Autobahnprivatisierung. Ein Fall für Sherlock Holmes und Dr. Watson

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Ein Kommentar von Katrin Kusche, Berlin

„Es gibt nichts Trügerischeres, als eine offensichtliche Tatsache.“

Das wusste schon der britische Arzt und Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle und setzte seine Kunstfiguren Sherlock Holmes und Dr. Watson auf knifflige Fälle an. Nicht selten war es Zeitungslektüre, die die beiden auf interessante Geschehnisse aufmerksam machte, so dass sie ohne Auftrag die Ermittlung aufnahmen. Was hätten der Detektiv Holmes und sein treuer Freund Watson wohl zum Thema Autobahnprivatisierung gesagt angesichts der Verlautbarungen der PolitikerInnen in den Medien? Das Gespür eines Detektivs ist zumindest gefragt, will man die jüngsten Aussagen der Koalitionsfraktionsspitzen verstehen:

Was ist passiert? Der Bundestag hat am 16. Mai die Abstimmung zur Autobahnprivatisierung verschoben. Am 19. Mai hätten die Abgeordneten namentlich über den Bund-Länder-Finanzausgleich und damit auch über 13 Grundgesetzänderungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Gründung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr abstimmen sollen – sprich: über die Privatisierung der Autobahnen, auch wenn das im bisherigen Gesetzgebungsprozess gern abgestritten wurde. Länder wie Bayern und vermutlich auch die SPD nach ihren desaströsen Wahlergebnissen verspürten in den letzten Tagen vor der Abstimmung plötzlich Gesprächsbedarf. So verschwand das Thema von der parlamentarischen Tagesordnung, und hinter verschlossenen Türen tagten die Koalitionsspitzen.

Am späten Nachmittag des 17. Mai präsentierten dann CDU-Fraktionschef Volker Kauder, CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann das Ergebnis. Man habe sich geeinigt, frohlockte Kauder. Am 1. Juni steht die Abstimmung nun erneut auf der Tagesordnung des Bundestags.  Und ein strahlender Oppermann verkündete:

„Bundesstraßen, insbesondere Bundesautobahnen, müssen im öffentlichen Eigentum bleiben. Sie gehören den Bürgerinnen und Bürgern. Die haben sie schon mal bezahlt. Die sollen sie jetzt nicht im Zuge von Privatisierungen ein zweites Mal bezahlen.“[1]

Aber diese Aussage ist keineswegs neu, seit Monaten geben SPD-Politiker Statements ab, dass Autobahnen nicht privatisiert werden dürfen. Schon im „Bericht aus Berlin“ in der ARD am 2. April hatte Oppermann stotternd zu Protokoll gegeben: „Das Eigentum an den Bundesautobahnen bleibt im öffentlichen Eigentum. Der Bund bleibt Eigentümer. Aber eine Privatisierung auch der Infrastrukturgesellschaft wird es nicht geben. Wir haben auch uns darauf verständigt, dass die Untergesellschaften im Eigentum des Bundes bleiben müssen. Damit ist eine Privatisierung ausgeschlossen.“[2] Eigentum, Eigentum, Eigentum … Doch zurück zu Oppermanns Aussage vom 17. Mai: Die Wortwahl „müssen bleiben“ ist butterweich – ein frommer Wunsch und keineswegs eine Garantie, dass die Straßen schlussendlich Staatseigentum bleiben oder der Bürger nicht beispielsweise aufgrund versteckter Privatisierungsformen zur Kasse gebeten wird. Zwar verspricht die SPD aktuell eine „vierfache“ Privatisierungsbremse – „auch im Grundgesetz“[3], aber auch diese Aussage ist nicht neu. Allein die Zahl der Bremsen erhöhte sich gegenüber älteren Erklärungen. Einen konkreten Textentwurf stellte die SPD bisher nicht zur Diskussion. Bleibt die geplante Gründung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr in Form einer GmbH auf der Agenda – und davon ist auszugehen –, wird ein privatrechtliches Unternehmen geschaffen, vergleichbar der Deutschen Bahn. Dabei handelt es sich um eine formelle Privatisierung, bei der ein Unternehmen entsteht, welches vom Parlament nicht oder nur noch eingeschränkt kontrolliert werden kann. Detektivqualitäten im Sinne von Holmes und Watson bewies zu dieser Frage bereits Professor Georg Hermes von der Goethe-Universität Frankfurt am Main während der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zur Infrastrukturgesellschaft Verkehr am 27. März. Wenn nämlich mit dem geplanten öffentlich-rechtlichen Nießbrauchsrecht alle Rechte an den Autobahnen an die Gesellschaft übertragen würden, entleere man die für das Grundgesetz im Artikel 90 enthaltene Aussage, wonach die Bundesrepublik Deutschland Eigentümer der Straßen sei. Übertrage man der Infrastrukturgesellschaft das wirtschaftliche Eigentum an den Autobahnen, laufe das auf ein Geschäftsmodell hinaus, bei dem es nicht um die Bereitstellung von Autobahnen als staatliche Daseinsvorsorge gehe, „sondern um das entgeltliche Zurverfügungstellen“ von Autobahnen.

