Erklärung des Berliner Wassertisches vom 17.02.2012 vor dem Sonderausschuss „Wasserverträge“
zu den Aufgaben des Abgeordnetenhauses von Berlin
nach dem erfolgreichen Volksentscheid vom 13.02.2011 durch Gerlinde Schermer
„Normalerweise bedanken sich die Gäste, die vor dem Abgeordnetenhaus von Berlin angehört werden, dafür, dass sich das Hohe Haus ihre Anliegen anhört.
Ich werde mich für diese Möglichkeit nicht bedanken, denn ich sitze hier in einer anderen Funktion.
Ich spreche hier nicht nur als „Vertrauensperson“ des Volksbegehrens „Wir Berliner wollen unser Wasser zurück“, sondern vor allem für 666.000 wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger Berlins, die Ihnen meine Damen und Herren Abgeordnete, durch Gesetz eine Aufgabe übertragen haben. Das sind 27% der wahlberechtigten Berlinerinnen und Berliner, deutlich mehr als jede der hier vertretenen Parteien auf sich vereinigen konnte.
Diese Bürger haben gegen den erklärten Willen der Mehrheit des Abgeordnetenhauses verlangt, dass Sie – die Volksvertreter- feststellen, ob es bei der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe mit rechten Dingen, ob es verfassungsgemäß zuging.
Ich sehe daher meine Funktion ausschließlich darin, die Forderungen dieses großen Teils der Bevölkerung zu erläutern und Sie, meine Damen und Herren Abgeordnete,
aufzufordern, diesen Forderungen gerecht zu werden.
Um es deutlich zu sagen:
Ich komme hier nicht als Bittstellerin. Ich komme nicht als Vertreterin einer Bürgerinitiative, die von Ihnen Beachtung erbittet, sondern ausschließlich als Vertreterin jenes Teils der Bevölkerung, der klargestellt hat, was das Volk in dieser Frage der Daseinsvorsorge von ihrem Staat und ihren Vertretern erwartet.
Um es noch deutlicher zu sagen:
In dieser Frage repräsentieren nicht Sie den Willen des Volkes, sondern diejenigen, die gegen das damalige Abgeordnetenhaus gestimmt haben. Es ist Ihre Aufgabe – nicht die des Berliner Wassertisches – dem Volkswillen gerecht zu werden.
Die Motive, die diese Mehrheit der Wahlberechtigten bewogen haben, Ihnen durch Gesetz aufzugeben, die Vorgänge um die Wasserprivatisierung und Ihre Folgen aufzudecken, brauche ich Ihnen eigentlich nicht aufzuzeigen.
Sie müssen Sie selbst kennen.
Ich erläutere hier in Kürze, was die Berlinerinnen und Berliner Ihnen durch das Gesetz aufgegeben haben und was die Öffentlichkeit seit der Privatisierung des Wassergeschäfts umtreibt.
Da ist zu nächst der ganz einfache Umstand, dass die Wasserpreise seit der Privatisierung um ca. 35% gestiegen sind.
Die Berlinerinnen und Berliner wollen wissen: Warum sind die Wasserpreise so unglaublich gestiegen, obgleich man ihnen versprochen hatte, dass durch die Privatisierung der Wasserpreis sinken würde?
Wir erwarten auf diese klare Frage eine klare Antwort.
Denn: Allein die Tatsache, dass viele Sachkundige heute wissen, dass es an der Privatisierung liegt, dass die Wasserpreise so hoch sind, bedeutet nicht, dass man auf eine klare, schriftliche, verständliche und nachvollziehbare Antwort des Gesetzgebers verzichten könnte. Es muss Schluss sein mit dem offiziellen Verschweigen der Ursachen und der Schuldigen.
Wir wollen, dass schwarz auf weiß erklärt wird, und zwar von der Organisation, die diesen Zustand zugelassen hat – das Abgeordnetenhaus von Berlin nämlich -,
dass die vom Senat geschlossenen Verträge Schuld daran sind, dass die Berliner die höchsten Wasserpreise in Deutschland zahlen.
Wir haben klare Forderungen an Sie, denn:
Es ist nie gerichtlich festgestellt worden, dass die jetzige gesetzliche Regelung der Teilprivatisierung mit der Verfassung von Berlin vereinbar ist.
Das Berliner Verfassungsgericht hatte im Gegenteil das im Jahre 1999 eigens für diesen Zweck geschaffenen Teilprivatisierungsgesetz überprüft und in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Diese Bestimmungen im Gesetz waren damit nichtig.
Das betraf den „Rendite-Risikozuschlag“ von +2% und die „Effizienzsteigerungsklausel“. Das Gericht hat diese beiden Tatbestände, die eine direkte Wirkung auf die Höhe des Gewinnes haben, ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt. Dennoch wurden die verfassungswidrigen Bestimmungen im Jahr 2003 und in den folgenden Jahren durch Umgehung inhaltsgleich umgesetzt. Letztlich wurden damit die Investoren so gestellt, als ob es das Urteil nie gegeben hätte.
Und um diese skandalösen Umstände zu vernebeln, wurde im Vertrag die Geheimhaltung festgeschrieben.
Das Land hat sich im Konsortialvertrag dazu verpflichtet, den Investoren geringere Gewinne auszugleichen, wenn die ursprüngliche Verzinsungsregel (R+2% plus Effizienzsteigerungsklausel) “ aufgrund einer Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtes“ keinen Bestand haben sollte. Es liegt also im Vertrag mit all seinen Bestandteilen und Nebenabreden begründet, dass man glaubte, sich über ein Verfassungsgerichtsurteil hinwegsetzen zu müssen.
In der Öffentlichkeit ist bekannt, dass die exorbitanten Renditen, die die privaten Investoren in Berlin erzielen, (zwischen 11% und 13% auf ihre Einlage), die Folge der Privatisierungsverträge sind. Das sind Renditen, die heute nicht einmal auf Staatsanleihen von Pleitestaaten gezahlt werden. Wir haben es hier aber, mit einem Monopol mit Anschluss- und Benutzerzwang für die Abnehmer, wenigen industriellen Nutzern und damit einer geringen Anhängigkeit von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Kurz: Es gibt kein Risiko, welches derartige Renditen rechtfertigen könnte!
Die Bevölkerung weiß, dass die exorbitanten Gewinne der privaten Eigentümer durch ein dreistufiges Verfahren bis mindesten 2028 gesichert werden. Ein Vertrag, der für immer geheim bleiben sollte, hat dieses Verfahren festgelegt:
1. Es sollen Gesetze so geändert werden, dass die Preise angehoben werden können, damit die Garantierendite „erwirtschaftet“ wird. (Variante A)
2. Falls dies nicht wirksam geschieht, muss das Land auf den Gewinn aus seinem Anteil verzichten. (Variante B)
3. Und wenn das immer noch nicht reicht, um die garantierte Rendite der Privaten zu decken, muss der noch fehlende Betrag sogar aus dem Haushalt des Landes Berlin aufgestockt werden. (Variante C)
Sie, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete wissen, wie das Abgeordnetenhaus von Berlin mit Mehrheit entschieden hat:
Sie haben die Gesetze geändert, um die Tarife anheben zu können und Sie haben zusätzlich auf Teile des Gewinns des Landes verzichtet.
Im Jahre 2003 wurden nämlich zwei Veränderung im Teilprivatisierungsgesetz beschlossen, die sich dauerhaft preistreibend auswirken:
• Es wurde einen „Mindestzinssatz“ mit variabler Möglichkeit zur Erhöhung erlaubt, als Ersatz für den verfassungswidrigen Gewinnzuschlag von +2%
• Es wurde ein Ersatz für den Wert der „Effizienzsteigerungsklausel“ durch die Änderung der Abschreibungsmethode von AFA nach Anschaffungswerten hin zu AFA nach (höheren) Wiederbeschaffungszeitwerten geschaffen.
(Die vertraglichen Regelungen dazu finden sich passend im Konsortialvertrag im § 21 und Anlagen und im § 23 und im § 4 des StG – Vertrages II. Weitere Details müssen Sie selbst öffentlich nachliefern.)
Das Abgeordnetenhaus hat damit faktisch zu Lasten der Benutzer einer öffentlichen Einrichtung der Daseinsvorsorge einen „Gewinnaufschlag“ zugestanden. Diese der Entgeltbemessung in Wahrheit zugrunde liegenden Erwägungen, das Umgehen einer Entscheidung des Verfassungsgerichts, wurden weder im Gesetzeswortlaut noch in der Begründung offengelegt. Damit wurde auch gegen das Gebot der Normenwahrheit verstoßen.
Es bleibt festzuhalten, dass alles so umgesetzt wurde, dass niemand darüber reden durfte, selbst wenn er davon wusste, weil im Vertrag die Geheimhaltung festgeschrieben war.
Sie haben daher die Aufgabe öffentlich festzustellen, wie die Umgehung des Verfassungsgerichtsurteils von 1999 erfolgte.
