Schulsanierungsgesellschaft – die neue Bankgesellschaft?

GiB-Pressekonferenz zum Auftakt der Volksinitiative „Unsere Schulen“ am 3. Januar 2018. Auf dem Podium: Carl Waßmuth, Dorothea Härlin, Herbert Storn, Werner Rügemer (v.l.n.r.). Foto: (c) Klaus Ihlau

Interview mit Dorothea Härlin über Erfolge politischen Handelns, über Privatisierungen und die neue Volksinitiative „Unsere Schulen“. Das Interview erschien in Erstveröffentlichung in der blumpostille, der Zeitung des Fördervereins des Robert-Blum-Gymnasiums, Ausgabe 37, Januar 2018 (21. Jahrgang).

blumpostille: Kannst Du uns zunächst etwas zu Deiner Person sagen?
Dorothea Härlin: Sicher. Ich habe früher auch als Lehrerin gearbeitet. Als Studienrätin war ich an verschiedenen Schultypen, nicht nur am Gymnasium, sondern auch an einer Gesamtschule und später an einer Kollegstufe, an der Erwachsene über den zweiten Bildungsweg das Abitur ablegen. Meine Fächer sind PW, Geschichte, Sozialwissenschaften und Spanisch. Das mit dem Spanisch liegt daran, dass ich über neun Jahre in Spanien, in San Sebastian, gelebt und gearbeitet habe, weil ich auch mal ein anderes Land kennenlernen wollte. Dabei habe ich ein gutes Feeling bekommen, wie es einem als Ausländer in einem anderen Land geht. Die Erfahrung möchte ich auf keinen Fall missen, ich habe viel Verständnis bekommen für die Situation von Menschen nichtdeutscher Herkunft in unserem Land.
blumpostille: Du bist seit vielen Jahren politisch aktiv.
Dorothea Härlin: Das stimmt. Ich bin ja eine Alt-68erin, das heißt, ich bin sehr durch die 68er Jahre geprägt worden. Ich habe damals am OSI studiert.
blumpostille: … dem Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität.
Dorothea Härlin: Stimmt genau, das heißt auch heute noch so. Da waren damals noch viele verstaubte Profs tätig. Ich habe damals viel gelernt, ich wollte ja schließlich fachlich fitter sein, um denen Paroli bieten zu können. In der Zeit habe ich auch erlebt, dass Widerstand durchaus Erfolg haben kann. Danach, als ich dann mit der Lehrerausbildung fertig war und an einer Schule gearbeitet habe, habe ich mich sehr in der GEW Berlin engagiert. 2001 bin ich dann bei „attac“ eingestiegen, einer globalisierungskritischen Organisation, die es heute noch gibt. Damals hat attac die Proteste bei dem G8-Gipfel in Genua organisiert. Ein Erfolg dieser Arbeit war zum Beispiel, dass 2010 die Vereinten Nationen das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung festgelegt haben. Auch wenn dafür noch in vielen Ländern gekämpft werden muss, ist dies ein großer Erfolg!
blumpostille: Da nähern wir uns Deinem späteren Tätigkeitsfeld, dem Wasservolksbegehren.
Dorothea Härlin: Nach dem man es in Bolivien geschafft hat, die Wasserversorgung dem US-Konzern Bechtel zu entreißen, fragten wir uns in Berlin, ob uns das nicht auch mit dem französischen Konzern Veolia gelingen könnte, der sich zusammen mit mit RWE zu knapp 50 Prozent in die Berliner Wasserbetreibe eingekauft hatte. Deshalb gründete sich 2006 der Berliner Wassertisch, der fünf Jahre später den erfolgreichen Wasservolksentscheid organisierte.
blumpostille: Das war der erste erfolgreiche Volksentscheid, ich habe damals auch dafür kräftig gesammelt.
Dorothea Härlin: Er war der Auslöser, dass die Berliner Wasserbetriebe wieder rekommunalisiert wurden. Dieser Erfolg wird im Ausland oft mehr beachtet als bei uns. Vertreterinnen und Vertreter des Wassertisches werden auf internationalen Treffen mit „Standing Ovations“ empfangen. Für viele Länder war der Erfolg unter anderem in Berlin eine große Ermutigung. Inzwischen haben 235 Kommunen ihre Wasserwerke wieder rekommunalisiert.
blumpostille: 2010 wurde dann „Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)“ gegründet. Wieso war eine weitere Organisation erforderlich?
