Elbphilharmonie Hamburg: Klobürsten für 292 Euro, Handtuchspender für 957 Euro

In der Elbphilharmonie wird künftig mit teurem Stückgut gereinigt.

In der Elbphilharmonie werden Klos künftig mit teurem Stückgut gereinigt. (Bild: flickr/Close to home, Lizenz: CC BY-NC 2.0)

von Carl Waßmuth / GiB

Es gab einen Klobürstenskandal bei der Elbphilharmonie. Das Hamburger Abendblatt schreibt:
„Sie soll das neue Wahrzeichen der Hansestadt Hamburg werden. Wenn sie denn irgendwann fertig ist: die Elbphilharmonie. Dass sich die Arbeitszeit verzögert hat, ist bereits bekannt. Auch dass die Baukosten von anfangs kalkulierten 77 Millionen Euro auf bis heute rund 800 Millionen Euro gewachsen sind, ist Teil der jahrelangen Kontroversen.“
Nun ist sind aber Details aus dem Untersuchungsausschuss-Bericht bekannt geworden, die das bisher Bekannte, wenn möglich, noch toppen:
 „So seien die Kosten der Fassade der Elbphilharmonie von 28,7 Millionen Euro auf 65,3 Millionen Euro gestiegen. […] Unfassbar klingen auch die Kosten, die für Toilettenbürsten und Papierhandtuchspender eingeplant wurden sind. Allein die Bürsten sollen offenbar 291,97 Euro kosten. Der Handtuchspender stolze 957 Euro. Pro Stück.“
Die Süddeutsche Zeitung ruft in der dortigen Stilkritik zu herben Protestformen auf:
„Andererseits, das kann man von Kindern lernen, hat der Klowedel gerade dann seinen schönsten Auftritt, wenn er dem Gegner gezielt ins Gesicht gehalten wird. Sollten die Hamburger also bald aus Protest gegen weitere Kostenexplosionen bei der Elbphilharmonie auf die Straße gehen, sie sollten ihre Bürsten nicht vergessen. Damit könnten sie den prassenden Planern effektvoll zuwedeln. Teuer müssten die Klobürsten übrigens gar nicht sein. Aber dreckig wäre gut.“
In der FAZ wird der PPP-Vertrag unter dem Titel „Zeugnis des Schreckens“ zerrissen – allerdings ohne Erwähnung, dass es sich um einen PPP-Vertrag handelt. Ein paar Zitate:
  • „Die Stadt vergab den Bauauftrag, noch bevor alle Bauleistungen definiert waren.“  Nach unseren bisherigen Beobachtungen ist das durchaus typisch für einen PPP-Vertrag.
  • „Immense Nachforderungen folgten.“ – Auch das ist typisch für einen PPP-Vertrag.
  • „Ein kompliziertes Dreiecksverhältnis zwischen dem Generalunternehmer Hochtief, den Architekten und der Stadt sorgte für Streit, Chaos und Blockaden.“ – Hier fehlt die Nennung der Adamanta GmbH, die eigentlicher Vertragspartner ist. Aber die Komplexität des vertragsverhältnisses ist typisch für einen PPP-Vertrag.Viele „Monate herrschte Stillstand auf der Baustelle.“ – Typisch für einen PPP-Vertrag.
  • „Tausende Ausführungsmängel wurden dokumentiert.“ Auch das – soll man sagen leider? – typisch für einen PPP-Vertrag.
  • „Eine wirksame Kontrolle gab es nicht.“ – Das ist typisch, ja systembedingt bei einem PPP-Vertrag.
  • Es gab am Ende des Vergabeverfahrens nur einen einzigen Bieter – typisch für viele PPP-Verträge.
  • „Die Stadt ist in die abwegige Situation geraten, in Millionenhöhe ein Luxushotel aus Haushaltsmitteln zu subventionieren.“ Das ist allerdings einmalig – allerdings haben wiederum zahlreiche PPP-Projekte ihre jeweils eigenen Sigularitäten, die seltsamerweise alle darauf hinauslaufen, dass aus Haushaltsmitteln Millionen Euro abfliessen um die Geschäfte privater Konzerne zu subventionieren – was es wieder typisch macht.
Bleibt zusammenfassend zu sagen: Wer wissen will, welche Folgen PPP hat, sollte das Beispiel der Elbphilharmonie gut studieren  – es mag erschreckend sein, aber zweifelsfrei ist es sehr lehrreich.

Privatisierung beenden! Offener Brief an die künftigen Bundestagsabgeordenten. Mitzeichnungfrist bis zum 20. Oktober verlängert!

Privatisierung_stoppen

Unsere Forderungen und die gesammelten Unterschriften werden am 22.10.2013, dem Tag der konstituierenden Sitzung des neu gewählten Bundestages, eingereicht. Die Unterschriftensammlung ist deshalb bis zum 20. Oktober verlängert worden!

Obwohl die Mehrheit der Menschen im Land Privatisierung ablehnt, macht die Bundesregierung genau das Gegenteil. Sie verkauft unter dem wohl klingenden Namen PPP (Public-Private-Partnership, deutsch: ÖPP – Öffentlich-private Partnerschaften) die öffentliche Daseinsvorsorge an Private. Aus unserem Wasser, unseren Schulen, Krankenhäusern und weiteren Gemeingütern werden für 25 bis 30 Jahre Objekte der Gewinnmaximierung. PPP-Verträge sind immer geheim und damit der demokratischen Kontrolle entzogen. Leistungskürzungen, steigende Kosten und Intransparenz sind für uns die Folgen. Zukünftige PolitikerInnen werden aufgrund der hohen Vertragslaufzeiten zusätzlich ihrer Handlungsspielräume beraubt.

Das ist ein Skandal! Das muss dringend geändert werden! 

Deshalb laden wir alle, die die Privatisierung unserer Gemeingüter nicht weiter hinnehmen wollen, ein: Unterzeichnen Sie mit uns einen offenen Brief an die zukünftigen Abgeordneten des Bundestages! Der Text kann hier angesehen und ausgedruckt werden.

Nutzen Sie den heißen Endspurt der Bundestagswahl, um Privatisierung zu stoppen! Ja, ich will den Brief unterzeichnen!

Forderungen an die künftigen Abgeordneten des 18. Bundestages

In unserem Schreiben fordern wir:

  • Die Privatisierung der Gemeingüter zu beenden,

  • neue PPP-Vorhaben zu verhindern und

  • laufende PPP- Projekte zu stoppen.

Der Brief wird gleich nach der Wahl den etwa 700 neu gewählten Bundestagsabgeordneten überreicht, damit sie unsere Forderungen in Politik umsetzen. Im Herbst wird dann mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion die Übergabe erfolgen. Den genauen Termin werden wir rechtzeitig bekanntgeben.

Je mehr Personen den Brief unterschreiben, umso weniger werden die künftigen Abgeordneten sich über unseren Willen hinwegsetzen können!

 

GiB für den taz Panter Preis nominiert – stimmt bitte mit ab!

taz_panter_2013Unsere Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) wurde für den taz Panter Preis „HeldInnen des Alltags“ nominiert.

Wir laden alle, die die Antiprivatisierungsarbeit von GiB wichtig, richtig und gut finden, dazu ein, uns ihre Stimme zu geben. Die Abstimmung läuft bis zum 1. September unter: www.taz.de/!119570/ (GiB ist mit Gemeingut abgekürzt).

Im Rahmen der Nominierung hat die taz-Journalistin Gina Bucher ein Portrait von uns und unserer Arbeit unter dem Titel „Schutzengel der Gemeingüter“ erstellt, die Fotografin Anja Weber hat uns ganz professionell fotografiert und die Leute von Oculus-Film haben einen Kurzfilm mit uns und über uns gedreht. Das alles ist hier zu sehen: www.taz.de/Gemeingut-in-BuergerInnenhand/!119687/ und wir danken ihnen an dieser Stelle für die tolle Arbeit!
Ein großer Dank gilt auch allen, die sich Zeit genommen haben und bei den Foto- und Videoaufnahmen mitgemacht haben!

