 1929 zum St. Marien-Krankenhaus ausgebaut und 1974 vom Main-Taunus-Kreis übernommen. Im Herbst 2016 wurde der Neubau des Krankenhauses Hofheim fertiggestellt.

Das Krankenhaus Bad Soden ist im April 1970 als Kreiskrankenhaus eröffnet worden. 1984 erfolgte die Gründung der Krankenpflegeschule. 1995 wurde die GmbH Kliniken des Main-Taunus-Kreises gegründet. Die Fachklinik Hofheim GmbH ist seit 1997 eine Tochtergesellschaft der Kliniken: Die Gebäude werden derzeit genutzt als Standort der Psychiatrischen Institutsambulanz und Tagesklinik.

Die Seniorenresidenz Main-Taunus-Kreis am Ortsrand von Eppstein wurde 2001 in die Kliniken integriert – zuvor war sie ein Altenheim des Main-Taunus-Kreises.

Die Main-Taunus-Privatklinik GmbH ist seit Sommer 2003 Tochtergesellschaft der Kliniken: Sie befindet sich seit 2009 in einem eigenen Gebäude am Krankenhaus-Standort Bad Soden.

Geschichte des Widerstands gegen die Umstrukturierungen und Schließungen

Seit 2012 hat sich die Frankfurter Attac-AG „Privatisierung- nein!“ in die Auseinandersetzungen um die Umstrukturierungen eingeschaltet. Anlass war die Privatisierung der Klinikapotheke (hier ist das Outsourcing-Schema für die Apotheke zu sehen).

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Presseerklärung der Attac-AG Privatisierung-nein! vom 27.01. 2021

Outsourcing der Klinikapotheke am Krankenhaus Frankfurt-Höchst

Privatisierung in Salamitaktik – trotz Versicherung des Grünen Gesundheitsdezernenten in Frankfurt, keine weiteren Privatisierungen zu unterstützen

Obwohl der Frankfurter Gesundheitsdezernent attac gegenüber erklärt hat, Privatisierungen nicht weiter zu unterstützen, läuft das Ausschreibungsverfahren für die Klinikapotheke am Klinikum Frankfurt Höchst, das als gemeinnützige GmbH in der Trägerschaft der Stadt Frankfurt Teil des kommunalen Klinikverbunds der Region, der Kliniken Frankfurt Main-Taunus GmbH, ist.

Die Ausschreibung hat das Ziel, die Klinikapotheke an einen privaten Anbieter zu geben.

Nicht nur attac sieht dies als „Privatisierung in Scheibchen“ oder als „Salamitaktik“, wie es mit vielen anderen Bereichen von kommunalen Kliniken in Deutschland bereits geschehen ist. Auch Corona scheint solchen Privatisierungsplänen nichts anhaben zu können.

Das Ganze geht zu Lasten der Patienten, insbesondere jener, die auf Zytostatika (Krebsmittel) angewiesen sind. Bisher konnte die Chemotherapie bei diesen schwerkranken Menschen jeweils an einem Tag durchgeführt werden, im Fall der Auslagerung müssen sie mindestens zweimal anreisen.

Aber auch die Allgemeinheit muss die renditeorientierte Verlagerung eines Gemeinguts auf eine private Apotheke bezahlen.

Der zuständige Ortsbeirat 6 hat inzwischen eine einstimmige (!) Erklärung verabschiedet, in welcher er das Outsourcen der Klinikapotheke in Frage stellt und Transparenz und Mitentscheidungsmöglichkeiten einfordert. (Antrag des Ortsbeirats zur Vorstellung der Varisano-Restrukturierung )

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Presseerklärung zur Aktion am 26.1.2022 – dem „Tag der PatientInnen“ vor dem Klinikum Frankfurt Höchst

Im Rahmen der Aktionen von Gemeingut in BürgerInnenhand und dem Bündnis Klinikrettung am Tag der PatientInnen am 26.1.2022 nutzt auch die Attac-AG Privatisierung-nein! Frankfurt am Main die Gelegenheit, erneut auf die Privatisierungsschritte am Klinikum Frankfurt Höchst aufmerksam zu machen.

Wir wollen daran erinnern, dass neben dem von der Bundesregierung finanziell unterstützten Kliniksterben auch die Privatisierung von Kliniken weitergeht. Oft geschieht dies scheibchenweise, z.B. durch Ausgliederungen einzelner Abteilungen oder Dienste an private Firmen.

So hat die Ausgliederung der Klinikapotheke am Krankenhaus Frankfurt-Höchst an eine private Großapotheke bereits begonnen.

Dies geschieht gegen den Rat von Fachleuten, die, wie beispielsweise der Verband der Klinikapotheken, dafür eintreten, die Klinikapotheke als integralen Bestandteil eines Krankenhauses zu behandeln – im Interesse der bestmöglichen Versorgung der PatientInnen mit den je spezifischen Medikamenten in Abstimmung mit den ÄrztInnen. Im niedersächsischen Krankenhausgesetz ist dies seit dem 1.1.2022 vorgeschrieben:

In jedem Krankenhaus ist spätestens ab dem 1. Januar 2022 sicherzustellen, dass in ausreichender Zahl Apothekerinnen oder Apotheker als Beratungspersonen für die Stationen eingesetzt werden (Stationsapothekerinnen oder Stationsapotheker).“ (§ 19 NSKHG)

Die Attac-AG Privatisierung-nein! Frankfurt am Main hat die Frankfurter Stadtverordneten und das Gesundheitsdezernat mehrfach – auch öffentlich – auf diesen unverständlichen Verkauf der Klinikapotheke auf Kosten des Wohls der PatientInnen hingewiesen, bisher vergeblich. Damit wird im Übrigen auch eine Einnahmequelle für das Klinikum aus der Hand gegeben.

Wir erklären hiermit noch einmal klar und deutlich:

Klinikschließungen und Privatisierungen, auch in kleinen Schritten, dienen nicht dem PatientInnenwohl, sondern ermöglichen privaten Anbietern Gewinne.

In Frankfurt am Main protestieren wir heute erneut gegen die Ausgliederung der Klinikapotheke an eine private Großapotheke.

Kliniken gehören als Gemeingüter der Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand und müssen auskömmlich finanziert werden. Die Apotheke gehört zurück zur Klinik!“

Zusammen mit Gemeingut in BürgerInnenhand und dem Bündnis Klinikrettung weisen wir auch auf die Petition „Bundesweite Krankenhausschließungen jetzt stoppen!“ hin, die am 22. Februar an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach übergeben werden soll, der sie als Bundestagsabgeordneter am 30. Mai 2021 selbst unterschrieben hat.

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Vorbereitung der Pressekonferenz am 28.8.2023: Argumente und Ideensammlung

Mit Salamitaktik in die Privatisierung

  • Mit der Privatisierung und Auslagerung der Klinikapotheke soll Raum für die Vermietung an MVZ bereitgehalten werden.
  • Stadtverordnetenversammlung hat Ende 2021 beschlossen, dass der Outsourcing-Beschluss noch einmal überprüft werden soll. Dazu gab es auch einen einstimmigen Beschluss des Ortsbeirats
  • Outsourcing seit 2018 geplant (Geschäftsführer Martin Menger)
  • Unlogische und schlicht falsche Argumentation (Klinikapotheke sei Zuschussbetrieb).
  • Die Argumentation in der „Antwort des Magistrats“ auf eine schriftliche Anfrage vom 29.10.2020 könnte von der privaten Apotheke oder einem beauftragten Beratungsunternehmen verfasst sein.

Widersprüche

  • Krankenhaus Höchst in Passivhausbauweise als gefeiertes Prestigeprojekt und gleichzeitig 3 Fahrten pro Tag von der Apotheke in Offenbach nach Frankfurt-Höchst und zurück
  • Klinikapotheken gehören zur Klinik: Pilotprojekt in Darmstadt gestartet 26.5.2021

Ökonomie, Rendite und Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund

  • Geschäftsführern überlässt man die Strukturentscheidungen, die auch noch häufig wechseln.
  • Die Geschäftsführer kommen aus dem privaten Kliniksektor (insbesondere Martin Menger)
  • Auch der Aufsichtsratsvorsitzende Harald Schmidt (seit 2016, bis 2026 bestätigt) kommt aus einem der großen privaten Beraterkonzerne: Er leitete den Gesundheitssektors bei der PricewaterhouseCoopers Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und betreute dort bundesweit Krankenhäuser, Krankenhauskonzerne und Pflegeeinrichtungen; darüber hinaus war er als Gutachter tätig.
  • Konzepte werden nicht öffentlich kommuniziert
  • Tarifbindung fehlt weitgehend. Folge: Personal schwer zu gewinnen.

Transparenz und Mitbestimmung – Fehlanzeige (vordemokratische Verhältnisse)

  • Intransparente Strukturen z.B. werden MitarbeiterInnen eingestellt und zwar über eine Subgesellschaft „Gesundheitsakademie“, welche die Leute an verschieden Kliniken abordnet!

Die Baugeschichte ist schon ein einziger Skandal

  • Ursprünglich 173 Mio € veranschlagt, jetzt ist man bei über 300 Mio € (fast Verdoppelung – über 70 Prozent bereits jetzt) – Chaos

13 Jahre und kein Ende

  • 2010 politischer Auftrag gleichzeitig wird aus dem Eigenbetrieb eine gGmbH
  • 2016 erster Spatenstich, Fusion zu Verbund 2016 auf Grundlage von KPMG-Analyse von 2014,

November 2021 Umbenennung in Varisano

  • 4.2.2023 Eröffnung des Neubaus (über 200 Millionen Euro – es folgt der zweite Bauabschnitt). 20 Millionen Euro sollen aus dem laufenden Klinikbetrieb entnommen werden!
  • Im März 2021 wird der Magistratsvorlage zum Neubau 2. Bauabschnitt Frankfurt/Main-Höchst zugestimmt.

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Erkenntnisse aus der politischen Arbeit gegen die Ökonomisierungspolitik im Klinikverbund – eine Einschätzung, 24.10.2023

Vorbemerkung:

Die folgenden Erkenntnisse dienen nicht dazu, Ohnmacht zu erzeugen, sondern dazu, diese zu überwinden. Dazu gehört vor allem Transparenz – sofort und umfassend – und der kritische Diskurs, wo immer er gewünscht wird. Das sollten Selbstverständlichkeiten sein! Um sie muss trotzdem gerungen werden.

