Brief an die GesundheitsministerInnen der Länder: Kritik an der geplanten Krankenhausreform

Am 6. Dezember 2022 verkündeten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und seine Regierungskommission eine Krankenhausrevolution. Seitdem wird über ihre Vorschläge für eine weitreichende Krankenhausreform heftig und kontrovers diskutiert. In einem gemeinsamen Brief wandten sich das Bündnis Klinikrettung, die Bunten Kittel und die Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern an die GesundheitsministerInnen der Länder und haben darin ihre Kritikpunkte erläutert.

Die GesundheitsministerInnen der Länder haben den jeweils an sie persönlich adressierten Brief bekommen.

Brief an Minister Manfred Lucha (Baden-Württemberg)
Brief an Minister Klaus Holetschek (Bayern)
Brief an Senatorin Ulrike Gote (Berlin)
Brief an Ministerin Ursula Nonnemacher (Brandenburg)
Brief an Senatorin Claudia Bernhard (Bremen)
Brief an Senatorin Melanie Schlotzhauer (Hamburg)
Brief an Minister Kai Klose (Hessen)
Brief an Ministerin Stefanie Drese (Mecklenburg-Vorpommern)
Brief an Minister Dr. Andreas Philippi (Niedersachsen)
Brief an Minister Karl-Josef Laumann (Nordrhein-Westfalen)
Brief an Minister Clemens Hoch (Rheinland-Pfalz)
Brief an Minister Dr. Magnus Jung (Saarland)
Brief an Ministerin Petra Grimm-Benne (Sachsen-Anhalt)
Brief an Ministerin Petra Köpping (Sachsen)
Brief an Ministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken (Schleswig-Holstein)
Brief an die Ministerin Heike Werner (Thüringen)

Hier ist der gleichlautende Text:

Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister Manfred Lucha,

am 06.12.2022 verkündeten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und seine Regierungskommission eine Krankenhausrevolution. Seitdem wird über ihre Vorschläge für eine weitreichende Krankenhausreform heftig und kontrovers diskutiert.

In einer „Gemeinsamen Erklärung zu Lauterbachs vermeintlicher Revolution1 haben neun gesundheitspolitische Initiativen aus ganz Deutschland die Reformvorschläge grundlegend kritisiert. Folgende Argumente für unsere Ablehnung der Reform liegen unseres Erachtens auch im Interesse der Bundesländer und wir möchten Sie Ihnen daher nahelegen.

Unsere Kritik zielt auf zwei Hauptpunkte:

A) Der Zwang zu gewinnorientierter Krankenhausführung wird nicht beseitigt, sondern lediglich reduziert.

  1. Die Schäden von gewinnorientierter Betriebsführung von Krankenhäusern und das Scheitern des DRG-Abrechnungssystems sind bekannt: Kostensteigerungen, Arbeitsverdichtung und -überlastung, Krankenhausschließungen.2 Diese Probleme werden im Kommissionspapier benannt, aber nicht behoben. Durch die teilweise Einführung der Vorhaltepauschalen erfolgt lediglich eine Umverteilung variabler DRG-Einnahmen. Der Druck zur Ausweitung stationärer Leistungen bleibt so erhalten, ebenso die Gewinn- statt PatientInnenorientierung sowie eine überbordende Abrechnungsbürokratie. Dies gilt unabhängig von der Aufteilungsquote zwischen DRG-Fallpauschalen und Vorhaltepauschalen.
  2. Das Konzept der Kommission impliziert einen Druck zum Ausbau medizinischer Fachabteilungen und -technik. Dies geschieht angesichts eines enormen Investitionsstaus aufgrund der seit Jahren abgesenkten Landesförderungen. Die vorgesehene Kostenneutralität der Reform erhält den Fehlbetrag der Krankenhäuser im Umfang von jährlich 15 Milliarden Euro aufrecht.3 Die vorgesehenen Kostenerstattungen aufgrund der hohen Inflation lösen das Strukturproblem überhaupt nicht.
  3. Eine rasche und vollständige Abschaffung des DRG-Abrechnungssystems ist notwendig. Nur ein kostendeckendes System kann den Druck zu Gewinnerzielung reduzieren. Es würde zugleich eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitssituation des Klinikpersonals herbeiführen. Die übermäßige Abrechnungs- und Kontrollbürokratie durch DRG-Kodierung, DRG-Dokumentation und den Nachweis erforderlicher Strukturmerkmale würde drastisch reduziert, das dann freigesetzte Klinikpersonal könnte endlich seinem Berufsziel nachkommen: der Behandlung der PatientInnen. Für ein solches System der Kostendeckung gibt es tragfähige Konzepte (vgl. Anhang), die absehbar keine oder geringe Kostenerhöhungen mit sich bringen. Notwendig bleiben aber: Nachholende Investitionen.

