Update zur Aktionsmail: Hilfe für die Berliner S-Bahn

Am 26. Januar hatten wir dazu aufgerufen, der Berliner Politik E-Mails mit der Forderung nach einem Stopp der Ausschreibung der S-Bahn Berlin zu schreiben. Die Ausschreibung kann zu einer Privatisierung und Zerschlagung des Verkehrsträgers führen. Viele Menschen sind offenbar dem Aufruf gefolgt, vielen Dank für euren und Ihren Einsatz!

Inzwischen sind drei Antworten eingegangen. Wir dokumentieren die Antworten und geben Argumente an, wo wir der Auffassung waren, dass Unrichtiges behauptet wird oder die eigentliche Aussage noch aussteht. Diese Bausteine dürfen und sollen gern für weiteren Schriftverkehr verwendet werden! Eine beretis erfolgte Antwort von GiB auf einen der Briefe ist unten abgedruckt.

1. Antwort von Kai Wegner, CDU

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie sich wegen der S-Bahnausschreibung an mich wenden. In den letzten Tagen haben mich viele Bürgerinnen und Bürger in dieser Angelegenheit kontaktiert, das zeigt die Bedeutung des Anliegens. Aufgrund der großen Anzahl von Anfragen erhalten Sie von mir eine allgemeine Antwort.

Wir als CDU teilen Ihre Bedenken und Sorgen hinsichtlich der vom SPD-Grünen-Linken-Senat konzipierten S-Bahnausschreibung für die Teilnetze 2 und 3. Wir kritisieren das Konzept schon seit 2 Jahren. Die Ausschreibung ist viel zu umständlich, kleinteilig und langwierig. Zudem birgt sie die Gefahr der S-Bahnnetz-Zerschlagung.

Mit dieser Ausschreibung drohen viele ineffiziente Strukturen zwischen den Akteuren zu entstehen. Dies gilt insbesondere im Betrieb und der Instandhaltung der verschiedenen Teilnetze sowie der Infrastruktur und im Verhältnis mit dem Verkehrsverbund. Das Land Berlin sollte seinen Einfluss, auch mit Blick auf das Mobilitätsinteresse der Berliner und die Nachhaltigkeit unserer Stadt, nicht aus der Hand geben. Darüber hinaus droht eine „Zerstörung“ des bestehenden einheitlichen Berlin-Brandenburger S-Bahnnetzes.

Weiterhin besteht aus unserer Sicht die begründete Gefahr der Entlassung tausender Mitarbeiter. Aufgrund der befristeten Ausschreibungsdauer besteht für die Mitarbeiter keine langfristige Beschäftigungsperspektive, was zu einem Fachkräftemangel, insbesondere im Fahrdienst, führen könnte. Es ist zu befürchten, dass sich die Arbeitsbedingungen durch Tarifflucht, massiver Erschwerung zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Rechte sowie diverser Möglichkeiten zum Aufbau von Subunternehmerpyramiden deutlich verschlechtern.

Aus den genannten Gründen muss intensiv geprüft werden, ob und wie die aus grüner Hand mit Billigung der SPD entstandene S-Bahnausschreibung gestoppt und die S-Bahn in einer Hand bleiben kann. Das Einheitsnetz der S-Bahn Berlin GmbH und die S-Bahn Berlin müsen erhalten werden. Die CDU Berlin steht fest an der Seite der Beschäftigten.

Mit den besten Grüßen

Kai Wegner

Die CDU Berlin ist aus der Wahlwiederholung als mit Abstand stärkste Partei hervorgegangen. Intensiv prüfen, wie „die  S-Bahnausschreibung gestoppt und die S-Bahn in einer Hand bleiben kann“ – das muss unbedingt in die Verhandlungen rein. Schließlich gibt es Gründe, warum die rot-grün-rote Regierung so abgestraft wurde. Der Versuch der S-Bahnprivatisierung könnte dazugehören …

2. Antwort der Senatskanzlei (Franziska Giffey)

 .. vielen Dank für Ihre Nachricht vom 27. Januar 2023, die in der Bürgerberatung der Regierenden Bürgermeisterin eingegangen ist und mir zur Beantwortung übergeben wurde.

Ihre Befürchtungen bzgl. einer möglichen „Zerschlagung“ der Berliner S-Bahn und Nachteile für die Beschäftigten durch „Lohndumping“ sind durchaus nachvollziehbar, jedoch unbegründet.

Die zu erwartenden Nachteile haben wir umfangreich begründet.

Grundsätzlich gilt, dass die Länder Berlin und Brandenburg rechtlich verpflichtet sind, Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) wettbewerblich auszuschreiben.

Dies gilt nur, wenn Berlin nicht direkt vergeben möchte. Juristische Wege dazu wurden von uns aufgezeigt (bestimmende Einflussnahme zum Beispiel durch Kauf der Mehrheit der Anteile).

Aus der europarechtskonformen Vergabe im Wettbewerb leiten sich rechtliche Anforderungen ab, wie das Erfordernis einer Losteilung.

Diese Ableitung ist strittig. Sie lässt sich bestenfalls mit der Absicht einer mittelstandsfreundlichen Konfiguration der Ausschreibung erklären – die jedoch durch die konkrete Ausschreibung nicht gewährleistet wird. Man hätte also auch in einem Stück ausschreiben können.

Für die Betriebsleistungen auf den Teilnetzen „Nord-Süd“ und „Stadtbahn“ sind daher zwei Fachlose vorgesehen, bei denen im Ergebnis des Vergabeverfahrens theoretisch zwei verschiedene Bieter den Zuschlag erhalten können. Dass die Bildung von Teillosen zwingend zu einer Zerteilung des Betriebs führt, ist im Übrigen nicht ausgemacht. Es ist gerade die Besonderheit des vom Senat beschlossenen Kombinationsverfahrens, dass die Abgabe eines Gesamtangebots möglich ist.

Das Gesamtangebot lässt allerdings die Ringbahn außen vor. Außerdem: Wozu alles, wenn man das doch nicht möchte? Man könnte es gleich so gestalten, dass die Struktur den tatsächlichen Anforderungen von Berlin und Brandenburg entspricht.

Soweit die daraus folgenden Synergieeffekte sich in einem wirtschaftlicheren Angebot wiederfinden, wird sich das Gesamtangebot im Wettbewerb durchsetzen.

Diese Wirtschaftlichkeit findet nur auf der Ebene der Bieter statt, ist also betriebswirtschaftlich. Volkswirtschaftlich ist die Trennung in jedem Fall nachteilig.

Sofern im Ergebnis des Vergabeverfahrens mehrere Unternehmen mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen beauftragt werden, sehen die die zur Vergabe anstehenden Verträge umfassende netzübergreifende Leistungs- und Kooperationspflichten der beauftragten Unternehmen vor, die möglichen Koordinationsproblemen vorbeugen.

Die Leistungs- und Kooperationspflichten gab es auch bei der Abelliopleite und bei der Londoner Metro. Sie haben das Chaos im Nachgang der jeweiligen Privatisierung nicht verhindert.

Anders als von Ihnen vermutet, wird die Berliner S-Bahn mit der aktuellen Ausschreibung nicht privatisiert.

Das ist nicht richtig. Der Betrieb wird funktional privatisiert: Private erhalten die Konzession. Die Beschaffung und die Wartung wird materiell privatisiert. Die Finanzierung wird privatisiert (private Kredite privater Bieter, gedeckt durch einen Schattenhaushalt, statt transparenter öffentlicher Schulden).