Neben GiB wurden für den taz Panter Preis fünf weitere ganz mutige und beeindruckende Menschen und Initiativen nominiert. Sie sind hier zu sehen: www.taz.de/!p4254/ Wir freuen uns darüber sehr, in ihrer Gesellschaft zu sein und appellieren an euch: beteiligt euch bei der Abstimmung, wählt eure Favoriten und zeigt, dass ihre Arbeit euch wichtig ist.

Die Ergebnisse der Wahl werden Anfang September bekannt gegeben. Wir halten euch auf dem Laufenden!

Euer GiB-Team

P.S. Außerdem läuft gerade unser Offener Brief an die Bundestagsabgeordneten „Privatisierung beenden: PPP jetzt stoppen!“. Zum Mitzeichnen geht es hier: www.gemeingut.org/2013/07/offener_brief_gegen_ppp/

Infrastrukturen der Daseinsvorsorge: Anlageklasse oder Gemeingüter?

contrasteMit dem Begriff „Infrastruktur“ werden im deutschsprachigen Raum längst nicht mehr nur im Boden befindliche Versorgungsleitungen beschrieben. Unter Infrastruktur subsummiert man mittlerweile nahezu alle langlebigen Grundeinrichtungen einer Volkswirtschaft, die deren arbeitsteiliges Funktionieren garantieren, darunter auch immaterielle wie die Wirtschaftsordnung selbst.

Erschienen in „contraste“, November 2012, von Carl Waßmuth

Die weite Fassung des Begriffs bringt Probleme mit sich. So erfasst das statistische Bundesamt in Deutschland zwar Anlagevermögen, aber nicht bezogen auf Infrastrukturen. Entsprechend ist weder der Wert der Infrastrukturen in Deutschland noch der zugehörige Investitionsbedarf bekannt. Nach Auffassung des Autors handelt es sich bei den materiellen öffentlichen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Schulen und Krankenhäuser, öffentliche Gebäude, Müllentsorgung etc. um Gemeingüter. Infrastrukturen der Daseinsvorsorge wurden mit Steuergeldern und Gebühren der Bevölkerung errichtet, ausgebaut und instand gehalten. Die genannten Infrastrukturen bleiben auch dann Gemeingüter, wenn sie formal und materiell privatisiert werden. Ohne Rohre in der Erde ist heute keine Trinkwasserversorgung mehr möglich, ohne Straßen und Schienen sind Gesellschaften nicht mehr funktionsfähig. Die Infrastrukturen der Daseinsvorsorge stellen Elementares, zumeist Lebens- und Würdenotwendiges zur Verfügung und dienen oft gleichzeitig dem sozialen Ausgleich. Für ihre Errichtung wurde nicht selten mit hohem Blutzoll gekämpft. Nun, da diese Infrastrukturen einen Wert von mehreren Billionen Euro erreicht haben, geraten sie in den Fokus von nach Anlagemöglichkeiten suchendem Kapital:

“Die OECD beziffert den weltweiten Bedarf an Infrastrukturinvestitionen bis zum Jahr 2030 auf mindestens 41 Billionen USD. Pro Jahr entspricht dies rund zwei Billionen USD – dem gegenüber werden jährlich nur rund 1 Billion USD investiert, vorwiegend durch die öffentliche Hand. Angesichts hoch verschuldeter Staatshaushalte zeichnet sich schon heute eine gigantische Finanzierungslücke ab.

Vor diesem Hintergrund gewinnen private Investitionen in Infrastruktur zunehmend an Bedeutung. Public-Private-Partnerships bis hin zu vollständigen Privatisierungen sollen zusätzliches Kapital aktivieren. Infrastruktur entwickelt sich in diesem Umfeld immer mehr zu einer eigenen Anlageklasse für langfristig orientierte Investoren. Ein attraktives Risiko-Rendite-Profil, geringe bis keine Korrelation zu herkömmlichen Anlageklassen, jährliche Ausschüttungen und sogar Schutz gegen Inflation gelten als Vorteile.”1

Mit dem „Einstieg“ von Privaten in öffentliche Infrastrukturen geht es immer nur um ein zeitlich begrenztes Engagement, nie um die Übernahme der echten Verantwortung für Jahrzehnte oder gar länger. Innerhalb des begrenzen Zeitraums werden die über PPPs oder Vollprivatisierungen handelbar gemachten Gemeingüter ausgelaugt. Public-Private-Partnerships (PPPs) bedeuten nicht nur eine versteckte Verschuldung, höhere Kosten, Verlust der demokratischen Kontrolle, Beförderung von Lohndumping, Minderung von Steuereinnahmen und die Erhöhung von Ausgaben für Sozialtransferleistungen. Sie liefern die Infrastruktur der Daseinsvorsorge den internationalen Finanzmärkten für Infrastruktur aus. In den Werbeprospekten für die Anleger pflegt man einen gezielt unaufgeregten Ton:

„’Infrastrukturprojekte sind ziemlich langweilig. Aber sie sind langlebig und normalerweise so strukturiert, dass sie Cash produzieren‘, erklärt Roland Pfeuti bei Clariden Leu Investment Productsals Vermögensverwalter auf den Bereich infrastruktur spezialisiert. ‚Infrastrukturinvestitionen dürfen auch als eine Alternative zum traditionellen Teil eines Portfolios betrachtet werden. […] Der Sektor lockt auch neue Investoren an, so etwa Private-Equity-Firmen. Die Investitionen von Private-Equity-Gesellschaften sind im vergangen Jahr kräftig gestiegen und machen laut Standard&Poor’s die Hälfte aller Transaktionen aus.“2

Tatsächlich besteht die massive Gefahr, dass die Infrastrukturen in ihrer Substanz geschädigt werden. Tritt der Infrastruktur-Kollaps ein, verlassen die Privaten das Feld, die Totalsanierung ist dann wieder Sache der Gesellschaft. Die finanziellen Schäden für die Steuer- und Gebührenzahler übersteigen nicht selten die “klassischen” Formen der Schädigung des Gemeinwesens in Form zu hoher Gebühren und zu geringer Verkaufserlöse. Zu den Kosten für eine Totalsanierung kommen die Schäden, die man erleidet, wenn eine Infrastruktur nicht oder nur noch schlecht funktioniert.

Das Berliner Abwassernetz wird seit der Teilprivatisierung im Schneckentempo erneuert: erst nach 340 Jahren wäre die Infrastruktur einmal komplett ausgetauscht.3 Kommt es zu großen Abwasserrohrbrüchen, kann die Keimbelastung des Berliner Wassers innerhalb von kurzer Zeit auf gesundheitsbelastende Werte steigen. Benachbarte Rohre erleiden nicht vorgesehene Belastungen, neue Risse legen die Sollbruchstelle für den nächsten Rohrbruch. In Lübeck kam es Ende 2010 zu einer Serie von Rohrbrüchen: „Die Stadt befand sich damals wie im Ausnahmezustand: Stadtwerke, Feuerwehr und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein richteten Krisenstäbe ein und erarbeiteten Notfallpläne. Viele Lübecker Bürger besorgten sich Trinkwasser an Tankstellen, die Krankenhäuser bauten eine Notversorgung auf.“4 Rainer Kersten, Geschäftsführer des Steuerzahlerbundes Schleswig- Holstein in Kiel, bezeichnete den Kollaps des Lübecker Wassernetzes als “Warnschuss” für die Netzbetreiber im ganzen Land.

Soll dergleichen vorgebeugt werden, hilft nur, die Institutionen, die Gemeingüter im Namen und mit dem Geld der Bevölkerung verwalten und betreiben, unter demokratische Kontrolle zu holen. Dazu ist es nicht ausreichend, wenn das Eigentum der zugehörigen Infrastrukturen öffentlich ist, öffentlich wird oder öffentlichem Recht folgt. Aber es ist für alles andere die notwendige Voraussetzung.