Der Raub der Gemeingüter wird durch folgende Faktoren begünstigt

  1. Verzögern/Hinhalten/Abwarten:
  • Verzögerung des „Restrukturierungskonzepts“ der KPMG
  1. Ausreden, Verweise auf andere Regelungen, die nicht beeinflusst werden können oder noch ausstehen
  • Verweis auf das Lauterbachsche „Krankenhaus-Versorgungs-Verbesserungsgesetz“, das noch abgewartet werden müsse
  1. Empörung gegen Kritikerinnen und Kritiker
  • Die Kritiker seien schuld, wenn die Klinik „ins Gerede kommt“.
  1. Salamitaktik oder: der Frosch wird langsam heiß gekocht
  • Schleichende Leistungseinschränkung, z.B. bei der Notfallversorgung
  • Auslagerungen von Abteilungen
  • Die Privatisierung der Klinikapotheke beim KH FFM-Höchst sei keine Privatisierungspolitik (ehemaliger grüner Gesundheitsdezernent FFM)
  1. Transparenz wird gescheut

Dafür gibt es verschiedene Methoden:

  • Es geht mit der Kompetenz los: reicht diese bei Parlamentarierinnen und Parlamentariern für die übernommene Aufgabe?
  • „Wir sind fürs operative Geschäft nicht zuständig/befugt“
  • Privat = geheim
  • Betriebsrat steht auf Seiten der Geschäftsführung
  • Geschäftsführer gemeinwirtschaftlicher Unternehmen kommen aus dem Privaten Sektor oder sind gar heimliche Lobbyisten
  1. Ungenügende kritische Öffentlichkeit
  • Es gibt i.d.R. nur wenige Menschen, die einmalig und erst recht längerfristig zuhören und sich mit der Ökonomisierungspolitik kritisch befassen können und wollen.
  • I.d.R. sind es NGOs, die aber noch andere Themen bearbeiten. Oder es sind Politikerinnen und Politiker und damit Parteien, wo Themen ebenfalls konkurrieren oder gar mit Parteiinteressen konfligieren (s.o. Lauterbach, SPD, Berliner Koalition) So sind beispielsweise 2 von 6 Aufsichtsratsmitgliedern bei Varisano von der FDP.
  • Die Medien sind sowohl ein Teil der Lösung wie Teil des Problems (Totschweigen oder Aufgreifen von Kritik, Skandalisierung versus Strukturkritik.)

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Presseerklärung

Zur kritischen Lage der Klinik Frankfurt-Höchst im Klinikverbund Varisano anlässlich der Stadtverordnetenversammlung am 02.11.2023

Transparenz und der kritische Diskurs, das sollten Selbstverständlichkeiten sein! Warum werden sie in Frankfurt am Main nicht eingelöst?“ fragen die attac-Vertreterin Inge Fichter und Gerhard Velten im „Bündnis für eine sichere Gesundheitsversorgung im Main-Taunus-Kreis und Frankfurter Westen“.

Unbeantwortete Fragen nach „überraschendem“ Sanierungsbedarf

Nachdem in der letzten Stadtverordnetenversammlung am 28. September 2023 zwar 47 Mio. Euro an Sofortzuschüssen zur Insolvenzabwendung der Höchster Klinik (Varisano) beschlossen wurden sowie weitere 90 Millionen Euro für 2024 anvisiert wurden, stehen immer noch die von der Linken gestellten Fragen unbeantwortet im Raum:

  • Wie kann es sein, dass Stefan Majer als Gesundheitsdezernent der Grünen und zugleich Aufsichtsratsmitglied von der drohenden Insolvenz des Klinikverbundes so überrascht wurde?
  • Wer ist hier seinen Aufgaben nicht nachgekommen?
  • Hat der damalige Geschäftsführer den Aufsichtsrat nicht über die Risiken informiert und zusätzlich die wahren Zahlen verschleiert?
  • Und wieso ist dies dem Aufsichtsrat nicht aufgefallen?
  • Wie stand es um die monatliche Berichtspflicht?
  • Gibt es ein Testat der Wirtschaftsprüfer?

Öffentlichkeit, Beschäftigten und Patientinnen und Patienten haben ein Recht auf Transparenz und Gehör. Denn hinter den Kulissen wird in einem heimlichen Prozess und scheibchenweise ein umfangreicher Leistungsabbau betrieben:

  • Der Klinikverbund musste schon Strafzahlungen in Höhe von 54.564 Euro vornehmen, weil die Zahl der gesetzlichen Personaluntergrenze mehrfach unterschritten wurde. Unzumutbare Belastungen und Abwanderung von Personal sind die Folgen.
  • Die Stroke Unit und die Notfallversorgung in Hofheim gibt es faktisch schon lange nicht mehr; sie wird ständig im Meldesystem IVENA abgemeldet.

Trotz gegenteiliger Beteuerung des letzten Gesundheitsdezernenten Majer schreitet die Privatisierung schrittweise voran:

So wurde der Vertrag mit der Dialyse schon vor Jahren gekündigt. Letztes Beispiel war die auch unternehmerisch völlig unsinnige Privatisierung des „Goldesels“ Klinikapotheke.

Die Stadt Frankfurt ist aber Eigentümerin der Höchster Klinik und baut sie für teures Geld um. Gleichzeitig behaupten städtische Vertreter im Aufsichtsrat, die Stadt habe faktisch keinen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der Klinik. Das geht nicht zusammen!

Bündnis für eine sichere Gesundheitsversorgung im Main-Taunus-Kreis und Frankfurter Westen gegründet

Weil die Existenz der Kliniken auf dem Spiel steht, hat sich das „Bündnis für eine sichere Gesundheitsversorgung im Main-Taunus-Kreis und Frankfurter Westen“ gegründet und eine Petition und Unterschriftensammlungen gestartet.

Weiterführende Informationen:

Übersicht Geschäftsführung, Aufsichtsrat und Betriebsrat

„Wir müssen uns das Geld von den Superreichen holen!“

Das Interview ist am 6. Dezember 2023 auf NachDenkSeiten erschienen. Wir danken Ralf Wurzbacher und den NachDenkSeiten für die Genehmigung zur Veröffentlichung.