Dorothea Härlin: Bei der Auseinandersetzung um das Wasser ist uns immer klarer geworden, dass es viele weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge gibt, denen Privatisierung droht.
blumpostille: Was ist mit diesem etwas sperrigen Begriff gemeint?
Dorothea Härlin: Hierzu zählen alle Bereiche, die wir für unsere Existenz brauchen und die deshalb nicht Ware sein sollten: Wasser, Strom, Bildung, Verkehr, Gesundheit.
blumpostille: Müsste heute nicht eigentlich auch der Kommunikationsbereich dazu gehören: Telekommunikation und Internet, weil es eigentlich nicht sein darf, dass durch eine Firmenpleite das Netz zusammenbricht oder es unbezahlbar wird? In Ländern mit kommunaler Netze wie in Skandinavien haben wir eine viel bessere Netzversorgung als bei uns. Netzausbau kostet ja Geld und schmälert die Profite, das hat man auch bei der privaten Wasserversorgung gesehen.
Dorothea Härlin: Das stimmt. Wenn man es streng sieht, müsste außerdem noch der Wohnungs- und Nahrungsmittelbereich dazu gehören.
blumpostille: Vor gar nicht so langer Zeit waren ja Wasser-, Strom- und Gasversorgung, die Bahn und die Post staatlich. Inzwischen wurde alles privatisiert (bis auf das Wasser).
Dorothea Härlin: Inzwischen gibt es einen neuen Trend: Die Privatbetriebe übernehmen nur knapp die Hälfte des Anteiles, damit trägt der Staat weiterhin das Unternehmensrisiko und garantiert oft die Gewinne. Das Ganze nennt sich PPP (Public Private Partnership) beziehungsweise ÖPP (öffentlich-private Partnerschaft). Bei allen PPP-Projekten ist die Betriebsleitung vollständig in Händen der Privatfirma, der Staat gibt seine Steuerungsmöglichkeit aus der Hand, das Unternehmen handelt profitorientiert, alle Verträge sind geheim, in der Regel bekommt die öffentliche Hand auch nicht die Hälfte der Gewinne. Der große Erfolg des Wasservolksbegehrens war ja gerade die Offenlegung dieser geheimen Verträge.
blumpostille: Das klingt nach dem alten unsozialen Prinzip: Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert!
Dorothea Härlin: Genauso ist es!
blumpostille: Die Schulsanierungsgesellschaft soll doch aber ganz anders aussehen, kein ÖPP, die im Koalitionsvertrag sogar explizit ausgeschlossen wurde, sondern ÖÖP (öffentlich-öffentliche Partnerschaft), weil die beteiligte Wohnungsbaugesellschaft, die Howoge ein kommunales Wohnungsunternehmen ist, also zu 100 Prozent dem Land Berlin gehört.
Dorothea Härlin: Das ist Augenwischerei! Es gibt nur zwei Rechtsformen für Eigentum: Privatrecht oder öffentliches Recht. Privatrecht heißt, dass es das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis gibt. Weder das Abgeordnetenhaus noch die Bezirke haben noch Steuerungs- und Informationsrechte. Die Schulbauten und die Grundstücke sollen an eine GmbH übertragen werden. Die sind dann die Sicherheiten für die Kredite. Im Grundbuch wird das Land Berlin als Eigentümerin gestrichen und diese GmbH an dessen Stelle eingesetzt. Die Bezirke bezahlen dann Miete an diese GmbH für etwas, das ihnen gehört hat und der GmbH vom Land geschenkt wurde.
blumpostille: Welche Folgen könnte dies für die Schulen ganz konkret ha-ben?
Dorothea Härlin: Diese GmbH hat dann das Sagen: Alle – außer die Lehrkräfte – können über diese GmbH eingestellt werden, das heißt Reinigungskräfte, Hausmeister, Sekretär*innen, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen. Im Prinzip könnten die oben genannten alle entlassen werden, und sie müssten sich dann bei einer Servicegesellschaft wieder bewerben für weniger Lohn und zu schlechteren Bedingungen. So wie es Vivantes ge-macht hat, übrigens auch zu 100 Prozent im Besitz des Landes Berlin.
