Faktenblatt Nr. 3: PPP – ein Angriff auf die Grundlagen der Demokratie?

Faktenblatt Nr. 3 • Hrsg. Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V.

Zusammengestellt von Jürgen Schutte – Oktober 2011

Das Faktenblatt zum herunterladen: FB-03 – PPP & Demokratie

NEHMEN WIR EINMAL AN, uns begegnete ein „fehlerloses“ PPP-Vorhaben, bei dem weder die Kosten davonlaufen, noch Qualitätsmängel oder Vernachlässigung der vom privaten Partner übernommenen Aufgaben zu beklagen wären. Vorteilsnahme, Unterschlagungen und Korruption kämen ebenso wenig vor wie rücksichtsloser Umgang mit den Beschäftigten, Lohnsenkungen und Kündigungen. Selbst Insolvenzen zum rechten Zeitpunkt wären ausgeschlossen – angenommen also, es fände sich ein perfektes Projekt: Was gäbe es an einem solchen Tausendsassa noch zu kritisieren? Die Antwort lautet: Die Politik der Privatisierung ist ein Angriff auf die Demokratie. Diese These soll im Folgenden in aller Kürze begründet werden. Es kann dabei deutlich werden, dass die Überlegungen zu diesem Thema fast auf einen neuen Gesellschaftsentwurf hinauslaufen.

1. Bedeutung der Gemeingüter für Individuen und die Gesellschaft

Eine solidarische Krankenversicherung, eine ausreichende Absicherung bei Arbeitslosigkeit und ein auskömmliches Einkommen im Alter sind nicht nur ein materieller Besitzstand, sondern sie bedeuten

  • für das Individuum eine gewisse Freiheit von Angst, unter anderem eine notwendige Voraussetzung von gesellschaftlichem Engagement,
  • für die Gesellschaft eine unabdingbare Voraussetzung für den zivilisierten Umgang miteinander, für Solidarität und politische Kultur.

 Öffentlichkeit als Ort ist Voraussetzung der Demokratie und der demokratischen Kultur. Die soziale Kontur und die kulturelle Energie einer Gesellschaft hängen sehr eng zusammen mit der Existenz öffentlicher Institutionen und durch die Verfassung garantierter Rechte auf den Zugang zu deren Dienstleistungen.

2. Die Handlungsfähigkeit des Staates

2.1. Verfassungsgebote ernst nehmen

»Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt«. Wie will die Politik dieser Verpflichtung nachkommen, wenn sie die Mittel aus der Hand gibt, die für die Erfüllung dieser Aufgabe unentbehrlich sind? Die Institutionen der so genannten Daseinsvorsorge sind seit ihrer Entstehung spätestens im 19. Jahrhundert Grundlage dieser staatlichen Aufgabenerfüllung. Wir erleben deren Bedeutung bei dem nahezu täglichen Gerangel um den Länder-Finanzausgleich.

Über diese passive Teilhabe weit hinausgehend wurden – unter anderem auch in der Verfassung der Bundesrepublik von 1949 – Formen und Strukturen aktiver Beteiligung entwickelt, etwa in der Betriebsverfassung, in der Montan-Mitbestimmung, in den Verwaltungsräten der Kranken- und Sozialversicherung und vielen anderen Organen der (direkten) Demokratie.

2.2. demokratische Sektoren verteidigen

Die Ansätze einer Wirtschaftsdemokratie und einer demokratischen Kontrolle der Exekutive haben für die politische Kultur und für die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik eine wichtige Bedeutung, so rudimentär und stets bedroht sie auch waren. Sie gehören zu den historischen Voraussetzungen, dass das Land nach dem verheerenden zweiten Weltkrieg so bald wieder ökonomisch erfolgreich und politisch vergleichsweise zivilisiert auftrat.

Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus als eine Bedrohung der demokratischen Verfassung, dass die politische Klasse gerade in der Krise eine ganze Reihe dieser Errungenschaften aufgeben oder aktiv abschaffen will. Was privatisiert ist, ist dem demokratischen Einfluss und der bürgerschaftlichen Kontrolle entzogen. Ja, nicht einmal mehr »friedlich versammeln« dürfen sich die Bürger, wo der Grund und Boden einem privaten Unternehmen – sagen wir: der Deutschen Bahn – gehört.

2.3. öffentliche Expertise bewahren

Der wohlklingende Begriff »Partnerschaft« verdeckt, dass PPP in der Praxis auf eine Art feindlicher Übernahme hinausläuft, nämlich auf die tendenzielle Abschaffung bzw. Austrocknung von öffentlicher Kompetenz. In dem Prozess, dem die staatliche Infrastruktur ihre Entstehung verdankt, wuchs dem Staat eine kompetente Schicht von Arbeitskräften zu – WasserwerkerInnen, KraftwerkstechnikerInnen, Lokführer-Innen, IngenieurInnen, JuristInnen, ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen, die sich im Idealfall eher der Allgemeinheit verpflichtet fühlten und tendenziell in der Lage waren, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln und nicht in erster Linie im Profitinteresse »ihres« Unternehmens. In den Institutionen der öffentlichen Hand wurden und werden Maßstäbe gesetzt für ein berufliches Handeln im Sinne der Allgemeinheit. Man hat einen Auftrag und nicht in erster Linie betriebswirtschaftlich errechnete Zielvorgaben. Diese Kraft steht für den Primat technischen Sachverstands über die Rendite-Erwartung und damit für den gesellschaftlichen Interessenausgleich; sie wird durch die Politik der Privatisierung tendenziell ausgetrocknet: Wenn eine Kommune aufgrund des »Lebenszyklus«-Prinzips ihre Schulen, Sportstätten und anderes 25 oder 30 Jahre lang von Privaten verwalten lässt, braucht sie mittelfristig keine Bauabteilung, keine SchulrätIn oder keine KulturdezernentIn mehr.

2.4. makroökonomischen Einfluss sichern

Die Institutionen der so genannten Daseinsvorsorge sind seit ihrer Entstehung spätestens im 19. Jahrhundert auch ökonomisch bedeutend gewesen und wurden aufgrund ihres gesamtesellschaftlichen Gewichts zur Grundlage einer staatlichen Einflussnahme, welche eine gewisse Steuerung ökonomischer und politisch-sozialer Prozesse im Interesse der Allgemeinheit erlaubte. Man denke an die Großaufträge, welche die Bahn, die Post oder – beispielsweise – die eben von der Privatisierung bedrohte Wasser- und Schifffahrts-Verwaltung zu vergeben hatte. Ohne ökonomischen Hebel steht die Politik ungeschützt im kalten Wind der Konkurrenz; das zeigt die gegenwärtige Hilflosigkeit der Regierungen nur zu deutlich.

3. Der Zustand der öffentlichen Infrastruktur – das stärkste Argument gegen seine Verteidigung

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Werte, die von unseren Politikern so gerne beschworen werden, im täglichen Leben unserer Gesellschaft derzeit keine bestimmende, öffentlich wirksame Rolle spielen. Der Angriff des Kapitals auf die öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen ist auch deswegen so wirkungsvoll, weil die Entschlossenheit und Kraft, diese Errungenschaften aufrecht zu erhalten und zu verteidigen weitgehend fehlt. Die Handlungsunfähigkeit der öffentlichen Hand ist vielfach dadurch bedingt, dass die Institutionen durch den fortdauernden Entzug der Finanzen weitgehend kaputtgespart worden sind.

Wegen Unterfinanzierung und Personalmangel sind die öffentlichen Institutionen in unterschiedlichem Ausmaß reformbedürftig. Bürokratischer Leerlauf und ineffektive Arbeitsorganisation sind verbreitet; die Organe der Selbstverwaltung und der demokratischen Mitbestimmung sind nicht selten in Routine erstarrt. Sie sind von innen und von außen in einem bedrohlichen Ausmaß vernachlässigt und missachtet. Das macht sie anfällig für Verwertungsinteressen. Die mit moderner Technik, großem Personalaufwand, mit ausgearbeiteten Strategien und bedeutenden Mitteln ausgestatteten Unternehmen haben es angesichts der genannten Mängel leicht, bei kommunalen Mandatsträgern mit der Betonung von Effizienz und Kostenersparnis zu punkten.

4. Investitionsstau und Reformstau

Die Mehrheit der Bevölkerung ist diesen Mängeln im täglichen Leben immer wieder ausgesetzt und ist daher leicht gegen die „Ämter“ in Rage zu bringen. Die Mehrheit weiß jedoch auch – vielleicht eher gefühlsmäßig – dass die öffentlichen Institutionen noch einen Schutzwall bilden gegen die restlose Ausräumung der sozialen und politischen Errungenschaften durch die besitzenden Klassen. Wir brauchen also in unserem Kampf gegen Privatisierungen nur der verbreiteten Auffassung der Mehrheit Ausdruck zu geben. Das ist in der Tat das Einfache, das schwer zu machen ist!

Bei der Bewältigung dieser Aufgabe fangen wir mit zwei Begriffen an, die bei der Begründung von PPP eine zentrale Rolle spielen: dem Investitionsstau und dem Reformstau.

Dem Investitionsstau wäre abzuhelfen durch eine Reform der Kommunenfinanzierung, das heißt: auch durch eine Revision der Steuerpolitik, durch welche die Kommunen in die finanzielle Zwangslage gekommen sind. Es ist mit anderen Worten Zeit für ein Kommunen-Rettungspaket. Dieses müsste hinauslaufen auf eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten und vom Privaten zum Öffentlichen sowie auf eine andere, gerechtere Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Der Reformstau bedarf zu seiner Auflösung eine kräftige Investition von demokratischer Initiative und politischen Engagement. Erforderlich ist eine Veränderung der öffentlichen Institutionen und Dienstleistungen, durch welche diese von der Gesellschaft wirklich kontrollierbar werden. Die Mitbestimmung von außen und innen bietet sich als ein erstes, brauchbares Mittel an: Von außen durch die Schaffung neuer und durch eine Reform bestehender Selbstverwaltungsorgane, von innen durch die qualifizierte Mitbestimmung der Beschäftigten, welche die Qualität und Effizienz der Leistungen im Dienst der Allgemeinheit zu ihrer eigenen Sache machen.

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