Weihnachtspost zum Hungerlohn

Bild: CFalk / pixelio.de
Bild: verrosteter Briefkasten. Quelle: CFalk / pixelio.de

Im neuen Jahr werden Briefe, Päckchen und Pakete teurer. Wieder werden die Beschäftigten davon nicht profitieren.
Von Tim Engartner, erschienen als Gastbeitrag am 20.12.2013 in Frankfurter Rundschau

Auf 60 Cent erhöht die Deutsche Post AG das Briefporto zum 1. Januar, womit das Versenden von Standardbriefen nach der Erhöhung zu Beginn dieses Jahres erneut teurer werden wird. Zeitgleich werden die Preise für den inländischen Versand von Paketen und Päckchen um neun Cent steigen. Die im Brief- und Frachtpostgeschäft tätigen Mitarbeiter werden indes wieder nicht von den Preissteigerungen profitieren. Denn obwohl der Internetversandhandel über Amazon & Co. das Paketaufkommen in der Vorweihnachtszeit wieder in die Höhe schnellen lässt, dürften GLS, DHL, DPD, UPS und Hermes vor allem wieder Mini-, Midi- und Multi-Jobber sowie Zeit- und Leiharbeiter einstellen. Nimmt die Zahl der Auslieferungen nach den Feiertagen ab, werden auch viele Arbeitsverhältnisse enden.

Der Paketdienst GLS etwa arbeitet ausschließlich mit Subunternehmern, die in der Regel zwischen 1,20 und 1,40 Euro pro Paket erhalten. Auf Stundenlöhne von weniger als vier Euro wird das Entgelt unter anderem durch die als „vorbereitende Arbeit“ deklarierten Morgenstunden gedrückt, in denen die Fahrer unbezahlt die Pakete aus den Depots holen, vom Band nehmen, scannen und verladen. Auch die Konkurrenten delegieren ihre unternehmerische Verantwortung dergestalt, dass sie Subunternehmer mit der Anstellung von Fahrern beauftragen, die dann wiederum als Selbstständige Pakete zustellen. Der zum Berufsalltag zählende Laufschritt der Paketboten erklärt sich damit, dass innerhalb einer Stunde 15 bis 20 Pakete zugestellt werden sollen – eine Vorgabe, die weder in städtischen Ballungszentren noch im ländlichen Raum einzulösen ist.

Auch bei der Deutschen Post AG wurden in den vergangenen Jahren immer mehr Leiharbeits- und Saisonkräfte eingestellt, um Personalkosten zu sparen – und den Börsenkurs zu „pflegen“. Immer häufiger rollen die Paketzusteller als Selbstständige „im Auftrag“ oder als „Servicepartner von DHL“ über die Straßen. Nicht selten lösten 400-Euro-Jobs sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ab, während sich der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Post AG, Frank Appel, im vergangenen Jahr über Bezüge von 3,5 Millionen Euro freuen durfte. Sollte die Bundesregierung der Aufforderung der Monopolkommission nachkommen und die verbliebenen milliardenschweren Beteiligungen am vormals größten Arbeitgeber der Republik verkaufen, wird sich diese Entwicklung noch weiter verschärfen.

Schon jetzt sind die hohen Konzerngewinne nicht in erster Linie den gestiegenen Portoeinnahmen, der Demontage von Briefkästen und der ausgedünnten Zustellung von Briefpost an Privathaushalte zuzuschreiben, sondern der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses. Dazu zählt auch die mit der Privatisierung der Bundespost im Jahre 1994 vereinbarte Übernahme der Pensionslasten durch den Steuerzahler. So wird der Bund bis 2076 etwa 550 Milliarden Euro Witwen-, Waisen- und sonstige Renten für die ehemaligen Beamten des „Gelben Riesen“ zahlen. Der weltweit größte Logistikkonzern wird somit trotz eines Gewinnzuwachses auf 1,66 Milliarden Euro im vergangenen Jahr mit mehreren Milliarden pro Jahr subventioniert.

Dabei zeigt die Post immer weniger Interesse am Privatkundengeschäft. Während die „klassischen“ Postfilialen im Eigentum der Deutschen Post AG standen, werden Postagenturen von sogenannten Postagenten geleitet, die als selbstständige Unternehmer agieren. Diese „Postfilialen im Einzelhandel“ finden sich in Kiosken, Bäckereien und Schreibwarenläden, weshalb fehlende Fachkenntnisse die Servicequalität spürbar gesenkt haben. Zudem müssen viele Postagenturen nach kurzer Zeit wieder schließen, weil die Bezahlung durch die Deutsche Post AG in keinem Verhältnis zum Aufwand steht.

Skeptisch stimmen sollte uns die Tatsache, dass selbst Margaret Thatcher als Vorreiterin staatlicher Selbstentmachtung vor der Privatisierung der britischen Post zurückschreckte. Sie werde „den Kopf der Königin nicht privatisieren“, hatte die „Eiserne Lady“ unter Anspielung auf die Briefmarken mit dem Konterfei der Queen einst versichert. Womöglich wäre die GLS-Konzernmutter Royal Mail als ältestes Postunternehmen der Welt auch Mitte Oktober dieses Jahres nicht an die Londoner Börse gegangen, wenn die Regierung Cameron einen Blick über den Ärmelkanal geworfen hätte. Die Deregulierung und Privatisierung des Postsektors hat hierzulande sowohl zu einem sicht- und spürbaren Rückzug aus der Fläche in Gestalt demontierter Briefkästen geführt als auch zu einer massiven Erosion der Normalarbeitsverhältnisse – zulasten der Beschäftigten wie auch zum Nachteil der Steuerzahler.

Gerade die Privatisierung der Bundespost verdeutlicht, dass Regierungen nicht länger als Sachwalter des thatcheristischen und kohlistischen Erbes auftreten sollten, indem sie die Zukunft des Staates auf dem Altar des Marktes opfern. Anders als uns die Apologeten des „schlanken“ Staates glauben machen wollen, standen auch die Anteilsscheine der Deutschen Bundespost nicht unnütz als „Tafelsilber“ im Schrank herum, sondern trugen noch 1987 mit einem Jahresüberschuss von 3,3 Milliarden D-Mark zur Konsolidierung des Bundeshaushalts bei. Wie lange braucht es noch, um die Mär von der Allmacht des Marktes zu entzaubern und die viel beschworene Effizienz von Privatunternehmen unter Kenntlichmachung der volkswirtschaftlichen Flurschäden als Mythos zu enttarnen?

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Tim Engartner ist Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt. Eine Langfassung des Beitrags unter dem Titel „Der große Postraub. Die Privatisierung der Bundespost und ihre Folgen“ erschien in der Januar-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

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