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1 Fleischhauer, Hoyer & Partner (FHP): Anlageklasse Infrastruktur: Potenziale und Perspektiven. Eine empirische Marktanalyse – Executive Summary. Vorwort, Seite 3. München, 2009

2 Alice Radclife: Zukunft bauen. Infrastruktur als Investition, in: ahead, Investmentmagazin von Clariden Leu, Seite 7, April/Mai 2007, Ausgabe 2, ohne Ortsangabe.

3 DGB Bildungswerk Wilhelm Leuschner, tbs berlin GmbH, inEcom GmbH: Wasser in Berlin, Juni 2011.

4 NDR zu: Wasserrohrbruch in Lübeck, Stand: 13.12.2010, 07:48 Uhr

Ausgeträumt – vom Traum zum Alptraum

OssietzkyOssietzky veröffentlichte am 30. April ein Themenheft mit zahlreichen privatisierungskritischen Beiträgen. Neben Werner Rügemer und Claudia Löhle war auch GiB-Aktivist Carl Waßmuth mit folgendem Artikel vertreten.

Die Infrastruktur der Daseinsvorsorge stellt einen gewaltigen Wert dar. Allein für ihren Erhalt sind laut OECD von 2006 bis 2030 weltweit 71 Billionen US-Dollar erforderlich. Die nach Anlagemöglichkeiten suchenden KapitalanlegerInnen sind daher schon länger auf die Daseinsvorsorge aufmerksam geworden. Auch wenn keine Autos mehr rollen, Wasser wird weiter getrunken, die Mittel, die die Staaten für den Erhalt ihrer Daseinsvorsorge aufwenden, gelten als krisensicher.

Dabei sind Infrastrukturen an und für sich für private Anleger gar nicht so interessant, sie sind teuer in Errichtung und Unterhalt und können auch bei luxuriösester Inanspruchnahme von wenigen Privaten kaum gewinnbringend genutzt werden. Erst durch die Allgemeinheit als Nutzergruppe und den Staat als Geldgeber für die erforderlichen Investitionen werden Infrastrukturen als Anlageobjekte interessant.

Das neueste Instrument der Privatisierung der Daseinsvorsorge heißt PPP, Public Privat Partnerships, im Deutschland zuweilen auch ÖPP, öffentlich private Partnerschaften genannt. PPPs sind ultralanglaufende Vertragswerke. Das Auftragsvolumen von Schulen, Krankenhäusern, Wasserwerken, Gefängnissen, Rathäusern, Schwimmbädern und sogar Autobahnen wird 30 Jahre wird auf einen Schlag und an eine einzige Firma vergeben. Die Verträge verwandeln die Daseinsvorsorge in handelbare, spekulations­ fähige Finanzprodukte. Eigenkapitalanteile von PPPs können und werden weiterverkauft, in Großbritannien allein bisher 650 mal.* Erst nach Vertragsende erfolgt der „Heimfall“ an die öffentliche Hand, die dann oft eine erforderlich gewordene teure Sanierung vornehmen muss. Die PPP-Projektgesellschaften, die während der Vertragslaufzeit Millionen, teilweise Milliarden Euro an ihre Anleger (oft mit Sitz in Steueroasen) ausschütten, haben in Deutschland immer nur das Minimum an haftendem Eigenkapital von 25.000 Euro. Werden diese Projektgesellschaft mit Regressforderungen bedacht, melden sie sofort Insolvenz an.

Offiziell beworben wird PPP mit dem angeblichen Effizienzvorteil. Private Berater errechnen im Vorfeld in sogenannten Wirtschaftlichkeitsgutachten, dass PPP die öffentliche Hand günstiger kommt als die konventionelle Vergabe. Inoffiziell wird PPP als Umgehung von Verschuldungsobergrenzen angeboten: Die Verträge sind zwar faktisch Schulden und müssen in Krisenländern wie Griechenland auch als solche verbucht werden. In Deutschland werden PPPs jedoch noch unter den laufenden Ausgaben verbucht, trotz mehrfacher und vehementer Kritik der Rechnungshöfe. In einer gemeinsamen Stellungnahme der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder heisst es zu den Gutachten: „In vielen Fällen zeichneten sich die Arbeits­ ergebnisse der [PPP-]Berater durch mangelnde Nachvoll­ ziehbarkeit aus.“ Tatsächlich konnten neun von 18 untersuchten PPPs deswegen nicht geprüft werden. Bei den verbliebenen neun PPPs kamen die Rechnungshöfe in acht Fällen zu einem geringeren Effizienzvorteil als ausgewiesen. Man gab auch einen Hinweis, weswegen das so ist: Die gutachtenden Beraterfirmen sind selbst selbst enorme Profiteure des Systems PPP. „Zum Teil waren die Grenzen zwischen Beratung und Lobbying fließend“ stellten die Rechnungshöfe nüchtern fest.

Obwohl es um Infrastrukturen und Dienste für das Gemeinwohl geht, sind PPP-Vertrags­ entwürfe und PPP-Verträge stets geheim. Zudem sind die Vertrags­ konstruktionen enorm komplex und zumeist mehrtausendseitig, im Fall der Mauterhebung Toll Collect 17.000 Seiten, bei der Autobahn A1 36.000 Seiten. Selbst wenn Abgeordnete es sich gerichtlich erstreiten, in einer sogenannten „Geheimschutzstelle“ in die Verträge einsehen zu dürfen, müssen sie dann unterschreiben, nicht darüber zu sprechen, nichts zu kopieren, nichts abzuschreiben – andernfalls drohen hohe Geldstrafen.

Es gibt bei PPP-Projekten inzwischen zahlreiche Fälle von eklatanten Kostensteigerungen, gravierenden Bauzeitüberschreitungen, massiven Ein­ schränkungen der Leistungen sowie von Schädi­ gungen der Infrastruktur. Viele PPP-Projekte wurden vorzeitig abgebrochen, oft wegen Insolvenz. Unter den Projektabbrüchen sind Preisträger und Pilotprojekte wie das „digitale Bürgerportal Würzburg“. Das PPP-Innovationsprojekt Elbphilharmonie Hamburg kostet statt ursprünglich 77 Millionen Euro nun mindestens 684 Millionen Euro – mehr als das achtfache. Im PPP-Innovationsprojekt „90 Schulen Landkreis Offenbach“ kam es zu erheblichen Nachforderungen im Projektverlauf. Statt 780 Millionen zahlt der Landkreis 1,3 Milliarden Euro oder mehr.

Das Volumen an PPP nimmt weiter zu, aktuell sind fünf milliardenschwere Autobahn-PPP-Vorhaben in der Planung, teilweise auch schon in Ausschreibung. Auch die Anzahl der PPP-Vorhaben steigt weiter an. Dennoch gibt es auch Hoffnung: Noch vor fünf Jahren war der Begriff PPP außerhalb von Expertenkreisen weitgehend unbekannt, inzwischen wird vielfach darüber kritisch berichtet, zuletzt in den ARD-Fernsehmagazinen „Monitor“ und „Panorama“ sowie in „frontal 21“ (ZDF), aber auch in „Autobild“. Gleichzeitig ist seit drei Jahren in keiner großen Zeitung mehr eine Lobeshymne für PPP erschienen. Die Wende in der Berichterstattung spiegelt die Haltung der Menschen zu PPP als Privatisierungsform wider. Es kommt immer öfter zu lokalem Widerstand gegen PPP-Vorhaben. In Frankfurt am Main konnte ein 500-Millionen-Euro-PPP-Projekt verhindert werden. Die Privatisierung eines Abschnitts der Autobahn A7 per PPP geriet zum Wahlkampfthema in Niedersachsen und wurde vorerst gestoppt. In Keitum wurde der Gemeinderat wegen eines PPP-Desasters abgewählt, vor einer 14 Mio. Euro teuren Keitumer PPP-Inves­ titions­ ruine hat man eine Gedenktafel ange­ bracht: „Lernort PPP oder wie der Traum vom Thermalbad zum finanziellen Alptraum wurde.“ Noch ist nicht nur Keitum, sondern weiterhin ganz Deutschland „Lernort PPP“. Für eine Abwahl von Politikern, die die Daseinsvorsorge privatisieren gibt es im September aber eine neue Gelegenheit.

