Autobahnprivatisierung: Die SPD will es nicht gewesen sein

Von Carl Waßmuth

Vor einer Woche schrieb der haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Johannes Kahrs in einem Gastbeitrag zur Autobahnprivatisierung: „Nichts wird privatisiert.“ Wer die Auseinandersetzung um den Einstieg privater Investoren in den Autobahnbau und –betrieb verfolgt hat, müsste sich verwundert die Augen reiben. SPD, CDU und CSU hatten das Grundgesetz geändert und so ermöglicht, dass der Autobahnbau und –betrieb in ein privatrechtliches Unternehmen überführt wird. Mit öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) erhielt gleichzeitig erstmals ein Finanzprodukt Verfassungsrang. Und nun soll das alles gar keine Privatisierung gewesen sein? Kahrs geht sogar noch weiter: Wer etwas anderes behauptete, wäre nicht an einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert, sondern nur an Stimmungsmache.

Demnach wäre der Staatsrechtler Prof. Christoph Degenhart einer der Stimmungsmacher. Degenhart hatte den Vorgang wie folgt eingeordnet: „Es handelt sich hier um eine formelle oder Rechtsform-Privatisierung, die allerdings auf der Projektebene durchaus Effekte einer materiellen Teil-Privatisierung haben könnte.“ Auf der Projektebene bedeutet, im Zuge von ÖPPs. Mit dieser Klarstellung hat Degenhart offenbar einen Nerv getroffen. Die Frage, ob mit der Grundgesetzreform privatisiert wurde oder nicht scheint für Kahrs und die SPD von großer Bedeutung zu sein. Vielleicht, weil die SPD mehrfach versprochen hatte, jede Privatisierung auszuschließen?

Kahrs argumentiert, die juristische formale Privatisierung wäre nicht das, was die meisten Menschen unter „Privatisierung“ verstehen. Als Beispiel führt er die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an, die schon früher in eine GmbH überführt wurde. Er fragt: „Droht deswegen die Privatisierung der deutschen Entwicklungshilfe?“ Nun ja, entwicklungspolitische Organisationen wie Oxfam und WEED kritisieren seit Jahren, dass genau das stattfindet. Weltweit wurden schon über eine Billion US-Dollar in Entwicklungshilfe-ÖPPs gelenkt. Die deutsche GIZ unter ihrer Vorstandsvorsitzenden Tanja Gönner ist mittenmang dabei. Die privatrechtliche GIZ wird parlamentarisch nicht mehr effektiv kontrolliert, und so fließt Steuergeld, das der Entwicklungshilfe gewidmet ist, in Kooperationen, von denen ganz überwiegend oder sogar ausschließlich Private profitieren. Also: Ja, Herr Kahrs, die formale Privatisierung der GIZ hat auf der Projektebene durchaus Effekte einer materiellen Privatisierung.

Kahrs gesteht selbst zu, dass bei den Autobahnen ÖPP weiterhin möglich sind. Was er nicht sagt: ÖPP ist die weltweit grassierende Privatisierungsform. Durch die formale Privatisierung wird ÖPP auf deutschen Autobahnen künftig geradezu entfesselt, weil die bisherigen parlamentarischen und organisatorischen Schranken entfallen. Kahrs möchte hingegen, dass man der SPD dafür dankt, dass es erstmals klare Grenzen für ÖPP im Grundgesetz gäbe: ÖPP wäre nur noch für einzelne Projekte möglich. Damit würden mögliche Privatisierungs-Hintertüren geschlossen. Kahrs bezieht sich dabei auf den Ausschluss von Netz-ÖPPs im Grundgesetz und auf die einfachgesetzliche Begrenzung der maximalen Länge von ÖPP-Teilstücken auf 100 km. Beides ist allerdings für den Privatisierungsumfang irrelevant. Gängige ÖPP-Teilstücke waren bisher nie länger als 75 km, und Netz-ÖPPs hat weltweit noch nie jemand gesehen. Die SPD hätte genauso durchsetzen können, dass Ufos verboten werden.

Wie kommt all das nun bei den Menschen an? „Gemeingut in BürgerInnenhand“ hat dazu bei Forsa eine repräsentative Meinungsumfrage beauftragt. Eine Zentralisierung der Autobahnen hätte demnach bei den Bürgerinnen und Bürgern keine absolute Mehrheit, aber immerhin 49 Prozent der Befragten finden so etwas gut, 34 Prozent finden es schlecht. Bau und Betrieb von Autobahnen durch private Unternehmen finden hingegen 63 Prozent grundsätzlich schlecht, nur 27 Prozent begrüßen so etwas. Die Menschen verstehen demnach sehr genau zu differenzieren: Zentralisierung – ja bzw. meinetwegen, Privatisierung – in keiner Form.

Kahrs verteidigt Mehrheitsentscheidungen, so sei unsere Demokratie: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen… ausgeübt.“ Hier muss man Kahrs zustimmen. Unsere Demokratie ist offenbar so – so schlecht. Eine große Koalition kann eben mal das Grundgesetz ändern. Und der Bundesrat als zweite Kammer verhindert das nicht, nickte man dort doch alles nur einen Tag später ab. Aber es gibt noch Hoffnung. Die Pünktchen in Kahrs Grundgesetz-Zitat stehen nämlich unter anderem für die Auslassung „und Abstimmungen“. Die Forsa-Umfrage zeigt: Eine Volksabstimmung hätte diese Privatisierung nicht erlaubt.

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Carl Waßmuth ist beratender Ingenieur und Mitglied im Vorstand von „Gemeingut in BürgerInnenhand“. Als Sachverständiger für Infrastruktur setzt er sich gegen Privatisierungen und für die öffentliche Daseinsvorsorge ein.

 

4 Kommentare

  1. Parteienoligarchie, ick hoer dir trapsen. *hust Fraktions-/Parteidisziplin

    Ich lese gerade Robert Michels „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“ und sein „Ehernes Gesetz der Oligarchie“ scheint sich gerade wieder einmal zu bewahrheiten.

  2. Zufällig war ich heute mal wieder Zuhörer der örtlichen Stadtraatssitzung. Da hatte ein Bürger einen Antrag eingenbracht und dabei auf § 23 Unterrichtung der Einwohner verwiesen. Die Diskussion
    darüber machte deutlich, dass Bürgerbeteiligungen unerwünscht sind, obwohl die Gemeindeordnung sie nicht nur erlaubt, sondern eigentlich auch möchte. Doch letztendlich können die Ratsmitglieder darüber bestimmen was sie selbst für bedeutsam halten und was nicht.
    Unsere gewählten Vertreter sehen ihre Position bedroht wenn die Bürger mitbestimmen wollen.
    Es könnte also sein das die ganzen Privatisiierungen nich nur Selbstbereicherungen zum Hintergrund haben, sondern auch das Erwachen der Bürger fürchten.Das lässt folgenden Schluss zu:
    Ist erst mal kein Gemeineigentum mehr da, brauchen sie sich nicht mehr mit den Bürgern herumschlagen. Im Dienste der alles besitzenden Oligarchen sind sie dann die neuen Feudalherren, die ihre Mitbürger dann nach belieben herumstoßen können.

  3. Es ist definitiv falsch das die Demokratie nur in Wahlen ausgeübt wird.
    Im Grundgesetz steht neben Wahlen auch Abstimmungen!
    Die hat man uns bisher meistens verwehrt

  4. Pingback:Hinweise des Tages | NachDenkSeiten – Die kritische Website

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