Offener Brief an alle Bundestagsabgeordnete

Fotografie: Frank C. Müller, Baden-Baden, CC 2.5

Sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrter Abgeordneter,

Sie sollen morgen über die Autobahnreform entscheiden. Seitens der Spitzen der Großen Koalition wird behauptet, damit wäre eine Privatisierung der Autobahnen ausgeschlossen.

Das stimmt nicht. Die Autobahnen werden formell privatisiert und können dann über öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPPs) an die internationalen Finanzmärkte für Infrastrukturen gegeben werden. ÖPP werden erstmals ins Grundgesetz eingeführt und dort nur wirkungslos begrenzt, gleichzeitig werden sie von der parlamentarischen Steuerung abgekoppelt.

Nicht nur wir sagen, dass es sich weiter um eine gravierende Privatisierung handelt. Die beiden einzigen Verfassungsrechtler, die sich zur Frage bisher öffentlich geäußert haben, bestätigen das. Der renommierte Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Christoph Degenhart schätzt die neueste Gesetzesvorlage wie folgt ein:

„Es handelt sich hier um eine formelle oder Rechtsform-Privatisierung, die allerdings auf der Projektebene durchaus Effekte einer materiellen Teil-Privatisierung haben könnte.“

Auch Prof. Georg Hermes stellte fest, dass die Privatisierung weiterhin keineswegs ausgeschlossen ist, sondern durch Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) in beträchtlichem Umfang möglich bleibt.

Wichtige Kritiker des Vorhabens waren auch der Bundesrechnungshof und verdi. Der Bundesrechnungshof hat nun ein neues (recht kurzes) Gutachten vorgelegt. Dieses Gutachten ist allerdings mindestens eigenartig. Zuvor geäußerte Bedenken des Rechnungshofes werden nicht aufgelöst, nicht erfüllte Forderungen bleiben unkommentiert. Lesen Sie das Gutachten und bewerten Sie selbst, ob es für so eine wichtige Entscheidung tragfähig ist.

Ver.di hat ein Vorstandsmitglied in die (nicht-öffentliche) SPD-Fraktionssitzung entsandt. Es ist wichtig, dass Beschäftigte keine Nachteile durch das Vorhaben erleiden. Das wird sichergestellt, wenn überhaupt nicht privatisiert wird. Ver.di ist einen anderen Weg gegangen und hat die frühere kritische Position aufgegeben. In dieser Kehrtwende spiegeln sich allerdings leider auch Organisations-egoistische Interessen wieder: ver.di konnte für die eigenen Mitglieder in den letzten Wochen Vorteile heraushandeln. Bundesbeschäftigte erhalten bis zu einem Drittel mehr Gehalt gegenüber Landesbeschäftigten, und nun muss der Bund alle, die wechseln wollen, übernehmen und dafür Millionen zahlen. Fassen Sie das nicht als Persilschein in Sachen Privatisierung auf. Zur Privatisierung gibt es keine ver.di-Position, auf die Sie sich stützen können.

Ein Gegenargument, von dem wir gelesen haben, ist, dass ÖPP nun stärker eingeschränkt würde als bisher. Das Gegenteil trifft zu. Die Einschränkungen, die hinzukommen, sind extrem großmaschig. Ausgeschlossen werden nur Netz-ÖPPs und ÖPPs über 100 km. Alle bisherigen ÖPPs schlüpfen durch diese Maschen. Gleichzeitig werden die bisherigen Fesseln von ÖPP gelöst: Der Bundestagsvorbehalt entfällt ebenso wie die Notwendigkeit, dass die Länderverwaltungen kooperieren. Mit dem Wechsel ins Privatrecht greift zudem künftig das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis, auch Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen müssen nicht mehr gemacht werden. Die formelle Privatisierung ist ja auch eine Flucht aus dem öffentlichen Vergaberecht.