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* Angaben nach Dexter Whitfield 2012. Das verkaufte PPP-Volumen umfasste mehr als 5 Mrd. britische Pfund (6,25 Mrd. Euro). Der durchschnittliche Gewinn der Weiterverkäufe lag über 25 Prozent.

Staatsgeheimnis Lkw-Maut, ein WDR-Beitrag

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Das Toll Collect Maut System ist nicht nur teuer, es ist auch viel zu kompliziert.

Die Lkw-Maut in Deutschland ist ein Musterbeispiel für eine misslungene Abgabe von öffentlichen Aufgaben an private Unternehmen. Drei Jahre später als mit dem Bund verabredet brachte das Unternehmen Toll Collect das Mautsystem im Januar 2006 mit voller Funktionalität zum Laufen, hierfür allein stünde der Bundesrepublik Schadensersatz in Höhe von 7 Milliarden Euro zu. Doch die hohen Kosten sind nur ein Aspekt einer verkorksten Zusammenarbeit.

Gudrun Thoma und Sebastian Schütz beleuchteten am Montag mit ihrem WDR-Beitrag das misslungene PPP-Projekt. Sie ließen u.a. auch die GiB-Gründungspaten Werner Rügemer und Anton Hofreiter zu Wort kommen. Das Video kann hier angesehen werden.

Privatisierung im Strafvollzug

Bild: flickr/gravitat_OFF

Bild: flickr/gravitat_OFF

Mit der Justizvollzugsanstalt Hünfeld wurde im Jahr 2005 das erste deutsche Gefängnis im Rahmen einer Public-Privat-Partnership teilprivatisiert. Seither folgten weitere, aber mittlerweile häufen sich die Zweifel. So hat etwa die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg die Verträge mit dem Betreiber der JVA Offenburg wegen „grundsätzlicher Überlegungen“ zum erstmöglichen Zeitpunkt nach Vertragsschluss aufgekündigt, in Sachsen-Anhalt will die Bilfinger-Gruppe ihre Anteile an der JVA Burg nun offenbar abstoßen.

Der SWR2 brachte am letzten Samstag einen Bericht über eben jene Privatisierung im Strafvollzug. Darin wird neben der Situation in Deutschland unter anderem die Lage in den Vereinigten Staaten beleuchtet, wo die Privatisierung bereits sehr viel weiter fortgeschritten ist und sogar hoheitliche Aufgaben an private Unternehmen übergeben werden. Professor Holger Mühlenkamp von der Universität Speyer spricht zudem über die grundsätzlichen Probleme von Public-Private-Partnerships. Die Sendung vom 25.5. kann hier angehört werden.

Rekommunalisierung – Die Renaissance der Stadtwerke

Vor allem in der Energieversorgung gibt es einen Trend zur Rekommunalisierung. (Bild: Böckler Impuls, Ausgabe 09/13)

Vor allem in der Energieversorgung gibt es einen Trend zur Rekommunalisierung. (Bild: Böckler Impuls, Ausgabe 09/13)

Böckler Impuls, Ausgabe 09/2013

Die Kommune kommt zurück, besonders wenn es um Strom, Gas oder Fernwärme geht. Aber auch in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge ist der Privatisierungstrend gebrochen. Seit 2007 sind mehrere Dutzend neue Stadtwerke gegründet worden.

Energie, Wasser, Nahverkehr, Abfallentsorgung, Krankenhäuser – all dies lässt sich öffentlich oder privat organisieren. In den vergangenen 150 Jahren „schlug das Pendel mal stärker in Richtung öffentlicher, mal stärker in Richtung privater Orientierung aus“, schreibt Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU). Seine Bestandsaufnahme zeigt, dass der Trend nach einer längeren Privatisierungsphase seit etwa fünf Jahren zur Rekommunalisierung geht. Ein häufiger Grund: Die Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Entweder habe sich gezeigt, dass frühere Privatisierungsentscheidungen nicht hinreichend durchdacht waren, so Libbe, oder dass das von privaten Unternehmen gebotene Preis-Leistungsverhältnis nicht gestimmt hat.

Andernorts steht ein wirtschaftlicher Strategiewechsel der Kommune hinter der Rekommunalisierung, zum Beispiel wenn sich mehrere Gemeinden zusammenschließen und neue Gemeinschaftsunternehmen gründen. Oder wenn sich Kommunen in wirtschaftlich schwachen Regionen entschließen, aus eigener Kraft den regionalen Arbeitsmarkt zu stärken – und mit öffentlichen Betrieben etwa Lohndumping-Tendenzen entgegenwirken wollen. Auch geht es dem Wissenschaftler zufolge manchmal ganz grundsätzlich darum, „politischen Einfluss auf die Qualität der Leistungserstellung zurückzugewinnen“. Zudem können Umweltargumente eine Rolle spielen, wenn etwa mehr erneuerbare Energie zum Einsatz kommen soll. Gerade in weitgehend liberalisierten Märkten hätten Kommunen häufig ein Interesse daran, die eigene strategische Position zu stärken, hat Libbe beobachtet. Und schließlich falle es gerade kleinen Kommunen oft leichter, einen Eigenbetrieb zu führen als sich mit komplizierten Ausschreibungs- und Überwachungsverfahren zu beschäftigen. Privatisierung mache die Kommunen hingegen abhängig von externer Beratung – was die demokratische Kontrolle erschwere.

Energie: Der größte Teil der Rekommunalisierungen spielt sich in diesem Sektor ab. Der Wissenschaftler macht dafür vor allem zwei Gründe aus: Erstens liefen bei Strom und Gas in jüngster Zeit viele Konzessionsverträge aus, sodass Kommunen über die Zukunft der Energieversorgung neu entscheiden können. Zweitens macht die Energiewende ohnehin eine stärkere Dezentralisierung der Versorgung nötig. Zwar gibt es keine vollständige Statistik über die Zahl der bereits vollzogenen Rekommunalisierungen; aber ein deutlicher Hinweis auf einen entsprechenden Trend ist die Tatsache, dass seit 2007 rund 60 neue Stadtwerke gegründet wurden.

Wasser: Die Wasserver- und -entsorgung sind selten ganz in privater Hand. Häufig handelt es sich um Unternehmen, deren Anteile teils in öffentlichem, teils in privatem Besitz sind. Hier gibt es zwar keinen Rekommunalisierungstrend wie im Energiebereich, aber einige Beispiele für den Rückkauf von Anteilen. Bereits beschlossen ist dies in Stuttgart, darüber verhandelt wird in Berlin.

Abfall: Die Müllentsorgung findet zum größeren Teil durch Privatunternehmen im Auftrag der Gemeinden statt. In der jüngeren Vergangenheit entschieden sich aber immer mehr Städte und Kreise für eine Insourcing-Strategie, etwa Aachen, Bergkamen, der Landkreis Uckermark, der Rhein-Hunsrück- sowie der Rhein-Sieg-Kreis. Angesichts weltweiter Rohstoffknappheit dürfte Recycling wirtschaftlich immer interessanter werden, vermutet Libbe. „Dies könnte in den kommenden Jahren durchaus als weiterer Treiber für Rekommunalisierung wirken.“

ÖPNV: Straßenbahnen und Busse sind meist ohnehin in öffentlicher Hand, wenn auch meist in privater Rechtsform, nämlich als GmbH. Insofern sei die Rückführung in kommunales Eigentum hier ein „untergeordnetes Thema“, schreibt der DIFU-Experte. Dennoch gibt es Beispiele wie die Stadt Kiel, die seit 2010 wieder hundertprozentige Eigentümerin der Verkehrsgesellschaft ist.