Die S-Bahn Fahrzeuge selbst wurden schon immer durch Private hergestellt und geliefert. Die Konstruktion und Lieferung der künftigen Neufahrzeuge durch private Hersteller ist auch in der aktuellen Ausschreibung vorgesehen. Diese „Partnerschaft“ mit der privaten Bahnindustrie ist insoweit unerlässlich, da nur diese Hersteller das technische Know-how zur Konzeption und Herstellung von komplexen S-Bahn-Fahrzeugen verfügen.

Entscheidend ist für die Privatisierung, wem die Wagen im Anschluss gehören, nicht wer sie baut. Wenn sie Privaten gehören, und das ist durch die Ausschreibung möglich, dann ist es eine Privatisierung.

Diese besondere Expertise gilt auch für die Instandhaltung und den Betrieb der S-Bahn Fahrzeuge. Aktuell erfolgt dies durch die S-Bahn Berlin GmbH, ein privatwirtschaftlich verfasstes und gewinnorientiertes Unternehmen, das im mittelbaren Eigentum der Bundesrepublik Deutschland steht.

Die S-Bahn Berlin GmbH ist formell privat, aber nicht materiell. Die neuen Bieter können auch materiell private Unternehmen sein oder Beteiligung von Finanzinvestoren wie Black Rock aufweisen.

Gewinne des Betreibers kommen nicht dem Land Berlin, sondern der Deutschen Bahn AG, bzw. dem Bund zu Gute. Seit 2015 fließen jedes Jahr ca. 50 Millionen Euro Gewinn für den Betrieb der S-Bahn an den Bahnkonzern. Insofern ist die Privatisierung der Berliner S-Bahn ein Ergebnis der Bahnreform der 1990-er Jahre und keine Folge der aktuellen Vergabeverfahren der Länder.

Wenn diese Gewinnabflüsse künftig an Berlin statt an den Bund oder ein bundeseigenes Unternehmen  fliessen sollen, dann helfen weitere, dann auch materiell private Bieter gar nicht. Dann muss man die S-Bahn Berlin GmbH eben kaufen.

Ihr Vorschlag, dass das Land Berlin zumindest Mehrheitseigentümer der S-Bahn Berlin GmbH werden sollte, ist kein realistisches Szenario. Das Land Berlin hat ein solches Anliegen in der Vergangenheit wiederholt an den Bund bzw. die Deutsche Bahn AG adressiert.

Das Szenario ist durchaus realistisch. Fast jede Rekommunalisierung stößt zunächst auf Widerstand der Alteigentümer. Diese Vorbehalte können ausgeräumt werden, und das ist in der Geschichte oft genug passiert, in Berlin zuletzt bei den Wasserbetrieben.

Auch aktuell gibt es weder von der Deutschen Bahn AG noch vom Bund als alleinigem Eigentümer Signale, dass sich die seit langem bekannte, ablehnenden Haltung geändert hätte und auch nur in Erwägung gezogen würde, dass sich der Bahnkonzern mit der S-Bahn Berlin GmbH von einem hoch renditeträchtigen Teil ihres Kerngeschäfts trennt.

Es ist Aufgabe der Regierung, solche Signale abzufragen und attraktive Angebote zu machen. Im Übrigen können Berlin und Brandenburg unangemessene Renditen aus einem nachteiligem Privatisierungsvertrag kaum durch weitere solcher Verträge verhindern.

Bei der Ausschreibung legen die Länder Berlin und Brandenburg auf die Wahrung der Sozialstandards einen hohen Stellenwert.

Auch der höchste vorherige Stellenwert von Standards in einer Ausschreibung wird im Zuge einer späteren Insolvenz zunichte gemacht.

Deshalb sehen die Vertragsunterlagen hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes umfangreiche Tariftreueverpflichtungen vor. Mit Regelungen, die bundesweit einzigartig sind, sorgen die Länder dafür, dass der Wettbewerb für die künftige Leistungserbringung nicht zulasten der Beschäftigten geht.

Das sind völlig unbelegte Behauptungen, leider.

Die Vertragsunterlagen enthalten sowohl für das mit der Durchführung der eigentlichen Verkehrsdienstleistungen als auch für das technische Werkstattpersonal eine Personalübernahmeverpflichtung. Ein eventueller neuer Betreiber wird das für die Durchführung der von ihm geschuldeten Leistungen unmittelbar erforderliche Personal übernehmen müssen. Zudem enthalten die Vertragsunterlagen eine verpflichtende Auszubildendenquote. Soziale Zusagen sind außerdem noch wertungsrelevant. Im Ergebnis ist das anstehende Vergabeverfahren auf eine Art und Weise sozialverträglich ausgestaltet, wie es in Deutschland noch nicht praktiziert worden ist.

Diese vorgeblichen Superlative können nicht beeindrucken. Milliardenschwere Verträge im Bereich der Daseinsvorsorge haben ihre Grenze, wo die Unternehmen auf das haftende Eigenkapital beschränkt sind. Nicht die Ausprägung der Verträge machen sie so kritikwürdig, sondern dass der Gegegstand – die Daseinsvorsorgeund der Klimaschutz – über Verträge dieser Art grundsätzlich nicht befriedigend gesteuert und kontrolliert werden können.

Vor dem Hintergrund dieser Aspekte zielt die aktuelle S-Bahn-Ausschreibung darauf ab, den Betrieb und die Instandhaltung der Berliner S-Bahn als Eckpfeiler eines ökologischen ÖPNV unter Rückgriff auf die erforderliche Expertise privatwirtschaftlich verfasster Bahnunternehmen langfristig zu stärken – und dies unter Zugrundelegung anspruchsvoller Sozialstandards, hoher Qualitätsanforderungen an Beschaffung, Betrieb und Instandhaltung sowie umfassender Umweltstandards.

Worauf abgezielt wird, ist für die betroffenen Menschen nicht ausreichend, wenn es mit den gewählten Mitteln nicht erreichbar ist.

Die Länder wollen im Wege der wettbewerblichen Ausschreibung erreichen, dass sie für diese Leistungen gute Angebote zu angemessenen Preisen erhalten. Nur so wird das S-Bahn-Angebot und die dringend erforderlichen Mehrleistungen und Kapazitätserhöhungen auch in den kommenden Jahrzehnten aus den Landeshaushalten finanzierbar sein.

Was die angemessenen Kosten betrifft, so wäre eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung erforderlich, um die Behauptung etwas zu substantiieren. Dabei ist unbedingt die volkswirtschaftliche Betrachtung heranzuziehen. Dort fließen auch Insolvenzen ein und sind mit einem entsprechenden Risikoaufschlag zu bewerten, ebenso wie andere Risiken, die allein in dem gewählten Ausschreibungsmodell vorkommen, nicht jedoch bei einer öffentlichen Erbringung. Derzeit ist schon allein das Risiko von Zinsanstiegen in den Refinanzierungskonstrukten der privaten Bieter ausreichend – ganz ohne weitere Risikoaufschläge -, um die Unwirtschaftlichkeit der Ausschreibung zu belegen.