blumpostille: Wäre es also auch möglich, dass dann diese GmbH entscheidet, dass unsere Cafeteria durch einen Groß-Caterer betrieben wird und nicht von dem jetzigen Betreiber, mit dem alle zufrieden sind?
Dorothea Härlin: Das wäre durchaus möglich. Die Besitzerin der Schulimmobilien wird dann auch Schulräume und -Flächen an Außenstehende vermieten. Mit der kostenlosen Nutzung durch die Sportvereine dürfte es damit wohl vorbei sein.
blumpostille: Wenn Räume vermietet werden, womöglich auch parallel zum Schulbetrieb, stellt das aus meiner Sicht auch ein Sicherheitsproblem dar. Der Bezirk, die Schulaufsicht und die Schule können ja gar nicht mehr mitentscheiden, wer die Nutzungsrechte bekommt.
Dorothea Härlin: Das ist durchaus ein nicht zu unterschätzender Aspekt, der sicher gar nicht bedacht wurde. Übrigens auch die Wände gehören dann dieser GmbH, sie könnten als Werbeflächen genutzt werden. Ein Abgeordneter der AfD hat zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr vorgeschlagen.
blumpostille: Wie soll denn mit der Volksinitiative jetzt entgegengewirkt werden?
Dorothea Härlin: Eine Volksinitiative ist sozusagen ein Volksbegehren auf niedrigerer Stufe. Es müssen in sechs Monaten nur 20 000 Unterschriften zusammenkommen, damit in den Ausschüssen im Abgeordnetenhaus die Initiatoren gehört werden müssen. Bisher hat sich das Parlament mit dem Thema der Sanierungsgesellschaft so gut wie nicht befasst, da die Oppositionsparteien hiergegen keine grundsätzlichen Einwände haben. Wir wollen damit den politischen Druck erhöhen, dass darüber nicht wie bisher hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, sondern Öffentlichkeit hergestellt wird.
blumpostille: Aber wird mit dieser Volksinitiative nicht der dringend nötige Schulbau und die Schulsanierung behindert? Der Tagesspiegel titelte: „Neue Volksinitiative will Plan zur Schalsanierung kippen“, die Berliner Zeitung ganz ähnlich.
Dorothea Härlin: Nein, das stimmt nicht, im Gegenteil: Im Berliner Haushalt ist eine Milliarde eingestellt für Schulbau und Schulsanierung. Das ist mehr Geld, als im Moment verbaut werden kann aufgrund der Engpässe bei der Bauwirtschaft. Es fehlt an Facharbeiter*innen und an Bauingenieuren. Der Senat könnte sofort mit den Sanierungen und Bauen anfangen und müsste gleichzeitig das Personal aufstocken, was man in den letzten Jahrzehnten abgebaut hat. Man darf nicht vergessen: Die Steuereinnahmen sind sehr gut. Man braucht also gar keine GmbH, deren Aufbau laut Finanzsenator Kollatz-Ahnen zwei Jahre benötigen würde, Experten sagen sogar, dass dies sogar vier bis fünf Jahre dauern dürfte. Also verzögert eigentlich der Senat, nicht wir!
blumpostille: Gibt es noch etwas, was im Zusammenhang mit der Volksinitiative wichtig ist und Du unseren Leserinnen und Lesern mitteilen möchtest?
Dorothea Härlin: Für Schüler*innen besonders interessant: Ab 16 Jahren kann man unterschreiben. Es ist eine bei der Landeswahlleiterin offiziell angemeldete Initiative, insofern dürfen die Unterschriftenlisten auch an öffentlichen Einrichtungen ausgelegt werden. Wir würden auch gerne von Schülervertretungen und Gesamtelternvertretungen zu Diskussionsveranstaltungen zu dem Thema eingeladen werden. Gerne auch auf einem kontrovers besetzten Podium. Ich fetze mich gerne über das Thema. Das Ganze kostet alles Geld, die Unterschriftenlisten müssen wir selbst drucken zum Beispiel, deshalb freuen wir uns über Spenden: Das Konto und noch viel mehr Information findet ihr auf: www.gemeingut.org.
blumpostille: Damit wird so eine Veranstaltung ja auch erst richtig spannend und lehrreich für alle. Ich danke für das Gespräch und wünsche viel Erfolg!

Das Interview führte Thomas Schmidt.

GiB dankt der blumpostille für die Erlaubnis zum Nachdruck des Interviews.


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