Krankenhäuser: Krankenhäuser befinden sich zu jeweils rund einem Drittel in öffentlicher, privater und frei-gemeinnütziger Trägerschaft. Auf diesem Feld rechnet Libbe zwar nicht mit „nennenswerten Rekommunalisierungen oder gar Neugründungen“ öffentlicher Kliniken. Aber der Trend zur Privatisierung sei „zumindest verlangsamt, vielleicht sogar gestoppt“.

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Quellen

Jens Libbe: Rekommunalisierung in Deutschland – eine empirische Bestandsaufnahme, in: Claus Matecki, Thorsten Schulten (Hrsg): Zurück zur öffentlichen Hand?, VSA Verlag, Hamburg 2013

Allein gegen das Kartell – Ein Gundelfinger legt sich mit der deutschen Justiz an – wegen undurchsichtiger Geschäfte mit Urteilen

Bild: flickr/chaouki, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Bild: flickr/chaouki, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Von Daniel Gräber aus der Zeitung „Der Sonntag“  (19. Mai 2013)

Wer die deutsche Rechtsprechung sinnvoll durchsuchen will, zahlt dafür viel Geld. Ein Datenbankbetreiber aus Gundelfingen schickt sich an, dies zu ändern. Mit einer Klage gegen das höchste deutsche Gericht.

Mit Gerichtsurteilen lässt sich Geld verdienen. Viel Geld. Erst recht, wenn man die Möglichkeiten des Internets nutzt und die Rechtsprechung in Datenbanken ordnet, gut durchsuchbar aufbereitet sowie zusammenhängende Urteile miteinander verknüpft. Das hat Softwareentwickler Christoph Schwalb schon vor 15 Jahren erkannt und gründete in Gundelfingen die Firma Lexxpress. Doch er scheiterte daran, dass die staatlichen Lieferanten des Datenmaterials einen Konkurrenten bevorzugen: die Juris GmbH. Exklusiv-Verträge mit den obersten Gerichten ließen Juris zum „Marktführer für Online-Rechtsinformationen in Deutschland“ (laut eigener Darstellung) heranwachsen. Mit jährlich steigenden Gewinnen in Millionenhöhe. Denn wer die Urteils-Datenbank durchsuchen will, muss bezahlen. Rechtsanwaltskanzleien können sich die hohen Abogebühren leisten. Aber der normale Bürger, der Urteile zu einer bestimmten Rechtsfrage suchen will, ist praktisch ausgeschlossen.

Dass die staatlichen Exklusiv-Verträge mit Juris öffentlich wurden, ist Christoph Schwalbs Hartnäckigkeit zu verdanken. Denn er zog vor Gericht – gegen die Gerichte. Und er gab trotz zahlreicher Niederlagen nicht auf, jahrelang nicht. Vergangene Woche ist ihm ein Erfolg gelungen, der bundesweit noch für Aufsehen sorgen wird: Er hat das Bundesverfassungsgericht besiegt. Zumindest vorläufig, denn das höchste deutsche Gericht könnte in Revision gehen. Aber ob es das tun wird, ist nicht nur eine juristische, sondern vor allen Dingen eine politische Frage: Der Ruf des Rechtsstaats steht auf dem Spiel. Und das ausgerechnet durch das Geschäftsgebahren derjenigen Institution, die ihn sonst als sein Bollwerk verteidigt.

Warum es überhaupt so weit kommen konnte, erklärt sich Christoph Schwalb so: „Das ist ein gut funktionierendes Kartell, von dem beide Seiten profitieren.“ Die Firma Juris spart einiges an Personalkosten, weil die Dokumentationsabteilungen der Justiz die Urteile inhaltlich und technisch so aufbereiten, dass sie direkt in die Datenbank übernommen werden können. Ein amtlicher Service, der anderen Anbietern nicht gewährt wird. Genau dagegen hat Schwalb nun erfolgreich geklagt. Nicht aus wirtschaftlichem Interesse, sagt er. Seine Firma habe inzwischen ein anderes Geschäftsmodell gefunden. „Sondern weil ich es für skandalös halte.“

Die Justiz profitiert von der Zusammenarbeit, weil sie dadurch die Kosten einer eigenen Datenbank einspart. Und auch ein guter Teil der Gewinne, die Juris durch den Urteilsverkauf erwirtschaftet, geht an das Bundesjustizministerium. Ursprünglich war die Rechtsdatenbank vollständig in öffentlicher Hand, wurde aber scheibchenweise privatisiert. Mit 50,01 Prozent der Anteile hält der Bund noch eine knappe Mehrheit an der Juris GmbH. Rund 45 Prozent der Anteile gehören inzwischen einem niederländischen Verlag, der wiederum in den Händen privater Finanzinvestoren ist.

Kritiker dieses Modells bemängeln, ein Rechtsstaat dürfe seine Urteile nicht wie eine Handelsware verkaufen. Stattdessen sollte er im Internetzeitalter dafür sorgen, dass alle Bürger unbeschränkten Zugang zu einer bundesweiten Rechtsdatenbank haben. In anderen EU-Ländern ist dies schon Realität.

Bedenken aus den eigenen Reihen

Aber selbst Markt-Befürworter, die gegen die Privatisierung von Urteilsdaten nichts einzuwenden haben, sehen die Juris-Konstruktion kritisch. Denn der mögliche Vorteil eines Marktes, sinkende Preise durch Wettbewerb, wird ausgehebelt. Durch undurchsichtige Exklusiv-Verträge, ohne Ausschreibung, ohne Vergabeverfahren. Das Bundesjustizministerium hat bisher alle Einwände zurückgewiesen. Selbst solche aus den eigenen Reihen.

Als Christoph Schwalb Anfang 1999 das Bundesverfassunsgericht aufforderte, seiner Firma Lexxpress die Gerichtsentscheidungen im selben Umfang und in derselben aufbereiteten Form wie der Juris GmbH zukommen zu lassen, lehnte die damalige Gerichtsdirektorin Elke Luise Barnstedt dieses Anliegen ab. Dabei berief sie sich auf das Bundesjustizministerium. Doch gleichzeitig äußerte sie intern erhebliche Zweifel an dessen Haltung: „Meines Erachtens sieht das Bundesministerium der Justiz nicht, dass es problematisch sein könnte, ausschließlich einer privatrechtlichen GmbH Leistungen zu überlassen“, schreibt Barnstedt in einem Vermerk vom 12. Februar 1999. In Klammern fügt sie hinzu: „Erhebliche Ressourcen vom Bundesverfassungsgericht fließen in die Bearbeitung der Dokumentation.“ Ressourcen, für die der Steuerzahler bezahlt.

Und auch dem Hauptargument für die Exklusiv-Belieferung widerspricht die Direktorin klar und deutlich: Soweit das Ministerium darauf verweise, dass „wir im Gegenzug freie Benutzung der Juris-Datenbank erhalten, hilft dies uns meines Erachtens nur wenig, da auch der Haufe-Verlag dies uns anbieten könnte.“ Der Freiburger Haufe-Verlag hatte sich Ende 1998 ebenfalls um die Herausgabe der Juris-Daten bemüht. Allerdings mit kürzerem Atem als Christoph Schwalb.

Warum wurden innerhalb des Bundesverfassungsgerichts Barnstedts Bedenken nicht ernst genommen, was nun zur Niederlage vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geführt hat? Weder Barnstedt selbst noch der Sprecher des Gerichts nehmen dazu Stellung. Man warte auf die Urteilsbegründung der Mannheimer Verwaltungsrichter, heißt es aus Karlsruhe. Aber es sei ganz normal, dass es in einer so komplexen Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen gebe. Es wirkt, als sei man sich der politischen Dimension dessen, was Kartell-Bekämpfer Schwalb ins Rollen gebracht hat, noch gar nicht bewusst.

