Zombie Bahnprivatisierung ?

Verkehrsexperte Prof. Dr. Heiner Monheim beim Katerfrühstück. Bild: GiB
Verkehrsexperte Prof. Dr. Heiner Monheim beim Katerfrühstück. Bild: GiB

Von Carl Waßmuth / GiB

Plant die Bundesregierung, 2015 die Bahn zu privatisieren? Diesen Schluss präsentierten am 5.1.2015 die Organisationen Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), Bündnis “Bahn für Alle” und Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB) auf einer Pressekonferenz in Berlin. Tatsächlich erscheint ein neuer Anlauf zur Bahnprivatisierung recht unwahrscheinlich: Das Thema ist sehr sensibel, und allzuoft wurde seitens der Bahnspitze und von Ministern verkündet, ein Börsengang liege in weiter Ferne. Dennoch gibt es sehr beunruhigende Anzeichen für einen neuen Anlauf zum Teilverkauf. Nachfolgend werden diese aktuellen Entwicklungen ausgewertet.

Privatisierungsfähige Bahnstruktur 2008

Der Bahnbörsengang wurde 2008 in letzter Minute wegen der Finanzkrise vorerst abgesagt. Es war schon alles bereit: der Börsenprospekt, die Holdingsstruktur der DB AG mit der riesigen Tochter DB Mobility Logistics AG (DB ML AG), ein „Beschäftigungssicherungspakt“ mit der tonangebenden Gewerkschaft transnet bis (heute EVG, Laufzeit: bis Ende 2010), eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mit dem Bund. Und ein Vorratsbeschluss des Bundestags, wonach 24,9 Prozent der DB ML AG veräußert werden dürfen. Mit Ausnahme des Beschäftigungssicherungspakts ist das alles noch in Kraft. Dabei gäbe es gute Gründe, z.B. die DB ML AG wieder aufzulösen: Der Vorstand ist personenidentisch mit dem Vorstand der DB AG,  auch der Aufsichtsrat ist fast derselbe. Die DB ML AG macht 94 Prozent des Umsatzes der DB AG aus. Wozu also braucht man diese Box in der Box?

Kampagne gegen die Bahnprivatisierung 2008

Die Kampagne gegen die Bahnprivatisierung hat den damaligen Börsengang nicht unmittelbar verhindert. Der Vorratsbeschluss zum Verkauf wurde von der damaligen Großen Koalition auch gegen den massiven Widerstand aus der Bevölkerung im Bundestag verabschiedet. Allerdings verzögerte der Widerstand das Vorhaben beträchtlich, so dass die Bahnprivatisierung unter die Räder der Finanzkrise kam – und so dass die nicht dauerfesten ICE-Achsen in Widerspruch zu den Hochglanzangaben im Börsenprospekt kamen. Den Betreibern der Bahnprivatisierung muss nach der Absage des Börsengangs klar gewesen sein, dass das Vorhaben damit nicht nur für einige Wochen verschoben werden musste. Sie versuchten alle Wogen zu glätten und vorerst dem Rampenlicht zu entgehen. Kein maßgeblicher Politiker der großen Koalition gab das Projekt jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen auf – alle bezogen sich auf die Finanzmärkte und gaben an, dass deswegen ein Teilverkauf in (unbestimmt) weiter Ferne läge.

Bedingungen für einen neuen Anlauf zur Bahnprivatisierung

Es hatte einer großen Koalition bedurft, den ersten, letztlich gescheiterten Anlauf zur Bahnprivatisierung anzugehen. Zu groß ist die emotionale Bindung in Deutschland an die Bahn, an Bahnhöfe und Züge. Zu offensichtlich ist der Daseinsvorsorgecharakter der Bahn, und zu grandios versagt die DB AG seit ihrer Gründung darin, die Rolle eines kundenfreundlichen und ökologischen Verkehrsträgers einzunehmen. Nun haben wir wieder eine große Koalition. Damit ist Bedingung Nr. 1  erneut erfüllt. Auch der Koalitionsvertrag lässt die Bahnprivatisierung zu – Bedingung Nr. 2. Ausgeschlossen wurde nur, was auch schon 2008 gar nicht an die Börse gebracht werden sollte: die Infrastruktur. Die DB AG Holding-Struktur ist weiter vorhanden, ja nun nach sechs Jahren gut eingespielt – Bedingung Nr. 3. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund wurde erneuert – und das sogar ein Jahr früher als erforderlich. Und die Mittel darin wurden sogar aufgestockt – Bedingung Nr. 4. Die ICE-Achsen wurden ausgetauscht. Das hat tatsächlich sechs Jahre gedauert und den Fernverkehr und auch die kapitalmarktbezogenen Ergebnisse der DB ML AG bedeutend beeinträchtigt. Aber nun sind neue Achsen verbaut – Bedingung Nr. 5.