3. Antwort von Klaus Lederer, Bürgermeister von Berlin sowie Senator für Kultur und Europa

… vielen Dank für Ihre Mail zur S-Bahn-Ausschreibung. DIE LINKE tritt für die Kommunalisierung der Berliner S-Bahn ein, auch um auf Ausschreibungen der S-Bahn-Leistungen verzichten zu können und einen einheitlichen S-Bahn-Betrieb zu gewährleisten. Denn der öffentliche Nahverkehr in Berlin gehört zur Daseinsvorsorge. Wenn die S-Bahn in kommunaler Hand ist, hat das Land Berlin endlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten sowie direkten Einfluss auf die Geschäftspolitik, auf Investitionen und Instandhaltung u.a. um eine S-Bahn-Krise wie 2009 zu verhindern. Außerdem könnten die Gewinne der S-Bahn für einen besseren Verkehr in Berlin verwendet werden, statt in die Kassen der DB AG oder privater Unternehmen abzufließen. Wir lehnten und lehnen die Aufspaltung der S-Bahn und die Schaffung zusätzlicher Schnittstellen ab. Insofern teilen wir Ihre prinzipielle Kritik an der Ausschreibung, da bei Ausschreibungen immer die Gefahr einer Privatisierung von Teilen des Berliner S-Bahn-Betriebs verbunden ist.

Um jedoch auf eine Ausschreibung verzichten zu können, braucht es einen direktvergabefähigen Betrieb, den wir in Berlin aktuell nicht haben. Auch eine Direktvergabe an die S-Bahn-Berlin GmbH ist aufgrund des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht möglich, solange das Land nicht beherrschende Eigentümerin ist. Es gibt also drei Möglichkeiten, auf Ausschreibungen der Berliner S-Bahn verzichten zu können:
– Den Kauf der S-Bahn Berlin GmbH, so dass der Betrieb direkt an die S-Bahn Berlin GmH vergeben werden kann. Bislang waren die DB und der Bund nicht zu einem Verkauf bereit. Wir erwarten vom Senat, dass er entsprechend der Koalitionsvereinbarung in Gespräche zum Kauf der Berliner S-Bahn eintritt. Aktuell befinden sich hierzu die Senatsverwaltung für Mobilität und die Senatsverwaltung für Finanzen in Gesprächen, um das Vorgehen zu koordinieren. Ein Kernpunkt ist hier die Wirtschaftlichkeitsprüfung, die laut Landeshaushaltsordnung vorgesehen ist bei Unternehmensbeteiligungen. Diesen Weg beschreitet der Senat mit Priorität.
– Den Aufbau eines landeseigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens (EVU), das von dem Land direkt mit dem Betrieb der S-Bahn beauftragt werden kann. Aufgrund der Komplexität und Anforderungen an ein leistungsfähiges EVU und da der Senat nicht über eigene personelle und fachliche Kompetenzen für einen solchen Unternehmensaufbau verfügt, muss ein entsprechendes Konzept inklusive Wirtschaftlichkeitsprüfung extern vergeben werden, um auf dieser Basis einen Fahrplan einschließlich personeller Anforderungen auf Verwaltungsebene zu erstellen. Für den organisatorischen Umsetzungs- und Aufbauprozess geht der Senat aktuell von einem Zeitraum von 8-10 Jahren aus.
– Die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das eine Direktvergabe an die S-Bahn Berlin GmbH verhindert. Hierzu bereitet der Senat eine Bundesratsinitiative im Rahmen der 2023 geplanten 12. Novelle des GWB vor. Ziel wird sein, alle in Artikel 5 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 und EWG Nr. 1107/70 des Rates (VO (EG) Nr. 1370/2007) vorgesehenen Möglichkeiten der Direktvergabe über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr auch im nationalen Vergaberecht anwenden zu können. Nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 können einige der dort vorgesehenen Arten der Direktvergabe durch nationales Recht ausgenommen werden. Von dieser Möglichkeit hatte Deutschland Gebrauch gemacht.

DIE LINKE verfolgt alle drei Wege und konnte diese in der letzten Koalitionsvereinbarung verankern. Der Kauf der S-Bahn durch das Land wäre die beste Variante, auch da dann die Einheit des S-Bahn-Betriebs erhalten bleiben könnte. Allerdings ist die einzige Variante, die alleine in der Hand des Landes Berlin liegt, der Aufbau eines eigenen Eisenbahnverkehrsunternehmens. Dieses braucht aber Zeit und würde zu einer getrennten Vergabe von Fahrzeugbeschaffung und Betrieb führen, was ungleich größere Risiken einer Privatisierung und Zerschlagung des S-Bahn-Systems mit sich brächte.
Ein Abbruch der Ausschreibung des Betriebs führt daher nur weiter, wenn es gelingt, kurzfristig die genannten Ausgangsbedingungen (z.B. durch Kauf der S-Bahn oder Änderung des GWB) zu ändern. Aktuell ist dies nicht absehbar, wir verfolgen aber alle drei Wege weiter.
Solange eine Ausschreibung erfolgen muss, sind wesentliche Ziele von uns in dem laufenden Ausschreibungsverfahren die Vermeidung von Schnittstellen und der Zerschlagung des Gesamtsystems sowie die Absicherung der Beschäftigten. Wir konnten sowohl die von der Grünen Verkehrsverwaltung beabsichtigte getrennte Ausschreibung der beiden Teilnetze und von Fahrzeugbeschaffung und Instandhaltung sowie einer Loslimitierung verhindern, so dass ein Gesamtangebot für beide Teilnetze inklusive Fahrzeugbeschaffung und Instandhaltung möglich ist. Auch konnte die verpflichtende Vorgabe eines anderen Werkstattstandorts verhindert werden, was das Aus für bestehende Werkstattstandorte bedeutet und einen Vorteil für private Bieter geschaffen hätte. Für die Beschäftigten der S-Bahn und der Werkstätten konnten wir umfangreiche Übernahmeverpflichtungen sowie die Bindung an repräsentative Tarifverträge und soziale Kriterien bei der Angebotsbewertung, beispielsweise Urlaubsdauer und Ausbildungsquote, erreichen. Auch ein Fahrzeugangebot auf Grundlage der Standards der Ring-Ausschreibung ist möglich.
Die Schaffung eines kommunalen Fahrzeugparks ist eine langjährige Forderung der Berliner LINKEN, auch nach den Erfahrungen der S-Bahn-Krise 2009. Es kann also ein Schritt in Richtung Kommunalisierung sein. Die Wagen gehören der landeseigenen Fahrzeuggesellschaft. Für die Wartung und Instandhaltung der Fahrzeuge wird ein langfristiger Vertrag abgeschlossen. Die Fahrzeuge werden dem künftigen Betreiber, egal ob landeseigen, bundeseigen (S-Bahn-Berlin GmbH) oder privat, für die Verkehrsleistungen zur Verfügung gestellt. Erst landeseigene Fahrzeuge schaffen die Möglichkeit der Direktvergabe an ein landeseigenes Unternehmen und damit des Verzichts auf Ausschreibungen.
Antworten auf verschiedene Fragen, auch zu anderen von Ihnen angesprochenen Punkten im Zusammenhang mit der S-Bahn-Ausschreibung finden sie auch in den FAQ des Landesverbandes der LINKEN unter folgendem Link: https://dielinke.berlin/s-bahn-faq/.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Lederer

Sehr geehrter Herr Lederer,

danke für Ihre Antwort. Sie nennen drei Gründe, weswegen die aktuelle Ausschreibung schlecht ist, sowie zugehörige Alternativen, die Sie angeblich verfolgen.

Tatsächlich ist jedoch das einzige, was sichtbar von der Berliner Landesregierung, also auch von Ihnen, verfolgt wird, die Ausschreibung, deren mögliches Ergebnis Sie laut Ihrer Aussage nicht wünschen. Ihre Aussagen sind vor diesem Hintergrund nicht glaubwürdig.

Dass eine Gesamtvergabe (für zwei Drittel des Netzes, was auch schon eine Teilung mit schlimmen Folgen darstellt) möglich ist, ist – anders als Sie es darstellen – kein Erfolg. Zum einen können auch bei der Gesamtvergabe Private den Zuschlag bekommen. Das ist auch dann der Fall, wenn die DB die Ausschreibung gewinnt, da die DB sich für ihr Angebot zu einem Konsortium mit Privaten zusammengeschlossen hat. Und zum anderen sind auch in dieser Variante hunderte Millionen Euro teure Bauwerke nötig, die allein der Aufteilung dienen.

Sie sind Teil der aktuellen Landesregierung. Regierungen handeln. Wenn es durch das Handeln der Regierung mit Beteiligung der Linken in Berlin zu einer Privatisierung der S-Bahn kommt, dann werden die Menschen auch Ihnen das zuschreiben.

Davon abgesehen ist Wahlkampf. Die Menschen erwarten von der Politik öffentliche Positionierungen, auch ich. Den Kauf der S-Bahn Berlin GmbH können Sie persönlich öffentlich fordern, Geheimdiplomatie ist nicht nötig. Und Sie können die DB — ebenfalls öffentlich — auffordern, ein Angebot zu machen. Werden Sie es tun? Noch vor dem Sonntag?

 


Liebe Freundinnen und Freunde von Bahn für Alle, Gemeingut und Eine S-Bahn für Alle,

wir brauchen Ihre aktive Mithilfe! In Berlin und Brandenburg sollen große Anteile des Nahverkehrs unter den Hammer kommen: die Berliner S-Bahn. Pro Jahr befördert sie mehr als 300 Millionen Fahrgäste, das sind dreimal so viele wie die Deutsche Bahn jährlich mit der gesamten ICE-Flotte befördert. In den meisten Bundesländern wurden S-Bahn- und Regionalverkehr längst zerschlagen und separat ausgeschrieben: Die Berliner S-Bahn fährt in einem unabhängigen Netz  und blieb verschont. Bisher.
Im Juni 2020 startete der Berliner Senat die Ausschreibung des Verkehrs auf zwei künstlich herausgetrennten „Teilnetzen“ der S-Bahn. Die Teilstücke können an verschiedene Betreiber gehen. Ausgeschrieben sind auch Bau, Wartung und Instandhaltung von Fahrzeugen. Es ist ein Vorhaben direkt aus der neoliberalen Hölle, ein Abklatsch der Privatisierung der Londoner U-Bahn – nur 20 Jahre später. Darum geht es:

  • Mit der Ausschreibung will der Senat durch Wettbewerbsdruck Kosten einsparen. Das ging bisher schon immer zu Lasten der Qualität und auf dem Rücken der Beschäftigten. Zuverlässiger Nahverkehr hat seinen Preis, das zeigen Insolvenzen von Betreibern in anderen Bundesländern. Zudem wird die öffentliche Hand durch drohende Insolvenzen erpressbar.
  • Der Senat preist einen Fahrzeugpool als „Kommunalisierung“. In Wirklichkeit handelt es sich um eine landeseigene Briefkastenfirma, die zur Erbringung ihrer Aufgaben eine öffentlich-private Partnerschaft eingeht. Damit öffnet der Senat Black Rock und Co. die Tür. Wie wichtig fachgerechte Wartung ist, zeigte das Berliner S-Bahn-Chaos der 2000er Jahre, als man die Deutsche Bahn auf Börsenkurs bringen wollte.
  • Je nach Zuschlag können es bis zu vier Akteure werden, die künftig im dicht vertakteten S-Bahn-Netz interagieren sollen – bei Störungen ein Fest für Anwälte, die Fahrgäste bleiben dann allerdings auf der Strecke.
  • Das Vorhaben ist auch Geldverschwendung: Eine halbe Milliarde Euro kosten Bauwerke, die nur für die Auftrennung des Netzes gebaut werden sollen und sonst keinen Nutzen haben. Außerdem ist ein neuer Fahrzeugtyp ausgeschrieben, obwohl nach mehrjähriger Entwicklungszeit die ersten Fahrzeuge eines neuen S-Bahn-Typs ausgeliefert werden. Warum bestellt man für den Ausbau des Verkehrsangebots nicht einfach weitere Fahrzeuge nach?

Wir fordern: Sofortige Rücknahme der Ausschreibung! Zerschlagung und Privatisierung der Berliner S-Bahn stoppen! Die S-Bahn als Betrieb der öffentlichen Daseinsvorsorge muss dem Gemeinwohl verpflichtet und darf nicht gewinnorientiert sein.

Doch gute Argumente allein reichen nicht, man benötigt auch Aufmerksamkeit. Seit 2019 haben wir daher Aktionen durchgeführt, ein Filmclip wurde gedreht, wir haben eine Zeitung erstellt und in den S-Bahnen verteilt, Unterschriften gesammelt und immer die Presse informiert – die uns jedoch weitgehend ignorierte. Bis vor einer Woche! Über unsere Unterschriftenübergabe an die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch berichteten rbb, ntv, Radio Eins, die Süddeutsche Zeitung, die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost, die taz und viele andere Zeitungen bundesweit.

In Berlin wird die Wahl wiederholt. Schreiben Sie E-Mails an die Verantwortlichen der politischen Parteien! Die Ausschreibung muss abgebrochen und die S-Bahn geschützt werden. Sie sind nicht aus Berlin? SPD und Grüne regieren auch im Ampel-Klimakabinett, und Privatisierungen im Nahverkehr schaden dem Klima. Sie sind aus Berlin? Verlangen Sie, dass man Ihre S-Bahn ausbaut, statt sie zu zerschlagen.
Schreiben Sie an so viele Adressaten wie möglich. Wenn 50 Menschen 5 bis 10 E-Mails versenden, werden es 250 bis 500 E-Mails! Bitten Sie auch Freundinnen und Freunde um Mithilfe. Einige Briefmuster haben wir entworfen, nutzen Sie die Vorlagen in den Links zu den Namen und am Ende unseres Rundbriefes. Aber formulieren Sie gern auch Eigenes! Je unterschiedlicher die E-Mails sind, desto größer der Eindruck auf die Politik.
Hier sind wichtige E-Mail-Adressen:

Franziska Giffey (SPD)    Die-Regierende-Buergermeisterin@senatskanzlei.berlin.de, franziska.giffey@spd.parlament-berlin.de
Klaus Lederer (Die Linke)    lederer@linksfraktion.berlin
Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen)    senatorin@senuvk.berlin.de, bettina.jarasch@gruene-berlin.de
Kai Wegener (CDU)    kai.wegner@cdu.berlin
Sebastian Czaja (FDP)    info@sebastian-czaja.de
Olaf Scholz (SPD)    olaf.scholz@bundestag.de
Anja Hajduk (Bü90/Die Grünen)    anja.hajduk@gmail.com
Stefan Gelbhaar (Bü90/Die Grünen)    stefan.gelbhaar@bundestag.de
Bernd Riexinger (Die Linke)    bernd.riexinger@bundestag.de
Mario Czaja (CDU)    mario.czaja@bundestag.de,  buero@marioczaja.de
Volker Wissing (FDP)    volker.wissing@bundestag.de

In der Hoffnung, dass die S-Bahn Berlin noch gerettet werden kann:
Ihre Aktiven von
Gemeingut in BürgerInnenhand, Bahn für Alle, Aktionsbündnis EINE S-Bahn für ALLE

Carl Waßmuth | Katrin Kusche  | Ludwig Lindner

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Presseschau zur S-Bahn Berlin (Auswahl)

Aktive der Bündnisse Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE sowie von Gemeingut in BürgerInnenhand übergaben am 16. Januar der Berliner Verkehrssenatorin 10.328 Unterschriften gegen die Zerschlagung der Berliner S-Bahn. Die Nachricht wurde bundesweit von den Medien aufgegriffen. Hier einige Beispiele:

16.01.2023 | Berliner Zeitung: Unter der Überschrift „Neuer Betreiber für S-Bahn-Strecken gesucht: Mehr als 10.000 Unterschriften dagegen“ bringt die Berliner Zeitung die dpa-Meldung zur Unterschriftenübergabe.

16.01.2023 | B.Z. |Berliner Morgenpost | n-tv.de …: Eine etwas kürzere Meldung mit einem Zitat von Carl Waßmuth (GiB) findet sich unter der Überschrift „Initiativen übergeben Unterschriften gegen S-Bahn-Ausschreibung“ in der B.Z., unter der Überschrift „Unterschriftenübergabe gegen S-Bahn-Ausschreibung“ in der Berliner Morgenpost sowie bei n-tv.de, dort unter der Rubrik Regionalnachrichten Berlin Brandenburg unter der Überschrift „Übergabe gegen S-Bahn-Ausschreibung“. Auch viele andere Medien bringen diese Meldung, zum Beispiel: msn.com, gewerkschaftliche-linke-berlin.de, live.vodafone.de, Augsburger Allgemeine

16.01.2023 | Süddeutsche Zeitung: Die bundesweite Bedeutung der Ausschreibung ist der Süddeutschen Zeitung einen Artikel wert. Sie weiß: „Bei den jetzt zu vergebenden Strecken handelt es sich um die größte Ausschreibung in der Berliner S-Bahn-Geschichte.“

16.01.2023 | rbb: Die in Berlin bei vielen Zuschauerinnen und Zuschauern beliebte rbb-Abendschau berichtete im Nachrichtenblock über die Unterschriftenübergabe und zeigte dazu Filmmaterial. Leider sind die Beiträge immer nur wenige Tage online und daher nicht mehr abrufbar.

Ein Video von der Unterschriftenübergabe mit den Redebeiträgen von Carl Waßmuth für das Bündnis EINE S-Bahn für ALLE und von Bettina Jarasch (Berliner Verkehrssenatorin) sowie Rückfragen aus dem Publikum findet sich unter diesem Link im Internet.

Hintergrundartikel zur S-Bahn-Ausschreibung:

Februar 2022 | Berliner Mieterecho: In einem ausführlichen Beitrag konnten im vergangenen Jahr Jorinde Schulz und Carl Waßmuth im Berliner Mieterecho die Probleme der Ausschreibung der Berliner S-Bahn thematisieren und auch inhaltliche Bezüge zur von der Bundesregierung geplanten Trennung von Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn AG herstellen, die von Gemeingut, Bahn für Alle und EINE S-Bahn für ALLE abgelehnt wird. Titel des Beitrags „Auf dem Weg ins Wettbewerbsdesaster? Die Ausschreibung der Berliner S-Bahn hat begonnen“.

Außerdem nach wie vor empfehlenswert: Die vom Aktionsbündnis EINE S-Bahn für ALLE herausgegebene und kostenlos zum Verteilen bestellbare sowie online verfügbare Zeitung: „S-Bahn-Roulette. Privatisierung jetzt stoppen“

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Vorschläge für Schreiben und E-Mails

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der SPD Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau…,
die SPD als präsentiert sich im Wahlkampf als besonders sozial. Ihre Mitverantwortung für die Ausschreibung der S-Bahn zeigt die SPD aber als extrem unsoziale Partei. Die SPD will bei der S-Bahn Kosten sparen – Ersparnisse, die aus geringeren Löhnen der Beschäftigten resultieren. Geht Ihr Plan auf, dann erzwingen Sie Lohndumping. Die Anbieter haben ein haftendes Eigenkapital von nur 25.000 Euro, es besteht ständig die Gefahr von Insolvenzen – wie wir sie in anderen Bundesländern nach Ausschreibungswettbewerben im Schienenverkehr schon erleben mussten. Im Zuge dieser Pleitegefahr sind die in die Ausschreibung eingeflossenen Zusicherungen für die Beschäftigten nichts wert.
Glauben Sie, Berlin könne die Kontrolle über Tarifbedingungen und über die Daseinsvorsorge behalten, nachdem sie an Private abgegeben wurde? Und das über schlichte Bedingungen in einer Ausschreibung, die Berlin 15 bis 30 Jahre bindet? Die Privatisierung der Wasserbetriebe hat uns alle doch eines Besseren belehrt – nur die SPD nicht?
Die SPD Berlin setzt sich sehr für den U-Bahn-Ausbau ein. Dabei geht es um kurze Abschnitte, die allerdings Kosten in Milliardenhöhe verursachen würden. Das S-Bahnnetz versorgt schon heute ganz Berlin und fährt zudem weit nach Brandenburg hinein. Bei der S-Bahn soll mit öffentlichem Geld das Netz aufgetrennt werden. Und den Betrieb möchte man zur Kosteneinsparung hochriskant auf mehrere Betreiber aufteilen. Neue U-Bahn-Tunnel graben, aber die S-Bahn zerschlagen? Das passt nicht zusammen!
Diese S-Bahn-Ausschreibung ist seit 2016 ein von Grund auf unsoziales und ungerechtes Projekt der Grünen. Private leihen sich Geld bei Banken, um damit Tarifbedingungen zu unterlaufen. Und die Menschen in Berlin sollen bezahlen, inklusive der Zinsen. Genau wie die hunderte Millionen Euro teuren Bauten, die man nur benötigt, um das Netz aufzutrennen. Will die SPD wirklich mitschuldig werden an der Zerschlagung und Privatisierung der S-Bahn Berlin?
Rekommunalisieren Sie die S-Bahn! So wie es mit dem Berliner Wasser gemacht wurde: Wenn sogar RWE und Veolia verkauft haben, sollte es auch möglich sein, die S-Bahn Berlin GmbH von der bundeseigenen DB AG zu erwerben. Die SPD stellt mit Olaf Scholz schließlich den Kanzler.
Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der CDU Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau …,
mit der Ausschreibung der S-Bahn Berlin betreiben Rot-Grün-Rot ein hochriskantes und extrem teures Vorhaben. Die Wirtschaftlichkeit gegenüber einer Direktvergabe wurde nie untersucht. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase werden die Kosten für die Zinsen der Anbieter stark steigen und Kostennachteile gegenüber einer öffentlichen Finanzierung verursachen.
Aber das ist noch nicht alles: Unter dem Deckmantel der Mittelstandsfreundlichkeit droht mit der Ausschreibung die massive Beschädigung des für Berlin unverzichtbaren Verkehrsträgers. Durch die Aufteilung auf drei oder vier milliardenschwere Lose erhält kein einziger Mittelständler einen Vorteil. Aber das System S-Bahn, das nur als intaktes Netz gut funktionieren kann, würde zerschlagen.
Konservative Politik bedeutet, Gutes zu bewahren. Das S-Bahn-Chaos seit 2009 wurde maßgeblich durch die zerstörerischen Sparpläne unter Hartmut Mehdorn verursacht. Seither hat die S-Bahn sich neu aufgestellt und viele Probleme in den Griff bekommen. Werkstätten wurden wiedereröffnet, alte Wagen generalüberholt, eine neue Wagenreihe ist entwickelt und wird derzeit sukzessive ausgeliefert. Störungen kommen immer noch vor, aber in weit geringerem Maße und nicht mehr, weil Dutzende Wagen kaputt sind. Dies alles geschah vor allem im Zuge politischer Einflussnahme unter der großen Koalition 2011 bis 2016 mit Beteiligung der Berliner CDU. Die neue Ausschreibung droht diesen Erfolg zunichte zu machen.
Verhindern Sie die Verschleuderung von Milliarden Euro an Steuergeldern, fordern Sie eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit der S-Bahn-Ausschreibung ein!
Bewahren Sie die Berliner S-Bahn, sprechen Sie sich für einen Stopp der Zerschlagung in mehrere Lose aus!

Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der Linken Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau…,
die Linke steht für eine sozial gerechte Daseinsvorsorge. Privatisierungen haben Sie immer abgelehnt. Die aktuelle Ausschreibung der S-Bahn Berlin durch die Verkehrssenatorinnen Günther und Jarasch von den Grünen ist Neoliberalismus in Reinform. Sie geht sogar weit über das hinaus, was die neoliberale Gesetzgebung auf Bundesebene vorschreibt. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile und auch nichts von der zusätzlichen Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen im Zuge einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft mit 30 Jahren Laufzeit. Diese Abgabe des Wagenfuhrparks an Private wäre eine besonders weitreichende Privatisierung. Hier soll ein privater Bieter die Wagen für mindestens dreißig Jahre bekommen – einseitige Kündigungen vor Ablauf durch Berlin dieser Frist hätten eine gute Chance auf Ausgleich der entgangenen Gewinne für die Restlaufzeit. Die neue Landesgesellschaft ist als Briefkastenfirma konzipiert, sie entwickelt keine eigene Tätigkeit, sondern reicht nur Steuergeld an Private durch.
Bei der S-Bahn Berlin geht es Stand 2020 um bis zu 11 Milliarden Euro, heute vermutlich 13 Milliarden oder mehr. Dieses Volumen können sich private Firmen sichern – ohne dass damit sichergestellt ist, dass sie die damit verbundenen Leistungen erbringen, schonend mit Wagen und Infrastruktur umgehen oder gar auf Lohndumping verzichten.
Gestatten Sie die Einschätzung, dass linke Politik nicht gerade im Aufwind ist. Unklare Haltungen zu linken Kernfragen wie Privatisierungen könnten dieses Problem verstärkt haben. Der Prozentanteil der Menschen in Deutschland, die Privatisierungen klar ablehnen, ist viel höher als Ihre Wahlergebnisse. Glauben die Menschen Ihnen nicht mehr, dass Sie gegen Privatisierungen eintreten?
Seit den Anfängen der S-Bahn-Ausschreibung 2016 ist viel passiert. Es gab eine Serie gravierender Pleiten im Nachgang vergleichbarer Ausschreibungen im Nahverkehr in Deutschland. Großbritannien hat Bahnen sogar wieder verstaatlicht. Es gibt Alternativen zur Ausschreibung in ihrer aktuellen Form. Eine glaubwürdige progressiv linke Politik muss diese Zerschlagung und Privatisierung unmissverständlich ablehnen. Sie formulieren in Ihrem Wahlprogramm für die Wiederholungswahl: „Wir überführen die S-Bahn in kommunale Hand und verhindern die Ausschreibung der S-Bahn-Leistungen.“ Warum tun Sie das nicht als derzeit regierende Partei? Fordern Sie jetzt den Stopp der Ausschreibung – jetzt, noch vor der Wahl – öffentlich!

Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau…,
die Grünen stehen für Klimaschutz. Dazu gehört ein Ausbau von öffentlichem Verkehr, um den Menschen einen Ausweg aus dem Sackgasse des Autoverkehrs zu bieten. Die aktuelle Ausschreibung der S-Bahn Berlin gefährdet allerdings den Nahverkehr in Berlin massiv – und zwar auf der rein technischen Ebene: Die Aufteilung der Londoner Metro 2003 auf zwei Betreiber ist nach nur weniger Jahren  gescheitert, weil die Anbieter vor dem anspruchsvollen Betrieb kapitulieren mussten. Was von den Grünen jetzt für Berlin geplant ist, ist noch komplexer und anfälliger. Klemmt es nach dieser Vergabe bei der S-Bahn, werden sich die neuen Betreiber, der Wagenvermieter, die S-Bahn Berlin GmbH und die DB Netz AG gegenseitig die Schuld zuschieben. Die S-Bahn wird 300 Millionen Mal pro Jahr genutzt – wenn sie dauerhaft schlecht funktioniert, werden sehr, sehr viele Menschen die Grünen dafür verantwortlich machen.
Die grüne Spitzenkandidatin und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch hat am 16. Januar die mehr als 10.000 Unterschriften gegen die Ausschreibung entgegengenommen. Ihre (grüne) Amtsvorgängerin Regine Günther hatte Bürger*innen zur Frage der S-Bahn nicht empfangen. Es ist gut, dass Bettina Jarasch diese Blockade beendet hat. Daran sollte sich jetzt auch ein Dialog auf Augenhöhe anschließen.
„Die Zeiten des Neoliberalismus sind vorbei“, sagte Bettina Jarasch am 16. Januar wörtlich. Aber die aktuelle Ausschreibung ist Neoliberalismus reinsten Wassers. Sie geht weit über das hinaus, was das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung oder die EU vorschreiben. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile. Und auch die Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen über eine öffentlich-private Partnerschaft mit 30 Jahren Laufzeit ist nur den Grünen zuzuschreiben, die dieses Privatisierungsextra eingebaut haben.
Die Kontrolle über die Daseinsvorsorge behalten, wenn man sie an einmal an Private abgegeben hat – das klappt nicht. Es spielt keine Rolle, welche Bedingungen vorher gestellt wurden, wenn die Privaten mit Insolvenz drohen oder tatsächlich pleitegehen können. Die S-Bahn-Ausschreibung ist alles andere als alternativlos. Berlin hat die Möglichkeit der Direktvergabe. Dazu muss Berlin juristisch formuliert „einen bestimmenden Einfluss auf das betreffende Unternehmen ausüben“. Zum Beispiel durch einen Einstieg bei der der S-Bahn Berlin GmbH. Bettina Jarasch hat uns versprochen, die DB zu fragen, ob sie die S-Bahn Berlin GmbH verkaufen möchte. Wir werden sie beim Wort nehmen.
Seit 13 Jahren hat Berlin der DB die Frage nach den Kaufbedingungen nicht mehr gestellt. Damals wollte die DB nicht, inzwischen hat man aber hohe Schulden – 35 Milliarden Euro. Die Grünen sind jetzt in der Bundesregierung, mit Anja Hajduk und Stefan Gelbhaar sind zwei Grüne im DB-Aufsichtsrat. Der Bund als Eigentümer kann so einen Verkauf fordern. Berliner Aktive haben erzwungen, dass die Konzerne RWE und Veolia die Wasserbetriebe herausgeben mussten – obwohl sie nicht verkaufen wollten. Wie viel mehr Möglichkeiten haben die Grünen als Teil der Regierung!
Für den Klimaschutz benötigt Berlin seine S-Bahn. Die geplante Ausschreibung muss daher angehalten und andere Optionen geprüft werden – jetzt, bevor es zu spät ist!
Mit freundlichen Grüßen

Briefvorschlag für ein Schreiben an Kandidatinnen und Kandidaten der FDP Berlin:

Sehr geehrter Herr …, sehr geehrte Frau …,
mit der Ausschreibung der S-Bahn Berlin betreiben Rot-Grün-Rot ein hochriskantes und extrem teures Vorhaben. Die Wirtschaftlichkeit gegenüber einer Direktvergabe wurde nie untersucht. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase werden die Kosten für die Zinsen der Anbieter stark steigen und Kostennachteile gegenüber einer öffentlichen Finanzierung verursachen.
Aber das ist noch nicht alles: Unter dem Deckmantel der Mittelstandsfreundlichkeit droht mit der Ausschreibung die massive Beschädigung des für Berlin unverzichtbaren Verkehrsträgers. Durch die Aufteilung auf drei oder vier milliardenschwere Lose erhält kein einziger Mittelständler einen Vorteil.
Unter dem Slogan „Wettbewerb“ eröffnen die Grünen nur ein neues Oligopol. Drei oder vier Großkonzerne dürfen dann in Berlin Dependancen einrichten, mit deren Hilfe sie die Berlinerinnen und Berliner abkassieren. Ein unternehmerisches Risiko übernehmen sie nicht: Wenn die Rendite nicht mehr stimmt, machen sie den Laden zu, schreiben nur lächerliche 25.000 Euro Eigenkapital der Tochtergesellschaft ab und verschwinden mit den zuvor ausgeschütteten Gewinnen. Die Fahrgäste bekommen keine zusätzliche Wahlfreiheit durch mehrere Betreiber: Wenn die Zuverlässigkeit auf der S-Bahnstrecke von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeit nicht stimmt, sind sie dem regionalen Monopolisten ausgeliefert.
Die Wirtschaft in Berlin benötigt eine starke und leistungsfähige S-Bahn. Wird die S-Bahn erneut ins Chaos getrieben, kommen die Menschen nicht mehr rechtzeitig zu ihrer Arbeit oder stehen noch länger im Stau.
Verhindern Sie die Verschleuderung von Milliarden Euro an Steuergeldern, fordern Sie eine Untersuchung der Wirtschaftlichkeit der S-Bahn-Ausschreibung ein!
Bewahren Sie die Berliner S-Bahn, sprechen Sie sich für einen Stopp der Zerschlagung in mehrere Lose aus!

Mit freundlichen Grüßen

Wer an bundesweit aktive Mitglieder der SPD schreiben möchte: Dorothee Martin und Werner Gatzer sitzen im Aufsichtsrat der DB AG.  Und dann ist da natürlich Olaf Scholz ..

Wer an bundesweit aktive Mitglieder der Grünen schreiben möchte: Anja Hajduk und Stefan Gelbhaar sitzen im Aufsichtsrat der DB AG und MdB Matthias Gastel im Aufsichtsrat der DB Netz AG.

Und wer sich auf Bundesebene an die FDP wenden möchte: Volker Wissing ist der zuständige Verkehrsminister. Ministerialrätin Martina Kohlhaas leitet Wissings „Steuerungsgruppe Transformation DB AG“ im BMVI und sitzt im Aufsichtsrat DB Netz AG.

Die wichtigsten Argumente der Befürworter

„Die Vergabe in Ausschreibungen war eine Reaktion auf die Krise, in die die S-Bahn ab 2009 nach Technikproblemen, Wartungsmängeln und Missmanagement geraten war.“ (dpa am 16.1.2023)

Das S-Bahn-Chaos ist vielen noch in Erinnerung. Ab 2005 wollte Bahnchef Mehdorn an die Börse, und dazu wurde das Tochterunternehmen S-Bahn Berlin GmbH gnadenlos ausgesogen, Werkstätten geschlossen und die Wartung stark vernachlässigt. Das ist 18 Jahre her. Die Ausschreibung „reagiert“ auf nichts, im Gegenteil. Die für die S-Bahn wichtigen Entwicklungen seit 2010 werden ignoriert: 1. Die damalige Geschäftsführung wurde entlassen – der für die Sparorgie Verantwortliche leitet jetzt eine Firma, die in der Ausschreibung mitbietet. 2. Die Werkstätten wurden wiedereröffnet, alte Wagen generalüberholt, eine neue Wagenreihe ist entwickelt und wird derzeit sukzessive ausgeliefert. Störungen kommen immer noch vor, aber in weit geringerem Maße. Mit anderen Worten: Die politische Einflussnahme hinsichtlich der Qualität kann noch verbessert werden, aber im Grundsatz ist sie gelungen. 3. Das Vorbildprojekt Metro London ist inzwischen krachend gescheitert. Als auf technischer Ebene faktisch die Metro am Ende war, warf die Stadt die privaten Betreiber wieder raus – zu hohen Kosten, aber ohne weitere Diskussionen. 4. Auch in Deutschland hat die Praxis der Ausschreibungen im Nahverkehr eine Schneise von Insolvenzen, Betriebsabbrüchen, Zugausfällen und Kostenexplosionen gezogen. Als besonders unrühmlich wurde Abellio bekannt, andernorts gibt es jedoch ganz ähnliche Probleme.

„Wir müssen ausschreiben, das schreibt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor.“ Bettina Jarasch, bei der Unterschriftenübergabe zu den Demonstrierenden am 16.1.2023

Das stimmt nicht, Berlin und Brandenburg haben auch die Möglichkeit der Direktvergabe. Dazu müssen die beiden Länder einen bestimmenden Einfluss auf das betreffende Unternehmen ausüben. Das ist das Ergebnis einer juristischen Einschätzung, die wir eingeholt haben. Und es wäre möglich durch Erwerb von Anteilen an der S-Bahn Berlin GmbH (mit anschließender Ausübung des Einflusses über die Eigentümerversammlung).

„Die Deutsche Bahn will die S-Bahn Berlin nicht verkaufen.“ (Bettina Jarasch am 16.1.2023)

Diese Information ist 13 Jahre alt, im Januar 2010 war die DB angefragt worden und hatte innerhalb weniger Tage abweisend geantwortet. Im Wassersektor haben Berliner Aktive erreicht, dass die Konzerne RWE und Veolia erst 2011 ihre Verträge mit Berlin offenlegen mussten, 2012 und 2013 mussten sie dann auch verkaufen – obwohl sie zuvor definitiv nicht verkaufen wollten. Die DB AG hat inzwischen wirklich hohe Schulden – 35 Milliarden Euro. Sie könnten jetzt ein Grund für einen Verkauf werden. Außerdem sind die Grünen inzwischen in der Bundesregierung, mit Anjy Hajduk und Stefan Gelbhaar sind sie im Aufsichtsrat der DB vertreten. Abgesehen von öffentlichem Druck auf das Unternehmen – wie bei RWE und Veolia – wäre zusätzlich auch Druck über den Bund als öffentlicher Eigentümer möglich. Hier können Briefe an entsprechende Bundespolitikerinnen und –politiker hilfreich sein.

„Durch die Ausschreibung spart Berlin 800 Millionen Euro.“ Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen), Berliner Verkehrssenatorin 2016 bis 2021

Bedauerlicherweise hat Regine Günther nie offengelegt, wie sie auf diese Einsparung kam. Dann hätte man den Finger auf ihren Rechenfehler legen können. Vermutlich war es auch nur eine dreiste Behauptung. Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann hatte Baden-Württemberg auch vor einer Nahverkehrsausschreibung eine „Wettbewerbsrendite“ versprochen, tatsächlich kam es zu erheblichen Mehrkosten. Auf Mehrkosten deutet auch in Berlin alles von Anfang an hin. Entgegen den Vorschriften des Landes Berlin gab es für verschiedene Varianten einer künftigen S-Bahn-Betriebs bedauerlicherweise nie eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung. Die Opposition im Abgeordnetenhaus hätte eine solche Untersuchung vermutlich erzwingen können. Inzwischen hat sich der wichtigste Kostentreiber gefährlich weiterentwickelt: Während Berlin bei einer Direktvergabe die S-Bahn ohne Schulden betreiben könnte, stehen hinter der Ausschreibung Kredite von privaten Bietern in Milliardenhöhe. Diese leihen sich das erforderliche Geld bei Banken. Über die langen Laufzeiten von 15 bis 30 Jahren fallen dort hohe Zinsen an. Mit dem Ende der Niedrigzinsphase steigen die Zinskosten steil an. Was auch immer Frau Günther 2019 hat errechnen lassen – heute ist es Makulatur. Durch die Zinsentwicklung sind Kostensteigerungen von mehreren Milliarden Euro zu erwarten – wenn man ausschreibt.

„Die Zeiten des Neoliberalismus sind vorbei. […] Die Bedingungen für die Beschäftigten bleiben erhalten, das bestimmen wir über den Rahmen der Vergabe.“ (Bettina Jarasch, 16.1. 2023)

Die aktuelle Ausschreibung ist Neoliberalismus in Reinform. Sie geht sogar weit über das hinaus, was die neoliberale Gesetzgebung auf Bundesebene vorschreibt. Dort steht nichts von einer Zerschlagung der S-Bahn in drei künstliche Teile und auch nichts von der zusätzlichen Abtrennung der Beschaffung und Instandhaltung der Wagen im Zuge einer öffentlich-privaten Partnerschaft mit 30 Jahren Laufzeit. Man hätte genauso gut auch „nur“ einen neuen Betreiber für die ganze S-Bahn suchen können. Grundsätze einer mittelstandsfreundlichen Vergabe kommen als Grund nicht infrage: Für keines der Teilstücke kann ein Mittelständler anbieten, dafür sind die Teile immer noch viel zu groß, die zugehörigen Auftragsvolumina betragen jeweils mehrere Milliarden Euro. Obwohl aber nur große Konzerne anbieten können, wird ein haftendes Eigenkapital von nur 25.000 Euro zugelassen. Es sind also große Gewinne möglich, kommt es wider Erwarten aber zu Verlusten, legen die betroffenen Firmen sofort den Offenbarungseid ab. Im Zuge dieser Pleitegefahr sind auch alle Zusicherungen für die Beschäftigten das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben werden. Es ist auch historisch mehr als naiv, zu glauben, der Staat könne die Kontrolle über die Daseinsvorsorge irgendwie doch behalten, nachdem er sie an Private abgegeben hat – über schlichte Bedingungen in einer Ausschreibung.

Oft wurde uns in Diskussionen entgegengehalten: „Das ist keine Privatisierung, sondern eine wettbewerbliche Vergabe.“

Privatisierungen sind extrem unbeliebt, und so wundert es nicht, dass die Verantwortlichen nach anderen Bezeichnungen suchen, um den Ausverkauf zu kaschieren. Bei der S-Bahn Berlin geht es um acht bis 11 Milliarden Euro (Stand 2020, heute vermutlich 10 bis 13 Milliarden Euro). Dieses Volumen können sich private Firmen sichern – ohne dass damit sichergestellt ist, dass sie auch die damit verbundenen Leistungen erbringen, von einem schonenden Umgang mit den Wagen und der Infrastruktur und einem Verzicht auf Lohndumping ganz zu schweigen. Eine besonders weitreichende Privatisierung ist bei der Abgabe des Wagenfuhrparks vorgesehen. Hier soll ein privater Bieter die Wagen für mindestens dreißig Jahre bekommen – einseitige Kündigungen vor Ablauf durch Berlin dieser Frist haben eine gute Chance auf Ausgleich der entgangenen Gewinne für die Restlaufzeit.

„Es gibt einen Parlamentsvorbehalt – wenn wir mit dem Ergebnis der Ausschreibung nicht zufrieden sind, lehnen wir es ab.“ (Sven Heinemann, SPD, 2019)

Die Ausschreibung wird bereits seit 2019 vorbereitet, die Vergabeentscheidung steht trotzdem erst für 2024 an – ein deutlicher Beleg für die Komplexität der geplanten Privatisierung. Was wird das Parlament wohl sagen, wenn es nach fünf Jahren der Ausschreibung endlich den (wirtschaftlichen) Gewinner der Ausschreibung vorgestellt bekommt? „Nein, so einen hatten wir uns nicht vorgestellt“ oder „lass uns lieber abbrechen und noch einmal fünf Jahre neu ausschreiben“? Wohl kaum. Zumal der Gewinner der Ausschreibung in diesem Fall – und nur in diesem – Anspruch auf eine erhebliche Entschädigung hätte (für „positives Interesse“). Bei einem vorzeitigen Abbruch der Ausschreibung wären die Ansprüche auf Ausgleich erheblich geringer (für „negatives Interesse“). Siehe auch das juristische Positionspapier zur Aufhebung der S-Bahn-Vergabe von RA Benno Reinhardt.

Ein Argument gegen die Ausschreibung, dem seit 2019 von Rot-Rot-Grün bzw. Rot-Grün-Rot konsequent ausgewichen wird:
Für die Aufteilung des Netzes sind erhebliche zusätzliche Bauwerke nötig. Besonders spektakulär ist die geplante Brücke diagonal über das Karower Kreuz, das größte Eisenbahnkreuz im Nordosten Berlins. Diese mehrere hundert Meter lange Brücke wird viele hundert Millionen Euro kosten – und sie nützt den Menschen in Berlin gar nichts. Ebenso verhält es sich mit Ausfahrten und Nachtabstellanlagen, die anstelle von Infrastrukturteilen errichtet werden, die es schon gibt. Besonders extrem würde die physische Zerstörung von Werkstätten ausfallen. Die S-Bahn Berlin hat derzeit Werkstätten für alle Wagen im Netz. Diese darf sie jedoch nicht ansetzen, wenn sie mitbietet, sie muss die neu zu errichtenden – aus Steuergeldern bezahlten – Werkstätten nutzen. Bestehende Werkstattanlagen samt dem zugehörigen Gleisvorfeld werden im Zuge der Ausschreibung für den Abriss freigegeben – obwohl sie voll funktionsfähig sind.

 

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