Neue Staatsverschuldung oder Vermögensteuer?

Von Carl Waßmuth
zuerst erschienen im Freitag am 4. Dezember 2024: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/neue-staatsverschuldung-oder-vermoegensteuer

Die Schuldenbremse dient nur dazu, der Diskussion über eine sozial gerechte Haushaltspolitik auszuweichen. Es ging nie wirklich darum, die Staatsschulden zu begrenzen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Regierungsansprache vom 28. November davon gesprochen, dass das Verfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds schaffe „neue Realitäten“. Deutschland stehe vor Herausforderungen, wie die Republik sie in dieser Konzentration und Härte noch nicht erlebt habe. In einem Nachtragshaushalt hat der Bundestag daher rückwirkend für 2023 die erneute Aussetzung der Schuldenbremse beschlossen. Zu den neuen Realitäten gehört der Umstand, dass einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, dass die Regierung hinter der Konstruktion „Sondervermögen“ in Wirklichkeit Sonderschulden versteckt hat. Es häufen sich Stimmen, die eine Reform oder Abschaffung der Schuldenbremse fordern wie die SPD-Vorsitzende Saskia Esken oder der Regierende Bürgermeister von Berlin Kai Wegner, CDU.

Tatsächlich gibt es in Deutschland erhebliche Sondervermögen: Der ungeheure Reichtum von nur wenigen hundert Einzelpersonen summiert sich auf über eine Billion Euro. Dieses Geld ist nicht nur unproduktiv, es wird sogar zu unserem Schaden eingesetzt. Allein die private Klimabilanz unserer Superreichen ist gruselig, die ihrer Firmen noch viel mehr. Die Superreichen konnten in den Jahren der Pandemie weltweit und auch in Deutschland ihr Vermögen noch einmal erheblich vergrößern, teilweise verdoppeln. Um notwendige öffentliche Investitionen zu finanzieren, muss der Staat sich also gar nicht verschulden, er kann sich die Mittel auch durch Besteuerung der großen Vermögen beschaffen. Dies gelingt am besten mit der Vermögensteuer. Die Vermögensteuer wurde zwar von der schwarzgelben Bundesregierung unter Helmut Kohl 1997 ausgesetzt, ist aber noch immer im Grundgesetz verankert und kann jederzeit reaktiviert werden. Bisher mussten die Ärmsten in der Bevölkerung die Last der neuen Krisen schultern. Sie erlitten vielfach Einkommensverluste in der Pandemie und tragen die Hauptlast der Inflation. Nun drohen Kürzungen bei den Sozialleistungen, weil die Bundesregierung sich beim Verstecken und Umbuchen von Schulden verzockt hat. Aber warum eigentlich?

Die Schuldenbremse ist seit ihrer Einführung und Verankerung im Grundgesetz im Jahr 2009 umstritten. Ökonomen kritisieren, dass die Selbstbeschränkung eine antizyklische Fiskalpolitik verhindere. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften prangern die extrem geringe öffentliche Investitionstätigkeit Deutschlands an, die sie unter anderem als Auswirkung der Schuldenbremse ansehen. Hinsichtlich der geringen Investitionen hat zuletzt die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds Kristalina Georgiewa direkt an die deutsche Bundesregierung die Forderung adressiert, mehr zu investieren. Gemeingut kritisiert ebenfalls seit Jahren die Schuldenbremse scharf. Die Schuldenbremse verursacht nicht weniger Staatsschulden, sondern mehr Schulden in staatlichen Schattenhaushalten.

Grafik: Schattenhaushalte sind teuer. Auch die Verschuldung der staatseigenen Deutschen Bahn AG ist ein Schattenhaushalt. Die Zinsdifferenz der Deutschen Bahn AG der Regierung betrug im Durchschnitt der Jahre 2012 bis 2022 circa 2,0 Prozentpunkte. Rote Balken im Diagramm: Zinshöhe der DB AG in Prozent, blaue Balken: Zinshöhe der Bundesrepublik Deutschland in Prozent.

Für Schattenhaushalte sind zum einen deutlich höhere Zinsen zu zahlen, zum anderen befördern sie in erheblichem Umfang Privatisierungen. Ein Beispiel sind öffentlich-private Partnerschaften, mit denen die Schuldenbremse umgangen werden kann. Sie führen zu einer umfassenden Privatisierung von Daseinsvorsorge bei gleichzeitig deutlich höheren Kosten und schlechteren Leistungen. Mit den Schattenhaushalten wird auch das Haushaltsrecht der Parlamente erheblich beschnitten, Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern nach dem Informationsfreiheitsgesetz werden zudem mit Verweis auf das Privatrecht abgewiesen.