Einer seiner Anwälte, der Freiburger Urheberrechtler Michael Nielen, hofft, dass sich dies ändern wird: „Wie das Bundesverfassungsgericht an der juristisch und moralisch falschen Praxis seiner Urteilsveröffentlichung festhält, ist seiner nicht würdig. Ich gehe davon aus, dass das den Richtern nach der Lektüre der Entscheidung aus Mannheim klar wird.“ Bei der mündlichen Verhandlung hat kein Verfassungsrichter, sondern der Leiter der Dokumentationsabteilung das höchste deutsche Gericht vertreten.

Privatisierung bedeutet Umverteilung von unten nach oben

Carl Waßmuth, Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)

Vom 25. bis zum 27. Mai findet an der TU Berlin der Kongress „Umverteilen. Macht. Gerechtigkeit“ statt. Es wird dabei um die Analyse der aktuellen Kluft zwischen arm und reich sowie Möglichkeiten zur Umverteilung gesprochen werden. Auch Gemeingut in BürgerInnenhand wird im Rahmen des Kongresses zwei Workshops anbieten. In dem Workshop Wege aus der Privatisierungsfalle sollen Erfahrungen im Kampf gegen Privatisierungen ausgetauscht werden. Der zweite Workshop Privatisierungen drücken der Demokratie die Luft ab. Über das Verhältnis von Politik und Profit soll dazu dienen die Thesen des folgenden Artikels zu diskutieren.

P1030957 Die Infrastruktur der Daseinsvorsorge stellt einen gewaltigen Wert dar. Allein für ihren Erhalt sind laut OECD von 2006 bis 2030 weltweit 71 Billionen US-Dollar erforderlich. Die Finanzkrise von 2008 hat offenbart, dass reine Finanzderivate nicht mehr ausreichen, um aus Geld mehr Geld zu machen. Auch die sogenannte Realwirtschaft steckt in einer tiefen Krise, die natürlichen Grenzen von Quellen und Senken versperren den bisher eingeschlagenen Weg des grenzenlosen Wachstums. Die nach Anlagemöglichkeiten suchenden KapitalanlegerInnen sind daher schon länger auf die Daseinsvorsorge aufmerksam geworden. Auch wenn keine Autos mehr rollen, Wasser wird weiter getrunken, die Mittel, die die Staaten für den Erhalt ihrer Daseinsvorsorge aufwenden, gelten als krisensicher.
Dabei sind Infrastrukturen an und für sich  für  private Anleger gar nicht so interessant, sie sind teuer im Unterhalt und können auch bei luxuriösester Inanspruchnahme von wenigen Privaten kaum gewinnbringend genutzt werden. Erst durch die Allgemeinheit als Nutzergruppe und dem Staat als Geldgeber für die erforderlichen Investitionen werden Infrastrukturen als Anlageobjekte interessant. Wer sich das jeweilige Monopol sichern kann – und es sind immer Monopole, sei es regional oder sektoral – kann Staat und NutzerInnen erpressen. Auf dem Wege über die Privatisierung der Daseinsvorsorge wird die Umverteilung von unten nach oben manifest, echte Werte wechseln den Eigentümer, echte Enteignungen finden statt, es werden die Beschäftigten, Steuerzahlenden und NutzerInnen ganz konkret um den Mehrwert ihrer Arbeit gebracht.

Wie Beschäftigte für Privatisierungen bezahlen

Was einem Verkauf, Teilverkauf oder einer formalen Privatisierung folgt, ist zumeist Arbeitsverdichtung, Stellenabbau und Tarifflucht. Es wird auf Teufel-komm-raus „outgesourct“, über den verstärkten Einsatz von Leiharbeitern werden Dumpinglöhne eingeführt, die dann auch das Lohnniveau für die Neueinstellungen dirigieren. Gleichzeitig werden die Belegschaften aufgesplittet in einzelne „Profit-Center“, nicht selten durch Aufspaltung in zahlreiche einzelne Tochtergesellschaften. Am Ende sinken auch bei der verbliebenen Stammbelegschaft die Löhne. Einzig die vielen Vorstände der neuen Gesellschaften beziehen deutlich höhere Gehälter. Die Deutsche Bahn gründete nach der formalen Privatisierung über 400 Einzelgesellschaften aus, alle mit neuen Vorständen, Geschäftsführern, Aufsichts- und Verwaltungsräten. Die jüngsten Ausgründungen ab 2008 dienten explizit dem Ziel, in Nahverkehrs-Ausschreibungen die Tariflöhne unterlaufen zu können. Der  Vorstandsvorsitzende der Holding DB AG bezieht ein Gehalt von drei Millionen Euro jährlich, fast das Zehnfache der Bezüge der Bundeskanzlerin.

Staatsverschuldung als Mittel zur Umverteilung

Ein zentrales Umverteilungsinstrument im Rahmen von Privatisierungen sind den Steuerzahlenden aufgehalste Verluste. Dabei wird an dieser Stelle nicht besprochen, in welcher Form das Steuersystem an sich ungerecht ist. Beschrieben werden hier Schulden, die infolge von Privatisierungen gemacht werden, durch Vergabe von Subventionen und Überlassung von Vermögenswerten an sogenannte „Investoren“. Die größte jüngere Privatisierungsorgie dieser Art hat die Treuhandanstalt veranstaltet. Gegründet werden konnte die Institution, in dem den BürgerInnen der vormaligen DDR Hoffnung gemacht wurde, sie bekämen nach erfolgreichem Verkauf des Volksvermögen einen Gegenwert für ihre Anteile daran ausgezahlt. Frisch mit dieser Legitimation ausgestattet, begannen die vorgeblichen Treuhänder mit einem beispiellosen Ausverkauf: Staatseigene Unternehmen und Immobilien im geschätzten Wert von 600 Milliarden DM wurden losgeschlagen, bei gleichzeitigem massivem und nachhaltigem Arbeitsplatzabbau. Die Käufer legten zumeist sofort oder nach nur kurzer Zeit die Unternehmen still und schalteten auf diesem Wege eine für sie unangenehme Konkurrenz aus, ganze Landstriche wurden deindustrialisiert.  Das zeitigte gravierende soziale Verwerfungen, die bis heute fortwirken und weiter hohe Kosten für die Allgemeinheit verursachen. Und was wurde dafür an Erlösen erzielt? Keine, die Treuhandanstalt schloss nach nur vier Jahren mit Schulden von 256 Milliarden DM. 
In Großbritannien wurde Anfang der Neunziger Jahre die Eisenbahn aufgespalten und dann für insgesamt knapp drei Milliarden britische Pfund verkauft. Die für die Infrastruktur zuständige Aktiengesellschaft machte in den ersten Jahren enorme Gewinne, die sie an ihre privaten Anleger ausschüttete. Die Gewinne wurden möglich, weil man nicht in die Infrastruktur investierte, sondern nur für deren Nutzung kassierte. Als nach wenigen Jahren diese Infrastruktur zu versagen begann, kam es zu einer Serie schwerster Eisenbahnunfälle. Der britische Staat musste erst ein landesweites Tempolimit für die Schiene verhängen und dann das Schienennetz wiederverstaatlichen und totalsanieren. Die Kosten dafür betrugen für die britischen Steuerzahlenden 100 Milliarden britische Pfund.