Das Etaturteil des Bundesverfassungsgerichts lässt die Ampel wanken. Schuldenbremse kippen oder noch mehr Sozialkahlschlag? Es gibt eine bessere Alternative, meint Carl Waßmuth vom Verein Gemeingut in BürgerInnenhand. Kassiert bei denen ab, die seit 25 Jahren Kasse machen – dank Spardiktaten, Privatisierungen und Schattenhaushalten. Im Interview mit den NachDenkSeiten spricht er Klartext: „Schluss mit dem Verfall der Daseinsvorsorge und her mit einer fetten Vermögenssteuer.“ Dafür müsse man nur noch das politische Personal auf Linie bringen. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.

Herr Waßmuth, das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts schafft laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „neue Realitäten“. Besieht man sich die jetzt von der Ampelkoalition diskutierten Rezepte, mit denen sie über Nacht etliche Milliarden Euro im 2024er Bundeshaushalt einsparen will, dann läuft es augenscheinlich auf weitere Kürzungen beim Sozialen hinaus, etwa beim Bürgergeld, der Rente oder der Migration: Was wäre daran so neu?

Ich finde es interessant, wie es gelungen ist, dass jetzt über die Schuldenbremse diskutiert wird und über sogenannte neue Realitäten. Stellen Sie sich vor, die Ampelregierung hätte nicht zu tricksen versucht, sondern wäre gleich losgegangen auf die Kürzungen von Sozialleistungen. Welche Diskussion hätten wir dann? Ich behaupte mal, dann wären Hunderttausend auf der Straße, Gewerkschaften und Sozialverbände würden Sturm laufen wie vor der Einführung der Hartz-Gesetze.

Nun bringt die Koalition aber auch selbst Opfer. Die sogenannte Aktienrente, ein Lieblingsprojekt der FDP, soll nun doch nicht kommen – vorerst. Freut Sie das nicht?

Beim Suchen nach den verlorenen Milliarden ist aufgefallen, dass der Staat trotz seiner Schulden auch Geld in Aktien anlegen will. Man wollte angeblich mit Schulden für die Rente spekulieren, tatsächlich ging es um den Einstieg in die Rentenprivatisierung. Das Modell war auch vor dem Karlsruher Urteil schon absurd! Aber als FDP-Baby haben Grüne und SPD das für den Koalitionsfrieden toleriert. Aber jetzt sind die Koalitionspartner aneinandergeraten und da wurde das Ding kassiert. Wenn die Opposition so schwach ist wie bei uns im Bundestag, muss man sich freuen, wenn die Regierung sich streitet.

Aber es wird noch besser: Die Schuldenbremse wackelt. Die entsprechenden Vorschläge reichen von Aussetzung über Modifizierung bis hin zur kompletten Abschaffung. Das haben Sie und Ihre Mitstreiter doch stets gefordert.

Schuldenbremse war seit jeher Orwell’sches Neusprech. Das Ding ist ein Instrument, um Geld umzuverteilen von unten nach oben. Es wurden ja viele neue Staatsschulden gemacht, seit dieses Kreditaufnahmeverbot im Grundgesetz steht! Nur waren das Schulden in teuren Schattenhaushalten, für diese ganzen Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft und bei der Deutschen Bahn. Nicht in den offiziellen Haushalten, wo ab 2007/08 Niedrigzinsen und dann Nullzinsen herrschten. Offizielle Staatsschulden haben den Banken nach der Finanzkrise nichts mehr eingebracht und so wurden sie mit einem quasireligiösen Bannstrahl belegt. Inzwischen wurden die offiziellen Zinsen von der Europäischen Zentralbank schlagartig hochgesetzt. Und prompt werden offizielle Staatsschulden wieder freundlich betrachtet.

In der Nullzinsphase hätte der Staat allerhand nachholen können, was über Jahrzehnte vernachlässigt wurde, Stichwort: Investitionstau. Warum wurde das unterlassen?

Ja, wir könnten jetzt ein reiches Land sein, mit brummender Wirtschaft und breiten Daseinsvorsorgeleistungen für alle! Und mit hohen Steuereinnahmen. Es kommt eben unbedingt darauf an, was man mit den Schulden macht. Und wie der Staat mit dem öffentlichen Vermögen umgeht, wie er seine Einnahmen und Ausgaben steuert. Das öffentliche Vermögen in Deutschland, also alle Werte zusammen, abzüglich aller Schulden, wurde durch die neoliberale Politik zwischen 1970 und 2020 mehr als halbiert. Und zwar nicht infolge von Schulden. Nein, man hat die Einnahmen verringert, zum Beispiel durch das Aussetzen der Vermögenssteuer 1997. Und es wurden riesige Vermögenswerte privatisiert, weit unter Wert verkauft. Die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge hat man verfallen lassen, obwohl Deutschland sich gratis hätte Geld leihen können, um zu investieren.

Warum das alles? Aus Sicht der Menschen im Land ist das doch offensichtlich blödsinnig. Weswegen wurden Schulden nur über teure Schattenhaushalte aufgenommen? Ich sage mal, so konnten die Reichen durch staatliches Handeln reicher werden. Die Reichen sind ja die Gläubiger der Schattenhaushalte und streichen deren enormen Zinsen ein. Sie profitieren auch von den Privatisierungsprozessen, die erforderlich sind, um Schattenhaushalte einzurichten. Das erfolgt ja zumeist im Privatrecht. Um das alles etwas zu verschleiern, wurde diese Form der Sonderschulden dann Sondervermögen genannt …

Davon gibt es laut Bundesrechnungshof nicht weniger als 29 …

Ja, und neun Zehntel davon bestehen aus Schulden. Letztes Jahr kamen über die sogenannten Sondervermögen zur Nettoneuverschuldung Deutschlands von 115 Milliarden Euro nochmal 80 Milliarden Euro neue Schattenschulden dazu. Und dieses Jahr wollte die Ampel sogar 150 Milliarden Euro neue Schattenschulden machen! Das Verfassungsgericht hat nicht bewertet, ob die fraglichen Ausgaben sinnvoll sind oder nicht. Die 100 Milliarden Euro Schulden für Rüstung haben die Richter nicht bemängelt, dazu war das Grundgesetz ja eigens geändert worden. Diese Schattenschulden bleiben uns also erhalten.

Zu den 29 Sondervermögen beim Bund kommen noch die ganzen Schattenhaushalte der Länder. Berlin wollte für den Schulbau, eine im Grundsatz gute Sache, eine Teilsumme von einer Milliarde Euro nicht aus dem offiziellen Haushalt bereitstellen. Heute kostet dieser Schattenhaushalt 11,7 Milliarden Euro, davon allein sechs Milliarden Euro für Zinsen. Die anderen Kostensteigerungen sind auch beachtlich, die verdankt Berlin der Intransparenz dieses Schattenhaushalts.

Man sieht: Egal, ob man das Geld für Blödsinn ausgibt oder für Sinnvolles: Schattenhaushalte können die Kosten verzehnfachen. Und das ist ein gewaltiges Instrument der Umverteilung. Wenn jemand 5.000 Euro Steuern im Jahr zahlt, gehen auf dem Wege der Schattenhaushalte 4.500 Euro an Banken, Bauindustrie und zwielichtige Beraterfirmen – statt ins BAföG, in eine anständige Kindergrundsicherung oder in eine Rente, von der man leben kann.

Sie sagen es. Da wird eine Bundesregierung der systematischen Finanztrickserei überführt, aber kein Kommentator fordert ihren Rücktritt. Die haben es ja nur gut gemeint …

Nein, die haben es nicht gut gemeint. Zumindest nicht mit den 99 Prozent der Bevölkerung, die auf einen funktionierenden Staat und eine intakte Daseinsvorsorge angewiesen sind. Es war und ist unser Steuergeld, es sind unsere Sozialversicherungsbeiträge, die diese Regierung dem reichsten einen Prozent zuschiebt.

Mit welchem Ergebnis?

Mit dem Ergebnis, dass es bei ein paar Hundert Superreichen gewaltige Sondervermögen gibt, und zwar echte, nicht solche, die aus Schulden bestehen. Ist das Geld mal bei den Superreichen, wird damit Schindluder getrieben. Das Geld horten und es dem Kreislauf entziehen, ist da noch das geringste Übel. Sehen Sie sich mal die Klimabilanz der Milliardäre an, privat und bezogen auf die Unternehmen, die ihnen gehören. Die machen diesen Planeten kaputt.

Gleichzeitig beläuft sich der Stau in der Daseinsvorsorge in Deutschland auf geschätzt 1,8 Billionen Euro. Dafür besitzt das reichste eine Prozent der Deutschen zusammen geschätzt 3,5 Billionen Euro. Beides hängt zusammen! Vor 26 Jahren wurde die Vermögenssteuer ausgesetzt, und seit 26 Jahren investiert der Staat zu wenig in die Infrastruktur! Der Zusammenhang ist nicht nur zeitlich. Seit sich Deutschland weigert, die Reichsten der Gesellschaft an den Lasten für alle angemessen zu beteiligen, rutschen wir sukzessive in die öffentliche Verarmung.

Und daraus folgt, dass Sie jetzt für den Erhalt Schuldenbremse eintreten?

Die Schuldenbremse war und ist grober Unfug. Aber wir sind absolut gegen eine Ausweitung der Staatsverschuldung zu Hochzinszeiten, während gleichzeitig die großen Privatvermögen geschont werden und quasi ungebremst in den Himmel wachsen. Wussten Sie, dass eine Kassiererin bei Lidl prozentual viel mehr Steuern zahlt als Dieter Schwarz, der Alleineigentümer aller Lidls und Kauflands? Herr Schwarz und die ganzen anderen Multimilliardäre müssen mit einer hohen Vermögenssteuer belegt werden. Sie haben sich Geld angeeignet, das uns allen gehört und das wir jetzt dringend brauchen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat wiederholt klargestellt, dass es mit ihm keine Abkehr von der Schuldenbremse geben wird. Da haben Sie sich ja einen feinen Bündnispartner geangelt …

Christian Lindner tritt ein für die Fortsetzung der unsozialen Umverteilungspolitik mit den ganzen Privatisierungen und Schattenhaushalten, so wie sie seit einem Vierteljahrhundert betrieben wird. Wenn SPD und Grüne deswegen harte soziale Einschnitte mittragen müssen, hilft das der FDP. Dann kann Lindner seiner Klientel sagen, ich habe für Euch viel rausgeholt. Nimmt Deutschland stattdessen teure Schulden auf, geht die Umverteilung aber auch weiter!

Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg: Ran an die großen Vermögen, um damit die Staatseinnahmen erheblich zu vergrößern. Wenn Lindner sich mit uns gegen die Umverteilung von unten nach oben stellt und verhindert, dass durch teure Verschuldung zu jeder ausgegebenen Milliarde noch eine Zinsmilliarde dazu kommt – herzlich willkommen! Aber wir sagen eben auch: Keine sozialen Einschnitte mehr, Schluss mit dem Verfall der Daseinsvorsorge und her mit einer fetten Vermögenssteuer für Superreiche. Ich fürchte, da geht er dann nicht mehr mit. Aber wir brauchen ihn dafür auch nicht …

Nun werden Sie das kaum allein durchsetzen können. Wie schätzen Sie in dieser Frage die Streitfähigkeit der Gewerkschaften ein?

Für die Gewerkschaften ist das eine enorme Chance. Derzeit kämpfen sie gegen die höchsten Reallohnverluste der letzten Jahrzehnte an und streiken deswegen auch häufiger. Aber streiken ist anstrengend und teuer. Und es gab jahrelang Mitgliederverluste, daran knabbern die Gewerkschaften noch. Ein großer Erfolg außerhalb von Streiks könnte ihnen erheblichen Zuwachs verschaffen.

Gemeingut in BürgerInnenhand hat eine Kampagne gestartet, die fordert, wieder eine Vermögenssteuer zu erheben und zugleich die Daseinsvorsorge per Grundgesetz zu garantieren.

Wir stehen damit erst am Anfang, bisher gibt es einen Unterschriftenaufruf unter Gemeingut.org/Daseinsvorsorge. Vermögenssteuer für Rüstung darf es nicht geben und gegen den Verfall der Infrastrukturen brauchen wir endlich etwas Einklagbares. Wir geben mit dieser Kampagne eine neue Initialzündung. Erfolgreich wird das aber nur, wenn die Gewerkschaften sich das zu eigen machen. Wir sind optimistisch – ohne ver.di und den DGB hätten wir heute keinen Mindestlohn.

In welchen zeitlichen Dimensionen denken Sie? Der Bundeshaushalt 2024 wird wohl noch im Dezember beschlossen werden. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Regierung in der Kürze auf die Wiedereinführung der Vermögenssteuer einigt.

Den aktuellen Schlamassel hat sich die Ampel selbst eingebrockt. Da können wir ihnen jetzt auch nicht raushelfen. Natürlich schwenken die jetzt nicht sofort auf eine Vermögenssteuer um. Man muss aber klare Kante zeigen und sagen: Dann bleibt ihr im Dilemma gefangen. Wenn ihr den Reichen nur immer mehr gebt, müsst ihr es den anderen wegnehmen und das sind eben 99 Prozent. Und diese relevante Gruppe wird euch das sehr übelnehmen.

Bei der Wiedereinführung der Vermögenssteuer geht es um die nächste Bundestagswahl. CDU/CSU, FDP und AfD sind dagegen. Aber die werden nicht zusammen die nächste Regierung bilden, zumindest hoffen wir das schwer. Die CDU war auch gegen den Mindestlohn und trotzdem wurde der eingeführt, sogar unter einer CDU-Kanzlerin. Das war eben der Preis, um eine Koalition bilden zu können. Die Bevölkerung ist laut Umfragen längst für eine Vermögenssteuer. Die Menschen wollen generell, dass die Reichen mehr herangezogen werden für die Bewältigung der Herausforderungen der öffentlichen Hand, auch im Klimaschutz.

Also muss der Impuls aus der Bevölkerung kommen?

Ja, auch Verbände sind ja dankbar für Anstöße. Es sind schon oft gute Sachen entstanden, weil die Mitglieder ihren Verbandschefs Druck gemacht haben. Auch die Sozialverbände, Umweltverbände und die Klimabewegung sollten deutlich sagen: So geht es keinen Schritt mehr weiter. Wir brauchen die Vermögenssteuer und damit soll investiert werden in die Daseinsvorsorge und den Klimaschutz.

Umsetzen müsste das am Ende aber eine neue gewählte Regierung. Welche Konstellation kommt dafür infrage?

Die Linke ist bereits für eine Vermögenssteuer, wird aber kaum regieren. Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist erst in Gründung, da muss man abwarten. Aber die SPD kommt dafür infrage. Wenn die Gewerkschaften denen Druck machen, bekommen sie Angst und bewegen sich. Die Grünen, eine inzwischen zutiefst unsoziale, neoliberale Partei, haben die Klimabewegung um Fridays for Future als Legitimation hergenommen, um überall Wettbewerb reinzubasteln.

Aber Klimaschutz durch Wettbewerb, das hat nirgendwo geklappt. Es wurde nur erreicht, dass Finanzinvestoren sich die Branchen gesichert haben, in die die öffentlichen Subventionen fließen, während der CO2-Ausstoß überall munter weiter ansteigt. Und die Grünen lassen obendrein die Kleinverbraucher den Klimaschutz bezahlen und schonen die Großunternehmer. Das kotzt die Klimabewegung inzwischen extrem an.

Woraus folgt?

Wenn die Grünen aus diesem Spektrum noch einmal gewählt werden wollen, müssen sie etwas tun. Wir hoffen, sie verstehen, dass man mit der Vermögenssteuer Wahlen gewinnen kann. Ich gehe sogar noch weiter: Die Antwort auf die Gefahr von rechts ist nicht die Übernahme von rechten Parolen oder eine immer autoritärere Politik oder die Verächtlichmachung der Wähler der AfD. Die richtige Antwort ist, die Sorgen der Leute ernst zu nehmen und die Richtung der Umverteilung umzukehren – endlich wieder von oben nach unten. Die Vermögenssteuer ist Mittel der Wahl, im doppelten Sinne. Es gibt noch andere gute Instrumente, aber die Vermögenssteuer ist das beste.

