Offener Brief – keine Vorfestlegung auf die Autobahnprivatisierung

Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden, CC 2.5

Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden, CC 2.5

Offener Brief an die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten

 

Sehr geehrte Ministerpräsidentinnen, sehr geehrte Ministerpräsidenten,

die Bundeskanzlerin hat Sie für den 7.7.2016 zu einem Kamingespräch eingeladen. Zwanglose Gespräche sind sicherlich etwas, was der politischen Kultur guttun kann, wobei wir Ihnen wünschen, dass der Kamin angesichts der aktuellen Temperaturen nicht angefeuert wird.

Das anstehende Gespräch erfüllt uns allerdings aus anderem Grund mit großer Sorge: nach unserer Kenntnis will die Bundesregierung Sie dort vor Entscheidungen von großer Tragweite stellen.
Konkret geht es um das Vorhaben der Autobahnprivatisierung, das die Bundesregierung als „Reform der Auftragsverwaltung“ bezeichnet und zur Bedingung macht für ihre Zustimmung zu einer „Gesamtpaket“-Kompromisslösung im Bund-Länder-Finanzausgleich.

Was ist für Bund oder Länder die Autobahnprivatisierung wert? Wie viel Milliarden Mehraufwand haben Bund oder Länder, wenn die Aufgabenwahrnehmung zu den Bundesfernstraßen beim Bund zusammengefasst und formell oder sogar materiell privatisiert werden? Wer kommt dann für die Pensionen auf? Infolge der Privatisierung der Post übernahm der Bund Pensionslasten, die sich auf 575 Milliarden Euro summieren werden. Im Nachgang der formellen Privatisierung der Bahn zahlt der Bund für Pensionen und Ausgleichszahlungen jährlich etwa 5 Milliarden Euro, seit 1994 bereits insgesamt über 100 Milliarden Euro. Zu alledem ist die Frage hinzuzufügen, wie viel Kosten den Steuerzahlenden netto entstehen – unabhängig, ob ihnen das über den Bund, die Länder oder über Gebühren abverlangt wird. Zu all diesen wichtigen Kostenfragen gibt es bisher keine Untersuchungen. Die BürgerInnen können sich dazu keine Meinung bilden und auch nicht mitdiskutieren, obwohl es sie doch allein wegen der großen Summen, um die es dabei geht, erheblich betreffen würde.
Auch Ihnen wurden – nach allem was wir wissen – dazu keine Zahlen oder Schätzungen vorgelegt.

Auch die Abgeordneten des Bundestags werden im Unklaren gelassen. Allein in den vergangenen drei Monaten gab es die folgenden parlamentarischen Anfragen: Infobitte MdB Sven-Christian Kindler; Bündnis 90/Die Grünen im Finanzausschuss; Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; Infobitte MdB Roland Claus, Die Linke im Haushaltsausschuss; mündliche und schriftliche Fragen von MdB Sabine Leidig, Die Linke sowie eine schriftliche Anfrage von MdB Herbert Behrens, Die Linke.

In der Fragen und Infobitten wurde um Auskunft zu Inhalt, Zeitplan und Kosten des Vorhabens gebeten. Die Beantwortung erfolgte zögerlich und weitgehend inhaltsleer. Noch nicht einmal ein Textentwurf zur angestrebten Grundgesetzänderung wurde zur Kenntnis gegeben.

Vergleichbar bedrückend sind die Ergebnisse von Bürgeranfragen. Daran haben auch Sie Ihren Anteil: Wir haben Ihnen über Herrn Sieling 254.248 Unterschriften gegen das Vorhaben übergeben. Die Entgegennahme war freundlich, aber es hat sich aus Ihrem Kreise daraufhin niemand weiter zu der Frage geäußert. Zahlreiche BürgerInnen haben uns über ihren Schriftverkehr mit ihrer jeweiligen Landesregierung zur Kenntnis gegeben. Wir haben freundliche, aber inhaltsarme Antworten vorliegen.
Wir haben Sie im Vorfeld der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz auch persönlich angeschrieben und unsere Bedenken geäußert. Einige von Ihnen haben ihr Verkehrsministerium gebeten, uns zu antworten. Dass die Verkehrsminister gegen eine Grundgesetzänderung sind, wussten wir allerdings bereits: Die Verkehrsminister hatten sich bereits am 23.2.16 geschlossen gegen eine Bundesfernstraßengesellschaft und die zugehörige Grundgesetzänderung positioniert. Dieses Votum der Verkehrsminister wird jedoch ignoriert, was Teil des Problems ist, weswegen wir Ihnen schreiben. Noch schwerwiegender erscheint uns, dass auch die Beschlüsse der Landesparlamente gegen eine Auflösung der Auftragsverwaltung von Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg,  Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und  Sachsen-Anhalt im Entscheidungsprozess keine Rolle zu spielen scheinen. Diese Landesparlamente repräsentieren über 50 Millionen Menschen in Deutschland, die zugehörigen Bundesländer erwirtschaften zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts.

Die Bundesregierung macht Ihnen mit den Hinterzimmertreffen faktisch das Angebot, Mitglied einer „Superregierung“ zu werden, bestehend aus dem Bundeskabinett und Ihnen als Ministerpräsidenten. Die Regierungskoalition verfügt im Bundestag über 80 Prozent der Sitze, was es ihr erleichtert, Gesetze durchzubekommen. Sie sollen durch Ihre (gemeinsame) Vorabzustimmung die zugehörigen Mehrheiten im Bundesrat beisteuern. In der Umsetzung bedeutet das allerdings die weitgehende Marginalisierung der Legislative. Nicht die Parlamente und der Bundesrat würden demnach die Gesetze machen, sondern die Superregierung. Schlimmer noch: Auch das Grundgesetz soll in diesem Verfahren geändert werden.