Günstige Umstände für einen neuen Anlauf zur Bahnprivatisierung

Eine 2009 wegen krasser Unterinvestition massiv ins Schlingern geratene Tochter der DB AG, die S-Bahn Berlin GmbH, wurde weitgehend aufgefangen und ist nun einzige Bieterin im milliardenschweren Vergabeverfahren für eine Teilausschreibung ab 2017. Ein Volksbegehren gegen diese Teilausschreibung konnte vom Senat von Berlin auf dem Weg über das Landesverfassungsgericht gestoppt werden – zusammen bilden diese beiden Umstände den begünstigenden Umstand Nr. 1. Ronald Pofalla, der den Hedgefonds-Manager Utz-Helmuth Felcht als Aufsichtsratschef bei der DB AG installiert hatte, wurde vor wenigen Tagen Generalbevollmächtigter der DB für die politischen Beziehungen. Der Vertraute von Angela Merkel hat nun einen Stab von ca. 35 Mitarbeitern zur Verfügung, um von der Seite der DB AG diejenigen unter den Parlamentariern zu lobbyieren, die einen Teilverkauf mittlerweile kritisch sehen – günstiger Umstand (Umstand 2). Die BahnCard50, als Mobilitätskarte ein Fremdkörper in einer marktkonformen Bahn, ist auf einem vom Aufsichtsrat mitgetragenen Wege ins Abseits – günstiger Umstand Nr 3. Der zuständige Minister, Alexander Dobrindt, ist ein regelrechter Privatisierungsfanatiker. Schon bei den Autobahnen legte er sein politisches Gewicht in die Waagschale und wies erstmalig ein Bundesland per basta-dekret an, nach den Regeln des Bundes und nicht des Bundeslandes auszuschreiben – per PPP, der modernen Privatisierungsvariante. Das ist ein günstiger Umstand, und er bekommt die laufende Nummer 4. Dass der Dobrindt bei seinem ersten Kernprojekt ordentlich gepatzt hat, ist für die Freunde der Bahnprivatisierung nur eine Verstärkung – Dobrindt hat keine Rückzugsmöglichkeit: wenn er mit der Bahnprivatisierung begonnen hat, muss er es auch zu Ende bringen – sonst ist er die längste Zeit Minister gewesen. Noch vor einigen Legislaturperioden waren Verkehrsminister die klassischen Bauernopfer in Regierungsumbildungen  – nur wenige durften eine volle Amtszeit zu Ende führen. Und last but not least sind die großen Pflichtaufgaben der großen Koalition entweder abgearbeitet (Mindestlohn) oder abgewehrt (Energiewende), so dass Luft ist für Projekte, bei denen mit Widerstand zu rechnen ist. Zusammen mit dem gegenüber Mehdorn deutlich  stromlinienförmigeren und somit weniger Angriffsfläche bietenden Vorstandsvorsitzenden der DB AG Rüdiger Grube bildet dieses „Window of Opportunity“ den günstigen Umstand Nr. 5.

Kein Dementi!

Als aus einem internen Papier des DB AG-Aufsichtsrats bekannt wurde, dass die BahnCard 50 in ihrer jetzigen Form abgeschafft werden sollte, dementierte die DB sofort aufs schärfste. Auch sonst ist man dort schnell bei der Hand, das gegenteil der aktuellen Enthüllung zu verkünden. Der ICE-Achsbruch bei Köln war z.B. laut DB AG ein Einzelfall. Später hat man dann ALLE ICE-Achsen gleichen Typs ausgewechselt. Auf die bisher erschienenen drei Pressemeldungen zum neuerlichen Anlauf eines Teilverkaufs kam – nichts. Nichts von der DB AG, und auch die Bundesregierung hielt sich völlig bedeckt. Wenn tatsächlich nicht verkuft werden soll, wäre es doch ein leichtes einem auch auf anderen Gebieten zuweilen möglicherweise als lästig empfundenen Akteur wie dem Bündnis „Bahn für alle“ einmal einen auszuwischen. So könnte man z.B. den von diesen Bündnis jährlich herausgegebenen und recht breit rezipierten „Alternativen DB-Geschäftsbericht“ etwas relativieren. Aber weder die DB noch die Regierung nutzen diese Chance. Warum?

Fazit

Es ist der feste politische Wille in den Spitzen der großen Koalition zur Bahnprivatisierung vorhanden. Es ist die erforderliche Rechtsstruktur vorhanden. Vormalige Hindernisse wie brüchige ICE-Achsen oder das desolate S-Bahn-System in Berlin wurden vorerst saniert. Die Finanzmärkte haben sich weitestgehend beruhigt, jede Menge fluktuierendes Kapital sucht nach Anlagemöglichkeiten, ja ist sogar aktuell mit vergleichsweise bescheidenen Renditeerwartungen zufrieden. Es sind an allen zentralen Schaltstellen entschlossene und hinreichend rücksichtslose Akteure positioniert. Wenn also 2006 bis 2008 der öffentliche Widerstand gegen die Bahnprivatisierung eine tatsächlich bedeutende Rolle an der vorläufigen Absage gespielt hat – dann gilt es nur noch diesen Widerstand zu brechen oder zu überrumpeln. Im Umkehrschluss bedeutet das für genau diesen Widerstand: Erst muss der Überrumpelung entgangen werden, und dann ist wieder genügend Stärke zu erlangen, dass der Widerstand nicht gebrochen werden kann –  „notwendige Bedingen“ hin und „günstige Umstände“ her.

Weiterführende links zum Thema

1 comment

  1. Pingback:GiB-Infobrief: Neue Details über die „ÖPP-Kommission“ von Sigmar Gabriel | Gemeingut

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert