Gemeingut-Infobrief zum SEZ: SEZ-Abriss ja, Bürgerbeteiligung niemals?

Liebe Freundinnen und Freunde des SEZ,

der Senat verfolgt stur seinen Kurs zum Abriss des SEZ. Doch unser Widerstand gegen den Abriss geht weiter. Die Entscheidungsträger weisen jegliche Bürgerbeteiligung ab. Es läuft auf eine Kollision hinaus. Hier die neuesten Kapitel des Politkrimis:

• Was machbar ist
• Wer Post bekommt
• Wer gesprächsbereit ist
• Wer das Gespräch verweigert
• Was passiert, wenn Bürgerbeteiligung unterdrückt wird

Was machbar ist

Auf seine To-do-Liste hatte Bausenator Christian Gaebler vermutlich geschrieben: Machbarkeitsstudie, dass man da Häuser bauen kann, wo jetzt das SEZ steht. Letzte Woche dürfte er hinter den Punkt einen Haken gesetzt haben. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) hatte eine Machbarkeitsstudie ausgeschrieben, es wurde ein Mini-Wettbewerb inszeniert, und ein Büro aus Frankfurt am Main bekam nun den Auftrag. Der Tagesspiegel kommentiert: „fantasielose Blockrandbebauung“, „Renaissance der Hinterhöfe“. In der Ausschreibung war explizit nicht gefragt worden, was bei einem Erhalt des SEZ machbar ist. Nur ein Büro machte einen Sondervorschlag, in dem ein Teilerhalt des SEZ vorgesehen war – er wurde von der WBM-Jury (WBM: „prominent besetztes Auswahlgremium“) abgeschmettert. Das nennt die WBM dann „qualitätsorientiertes Auswahlverfahren“. Unserer Kenntnis nach haben sich bundesweit nur fünf Büros beworben, darunter kein einziges aus Ostdeutschland. Man fragt sich warum.

Wer Post bekommt

Jetzt ist die Zeit, den Abgeordneten Fragen zu stellen. Vielleicht ist es Glück im Unglück, wie das ausgewählte Büro seine Vorstellung von der Zukunft des Standorts präsentiert: https://www.wbm.de/presse/pressemitteilung/detail/wbm-vergibt-machbarkeitsstudie-fuer-zentrales-entwicklungsareal-in-friedrichshain/. Es lohnt sich, die Skizze auf sich wirken zu lassen. Man muss kein Stadtplaner sein, um die Trostlosigkeit des Vorschlags zu empfinden. Da hilft es auch nicht, dass der Wohnblock nur aus der Vogelperspektive gezeigt wird und so dargestellt ist, als würden seine Betonwände weiß leuchten. Was den Entwurf besonders machen soll, ist dies: vier Elemente, die aus dem SEZ herausgerissen werden sollen, um sie hinter dem Wohnblock als Skulptur zu präsentieren. Der Tagesspiegel nennt diese Idee „begütigenden Flitterkram“. Wir finden die Vorstellung, den Neubau ausgerechnet durch kleine Überreste eines architektonischen Meisterwerks besonders machen zu wollen, das man für den Neubau zerstören will, geschmacklos und beleidigend. Wir bekommen auch schon Zuschriften dazu. „Machbarkeitsstudie? Ein Skandal!“ lautet ein Betreff. Aber schreiben Sie nicht uns, zumindest nicht nur. Schreiben Sie den folgenden Abgeordneten. Sie sind im Bauausschuss für das SEZ verantwortlich und können den Abriss stoppen: Christian Gräff, CDU, buero@christian-graeff.de; Stefanie Bung, CDU, bung@cdu-fraktion.berlin.de; Stefan Häntsch, CDU, info@stefan-haentsch.de; Johannes Kraft, CDU, post@johannes-kraft.de; Peer Mock-Stümer, CDU, info@mock-stuemer.de; Dr. Nas Ersin, CDU, info@ersin-nas.de; Katharina Senge, CDU, post@katharina-senge.de; Lilia Usik, CDU, kontakt@lilia-usik.de; Mathias Schulz, SPD, mathias.schulz@spd.parlament-berlin.de; Sevim Aydin, SPD, kontakt@sevim-aydin.de; Marcel Hopp, SPD, kontakt@marcelhopp.de; Dr. Matthias Kollatz, SPD, Matthias.Kollatz@spd.parlament-berlin.de; Dr. Maja Lasić, SPD, info@maja-lasic.de.

Wer gesprächsbereit ist

Unsere Abgeordneten sind besser als ihr Ruf. Am 13. Juni 2025 wurden Annett Lange von SEZ für alle und Carl Waßmuth von Gemeingut im Sportausschuss zum SEZ angehört. Die Ausschussmitglieder haben sich Zeit genommen, eine Stunde war angepeilt, am Ende wurden es fast drei. Und sie zeigten sich gesprächsbereit. Man mag anderer Meinung sein als Dennis Buchner von der SPD (Dennis.Buchner@spd.parlament-berlin.de), der das SEZ für den Sport nicht erhalten will und stattdessen den Wohnungsbau verteidigte. Für einen Vertreter des Sportausschusses ist das ungewöhnlich, aber daran kann sich nun eine weitere Debatte mit ihm anschließen. Die CDU sagte wenig. Gut möglich, dass in ihren Reihen gerade ein intensives Nachdenken stattfindet. In gut einem Jahr sind wieder Wahlen in Berlin – möglich, dass man fürchtet, als Abrisspartei im Osten keine Stimme mehr zu bekommen. Auch darin kann man sie nun bestätigen. Überhaupt schlugen die Wogen hoch, als gesagt wurde, das Thema wäre eine Ost-West-Frage. Das wollte vor allem die SPD nicht gelten lassen. Auch hier kann man anknüpfen: Liebe Abgeordnete der SPD, beim SEZ geht es um Ost und West. Aber sowas von. Verschließt nicht die Augen davor. Und sogar Staatssekretär Alexander Slotty, Gaeblers Untergebener, half beim Gespräch. Mit ihm konnten einige Irrtümer ausgeräumt werden. Erst meinte er, das SEZ sei schadstoffbelastet. Dann wurde klar, dass wegen Schadstoffen kein Abriss erfolgen muss. Er nannte das SEZ auch baufällig. Später korrigierte er sich, es sei nicht einsturzgefährdet. Der Abriss folge aus dem Bebauungsplan, so Slotty. Auf den Bestandsschutz hingewiesen sagte er dann: „Ich will noch darauf hinweisen, dass ich das Wort Bestandsschutz […] überhaupt nicht in den Mund genommen habe. Ich habe es überhaupt nicht infrage gestellt, dass Bestandsschutz besteht  […].“ Na bitte! Reden hilft.

Wer das Gespräch verweigert

Die Erkenntnis, dass Reden hilft, ist leider noch nicht bei Bausenator Christian Gaebler angekommen. Viermal haben wir ihn zum Runden Tisch eingeladen, Raum und Moderation gestellt und gezeigt: Wir sind gesprächsbereit. Viermal hat Gaebler abgsagt. Wir haben Gaebler auch mehrmals geschrieben: Nennen Sie uns irgendeinen Tag in diesem Jahr, an dem Sie Zeit haben, und wir legen einen Termin des Runden Tisches auf diesen Tag, eigens für Sie. Darauf hat Gaebler nicht geantwortet. Das bedeutet, er will nicht. Warum nicht? Was gibt es zu verbergen? Taugen seine Argumente nicht? Fürchtet er sich, den Bürgerinnen und Bürgern gegenüberzutreten? Wir können nur spekulieren. Davon unabhängig tagt der Runde Tisch aber weiter. Bei der jüngsten Sitzung am 22. Juli sprachen wir über die Bedrohung durch einen Abriss auf Raten und die Pläne des Stadtbezirks, eine intakte Kiezschule zu schließen und auf dem SEZ-Gelände neu zu bauen. Alle Anwesenden (der Senator war leider nicht dabei) haben dazu eine Erklärung verabschiedet, in der wir ein Moratorium für alle Veränderungen auf dem SEZ-Gelände fordern: „Kein Abriss, keine Neubebauung, keine Baumfällungen bis zur gesamtheitlichen Klärung der Zukunft des Standorts und seines unmittelbaren Umfelds.“ Diese und alle bisherigen Erklärungen und Schreiben vom Runden Tisch SEZ sind hier zu finden: https://www.gemeingut.org/vierter-runder-tisch-sez

Was passiert, wenn Bürgerbeteiligung unterdrückt wird

Verschiedentlich wurde behauptet, die Bürger wären beim SEZ ausgiebig beteiligt gewesen. Das stimmt nicht. Die Schließung erfolgte per Dekret. Die Privatisierung ebenso. Gegen beides gab es massive Proteste, die geflissentlich überhört wurden. Der neue Eigentümer wollte das SEZ abreißen lassen und dort Hotels und eine Tankstelle bauen, und natürlich fragte er niemanden dazu, höchstens seinen Anlageberater. Als der Entwurf für einen Bebauungsplan für das SEZ-Gelände 2016 ausgelegt wurde, gab es eine vierwöchige Einspruchsfrist. Allerdings nicht zur Frage, ob das SEZ abgerissen werden soll oder nicht, denn das stand dort gar nicht zur Entscheidung. Als Berlin sich das Grundstück vor Gericht zurückerstritten hatte – übrigens erst auf Druck von Verbänden und Bürgerinnen und Bürgern –, verkündete der Senat den Abriss ganz ohne Bürgerbeteiligung. Die habe ja schon stattgefunden. Ähm …? Nein, hat sie nicht. Bis heute nicht! Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie sollen im Dezember vorgestellt werden. Bis dahin sollen wir jetzt wohl nach Meinung des Senats stillhalten. Das SEZ kann aber durchaus überraschend schon vorher abgerissen werden, vom Gesetz her wäre das legal. Schon jetzt müht sich die WBM kräftig und reißt innen alles raus, was nicht niet- und nagelfest ist. Gut möglich, dass demnächst auch die untere Wasserabdichtung zerstört wird: Um den Baugrund zu erkunden, könnte die WBM auf den Gedanken kommen, die sogenannte Schwarzabdichtung unter der Bodenplatte durch Kernbohrungen zu durchlöchern. Derzeit „gehört“ das SEZ der WBM, und Privateigentum gestattet nun einmal auch die mutwillige Zerstörung.

Es ist möglich, den Willen der Bürgerinnen und Bürgern immer wieder zu ignorieren oder zu unterdrücken. Manche haben das in ihrer Biografie schon erfahren. Es kann dann ein Punkt kommen, an dem nicht nur ein Regierungsvorhaben in Frage gestellt wird, sondern die ganze Regierung oder sogar die Regierungsform. Ob das in der Berliner Landesregierung alle wissen?

Wir hoffen es und laden zum nächsten Runden Tisch ein, am 23. September. Dem Bausenator haben wir den Termin schon mitgeteilt. Ob er kommt?

Herzlich grüßen

Katrin Kusche und Carl Waßmuth
für das Team von Gemeingut

 

PS: Wir geben nicht auf. Machen Sie mit, und verteilen Sie unsere aktualisierte und neu aufgelegte vierseitige Zeitung „Lasst uns das SEZ retten“. Der Sommer bietet viele Möglichkeiten, um sie zu verteilen: vor dem Eingang eines Freiluftkinos oder im Park. Exemplare der Zeitung können nach vorheriger Terminabsprache per Mail (Betreff: Abholung Zeitung „SEZ retten“ unter info@gemeingut.org“) im Gemeingut-Büro abgeholt. Kleinere Mengen können wir auch zuschicken.

PPS: Damit wir unsere Arbeit zum Erhalt des SEZ aufrechterhalten können, sind wir auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Jede Spende, die Ihnen möglich ist, hilft.

 

PPPS: Weiterführende Informationen

• Das schreibt der Architekturkritiker Nikolaus Bernau im Tagesspiegel am 28. Juli 2025 zur neuen Machbarkeitsstudie: https://www.tagesspiegel.de/kultur/neue-plane-fur-einstiges-ddr-erlebnisbad-in-berlin-friedrichshain-bitte-mehr-platscher-bei-der-planung-14091683.html

