Von ÖPP zum Investorenauswahlverfahren: Wie Schulden unsichtbar werden

Interview mit Anne Schulze-Allen

2016-10-19_ppp_kommunalpol_tagungEine andere Kommune ist möglich! – so der Titel der kommunalpolitischen Tagung in Dortmund, die am 29. Oktober von der attac AG Kommunen organisiert wurde. Die Tagung beschäftigte sich mit der aktuellen Situation in Städten und Gemeinden und diskutierte Wohnungs-, Sozial- und Haushaltspolitik auf kommunaler Ebene.

Im Fokus der Tagung standen auch Öffentlich-private Partnerschaften (ÖPPs) und das von der Stadt Dortmund neuerdings angewandte so benannte Investorenauswahlverfahren. Worum es dabei geht, darüber sprachen wir mit Anne Schulze-Allen, Referentin der kommunalpolitischen Tagung.

Was ist ein Investorenauswahlverfahren und worin besteht der Unterschied zu ÖPP?

Bei dem Investorenauswahlverfahren geht es um Stadtentwicklung mit Hilfe von Investoren. Die Stadt geht mit einem Grundstück auf den Markt, um dieses nicht nur zu verkaufen, sondern der Investor soll z.B. verpflichtet werden, auf dem Grundstück nach einem von ihm selbst vorgeschlagenen Konzept einen Gebäudekomplex zu errichten, z.B. Einkaufspassagen, Bürogebäude, Wohnheime.

Bei dem ÖPP-Mietmodell, wie bei den Berufskollegs am Dortmunder U, übernimmt der private Partner, Finanzierung, Planung, Bau und Betrieb einer kommunalen Einrichtung der Daseinsvorsorge und vermietet sie anschließend für 25-30 Jahre an die Stadt Dortmund. Das Entscheidende bei diesem Mietmodell ist, dass das Eigentum beim privaten Investor verbleibt und der Schuldenausweis bei der Stadt somit vermieden werden kann. Die einzige Beziehung zu dem Investorenauswahlverfahren sehe ich darin, dass in beiden Fällen das Grundstück an den privaten Investor verkauft wird.

Wer denkt sich so etwas aus und warum?

Anscheinend war die öffentliche Kritik an vergangenen ÖPP-Projekten schon zu viel. So hat ein Ratsvertreter der Linken im Rat 2012 den Wirtschaftlichkeitsvergleich des ÖPP-Inhabermodells „Hörder Feuerwache“ analysiert und anhand der Zahlen nachgewiesen, dass das ÖPP-Modell statt 13% günstiger ca. 23 % teurer kommen würde. Im übrigen hatte der Kämmerer in der Vergangenheit selbst zugegeben, dass ÖPPs teurer sind als eine Eigenrealiserung.

Um genauere Informationen über Umfang und Auswirkungen von aktuellen ÖPPs in Dortmund zu erhalten, haben wir Ende 2014 die Grünen im Rat gebeten, eine entsprechende Anfrage zu starten. Bei der Antwort waren wir doch mehr als überrascht zu erfahren, dass nach Meinung des Kämmerers die beiden Berufskollegs am Dortmund U nicht als ÖPPs zu betrachten sind, sondern als „Immobiliengeschäfte, bei denen Grundstücke an Private veräußert werden, um darauf erstellte Gebäude für öffentliche Zwecke anzumieten“. Und das obwohl sowohl Hochtief von der Projektgesellschaft als auch der Investor selbst mit den beiden Kollegs als ÖPP bzw. PPP werben.

Warum siehst Du diese Umbenennung kritisch?

Für mich ist es ein weiterer Versuch, gegenüber der Öffentlichkeit eine neu aufgelegte Privatisierungswelle zu verschleiern, so jedenfalls in Dortmund. Selbst einen Wirtschaftlichkeitsvergleich zwischen Eigenrealisierung und Fremdrealisierung will man sich offensichtlich sparen. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung, die uns auf eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz zugeschickt wurde, genügte nicht einmal den Mindeststandards der eigenen Leitfäden des Ministeriums. Man behauptet einfach, der Investor ist effizienter und die Stadt lässt ihre Gebäude verkommen. Nachprüfen oder nachrechnen lässt sich da nichts mehr.

Auch lassen sich die Schulden noch leichter verstecken. Bei den bisherigen ÖPP-Modellen in Dortmund wurden zumindest die Baukosten und die damit verbundenen Zinszahlungen noch unter kreditähnlichen Rechtsgeschäften aufgeführt. Bei den Berufskollegs tauchen die Kosten nur noch mit anderen zusammengefasst in einer Summe unter den allgemeinen Mietzahlungen auf.

Welches sind konkret die Nachteile für die Stadt?

Die Kosten von ÖPP steigen wegen der langfristigen Verträge im Laufe der langen Vertragsdauer immer mehr. Der Lebenszyklusansatz zwingt zwar dazu, sich die günstigste Kostenstruktur für 25-30 Jahre im Voraus zu überlegen, aber jede Änderung der Entwicklung, die ja kaum vorauszusehen ist, zwingt zu Nachverhandlungen und Vertragsanpassungen, die wegen der schwächeren Verhandlungsposition der Stadt gegenüber dem an hohen Renditen interessierten privaten Investor zu immer weiter steigenden Ausgaben der Stadt führen. Die Daseinsvorsorge wird zu einem Finanzprodukt.

Welchen Umgang brauchen wir mit öffentlichen Schulden?

Wir brauchen als erstes eine ehrliche Diskussion über die Finanzierung öffentlicher Aufgaben und über eine ausreichende Ausstattung der entsprechenden Stadtämter. Fatal ist, dass man einer negativen Sache einfach einen anderen Namen geben kann und schon ist die Angelegenheit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.

Wie können und sollten wir als PrivatisierungskritikerInnen auf die Fehlentwicklungen von ÖPP reagieren?

Wir sollten uns ein Beispiel nehmen an der Stadt Madrid, wo ein linkes Bündnis seit 2015 ein sogenanntes Schuldenaudit durchführt und die Zivilgesellschaft ganz gezielt auffordert, den Haushalt mit Unterstützung eines Ratsvertreters für Partizipation auf Fehlentwicklungen zu durchforsten, z.B. in Hinblick auf zu hohe Kosten bei öffentlichen Bauvorhaben, Wartungs- und Dienstleistungsverträgen, ungerechtfertigten Anmietungen etc. Nach einem Jahr ist es der neuen Stadtverwaltung gelungen, die weitere Verschuldung zu stoppen und die Schulden um 20% zu reduzieren. Das ist nicht unbedingt vergleichbar mit Dortmund, weil Madrid eine reiche Stadt ist, aber es zeigt doch, was möglich ist.

Konkret sollten wir uns für ein Transparenzgesetz einsetzen, wie es in Hamburg seit 2012 in Kraft ist. In Berlin läuft gegenwärtig eine Internetinitiative über die Plattform change-org für ein Transparenzgesetz für Berlin. Trotz aller Bedenken gegenüber change-org, die sich über Adressenverkauf finanzieren sollen, finde ich diese Initiative sehr unterstützenswert.
Im übrigen gilt auch hier der alte Satz von Heinrich Heine: Schlage die Trommel und fürchte dich nicht!

Präsentation auf der kommunalpolitischen Tagungung: „Wie Schulden unsichtbar werden“ (PDF)

2016-10-29_ppp_kommunalpol_tagung

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