Umverteilung über Preiserhöhungen

Im Zuge von Privatisierungen steigen die Preise oder Gebühren schneller als die Inflationsrate. Seit  der formalen Privatisierung der deutschen Bahn steigen die Fahrpreise doppelt so schnell wie die Preise der allgemeinen Lebenshaltung, einzelne Preise wie die für die BahnCard oder für Reservierungen vervierfachten sich. In privatisierten kommunalen Wohnungsunternehmen steigen die Mieten rasant, und häufig in der Folge die Mieten ganzer Stadtbezirke. Das Prinzip ähnelt einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Da der Anteil der Ausgaben für Miete, Bahnfahrten, Strom, Wasser und weitere Güter und Dienstleitungen der Daseinsvorsorge bei einkommensschwachen Haushalten am gesamten Haushaltseinkommen deutlich höher liegt als bei den Reichen unserer Gesellschaften, bezahlen die einkommensschwachen Haushalte auch den Hauptanteil der Mehrkosten von Privatisierungen. Im Falle von Strom werden zum Beispiel die Abgaben für den Ausbau der erneuerbaren Energien über (vollständig intransparent agierende) Großerzeuger in Deutschland eingesammelt, die wiederum aus einer langen Serie von Privatisierungen der öffentlichen Stromversorgung hervorgegangen sind und nun die Energiewende für horrende  Preiserhöhungen z.B. von bis zu 12% für Ende 2012 nutzen.

Umverteilung über das Mehrwertsteuerprinzip hinausgehend

Es bleibt nicht dabei, dass Privatisierungen eine Art Mehrwertsteuer zugunsten von Privaten sind, die Anteile der öffentlichen Daseinsvorsorge unter ihre Kontrolle gebracht haben. Nicht selten haben Großverbraucher eine zusätzliche Obergrenze, über die hinaus sie gar nichts mehr bezahlen. Über die Ausgabe von handelbaren CO2-Emissionsrechten wurde quasi die Luft privatisiert. Die einfachen VerbraucherInnen bezahlen den Preis dabei in allen Konsumgütern implizit. Allerdings haben zahlreiche Großverbraucher wie zum Beispiel die Aluminiumindustrie erreicht, dass sie CO2-Emissionsrechte geschenkt bekommen. Ähnliches passiert beim Umbau hin zu regenerativen Energien: Abgesehen davon, dass die Haftung für Atom-GAUs und die Entsorgung des Atommülls ohnehin nicht bei den vormals öffentlichen, jetzt privatisierten Energiekonzernen liegt, die jahrelang mit Atomstrom viel verdient haben. Nun muss die Infrastruktur zur Energieversorgung endlich umgebaut werden. Die industriellen Großverbraucher haben sich für diesen Prozess bessere Bedingungen verschafft als die EndkundInnen. Dabei ist die Energiewende nichts anderes als die dringend notwendige Korrektur der verfehlte Energiepolitik der „Big Four“, einem Oligopol als Ergebnis der vollständigen Privatisierung des Energiesektors. Die EndkundInnen zahlen für die Energiewende also doppelt.

Umverteilung durch Personalisierung

Öffentliche Güter und Dienste verteilen die Risiken weitgehend gleichmäßig unter allen NutzerInnen. Das ist eine elementare Funktion unserer Gemeingüter: Lebensrisiken wie Krankheit, Zeiten ohne Einkommen, Pflegebedürftigkeit im Alter, regionale Unterschiede wie die von Stadt zu Land sollen von allen gemeinsam getragen werden, damit sie Einzelnen nicht zu viel aufbürden.  Wenn nun solche Risiken nach einer Privatisierung von den Einzelnen selbst zu tragen sind, müssen diese sich für den Risikofall z.B. der Berufsunfähigkeit versichern. Wer sich nicht versichern kann, und das sind viele, weil bereits die Ausgaben für das Notwendigste so hoch oder höher sind als die Einkünfte, fällt zurück in den Status des Tagelöhners. Sie oder er muss nahezu jede Arbeit, jede noch so geringe Bezahlung akzeptieren. Es entstehen Wanderarbeiter, die trotz Vollzeitarbeit zum Sozialamt gehen müssen. Im Zuge des Ausbaus des Flughafen Berlin Schönefeld wurden die Boden- und Gepäckdienste auf dem alten Schönefelder Flughafen privatisiert. Nur wenige Jahre später berichteten Beschäftigte der Privaten Globe Ground, dass sie trotz 40-Stunden-Woche als Aufstocker Hilfsleistungen beziehen müssen. Die Kosten für die prekär Lebenden und Arbeitenden sind hoch, wer von der Hand in den Mund leben muss, lebt teuer. Aber auch die, die noch die Möglichkeit haben, sich zu versichern, nehmen an einer spezifischen Form von Umverteilung teil: Öffentliche Güter und Dienste wirken selbst wie eine Versicherung, sie müssen an die Versicherungswirtschaft nichts abtreten. Die große Gruppe der einzeln Versicherten hingegen bezahlt mehrfach. Zunächst bezahlt sie die enormen Renditen der Versicherungen. Dann befeuern die Finanzanlagen der Versicherungen das globale Casino. Kommt es hier zu Crashs und Insolvenzen, zahlen die Versicherten den Bail-Out.

Volkswirtschaftliche „Nebenkosten“

Privatisierungen verursachen jenseits unangemessener Kauf- und Rückkaufpreise für die betroffenen Volkswirtschaften teure Effekte. Arbeitslosigkeit zum Beispiel verursacht enorme volkswirtschaftliche Kosten, die von den Steuerzahlenden und den Sozialversicherten getragen werden müssen. Da Bezieher großer Einkommen sowie Kapitaleigner sich anteilig deutlich geringer an den Kosten für die Sozialversicherungssysteme beteiligen, ist eine hohe Arbeitslosigkeit ein Umverteilungsmechanismus. Die Zahl der Arbeitsplätze im Zuge der formalen Bahnprivatisierung in Deutschland sank von 450.000 in 1994 auf 230.000 heute. Außerhalb der DB AG entstanden Arbeitsplätze in den nun möglichen Konkurrenzunternehmen, aber nicht annähernd so viele, wie verloren gegangen waren und zu wesentlich schlechteren Bedingungen.  Privatisierungen sind auch nicht selten Steuersparmodelle für die Anleger. Infrastrukturfonds haben ihren Sitz in Steueroasen, es ist nicht nur statthaft, sich zu Spottpreisen in unsere Daseinsvorsorge einkaufen, die Anleger dürfen dadurch auch  ihre Steuerlast mindern, zuweilen sogar auf das Niveau Null.
Last but not least findet durch Privatisierungen eine Umformung der betroffenen Sektoren statt, die weitere volkswirtschaftliche Kosten verursacht oder bisher allgemein verteilte Kosten auf die Geringverdiener verteilt. So bilden Private nicht oder deutlich weniger aus, die Kosten für die Ausbildung ist in steigendem Maße von den verbliebenen öffentlichen Diensten zu tragen. Auch ist soziale Absicherung im öffentlichen Sektor deutlich besser als im  Privatsektor, Mitbestimmung hat noch einen ganz anderen Stellenwert. All diese hart erkämpften Mittel einer Umverteilung von oben nach unten gehen im Zuge von Privatisierungen verloren, es gibt bereits ganze Sektoren wie die Telekommunikation, die als Synonym für schlechte Arbeitsbedingungen gelten.

Privatisierungskreisläufe

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Das Bild zeigt einen sanierungsbedürftigen Abwasserkanal. DIN 600 mit Scherbenbildung und Längsriss, was der Schadenskategorie I zugeordnet wird. Hier besteht sofortiger Handlungsbedarf, da Einsturzgefahr gegeben ist. (Quelle: Firma Frisch & Faust Tiefbau GmbH)

Privatisierungen verlaufen in den seltensten Fällen linear. Es kommt kaum vor, dass anfangs vollständig öffentliches Eigentum umgewandelt wird in vollständigen und dauerhaften Privatbesitz. Ebenso ist es zumeist nicht einfach so, dass voller Ausgleich aller Kosten für Bau, Wartung und Instandhaltung der Infrastruktur sowie anderer Nebenkosten durch die öffentliche Hand abgelöst wird durch ein vollständiges Aufkommen für alle anfallenden Kosten durch einen Privaten. Vielmehr existieren oft vielfältige und sich stets wandelnde Mischformen nebeneinander. Dabei gibt es jedoch bei aller verwirrenden Vielfalt eine fatale gemeinsame Tendenz: Nach den stets von der Allgemeinheit erbrachten gewaltigen Anfangsinvestitionen für öffentliche Infrastrukturen wird zu billig verkauft und später überteuert vom Staat zurückgekauft, und dies  über die Lebensdauer der Infrastruktur mehrfach. Dazwischen liegen Phasen, in denen an die teilprivaten Güter oder Dienste Subventionen aus Steuergeldern fließen, während die Gewinne an die Privaten gehen und somit entzogen werden. Zumeist wird die Infrastruktur unter privater Regie unterinvestiert und ist nach einer Rekommunalisierung oder Wiederverstaatlichung hochgradig sanierungsbedürftig.