„Das nennt man Privatisierung“

sagte Hermes wörtlich. Die Privatisierung ist zäh und lässt sich nur zusammen mit der ganzen Infrastrukturgesellschafts-Idee vom Tisch wischen.

Ebenfalls beängstigend das von Gerda Hasselfeldt am 17. Mai stolz kundgetane Verhandlungsergebnis, dass Planung und Unterhalt der Autobahnen auch weiterhin regional erfolgen könnten und dafür bis zu zehn regionale Tochtergesellschaften der Infrastrukturgesellschaft Verkehr gegründet werden dürfen[4]. Nicht nur wird damit von Anfang an die Basis für ein – selbst für Detektive – unübersichtliches und undurchdringliches privatgesellschaftliches Strukturgestrüpp gelegt, vielmehr drängt sich noch stärker als bisher die Frage auf, welchen Zweck PolitikerInnen mit der Mammutreform verfolgen.

Das Ziel einer schlanken und effizienten Verwaltungsstruktur schien immer schon vorgeschoben. Nun hat es endgültig als Argument für die Reform ausgedient. Die Reform wird durch den Inhalt von Hasselfeldts Mitteilung regelrecht auf den Kopf gestellt, wenn man dem Vorhaben jemals eine straffe Struktur als Ergebnis zusprechen wollte. Warum will man eine Infrastrukturgesellschaft Verkehr mit (zunächst maximal) zehn Tochtergesellschaften gründen, damit am Ende ein Zustand hergestellt wird, der – abgesehen von der privatrechtlichen Komponente – jetzt schon besteht: Bundesländer planen und unterhalten Bundesautobahnen, wenn sie es denn wollen. Schon jetzt besteht rechtlich die Möglichkeit, dass die Länder ihre Zuständigkeiten im Zusammenhang mit Autobahnen an den Bund abtreten können. Das heißt, Bundesländer, die die Planung und den Unterhalt der Bundesfernstraßen im Auftrag des Bundes nicht mehr leisten mögen, könnten diese Aufgaben an den Bund abtreten. Länder wie Bayern, die diese zentrale Infrastrukturaufgabe weiterhin wahrnehmen möchten, arbeiten weiter wie bisher. Wozu also umständlich das Grundgesetz an 13 Stellen ändern?

Stutzig macht: Der Begriff öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) fehlt in der Verlautbarung der SPD-Fraktion auf ihrer Website zu den Gesprächsergebnissen vom 17. Mai. Kein Wort dazu. In der nächtlichen Meldung auf www.tagesschau.de findet sich hingegen Widersprüchliches:

„Die SPD setzte nun durch, dass auch eine indirekte Privatisierung der Autobahnen durch öffentlich-private-Partnerschaften (ÖPP)-Projekte mit Privatinvestoren verfassungsrechtlich ausgeschlossen wird.“[5]

Wenige Zeilen später heißt es:

„Die SPD wollte nicht nur ein Privatisierungsverbot für die Gesellschaft und ihre Tochterfirmen in der Verfassung verankern, sondern auch ÖPP per Grundgesetz begrenzen. Die Union hielt Beschränkungen der ÖPP bis 100 Kilometer Strecke per einfachem Gesetz für ausreichend.“

Soll ÖPP nun ausgeschlossen oder begrenzt werden? Die Indizien sprechen dafür, dass man nur auf eine „Begrenzung“ hoffen darf. Das entspricht zumindest dem Gesamteindruck des Vorhabens. Denn von Anfang verfolgten die Protagonisten der über Jahre eingefädelten „Reform“ zwei wesentliche Ziele: erstens die Schaffung lukrativer Anlage- und Beteiligungsmöglichkeiten für Versicherungen und andere Kapitalanleger und damit den Einstieg privaten Kapitals sowie zweitens die Umgehung der Schuldenbremse. Hintergrund für das erste Ziel ist die  andauernde Niedrigzinsphase. Mit ihr drohen staatlich propagierte private Rentenprodukte wie die Riesterrente zu einem Flopp und damit zu einem finanziellen Desaster für mehrere Rentnergenerationen zu werden. Das will die Regierung um jeden Preis verhindern, auch wenn die BürgerInnen am Ende mit Gebühren oder Maut für die Erwirtschaftung der Infrastrukturrenditen letztlich ihre Rentenprodukte mehrfach bezahlen. Diese rentenpolitische Fehlentscheidung mag sich niemand öffentlich auf die Fahnen schreiben. Lieber werden Infrastrukturdefizite bemüht, um privatem Kapital Anlagekapital einen sicheren Anlagehafen mit luxuriösen Renditen zu bieten.