Da heute alle diese die Preise erhöhenden Regelungen zur Absicherung der Garantierendite aus dem Vertrag- vom novellierten Teilprivatisierungsgesetz – in das Betriebegesetz übernommen worden sind, steht ein Normenkontrollverfahren des Betriebegesetzes an.
Denn die Bestimmungen des Betriebegesetzes wurden so gefasst, wie sie jetzt gelten, weil man verfassungswidrige Verträge gesetzlich legitimieren wollte.
Aber man hebt die Verfassungswidrigkeit einer Rendite nicht auf, indem man sie zum Gesetz erhebt. Ein so offensichtlicher Eingriff in die demokratischen Rechte der Legislative durch den Missbrauch wirtschaftlicher Macht, schreit nachgerade nach einer Verfassungsbeschwerde.
Ein weitere Umstand zwingt zu Konsequenzen:
Die Versorgung der Berlinerinnen und Berliner mit Trinkwasser und die Abwasserentsorgung gehören zum Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Daher steht die Frage im Raum, ob die Verträge zur Teilprivatisierung eine verfassungswidrige Flucht in das Privatrecht darstellen. Eine solche Flucht hat das Verfassungsgericht als unzulässig bezeichnet.
Dies führt zu der verfassungsrechtlich bedeutsamen Frage, ob im Kernbereich der Daseinsvorsorge das Privatinteresse zur Gewinnmaximierung überhaupt im Vordergrund stehen darf. Das Berliner Verfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass Privatisierung nicht dazu führen darf, dass daraus entstehende Lasten den Nutzern aufgelegt werden. Privatisierungen dürfen keine Preiserhöhungen begründen.
Zum Schluss verweise ich auf die materiellen Auswirkungen des Privatisierungsvertrages:
Der Bevölkerung ist klar, dass der Kaufpreis von 1,68 Mrd. € für die Hälfte der Wasserbetriebe schon heute, nach Ablauf des Jahres 2011, vollständig durch Gewinnabführung an die Privaten und die Entnahme eines Teiles des Kaufpreises in Höhe von 262,5 Mio.€ aus der stillen Einlage im Jahr 2008 ausgezahlt worden ist.
Das bedeutet: In nur 12 Jahren floss der komplette Kaufpreis als Gewinn an die Privaten zurück.
Bis zur ersten möglichen Kündigung – laut Vertrag zum 31.12.2028 – werden es,
wenn alles so wie bisher weitergeht, weitere unglaubliche 3,049 Mrd. € sein, die den
Privaten zufließen.
(Abgezinst real mit einem Zinssatz von 7,4% p.a. auf 2012 ca. 1,665 Mrd. € bzw.
abgezinst real mit einem Zinssatz von 5,0% 1,990 Mrd. €.)
Wir erwarten vom Ausschuss, dass auch diese Folgen des Vertrages öffentlich dargestellt werden, um zu klären, ob es richtig ist, dass selbst ein Rückkauf billiger wäre als das Beibehalten des jetzigen Zustands.
Wir sind freilich der Meinung, dass das ganze Vertragskonstrukt verfassungswidrig ist und daher rückabgewickelt werden muss.
Dieser Ausschuss muss klarstellen, was und wie viel das Land Berlin auf Kosten der Berlinerinnen und Berliner und seiner eigenen Einkünfte an Private verschenkt.
Die Forderungen an das Abgeordnetenhaus, wie sie sich aus dem Votum des Volkes ergeben, fasse ich wie folgt zusammen:
1. Die schriftliche Klarstellung, dass die Teilprivatisierungsverträge zu den hohen Wasserpreisen geführt haben und noch immer führen.
2. Die schriftliche Klarstellung, dass Gesetzesteile, die vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt wurden, dennoch unter Missachtung und Umgehung der Verfassungsgerichtsurteils verwirklicht wurden.
3. Die schriftliche Klarstellung, dass der Privatisierungsvertrag tief in die demokratischen Rechte des Gesetzgebers eingreift und insbesondere das Haushaltsrecht – als Kern jeder parlamentarischen Demokratie – aushebelt.
4. Die schriftliche Klarstellung, dass die Verträge das Demokratiegebot des Art. 20 GG verletzten.
5. Die schriftliche Klarstellung, dass mit der Novellierung des Betriebegesetzes die verfassungswidrigen Regelungen der Teilprivatisierungsverträge und Gesetze übernommen wurden; und daher die Verfassungsmäßigkeit des Betriebegesetzes zu überprüfen ist (Normenkontrollverfahren).
Wir erwarten, dass der Ausschuss für diese Aufgabe ausreichend finanzielle Mittel erhält und aller verfügbarer juristischer Sachverstand mobilisiert wird, um die Rechte des Volkes durchzusetzen.