Wem gehört die ökonomische Bildung? Notizen zur Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik

In einer Studie der WissenschaftlerInnen der Universität Bielefeld wurde eine besondere Form der Bildungsprivatisierung untersucht: „Insbesondere Wirtschaftsverbände, unternehmernahe Stiftungen, Institute und Initiativen fordern seit einem Jahrzehnt mehr ökonomische Bildung an Schulen. Die vorliegenden Studien zeigen, dass sie als locker verbundene Lobbyisten zusammen mit Wirtschaftsdidaktikern ein bestens finanziertes politisch-pädagogisches Netzwerk bilden. Seine Akteure und Aktivitäten finden parteipolitische Unterstützung vor allem bei CDU und FDP.“

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Studie über die Lobbyarbeit von Wirtschaftsverbänden in der ökonomischen Bildung veröffentlicht

Pressemitteilung, Bielefeld, 9.5.2011

Sehr geehrter Herr Pissarskoi,

die Wirtschaftslobby und ihr nahestehende Organisationen und Initiativenbilden zusammen mit Wirtschaftdidaktikern ein politisch-pädagogisches Netzwerk, das die Kampagnen für ein neues Schulfach Wirtschaft trägt. Dieses Netzwerk ist eng mit CDU und FDP und ihren parteinahen Stiftungen verbunden.

Wirtschaftsverbände und unternehmernahe Organisationen fordern nicht nur ein eigenständiges Schulfach Wirtschaft, sondern sie wollen auch beeinflussen, was dort gelehrt und gelernt werden soll.

Insbesondere die Finanzindustrie überschüttet die Schulen mit Materialien, drängt ins Klassenzimmer und lässt dort ihre Mitarbeiter über finanzielle Allgemeinbildung unterrichten. So vermischen sich öffentlicher Bildungsauftrag und private Geschäftsinteressen.

Dies sind Hauptergebnisse der Analysen von Lucca Möller und Reinhold Hedtke (Universität Bielefeld), die die „initiative füreine bessere ökonomische bildung“ (www.iboeb.org) heute als Arbeitspapier veröffentlicht hat. Die Studie trägt den Titel „Wem gehört die ökonomische Bildung? Notizen zur Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik“.  Sie kann unter http://www.iboeb.org/moeller_hedtke_netzwerkstudie.pdf heruntergeladen werden.

Die „initiative für eine bessere ökonomische bildung iböb.“ ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus fünf Universitäten. Die iböb. kritsiert insbesondere die wirtschaftspolitische und politische Einseitigkeit, die verhindert, dass die Schülerinnen und Schüler sich ein eigenständiges, differenziertes Urteil in Kenntnis unterschiedlicher Positionen bilden können.

Denn in der ökonomischen Bildung an allgemein bildenden Schulen sehen die Wirtschaftsverbände offensichtlich eine Chance, für Positionen der privaten unternehmerischen Wirtschaft und des wirtschaftsliberal-konservativen Parteienspektrums zu werben. Das belegen von den Lobbygruppen mit erheblichem Aufwand entwickelte Unterrichtsmaterialien, die sie massiv unter Kindern und Jugendlichen und an Schulen verbreiten.

Die Ergebnisse der Vorstudien aus der Universität Bielefeld, so deren Verfasser, lassen befürchten, dass ein Schulfach Wirtschaft zum Fach der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände wird.

Denn ein Schulfach Wirtschaft nach Vorstellungen der Wirtschaftsverbände und ihrer Partner ist inhaltlich und politisch einseitig geprägt. In den von ihnen verbreiteten Konzepten und Unterrichtsmaterialien werden Positionen und Perspektiven von Gewerkschaften, Umwelt-, Sozial- und Verbraucherverbänden sowie kapitalismus- und globalisierungskritische Ansätze marginalisiert. Wissenschaftlicher und politischer Pluralismus sind dort selten gefragt, politische Positionen aus dem Mitte-Links-Spektrum bleiben meist ausgeblendet.

Demgegenüber fordert die „initiative für eine bessere ökonomische bildung iböb.“, dass sich die Wirtschaftsdidaktik als Wissenschaft und die bildungspolitischen Akteure nachhaltig für den wissenschaftlichen und politischen Pluralismus in der ökonomischen Bildung in allgemeinbildenden Schulen einsetzen.

Nach Auffassung der iböb. gehört die ökonomische Bildung an öffentlichenSchulen allen, nicht nur den Interessen von großen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden. Hier gibt es einen großen politischen und pädagogischen Handlungsbedarf.

Mit freundlichen Grüßen

Reinhold Hedtke

— Prof. Dr. Reinhold Hedtke – Bielefeld University

7 Kommentare

  1. Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.

    Der Autor dieser Studie Prof. Dr. Hedtke ist eng mit den Gewerkschaften “vernetzt”. Das macht ihn nicht suspekt. Aber es relativiert seine Kritik. Und es verdeutlicht, dass er selbst kaum objektiv sein kann. Obwohl mancher Kritikpunkt berechtigt ist. Aber gleich Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen, ist doch wohl ein wenig übertrieben. Seine Studie enthält einige wahre Fakten, auf denen er eine höchst streitbare Interpretation aufsetzt.