Die Verlagerung von Entscheidungen aus den verfassungsrechtlich vorgesehenen Gremien in die Hinterzimmer sperrt nicht nur Parlamentarier aus. Auch der Zivilgesellschaft wird jede Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozess verwehrt. Es gibt von diesen Treffen im Vorfeld keine öffentlichen Tagesordnungen, im Nachgang keine Protokolle, die eingesehen werden können. Medien berichteten, die Autobahnprivatisierung hätte schon am 22.4 behandelt werden sollen, dann am 31.5., dann am 16.6., jetzt am 7.7. Vielleicht aber auch erst am 21.7.? Dazu kommt: Im Moment ist zwar bekannt, dass die Bundesregierung einen Entwurf für eine Grundgesetzänderung erarbeitet und abgestimmt hat, der eigentliche Text ist aber der Öffentlichkeit nicht bekannt – ein Unding kurz vor so einer Entscheidung! Diese enorme Intransparenz verhindert demokratische Beteiligung und zerstört nachhaltig das Vertrauen in die Politik.

Der angestrebte Bund-Länder-Kompromiss schadet der Demokratie auch durch seine schiere Dimension. Im Bund-Länder-Finanzausgleich geht es um eine Vielzahl von Fragen, die für sich völlig berechtigt und großteils auch dringend sind. Manche sind miteinander verwoben, manche stehen aber auch weitgehend für sich. Was spricht dagegen, diese Fragen Stück für Stück abzuarbeiten? Eine Aufgabe kann im Zuständigkeitsbereich der Länder oder des Bundes liegen oder dazwischen. Das lässt sich für sich lösen. Wird ersichtlich, dass einer Körperschaft mehr Aufgaben zuwachsen, so ist das zugehörige Steuer- und Gebührenvolumen anzupassen. Auch das lässt sich in Schritten bewältigen. Stattdessen wird nun ein Riesenpaket verhandelt. Sachgründe für Zuständigkeiten treten in den Hintergrund. Mit den jeweiligen Schuldenbremsen im Nacken geht es nur noch darum, wer mehr Geld für sich herausschlägt. Einzelne Vorhaben können für sich völlig unsinnig oder komplett bürgerfremd sein – wenn sie zu einem Kompromiss auf der Ebene der Finanzen führen, werden sie verabschiedet.

Wie sollen Parlamente und Zivilgesellschaft mitdiskutieren können, wenn sie nicht wissen, was wann diskutiert und entschieden werden soll? Privatisierung ist immer auch eine Grundsatzentscheidung. Das gilt umso mehr, wenn es wie im vorliegenden Fall um die Daseinsvorsorge geht. Was einmal verkauft ist, kann nur sehr schwer oder sehr teuer wieder zurück in öffentliche Kontrolle zurückgebracht werden. Solche Entscheidungen müssen öffentlich und grundsätzlich diskutiert werden. Gleiches gilt für Grundgesetzänderungen: Sie sollten auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens beruhen.

Für die Autobahnprivatisierung setzen sich die großen Bau- und Versicherungskonzerne ein.
Gegen weitere Privatisierungen sprechen sich seit 2007 gemäß repräsentativen Meinungsumfragen regelmäßig 80 Prozent der Bevölkerung aus. In Frankreich, das seit vielen Jahren die Autobahnen privatisiert hat, wollen 78 Prozent der BürgerInnen deren Rückkauf.
Dass die BürgerInnen hierzulande keine Autobahnprivatisierung wollen zeigen auch über eine Viertelmillion Unterschriften gegen die Autobahnprivatisierung, die wir Ihnen im März übergeben haben. Auch Gewerkschaften und Umweltverbändesind gegen das Vorhaben. Auch der ADAC, MittelstandsvertreterInnen und VerfassungsexpertInnen sehen das Vorhaben kritisch.

Würden Sie einem Vorratsbeschluss zur Autobahnprivatisierung im Rahmen einer Paketlösung zum Bund-Länderfinanzausgleich zustimmen, würde das – neben den inhaltlichen Aspekten, die dagegen sprechen – eine enorme Schwächung der Legislative, des demokratischen Diskurses und der Beteiligung der Zivilgesellschaft bedeuten. Das wäre nicht nur schädlich, sondern auch gefährlich. Die immer stärkere Konzentration von Entscheidung auf einen kleinen Kreis politischer Eliten hat gerade erst maßgeblich zum Brexit beigetragen. Dabei gelingt es bisher vor allem nationalistischen und demokratiefeindlichen Bewegungen, den Unmut der BürgerInnen über diese Entdemokratisierung für ihre Interessen zu nutzen. Auch in Deutschland befinden sich Nationalisten in einem erheblichen Aufwind. Wir appellieren an Sie:

Setzen Sie sich ein für eine wirklich demokratische Entscheidungsfindung: Stimmen Sie keiner Vorfestlegung auf eine Grundgesetzänderung zur Autobahn zu!

Setzen Sie sich für eine gründliche und öffentliche Debatte zur Reform der Organisation der Bundesfernstraßen ein! Machen Sie Informationen zu dem Vorhaben öffentlich!

Und nicht zuletzt: Sprechen Sie sich öffentlich gegen Autobahnprivatisierung jedweder Form aus.

 

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift_LV

Laura Valentukeviciute

(Vorstand)

Unterschrift_Carl

Carl Waßmuth

(Vorstand)

3 Kommentare

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