Zur Person: Carl Waßmuth, Jahrgang 1969, ist Bauingenieur und Infrastrukturexperte. Er ist Mitbegründer, Vorstandsmitglied und Sprecher beim Verein Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) gemeingut.org, der sich für die Demokratisierung aller öffentlichen Institutionen, insbesondere der Daseinsvorsorge, und für die gesellschaftliche Verfügung über Güter wie Wasser, Bildung, Mobilität und Gesundheit einsetzt. GiB ist Trägerorganisation vom Bündnis Bahn für Alle und vom Bündnis Klinikrettung.

 

Gemeingut-Infobrief | Widerstand wirkt! Die Krankenhausreform gerät ins Stocken

Liebe Freundinnen und Freunde einer guten Gesundheitsversorgung,

viele von Ihnen haben sich letzte Woche an unserer Brief-Aktion beteiligt. Aus allen Ecken des Landes erhielten die MinisterpräsidentInnen Post – mit einer klaren Ansage: „Erheben Sie Einspruch gegen Lauterbachs Krankenhaustransparenzgesetz!“ Am Vortag der Beratung im Bundesrat organisierten Mitglieder des Bündnis Klinikrettung außerdem bundesweit Protestaktionen vor örtlichen Krankenhäusern. Das Motto: „Herr Lauterbach, Ihre Reform ist lebensgefährlich!“ In Kirn, Leipzig, Lippe, Wolfhagen, Breisach, Dannenberg, Berlin und München forderten die Aktiven den Erhalt der wohnortnahen Krankenhäuser und eine Gesundheitsversorgung im Sinne von PatientInnen und Personal.

Unsere Materialien für die Aktion und eine neue Handreichung für Aktive stehen Ihnen jetzt zur Verfügung – alle Links und Infos finden Sie weiter unten in diesem Brief.

Die gute Nachricht: Unser gemeinsamer, lauter Widerspruch war erfolgreich! Eine knappe Mehrheit im Bundesrat entschied sich am letzten Freitag dafür, das Krankenhaustransparenzgesetz nicht einfach durchgehen zu lassen. Nun müssen Bund und Länder im Vermittlungsausschuss des Bundesrats erneut über das Gesetz verhandeln, im Anschluss stimmt der Bundestag über das Ergebnis ab. Auch in der Bund-Länder-Runde zur Krankenhausreform am 23. November erhielt Lauterbach von den Ländern eine Absage. So wie wir kritisierten auch die Länder, dass der aktuelle Gesetzesentwurf die auskömmliche Finanzierung der Krankenhäuser nicht sicherstellt. Lauterbachs Versuch, mit schnellen Gesetzesvorstößen Fakten zu schaffen, wurde so vorerst vereitelt. Danke an alle, die mit ihren Briefen und Aktionen zu diesem großen gemeinsamen Erfolg beigetragen haben!

Nun müssen wir dranbleiben. Denn auch wenn die Reform stockt, ist sie nicht vom Tisch. Und leider hat bisher noch keiner der politischen Verantwortlichen Gesetzesvorschläge vorgelegt, die eine flächendeckende, wohnortnahe Krankenhausversorgung garantieren. So eine Reform könnte es geben, wenn endlich die Betroffenen gehört würden. Dafür werden wir uns in den nächsten Monaten in weiteren Aktionen einsetzen. Wir hoffen, dass Sie wieder dabei sind! Schon jetzt können Sie mithelfen, indem sie vor Ort über die Folgen der Reform aufklären. Dazu können sie unser Faltblatt „Warum wohnortnahe Krankenhäuser unentbehrlich sind“ kostenfrei gegen Spende bei uns bestellen, auch unsere Bündnis Klinikrettung-Fahnen schicken wir Ihnen gerne. Schreiben Sie uns dafür eine E-Mail an info@klinikrettung.de. Oder Sie drucken sich direkt unser aktuelles Flugblatt zur Krankenhausreform und unser Protestschild für Ihre eigene Aktion aus.

Hilfestellung bei Krankenhausschließung: neues Material vom Bündnis Klinikrettung! Ist bei Ihnen in der Nähe auch ein Krankenhaus in Gefahr? Unsere neue Handreichung gibt konkrete Tipps, wie man sich gegen eine drohende Krankenhausschließung wehren kann.

Mit kämpferischen Grüßen

Laura Valentukeviciute und Jorinde Schulz

Handreichung für Initiativen gegen eine Klinikschließung

Mit der neu erschienenen „Handreichung für Initiativen gegen eine Klinikschließung“ richtet sich das Bündnis Klinikrettung an Initiativen, die sich gegen eine drohende oder beschlossene Krankenhausschließung wehren möchten. Die Veröffentlichung informiert über typische Vorgänge bei einer Krankenhausschließung und gibt den Aktiven Werkzeuge an die Hand, die Schließung zu verhindern. Die Hinweise und Vorschläge basieren auf den Erfahrungen aus den zahlreichen Kämpfen, welche die im Bündnis Klinikrettung organisierten Initiativen und Einzelpersonen gegen den Krankenhauskahlschlag geführt haben.