    Eine weitere, auch beachtensswerte Notiz zur Verflechtung von Wissenschaft und Politik ist die Nähe Hedtkes zu Interessenverbänden wie der DVPB und dem linken Spektrum der Parteienlandschaft.

    Außerdem hat seine Mitstreiterin und frühere Bielefelder Kollegin Prof. Dr. Weber, Mitgründerin der iböb, unlängst selbst für die viel gescholtene “Finanzindustrie” Materialien zum Umgang mit Geld geschrieben – für die Gundschule!!!

    Siehe: Birgit Weber: Kinder, Knete & Co. Sparkassen Schulservice 2007

    http://www.bne-portal.de/corem…PageId=15090.html

    Was soll man davon halten? Warum verschweigt Prof. Dr. Reinhold Hedtke das?

    Merke: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.

  2. GesinnungsgenossInnen von Kritik ausgenommen?

    Ich habe mir das Netzwerk genauer angeschaut und die vielen verschiedenen Institutionen gegoogelt. Was es nicht alles gibt auf dieser Welt!

    Die beiden Bielefelder Soziologen erwähnen jedenfalls ausdrücklich die Bertelsmann-Stiftung, die Heinz Nixdorf Stiftung und die Ludwig-Erhard-Stiftung als Strippenzieher, tschuldigung: Netzwerker.

    Und genau für die hat doch Prof. Dr. Hedtkes iböb-Kollegin Prof. Dr. Birgit Weber bereits 1999 eine Studie gemacht. So schreibt sie jedenfalls selbst auf ihrer Homepage: http://www.hf.uni-koeln.d… – google sei Dank, findet man auch das.

    Sage ich doch: Die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche.

    Als kritische Leserin dieser kritischen Studie frage ich mich jetzt noch mehr: Nach welchem Kriterium haben die Autoren wen und was in das Netzwerk aufgenommen? Und aus welchen Gründen haben sie wen und was unerwähnt gelassen? Wäre das Netzwerk nicht noch informativer, wenn es vollständig wäre? Wäre es nicht glaubwürdiger, wenn sie nicht Personen davon ausnehmen würden, mit denen sie eine gemeinsame politische Linie verbindet?

    Es muss der Autorin und dem Autor doch auch klar sein, dass viele jetzt fragen werden, ob Forschungs- und Entwicklungsgelder von diesen Stiftungen ihrer Meinung nach dann unkritisch sind, wenn sie an ForscherInnen gehen, die ihre politische Linie verfolgen.
    Ich bin jetzt noch skeptischer geworden, dass das alles haltbar ist, was in dieser so genannten Studie steht!!!

  3. Wie löchrig ist das Netz des Prof. Hedtke?

    Ich habe hier schon über die eine oder andere Ungereimtheit dieser Studie berichtet. Und je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr kommt auch das eine oder andere Loch im Netz des Prof. Dr. Hedtke zum Vorschein. Und hier gleich das nächste:
    http://www.ich-bin-meine-

    Der Projektleiter von der Uni Bonn, Prof. Dr. Piorkowsky, erhielt auch Mittel der viel gescholtenen Finanzindustrie. Er schreibt auf der Homepage des Projekts: „Die Wissenschaftsförderung der Sparkassen-Finanzgruppe förderte im Jahr 2006 die Ausarbeitung der theoretischen Grundlagen. Seit Juni 2007 fördert die Heinz Nixdorf Stiftung die weitere Entwicklung des Projektes.“ Macht damit auch er das Fach Wirtschaft zum Fach der Wirtschaft?

    Ich meine: nein! Aber dieses Beispiel zeigt, wie löchrig das Netz des Prof. Hedtke ist. Es ist reine Willkür, wer darin auftaucht und wer nicht. Wissenschaft sieht für mich anders aus.

    Ich kann aus den Resultaten meiner eigenständigen Recherchen nur einen Schluss ziehen: Ein vollständiges Netz mit allen Empfängern von Drittmitteln aus allen möglichen Töpfen jedweder politischen Couleur wurde nur eines zeigen: Es gibt das von Prof. Dr. Hedtke beschworene „bestens finanzierte politisch-pädagogische Netzwerk“ gar nicht. Es existiert nur in seiner Vorstellung. Hoffentlich erspart er uns eine weitere.

  4. title=“Das Imperium schlägt zurück!!!“

    Die von Prof. Dr. Hedtke aufs Korn genommenen Wirtschaftsdidaktiker aus Oldenburg wehren sich und werfen nun umgekehrt dem Autor der Netzwerkstudie massive wissenschaftliche Versäumnisse vor. Auszug: “Wie bereits in der Vergangenheit, verlässt er dabei auch mit dem aktuell von ihm und Lucca Möller veröffentlichten ‘working paper’ „Wem gehört die ökonomische Bildung?“ an vielen Stellen das Feld wissenschaftlicher Auseinandersetzung und wählt die Stilmittel politischer Agitprop-Methoden.”