Wenn Sie eher dazu tendieren, im ganzen Vorhaben Vorteile zu sehen: nehmen Sie sich die Zeit, den Menschen diese Vorteile zu vermitteln – und schonen Sie unsere Demokratie. Denn das aktuell vorgesehene Verfahren scheint uns eine beispiellose Unterschreitung aller Fristen, die der gesunde Menschenverstand vorgibt. Die Drucksache für die Entscheidung wird erst heute vorliegen. Morgen sollen Sie entscheiden. Und am Freitag wird womöglich schon der Bundesrat zustimmen. Letzteres liegt zwar nicht in ihrer Hand, aber auch das wird Ihnen als Mitglied „der großen Politik“ zugerechnet werden. Wenn das Ganze eine gute Sache wäre – wozu benötigt es dann diese völlig unwürdige Hast, die jede vernünftige Partizipation innerhalb und außerhalb des Parlaments unmöglich macht? Und das bei einer Grundgesetzänderung diesen Ausmaßes, von der man einen breiten gesellschaftlichen Konsens erwarten würde?

Auch die Abstimmung im riesigen Gesamtpaket ist extrem undemokratisch und wird letztlich nur die Feinde der Demokratie stärken. Natürlich sind Kompromisse notwendig. Aber diese müssen transparent sein. Dieses Gesamtpaket würde, wenn es verabschiedet wird, zum Sinnbild einer Mauscheldemokratie, in der Wenige auf undurchsichtigen Wegen ihren Vorteil erreichen, zu Lasten der großen Mehrheit.

Deswegen fordern wir Sie auf: Stimmen Sie mit Nein, enthalten Sie sich oder bleiben Sie der Abstimmung fern! Geben Sie sich nicht dazu her, das Grundgesetz zu deformieren.

Mit freundlichen Grüßen

Carl Waßmuth, Vorstand von Gemeingut in BürgerInnenhand

Laura Valentukeviciute, Vorstand von Gemeingut in BürgerInnenhand

16 Kommentare

  1. Großartiges Schreiben, Kompliment!

    Allerdings würde ich mir ergänzend auch noch Hinweise auf Kitas und Schulen wünschen, die werden morgen/übermorgen nämlich ebenfalls den Infrastrukturgesellschaften zum Fraß vorgeworfen.

    Besten Dank und weiter so!

    MM

  2. Sehr geehrte Abgeordneten des Deutschen Bundestages,

    es ist eine Riesensauerei, daßß jetzt im Eilverfahren die Privatisierung / Teilprivatisierung aller Autobahnen durchgeführt wird gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung.

    Das ist schwerer Diebstahl am Gemeineigentum und auch ein Verbrechen.

    Die Grundgesetzänderung dazu ist bereits ein Verbrechen!
    Für eine Grundgesetzänderung braucht es die Mehrheit der Bevölkerung durch eine Volksabstimmung.

    Alles andere ist ein verbrecherischer Akt !

    Wollen auch Sie sich an dem Verbrechen schuldig machen ?
    Haben Sie ein wenig Anstand und beherzigen Sie den Willen aller Menschen und verhindern durch Ablehnung die Grundgesetzänderung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Heinrich Sobol

  3. Wie undemokratisch und gegen das Volk, wie lange möchte die SPD das mitmachen? Zeigt endlich wieder Gesicht und Charakter für die Wähler. Auch ich bin Wähler! Jede Stimme zählt oder ist das auch schon auf der Abschussliste?

  4. Sehr geehrte Genossen,
    die Zeit wo die Bürger zu allem Ja und Amen sagen ist vorbei. Inzwischen haben auch wir uns Organisiert und nehmen nicht mehr alles als gegeben hin. Was sich die SPD in den letzten Jahren alles zu dem Nachteil seiner Sympathisanten erlaubte wird nicht mehr still schweigend so einfach hingenommen. Ich forder sie deshalb noch einmal auf gegen die Privatisierung der Autobahn zu stimmen. Ihr Vorsitzender, Herr Schulz, hat nicht mehr das Vertrauen der Wähler. Es scheint ihm egal zu sein, seine Schäfchen hat er sicherlich bereits im trocknen.Nun..Jahrelang im Europaparlament mehr als 4.000,00 erhalten ohne diese abzurechnen, hat kein gut Verdienender Arbeitnehmer mal so nebenbei. Auf Nachfragen reagiert er mit Stillschweigen und Arroganz. So auch mein persönliches Schreiben an den Genossen vor einigen Tagen, natürlich unbeantwortet blieb. Mehr als 50 Jahre bin ich treuer Wähler der SPD. Was die Genossen daraus in den letzten Jahren machten ist eine Schande. Das sind keine Demokraten mehr sondern Nutznießer ihrer eigenen Vorteile, überzeugt mich von dem Gegenteil. Finger weg von der Autobahn und sonstiger Privatisierung, die zum Nachteil der Bürger wäre

    Gruß Weber

  5. Das ist keine SPD mehr, das ist CDU light, was soll daran noch sozial sein wenn dem Mittelstand und denen die eh nicht viel haben noch das letzte aus dem Kreuz geleiert nur um die Konzerne wettbewerbsfähig zu halten?
    Der Arbeiter und Angestellte wird nach Strich und Faden belogen und beschissen!

  6. Es wird Zeit für ein neues Buch: «Eine Demokratie schafft sich ab!»

    CDSPFDGRÜP betreiben die Stalinisierung des Grundgesetzes! Basta!

    Sind sie eigentlich des Wahnsinns fette Beute, ÖPP (öffentlich-private Partnerschaften) für den Betrieb und den Bau von Autobahnen, Schulen etc. im Grundgesetz endgültig zu zementieren?

  7. Unterlassen Sie alle weiteren Privatiesierungen !
    Sie wollen doch sicherlich wieder gewählt werden, oder ?!

  8. Danke für diese fundierte Stellungnahme. Lassen sich die VolksvertreterInnen davon beeindrucken???
    Oder bestätigen sie ihre Arroganz der Macht und fügen in der europäischen Krisensituation weiteren Schaden zu und stärken damit was sie vorgeben verhindern zu wollen: Den Ruck nach Rechtsaußen?
    Wo bleibt der demokatiasche Grundgedanke ‚Gemeinwohl vor Einzelinteresse‘? Geopfert zum Machterhalt und den Interessen der Finanzindustrie? So wird nochmehr demokratisches Vertrauen zerstört. Was bürden sie den jüngeren Generationen noch alles auf?
    Zur Macht gehört als Gleichgewicht auch Verantwortung für das Gemeinwohl wenn Demokratie leben soll.

  9. Ich hatte meinen Abgeordneten schon angeschrieben. Und klar gesagt ich bin gegen eine Privatisierung. Die Antwort war Verständnis, ABER „es ist doch so sinnvoll“ und wird trotzdem durchgeprügelt.

    Nur wenn 40 Millionen Leute ihren Abgeordneten schreiben würde was passieren. Da aber 99% nicht mal wissen, dass es einen Abgeordneten gibt, ist die Sache durch.

  10. Ich weiß nicht, wie geduldig WIR Bürger uns mittel- bis langfristig verhalten. Ich persönlich erlebe (sollte die Privatisierung durchgesetzt werden) dass selbst politisch zurückhaltende Bürger dann eine agressive Haltung hierzu einnehmen. Mit Recht: Das Eigentum der Bürger wird „verscherbelt“ und die Verteilung geht weiter – von unten nach oben.
    Also bitte liebe Vertreter der Bürger (Abgeordnete) lasst euch nicht dazu „verführen“ gegen die Interessen der Menschen in diesem Land abzustimmen.
    Lehnt bitte die Privatisierung ab!!!- Zurückliegende Privatisierungen im sozialen Bereich zeigen doch bereits die negativen Auswirkungen.
    Bitte überschätzt nicht die Geduld der Bürger !!!

    Jochen Windels

  11. Was müssen wir uns eigendlich noch alles von unserer Regierung gefallen lassen.Frau merkel sagte einmal eine Maut nicht mit mir. Lügen denn alle unsere Politiker. Wen kann man dann noch vertrauen. Schon die vielen Parkzonen in unserer Stadt Berlin sind der reinste Hohn. Zahlen wir nicht schon genug Steuern?

  12. Die einzig soziale und den Grundgesetz treue Partei in diesem Land ist Die Linke. Die aber muss von allen zum Prügelknaben erklärt werden! Nun harre ich der Dinge, die unausweichlich eintreten werden. Siehe auch Gottes Wort, die Offenbarung des Johannes. Wohl dem, der weiß, wer der Herr aller Dinge ist, Amen.

  13. Dieser Gesetzesentwurf soll verhindert werden. Wir können nicht zulassen dass unser ganzes „Tafelsilber“ veräußert wird.

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