• Hier kann man sich die Video-Aufzeichnung der Anhörung im Sportausschuss ansehen: https://youtu.be/buBp1fNGYjs?si=72OgUHREJ8huOJkq, ab min. 10:00. Das Wortprotokoll dazu ist hier zu finden: https://www.parlament-berlin.de/ados/19/Sport/protokoll/sp19-051-wp.pdf. Wer nicht alles ansehen oder lesen will: Eine gute Zusammenfassung der Ergebnisse liefert Damiano Valgolio von den Linken am Ende:
Damiano Valgolio (LINKE): „[…] Es macht natürlich einen Riesenunterschied, ob das Grundstück oder das Gebäude in privater Hand ist oder wie jetzt in öffentlicher Hand. […] Ich will kurz zusammenfassen, was wir heute schon erreicht haben, was wir herausgearbeitet haben und mich ein bisschen um Entspannung bemühen:
Wir konnten zumindest erfahren, dass es keine Schadstoffbelastung gibt, die einer Nutzung entgegensteht.
Wir haben etwas zu den Sanierungskosten gehört. Herr Waßmuth hat gesagt: 50 Millionen Euro –, Herr Slotty hat gesagt: 100 oder 110 Millionen Euro –, möglicherweise liegt es irgendwo dazwischen. Es ist auch schwer, so etwas zu schätzen, wenn man es sich nicht richtig anguckt. Damit kann man aber festhalten, dass die Sanierung nicht wesentlich teurer wäre als die reinen Abrisskosten und jedenfalls deutlich billiger, als so etwas neu zu bauen. Ob man das dann in die Hand nehmen will, ist eine politische Frage, aber das sind zumindest die Zahlen und die Fakten, die wir haben.
An einer Stelle muss ich auch Dennis Buchner widersprechen. Ich glaube, dass es durchaus auch zur Daseinsvorsorge gehören kann, so ein Schwimmbad wie das SEZ und auch eine Rollschuhbahn zu betreiben. So war es jedenfalls bis 2002. Ich bin der festen Überzeugung, dass das zu einem guten Leben in Berlin gehört und dass es deswegen auch Teil der Daseinsvorsorge ist, also nicht nur reine 25- oder 50-Meter-Bahnen, sondern auch solche Einrichtungen sollten wir uns bemühen zu erhalten.
Eine dritte Sache, die wir herausgearbeitet haben, das ist auch viel wert, ist, dass der Bebauungsplan von 2018 nicht dazu zwingt, das SEZ abzureißen, sondern dass er es zulässt, das SEZ als Bestandsgebäude zu sanieren und als Schwimmbad weiterzubetreiben. […] wir sollten uns da nicht hinter dem Bebauungsplan verstecken […]
Ein letzter Punkt: Da muss ich Ihnen leider auch noch mal widersprechen, Herr Slotty, beziehungsweise eine klare Kritik äußern. Sie haben gesagt, es sei nicht abgewogen worden, ob es besser sei, das SEZ zu sanieren oder abzureißen. Das habe nicht stattgefunden, und das sei auch gar nicht nötig gewesen, weil das schon 2018 stattgefunden habe, als der Bebauungsplan aufgestellt worden ist. Das ist schlicht falsch. Als der Bebauungsplan 2018 aufgestellt worden ist, wurde nicht darüber nachgedacht oder darüber diskutiert, ob man sanieren oder abreißen soll. Das hat mit dem Bebauungsplan überhaupt nichts zu tun. Der Bebauungsplan regelt nur, was gebaut werden darf, wenn neu gebaut wird. Die Frage, ob abgerissen wird, ja oder nein, war damals überhaupt kein Thema und konnte auch gar kein Thema sein, weil damals das Land Berlin noch gar nicht Eigentümer war. Das kann immer nur der Eigentümer entscheiden, was er innerhalb des Bebauungsplans erhält, neu baut oder abreißt. Deswegen war das 2018 eben nicht Thema – konnte es auch gar nicht sein –, ob abgerissen oder erhalten wird. Sie haben gesagt, dass diese Untersuchung, diese Ablehnungsentscheidung: Sanierung und Erhalt oder Abriss –, bisher vom Senat noch nicht gemacht wurde. Das ist der springende Punkt. Das ist das, was wir ganz zentral kritisieren. […] Öffnen Sie die Machbarkeitsstudie so, dass es zumindest möglich wird, Vorschläge zu machen, die einen Erhalt oder Teilerhalt und eine Sanierung oder Teilsanierung des SEZ mit Wohnungsbau zusammendenken! Das wäre, glaube ich, das Mindeste, wenn Sie so klar einräumen, dass diese Ablehnungsentscheidung vom Senat noch gar nicht angestellt wurde. – Danke!“

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