Bei so viel Übereinstimmung in der Ablehnung der Schuldenbremse ist es anscheinend nur noch eine Frage der Zeit, bis der Widerstand der FDP und Teilen der CDU überwunden und die betreffenden Regeln im Grundgesetz verändert werden. Die Schuldenbremsendebatte verdeckt ein wesentlich tiefgreifenderes Problem: Der Staat hat zu wenig Einnahmen und tätigt obendrein oft die falschen Ausgaben. Die Herausforderungen von bisher unbekannter Härte und Konzentration, wie Scholz sich ausdrückt, wurden von den Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte selbst geschaffen. Deutschland investiert tatsächlich seit 25 Jahren weniger in seine Daseinsvorsorge als zeitgleich verfällt. Die Sozialleistungen insbesondere für Kinder sind erbärmlich, das Rentensystem schützt Millionen Menschen nicht vor Altersarmut. Dafür könnte ohne Schulden viel Geld aufgewendet werden, wenn Deutschland die ausgesetzte Vermögensteuer wieder einführen würde. Und noch einmal deutlich mehr Mittel stünden zur Verfügung, wenn die derzeitige Aufrüstungsorgie gestoppt würde.

Die Schuldenbremse war und ist nur ein von der Politik geschaffener Sachzwang, um der Diskussion um eine sozial gerechte Haushaltspolitik auszuweichen. Es ging nie wirklich darum, die Staatsschulden zu begrenzen. In den beiden Jahren vor Einführung der Schuldenbremse nahm Deutschland noch einmal einen riesigen Schluck aus der Schuldenpulle, um private Banken per Bailout mit Steuergeld zu retten. Dann, ab 2009, begannen die Zinsen für Staatsanleihen dramatisch zu fallen. Der Prozess war absehbar und wurde von neoliberal gesteuerten Notenbank in den USA und Europa forciert. Nach nur wenigen Monaten lagen die Zinsen bei einem Prozent, später wurden sie sogar auf null Prozent gesenkt. Ohne Schuldenbremse hätte Deutschland nun ohne Kosten und Risiken 100 oder 200 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen können, um damit den Investitionsstau bei den Infrastrukturen der Daseinsvorsorge aufzulösen. Stattdessen reduzierte Deutschland jedoch seine Schuldenquote und ließ den Verfall der Daseinsvorsorge voranschreiten. Erst jetzt, wo die Zinsen bei vier Prozent und darüber liegen, fällt dieser Umstand auf? Das ist nicht glaubwürdig.


Grafik:
Die Politik der schwarzen Null und die Einführung der Schuldenbremse fallen zusammen mit zwölf Jahre Zinstief : Blaue Linie: europäischer Zinssatz EZB – langfristige Graphik, https://www.global-rates.com/de/zinssatze/zentralbanken/zentralbank-europa/ezb-zinssatz.aspx

Die Ampelregierung ist ein mieser Treuhänder unserer öffentlichen Finanzen. Darin gleicht sie den Vorgängerregierungen, die unsere Infrastruktur so massiv verfallen ließen. Aber es hat den Anschein, als solle deren Unvermögen von der Ampel nun noch übertroffen werden. In Zeiten von Zinsen nahe null hätte Deutschland fast kostenlos Kredite aufnehmen können, stattdessen wurden teure Schattenhaushalte gebildet. Jetzt sind die Schulden bei den privaten Gläubigern wieder teuer, und prompt soll auch die offizielle Verschuldung wieder salonfähig gemacht werden. Die teuren Schattenhaushalte bestehen, soweit sie nicht explizit verfassungswidrig waren, aber weiter. In der Bundesregierung wird bisher weiterhin nicht darüber nachgedacht, die großen Vermögen zur Sanierung unserer Infrastrukturen heranzuziehen. Zusammen entsteht ein gewaltiger Skandal. Wir zahlten Zinsen und Profite an die Profiteure der Privatisierungen und Schattenhaushalte, als Staatsschulden in Verbindung gebracht wurden mit moralischer Schuld. Nun ist diese Erzählung nicht mehr nützlich, und wir sollen nun hohe Zinsen zahlen an private Banken und Anleger. Die Superreichen profitierten von den Schattenhaushalten, und sie profitieren als Eigentümer der Banken jetzt wieder. Ihre solcherart unmoralisch erworbenen Vermögen aber bleiben unangetastet, als wären sie sakrosankt. Damit muss Schluss sein.

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