Mit dem neuesten Instrument der Privatisierung wurde dieser Kreislaufmechanismus sogar automatisiert: PPP, Public Privat Partnerships, im Deutschland zuweilen auch ÖPP, öffentlich private Partnerschaften genannt, sind das Perpetuum Mobile der Privatisierung. Hier wird nicht mehr die Infrastruktur hin- und herverkauft. PPPs sind Vertragswerke zur direkten Privatisierung der öffentlichen Mittel, die für die Daseinsvorsorge bestimmt sind. Die Laufzeiten der Verträge sind zumeist 30 Jahre, selten kürzer, nie länger. In dieser Zeit bekommt ein einzelnes privates Unternehmen den betroffenen Bereich der Daseinsvorsorge unwiderruflich in seine Gewalt. Betroffen von PPPs sind Schulen, Krankenhäuser, Wasserwerke, Gefängnisse, Rathäuser, Schwimmbäder und sogar Autobahnen. Viele diese Einrichtungen können nach hundert Jahren noch gut genutzt werden, alle weit länger als 30 Jahre. Mit PPP wird nun festgelegt, wie lange der Zyklus des Auslaugens durch Unter- oder Nullinvestition jeweils dauern darf. Die  garantierten öffentlichen Investitionen für Miet- oder Leasingzahlungen – stets überteuert und von mitverdienenden Banken verbrieft – verhindern nicht, dass die Infrastruktur 30 Jahre lang ausgelaugt wird. Nach Vertragsende erfolgt automatisch der „Heimfall“ an die öffentliche Hand, die dann die erforderlich gewordene teure Sanierung vornehmen muss.

Ist die Welle der Privatisierungen nicht vorbei?

Es ist richtig, die großen Staatsbetriebe wie die Post, die Telekommunikation und die Energieversorgung sind verkauft, hierzulande, europaweit, weltweit. Privat sind in Deutschland die Medien mit Ausnahme weniger Staatsfernsehsender, privat sind die Pharmaindustrie und sogar das Müllrecycling-System. Doch es ist noch genug da: Der öffentliche Verkehr, große Teile der Wasser- und Abwasserversorgung, das Rentensystem mit Ausnahme des Riester-Anteils, der Großteil der Gesundheitsversorgung mit öffentlichen Krankenkassen und Krankenhäusern. Das weckt weitere Begehrlichkeiten. Es ist nicht übertrieben, von einer neuen Welle der Privatisierungen zu sprechen. Hierbei gibt es drei parallel verlaufende, sich teilweise gegenseitig verstärkende Entwicklungen:

1.    Zum einen nimmt der Einsatz von Public Private Parterships (PPPs) weiter zu. PPP-Verträge werden neu abgeschlossen, bestehende Verträge werden gehandelt, sie bilden einen eigenen Anlagemarkt für Infrastruktur. Dort gehandelt werden die PPP-Garantiescheine auf öffentliche Zahlungsverpflichtungen, die eigentlich für den Erhalt und Betrieb der Infrastruktur der Daseinsvorsorge bestimmt sind.
2. Zum zweiten ist die Selbstverpflichtung auf massive Privatisierungen zentrale Voraussetzung für Hilfen an von der Zahlungsunfähigkeit bedrohte Länder wie Griechenland, Irland, Portugal Spanien, aber auch im Rating herabgestufte Länder wie Italien und Frankreich. Die Deutsche Bank hat dazu im November 2011 eine Generalsstabsplan vorgelegt: „Privatisierungsoffensiven sollten auch auf Einrichtungen der Infrastruktur und der Daseinsvorsorge zielen. Im Eurogebiet gab es in den vergangenen Jahrzehnten bereits erfolgreiche Privatisierungswellen etwa bei der Telekommunikation. Gleichwohl bestehen vor allem im Infrastrukturbereich noch erhebliche Privatisierungspotenziale, die es zu nutzen gilt. Offiziellen Angaben zufolge belaufen sich in den großen Ländern Frankreich und Italien die staatlichen Unternehmensbeteiligungen auf rd. 5% des BIP. In Spanien dürften sie in ähnlicher Größenordnung liegen.“

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3.    Auch in Ländern mit AAA-Rating werden Privatisierungen wieder als das Mittel der Wahl dargestellt für hochverschuldete Kommunen und Städte. Die Schuldenbremse zusammen mit einer rigiden Kommunalaufsicht verbietet dort weitere Kredite, um Schulen zu sanieren, das örtliche Krankenhaus zu betreiben oder weiter sauberes Wasser bereitzustellen. Um die Daseinsvorsorge weiter zu gewährleisten, sieht man sich dazu gezwungen, Schulden für Investitionen in PPP-Verträgen zu verstecken und gleichzeitig eine neue Ausverkaufswelle einzuleiten. Kurzfristige Einmal-Einnahmen aus Unter-Wert-Verkäufen oder -vergaben stehen dann langfristige massive Einnahmenausfälle gegenüber.
Wo ist Hoffnung?

In der Bevölkerung wird Privatisierung längst mehrheitlich als schädlich angesehen. Seit 2007 lässt der Deutsche Beamtenbund dbb zusammen mit Forsa eine große repräsentative Meinungsumfrage zu Privatisierung durchführen. Ein zentrales Ergebnis ist: In den vergangenen fünf Jahren ist die Ablehnung von Privatisierung immer weiter gestiegen. Zuletzt wünschten 78% der deutschen Bevölkerung sich keine weiteren Privatisierungen oder sogar deren Rückabwicklung.

dbb-Umfrage 2011

dbb-Umfrage 2011

Wenn heute als Antwort auf Privatisierungen demokratische Kontrolle und als Antwort auf PPP-Geheimverträge Transparenz gefordert wird, so ist das nicht mehr und nicht weniger als ein notwendiger Bestandteil von Aufklärung. Haben uns die frühen Aufklärer geholfen, vom Gottesgnadentum zur Theorie des Gesellschaftsvertrags zu kommen, helfen Aufklärer heute, vom Primat der Finanzmärkte zu einem Menschen- und umweltverträglichen Miteinander zu finden. Aufklärung klingt nach einer zarten Forderung angesichts der fatalen Umverteilungsmechanismen von unten nach oben via Privatisierung. Allerdings war Aufklärung in den letzten großen Gegenbewegungen, den Umverteilungen von oben nach unten von der französischen Revolution bis zum New Deal unverzichtbare Voraussetzung.
In den Zeiten von Finanz- und Klimakrise muss eine weitere Stufe der Aufklärung erfolgen. Man muss insbesondere der Einsicht zum Durchbruch verhelfen, dass nicht der schrankenlose Wettbewerb, nicht der Ausverkauf des Gemeinwesens bis auf ein Skelett aus Militär und Polizei die brennenden Menschheitsfragen löst, sondern eine sinnstiftende und gemeinwohlorientierte Kultur des Umgangs mit Ernährung und Gemeingütern.  Eine Kultur im Umgang mit der öffentlichen Daseinsvorsorge, die sozialen Pflichten und Rechten einen täglich wirksamen Rahmen gibt, der der zunehmenden Ausgrenzung der Menschen von der Daseinsvorsorge entgegenwirkt. Dass unsere Gemeingüter dabei allen und nicht einzelnen Privaten gehören, ist nicht ausreichend, aber für den Schutz und Ausbau der Daseinsvorsorge elementare Voraussetzung.