B) Die Gliederung nach drei „Leveln“ von Krankenhäusern erscheint sinnvoll, um bundeseinheitliche Standards zu erreichen. Aber durch die Zuordnung von Leistungsgruppen zu Leveln und der damit einhergehenden Einschränkung von erlaubten Behandlungen droht statt patientenfreundlicher Standardisierung eine gravierende Unterversorgung.

  1. Die Drei-Gliederung ist bereits jetzt Teil der meisten Landes-Krankenhausplanungen, in etlichen Ländern (z.B. Niedersachsen4) wird sie zu einer Neuordnung fortentwickelt. Angesichts der Differenzierung der Trägerschaft und der kooperierenden Gesundheitsdienste ist ein bundesweites Leitmuster sinnvoll. Die damit verbundene Zuordnung von „Leistungsgruppen“ geht jedoch am Behandlungsbedarf der Bevölkerung vorbei, ignoriert Kooperationen, droht die Potentiale vieler Krankenhäuser zu zerstören und reißt große Versorgungslücken auf. Die Kluft zwischen den Leistungsgruppen des Level 1 und den Leveln 2-3 geht an der bedarfsnotwendigen klinischen Versorgung insbesondere in ländlichen Regionen vorbei.
  2. Bis zu 657 Krankenhäuser ohne Basisnotfallversorgung (Level 1i) würden mit der Einführung der Level geschlossen und in Gesundheitseinrichtungen unter pflegerischer statt ärztlicher Leitung umgewandelt, die nur tagsüber ärztlich ambulant betreut sind5. Die vorgesehene KV-Notfallversorgung ist ungeeignet für eskalierende Krankheitsverläufe und lebensbedrohliche Unfälle. Das Leistungsspektrum von 649 Krankenhäusern mit Basisnotfallversorgung (Level 1n) würde massiv eingeschränkt, Zentrenbildung und spezialisierte klinische Leistungen an ländlichen Krankenhäusern würden unterbunden. Viele größere spezialisierte Häuser (Level 2) müssten aufgerüstet oder geschlossen werden, wenn sie nicht dieser vorgefertigten Leistungspalette genügen6. Richtigerweise haben Sie in der „Bund-Ländergruppe für die Krankenhausreform“ bereits Öffnungsklauseln und Ausnahmetatbestände für die Bundesländer gefordert.7
  3. Die Auswirkungsanalyse des hcb Institute for Health Care Business GmbH, dessen Geschäftsführer Dr. Boris Augurzky Mitglied der Regierungskommission ist, geht davon aus, dass im Umkreis von 30 Fahrzeitminuten nur ein Haus eine spezialisierte oder Maximal-Versorgung übernehmen sollte.8 In bis zu zwei Dritteln der deutschen Krankenhäuser gäbe es Abteilungs- oder komplette Schließungen, ambulante Gesundheitseinrichtungen müssten zu hohen Kosten um- oder aufgebaut werden. Zur stationären Aufnahme eines Großteils der PatientInnen müssten die verbliebenen Krankenhäuser stark ausgebaut werden, was zu sehr hohen Kosten führen würde.
  4. Die Reform sieht die Konzentration der KlinikmitarbeiterInnen vor. Erfahrungsgemäß gibt nach einer Krankenhausschließung ein großer Teil des (vor allem Pflege-)Personals seinen Beruf auf und kommt den nächstgelegenen größeren Häusern nicht zugute.