Am 10. September 2014 sagte Sigmar Gabriel, damals noch in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister, im Deutschen Bundestag:

„[…] Wir werden die strukturellen Probleme angehen müssen, damit mehr privates Kapital in Deutschland investiert wird.“

Ähnlich hatte sich bereits am Vortag (9. September 2014) Wolfgang Schäuble gegenüber dem Parlament geäußert:

Ähnlich hatte sich bereits am Vortag (9. September 2014) Wolfgang Schäuble gegenüber dem Parlament geäußert:

„Es ist auch eine einfache Wahrheit, dass Investitionsprojekte für Kapitalanleger Renditeerwartungen enthalten müssen. Sonst werden sich Kapitalanleger nicht engagieren. Deswegen müssen wir auch über neue Formen der Aufgabenteilung zwischen Staat und Privaten nachdenken. […] Natürlich arbeiten wir auch daran, den Bereich Infrastruktur stärker für Investitionen der Versicherungswirtschaft, von Pensionskassen und der anderen großen Kapitalsammelstellen zu öffnen.“

Mit der vermuteten Begrenzung will die Regierung jetzt offensichtlich den vielfach kritischen Bundesrechnungshof besänftigen. Er hatte im April angemahnt, dass eine Strecke von 100 Kilometern, Auftragswerte der Verträge von 500 Millionen Euro oder eine Laufzeit von zehn Jahren bei Autobahn-ÖPP nicht überschritten werden sollten. Von den drei möglichen Begrenzungen wurde die Streckenbegrenzung unter 100 km gewählt. Wenn man sich die bisherigen Autobahn-ÖPPs ansieht, stellt man fest: Sie wurden alle für Strecken von weniger als 100 Kilometern vergeben. Das Volumen lag hingegen fast immer über 500 Millionen Euro, und die Laufzeit betrug immer 29 beziehungsweise 30 Jahre. Mit solch einer Herangehensweise würde die funktionale Privatisierung mittels ÖPP also wie bisher gestattet. Am Ende bilden viele ÖPP-Flicken dann doch eine privatisierte Autobahn-Patchworkdecke für Deutschland. Finanzielle oder strukturelle Effizienz? Fehlanzeige.

Ziel zwei offenbart ein eklatantes Demokratiedefizit. Um die Schuldenbremse zu umgehen, suchen Bund und Länder emsig nach Schlupflöchern. Ausgelagerte privatrechtliche Unternehmen sind hier das Mittel der Wahl. Investitionen werden im Falle der geplanten Infrastrukturgesellschaft Verkehr in das bundeseigene privatrechtliche Unternehmen ausgelagert. Schattenhaushalte jenseits der Schuldenbremse entstehen. Das Parlament bleibt außen vor, der Staat bleibt der Gläubiger, und der Bürger wird nur noch finanziell an den teureren ÖPP-Projekten beteiligt, als Zahler versteht sich. Und Holmes und Dr. Watson? Die werden bei der Suche nach Schattenhaushalten nicht arbeitslos.

[1] https://www.tagesschau.de/inland/bund-laender-finanzen-109.html

[2] https://blog.ard-hauptstadtstudio.de/bericht-aus-berlin-autobahnrevolution-und-liberaler-aufbruch/

[3] www.spdfraktion.de/themen/bund-garanten-gleichwertige-lebensverhaeltnisse

[4] https://www.tagesschau.de/inland/bund-laender-finanzen-109.html

[5] „Autobahn-Streit beigelegt“, 18.5.2917, 0:22 Uhr, https://www.tagesschau.de/inland/bund-laender-finanzen-109.html

 

2 Kommentare

  1. Danke an Holmes und Dr. Watson ! Hier ist noch einmal ein Großteil der Durchstechereien klar dargestellt und den verantwortlichen Abgeordneten, die das alles immer noch nicht wissen (wollen), unmissverständlich vorgehalten.

    Unsere neue Autobahnlandschaft :

    Ein Flickenteppich aus ÖPPs von Garmisch bis Flensburg !

    Danke, Herr Oppermann (Schulz ist wohl gerade im Keller, um zu sehen, wo die SPD aus Gabriels Zeiten herkommt) !!!

  2. Wie wäre es, wenn ich von jemanden das Haus nehme und sage zu einem anderen, er könne Miete(Maut) von dem Hausbesitzer(Straßenbesitzer Bürger)nehmen, mit der Bedingung das ich 19% Mehrwertsteuer dafür bekomme?

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