    Wer sich in dieser Sache selbst ein fundiertes Urteil darüber bilden will, wer Recht hat, muss jetzt unbedingt auch die Gegenseite hören – bzw. lesen.

    Siehe:
    http://www.ioeb.de/aktuelles/stellungnahme-zum-working-paper-wem-gehoert-oekonomische-bildung-1447

    Ui, ui, ui. Wenn die dort erhobenen Vorwürfe zutreffen, dürfte es um die Seriosität der Netzwerkstudie schlecht bestellt sein. Bin gespannt, wie dieser Streit weitgeht.

    Ich verabschiede mich jetzt aus dieser Debatte. Aber heute ist nicht alle Tage, ich komm wieder keine Frage. Und zwar genau dann, wenn wir wieder einmal zum Narren gehalten werden sollen. Aber ich bin gewiss nicht diejenige, für die ihr mich (alle?) haltet.

    Homo oecologicus

  5. Hallo zusammen,

    mir fehlt in den vier vorangehenden Kommentaren völlig die Auseinandersetzung mit den Inhalten. H.O. sucht ausschließlich die Legitimation der Autoren in Zweifel zu ziehen: wirklich unabhängig? Er kommt (überspitzt) zu dem etwas verblüffenden Schluss: Nein, die haben schon für Gewerkschaften gearbeitet, und andererseits auch schon für Gegenseite, die sie kritisieren (die Bertelsmann-Stiftung? Die Sparkassen? Die links gehen alle nicht). Und weiter unten dann: Wissenschaftlich genug? Ist da nicht etwas Polemik drin? Und dann der (funktionierende) link auf das als Studie formulierte Dementi derer, die da der Kritik ausgesetzt waren, in der dann von „Wissenschaft light“ die Rede ist.

    Auf dieser Seite geht es um Gemeingüter. Die ökonomische Bildung ist eines davon. Es ist wohl ein Gemeinplatz, dass die derzeitig an den Universitäten vertretenen Lehrinhalte einseitig eine bestimmte Richtung vertreten. Eine intellektuell sehr interessante Kritik daran üben die Post-Autisten der Ökonomie, die das völlige fehlen von pluralen Positionen und Lehrbeispielen aufdecken. In der Studie von Hedke/Möller werden einige Fragen aufgeworfen, ob und wie sich dieser Trend an unseren Schulen fortsetzt.
    Kinder sind weit stärker beeinflussbar als Studierende. Um meine Wachsamkeit zu wecken hätte es weniger benötigt als eine Studie. Die Lehrinhalte für unsere Kinder bedürfen einer demokratischen Partizipation. Beim Kommentator „Homo oeconomicus“ und den Autoren der Dementi-„Studie“ ist davon nicht die Rede. Sie wollen weitermachen dürfen, nur ohne störende Kritik.

    Oeko Homologicus

  6. Ich lese die vorherige Nachricht so: Meine „Enthüllungen“ von Ungereimtheiten und Lücken werden gar nicht infrage gestellt. Danke für diese indirekte Bestätigung ihrer Richtigkeit.

    Das größte Gemeingut, mein lieber Schreiberling, hier ist die Wahrheit. Und die habe ich ans Licht gebracht. Ganz im Gegensatz zu den „Forschern“ aus Bielefeld. Die haben Nebelkerzen gezündet.

    Dennoch forderst Du auf, frau solle sich mit den von ihnen erhobenen Vorwürfen inhalicht auseinandersetzen? Warum denn das jetzt? Die Studie ist methodisch so schwach und das Ergebnis so lückenhaft, dass die ganzen Interpretationen und Bewertungen doch in sich zusammengekracht sind. Es lohnt einfach nicht, sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen.

    Jede wissenschaftlich Ausgebildete weiß: Wenn frau wissen will, ob es lohnt, sich mit den Ergebnissen einer Studie auseinanderzusetzen, dann schaue frau sich an, wie sie zustande kam.

  7. Nachtrag: Die Unwissenschaftlichkeit ist erwiesen!

    Jetzt hat sich auch die wissenschaftliche Vereinigung der Wirtschaftsdidaktiker, der Prof. Dr. Hedtke sogar selbst angehört, zu dieser m. E. äußerst schwachen Darbietung geäußert. Und zwar in noch drastischeren Worten: Es handele sich um “einseitig verkürzende Darstellungen”, “unzulässige Verallgemeinerungen” und es lägen “gravierende methodische Mängel” vor. Wow!!! Das ist Klartext!!!

    Siehe:
    http://degoeb.de/uploads/degoeb/DeGoeB%20Stellungnahme%20iboeb%20Nr1.pdf

    Ist Prof. Dr. Hedtke mittlerweile in seiner Zunft völlig isoliert? Für mich sieht es ganz so aus.

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