Das Bündnis Klinikrettung stellt die Handreichung kostenfrei zum Herunterladen zur Verfügung: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/handreichung_DOWNLOAD_301123.pdf

Die Datei kann auch in A3-Format gedruckt werden. Nutzen Sie dafür diese Version: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/handreichung_PRINT_A3_301123.pdf

Mit einer Spende helfen Sie uns, die Arbeit gegen die Krankenhausschließungen fortzuführen!
https://www.gemeingut.org/spenden

 

Krankenhausreform schreitet voran: Bundesweit protestieren BürgerInnen und Krankenhauspersonal für wohnortnahe Krankenhäuser

Pressemitteilung vom Bündnis Klinikrettung

Lauterbachs Krankenhausreform nimmt Form an: Heute tagt eine Bund-Länder-Runde zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz, morgen berät der Bundesrat über das Krankenhaustransparenzgesetz. Aus diesem Anlass protestieren heute bundesweit BürgerInnen und Krankenhausbeschäftigte unter dem Dach vom Bündnis Klinikrettung. Sie stellen sich gegen Lauterbachs Vorhaben, flächendeckend Krankenhäuser abzubauen, und fordern stattdessen eine Gesundheitsversorgung im Sinne von PatientInnen und Personal. Aktionen finden unter anderem in Kirn, Breisach, Leipzig, München, Berlin und Lippe statt. Die KlinikretterInnen setzen ein Zeichen für den Erhalt der unersetzlichen, wohnortnahen Krankenhäuser, indem sie die Kliniken symbolisch mit Absperrbändern vor dem drohenden Kahlschlag schützen.

Laura Valentukeviciute, Bündnis Klinikrettung:
„Die Kritik gegen die Krankenhausreform wird immer lauter, denn diese Reform verbessert die Versorgung nicht. Im Gegenteil: Es handelt sich um Krankenhaus-Versorgungs-Verschlechterungs-Gesetze, egal mit welchem schönen Titel Lauterbach dies zu kaschieren versucht. Der Gesundheitsminister gibt vor, die Qualität steigern zu wollen, aber sorgt stattdessen über die massenhafte Herabstufung von Krankenhäusern zu sogenannten sektorenübergreifenden Versorgern dafür, dass die Qualität verschlechtert wird. Wer bessere Versorgung will, muss finanziell und strukturell sicherstellen, dass alle EinwohnerInnen Deutschlands binnen 30 Minuten ein Krankenhaus erreichen können, das mindestens mit Chirurgie, Innerer Medizin, Geburtshilfe, Intensivmedizin und Notfallversorgung ausgestattet ist.“

Das Bündnis Klinikrettung hat die Mitglieder des Bundesrats angeschrieben und aufgefordert, gegen das Krankenhaustransparenzgesetz Einspruch zu erheben. Offener Brief des Bündnisses Klinikrettung an die MinisterpräsidentInnen der Länder (verlinkt ist der Brief an die Bundesratspräsidentin Schwesig): https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/11/MeckPomm_Krankenhaustransparenzgesetz_Brief-BKR.pdf

Klaus Emmerich, Aktionsgruppe Schluß mit Kliniksterben in Bayern:
„Der Vorstoß der Länder Nordrhein-Westfalen, Bayern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein für eine volle Finanzierung der Kostensteigerungen bei Personal und Energie und ein sofortiges Nothilfeprogramm für schließungsbedrohte Krankenhäuser ist richtig. Doch wir müssen noch weiter gehen: Grundlage einer Reform der Krankenhausvergütung muss sein, dass den Krankenhäusern alle Kosten erstattet werden, welche ihnen in der Erfüllung ihrer Aufgaben für die Daseinsvorsorge entstehen. Deswegen muss das DRG-Fallpauschalensystem vollständig abgeschafft und durch die Selbstkostendeckung abgelöst werden.“

 

Stimmen von Aktiven aus ganz Deutschland:
Presseerklärung DIE LINKE im Kreistag „Krankenhäuser erhalten, auch in Wolfhagen“
Pressemitteilung der Gruppe Schluss mit dem Kliniksterben in Bayern
Brief der Initiative Rettet und Krankenhaus Rosmann Breisach an die Landrätin des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald
Informationsblatt zur Insolvenz der Rotkreuzklinik München

Hintergrund:
Mit dem Krankenhaustransparenzgesetz sollen die umstrittenen Krankenhauslevel mit Hilfe eines sogenannten Transparenzregisters durch die Hintertür eingeführt werden. Lauterbach hat den Namen für die geplanten Level 1i-Kliniken in „Sektorenübergreifende Versorger“ geändert, doch nach wie vor geht es um die Herabstufung der Versorgung. Das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz soll die Einführung von Leistungsgruppen und Vorhaltepauschalen regeln. Der bisher inoffizielle Entwurf basiert auf dem Eckpunktepapier von Bund und Ländern vom Juli diesen Jahres. Die Vorhaltefinanzierung verdient ihren Namen nicht, denn die Reform der Krankenhausvergütung steht unter der Bedingung eines Budgetdeckels. So bleibt die Unterfinanzierung bestehen. Die Krankenhäuser werden wie bisher um zu knappe Mittel konkurrieren – nun auch über die Zuordnung von Leistungsgruppen. Die Reform leistet also keine Entökonomisierung oder bessere Ausfinanzierung der Kliniken, sondern vor allem zusätzliche Bürokratie. Der erwartbare Entzug von Leistungsgruppen wird bundesweit zu Teil- oder Komplettschließungen führen – das zeigt bereits das Beispiel Nordrhein-Westfalen mit der Schließung der K-Plus-Gruppe Kliniken in Solingen, Hilden und Haan.
Die miserable finanzielle Lage der Krankenhäuser ist seit Langem bekannt. Vor diesem Hintergrund kann Lauterbachs Budgetdeckel nur als aktive Schließungsabsicht gelesen werden. Dazu passt auch, dass der Gesundheitsminister aktuell tatenlos dabei zusieht, wie Krankenhäuser massenhaft in die Insolvenz gehen.