Durch die rigiden Vorgaben für die Krankenhaus-Level werden Unterschiede der Krankenhauslandschaft bezüglich Bedarf und Angebot in den Bundesländern und Regionen unter den Tisch gekehrt. Die Reformvorschläge sehen es bisher nicht vor, den regionalen Bedarfen entsprechend nachzujustieren oder passgenaue Lösungen für verschiedene Gebiete zu finden. Der in der „Bund-Ländergruppe für die Krankenhausreform“ angekündigte neue Vorschlag zur Krankenhausreform mit Öffnungsklauseln und Ausnahmetatbeständen muss von den Bundesländern sorgfältig geprüft werden. Nur die einzelnen Bundesländer können Krankenhausstruktur regional differenziert erfassen und neu entwickeln. Die flächendeckende klinische Allgemeinversorgung einschließlich Notfallversorgung steht daher auf dem Spiel – auch in Ihrem Bundesland!

Solange die Reformvorschläge nicht verabschiedet sind, haben Sie die Möglichkeit, drohende drastische Verschlechterung der regionalen Gesundheitsversorgung zu verhindern. Nutzen Sie Ihre politischen Spielräume, um für den Erhalt der flächendeckenden klinischen Versorgung einzustehen. Da die Krankenhausreform bereits bis Ende des Jahres fertiggestellt werden soll, ist die Zeit knapp.

Anbei finden Sie das Konzept des Bündnis Klinikrettung für eine kostendeckende Krankenhausfinanzierung, welche die bestehenden Probleme des DRG-Fallpauschalensystems beheben würde. Wir bitten Sie, sich angesichts der Schwere der geplanten Reform mit diesem Alternativkonzept erntshaft auseinanderzusetzen. Gerne stehen wir für einen Austausch über die Sicht von Betroffenen auf die Reformvorschläge sowie für fachliche Diskussionen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Laura Valentukeviciute und Dr. Rainer Neef, Bündnis Klinikrettung

Dr. med. Fabian Becker, Bunte Kittel

Klaus Emmerich, Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern

1Gemeinsame Erklärung der Initiativen – Das fordern wir von der Reform der Krankenhausfinanzierung: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2023/01/2023-01-04_Erklaerung_von_9_Initiativen_zu_Krankenhausfinanzierungsreform.pdf

2Vgl. zum Beispiel: Nadja Rakowitz/ Bündnis Krankenhaus statt Fabrik: Das Fallpauschalensystem und die Ökonomisierung der Krankenhäuser – Kritik und Alternativen. Maintal 2020 (5. erw. u. komplett überarb. Aufl.), S. 56Ff, u. 170ff.

4Bericht der Enquêtekommission „Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen – für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung“. Hannover: Nds. Landtag, Drs. 18/8650; sowie: Neufassung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes, Nds. Landtag Drs. 18/10578, insbes. §§ 2 und 5.

6Bundesgesundheitsministerium, ebd.

7Bundesgesundheitsministerium, Krankenhausreform – Bund legt neuen Vorschlag bis Ende April vor, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/krankenhausreform-bund-legt-neuen-vorschlag-bis-ende-april-vor.html

8hcb Institute for Health Care Business GmbH, Auswirkungsanalyse im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V., S. 10f. und 16, https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/1_DKG/1.7_Presse/Kurzversion_DKG_Auswirkungsanalyse_Basisszenario_von_Vebeto_und_hcb.pdf. Vgl. hierzu die Berechnungen der Aktionsgruppe Schluss mit Kliniksterben in Bayern, Zynische Auswirkungsanalyse, https://schlusskliniksterbenbayern.jimdofree.com/krankenhausreform/zynische-auswirkungsanalyse/

1 Kommentar

  1. im Gesundheitswesen kann und darf es nicht um Rendite gehen.

    Mehrere Aufenthalte in Helios- Kliniken haben mir diese Gefahr verdeutlicht. Ärzte und Pfleger sind vielfach verzweifelt und müssen vor der Privatisierung geschützt werden.

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