Mehr Gemeinnützigkeit, mehr Kooperation oder Verschärfung der Renditejagd durch Weltmarktkonkurrenz?

Gastbeitrag von Herbert Storn

Zurzeit gibt es kaum einen Bereich, der nicht mit dem deutschen Weltmarktkonkurrenzmodell in Konflikt gerät, das immer noch die strategische Grundlage deutscher Politik bildet.

OB es die Fridays-for-Future-Bewegung als jüngste Ausformung der Umweltbewegung ist oder ob es die Wohnungskampagnen sind, ob es die Kritiker der Hartz-Gesetzgebung oder die Privatisierungsgegner sind, ob es die Friedensmarschierer sind oder diejenigen, die für einen kooperativen, solidarischen Kulturwandel eintreten, sie alle eint – ausgesprochen oder nicht – das Bedürfnis nach einer „großen Transformation“. Dafür wurde von verschiedenen Seiten die Kritik des Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi an der allumfassenden Marktwirtschaft von vor einem halben Jahrhundert wieder aktualisiert. Vielleicht weil der Begriff der Transformation leichter in der veröffentlichten Debatte zu halten ist, als von einer Überwindung des Kapitalismus zu sprechen und sich auf Marx zu berufen, der die Gesetzmäßigkeiten klassisch analysiert hat.

Die Widersprüche zwischen den Heilversprechen der renditegetriebenen Marktwirtschaft und den sich zuspitzenden gesellschaftlichen Problemen entladen sich in einer Zunahme sezessionistischer Tendenzen in der EU und weltweit, in einer Zunahme nicht nur rechtsradikaler, völkisch-nationaler Bewegungen, sondern auch in deren militanter tötungsbereiter Gestalt.

Wenn zur Milderung der Widersprüche immer öfter die höchste deutsche Rechtsinstanz, das Bundesverfassungsgericht, herhalten muss, weil Exekutive und Legislative dazu nicht mehr bereit und fähig sind (Hartz IV, Erbschaftsteuer, internationale Schiedsgerichte, um nur die jüngsten Beispiele zu nennen), dann ist es kein Wunder, wenn sich ein Viertel der deutschen Jugendlichen „einen starken Führer“ wünscht, „der sich nicht um Parlamente und Wahlen kümmern muss.“ (Otto-Brenner-Stiftung 2019)

Dennoch halten fast 90 Prozent aller deutschen Parteien an einem Strategiemodell fest, welches Deutschland die erste Position im Welthandel beschert, nämlich das Land mit den höchsten Exportüberschüssen zu sein.

Das klingt in den Ohren der deutschen Öffentlichkeit vermutlich überwiegend gut, zeigt es doch, wie begehrt unsere Waren, unsere Technologie, unser Knowhow doch ist (von nichts kommt nichts).

Aber: Die Nachteile und Probleme, die diese Strategie für unsere Bevölkerung hat, sind immens. Denn der Exportüberschuss geht auf Kosten und zu Lasten anderer Länder (Beggar-thy-neighbor-Politik – den Nachbarn zum Bettler machen).

Kein Mensch kann einem anderen beständig mehr verkaufen, als der andere hat, es sei denn, der Käufer ist zur Verschuldung bereit und später zur Verpfändung seines Vermögens.

Deshalb nehmen Handels- und Wirtschaftskriege zu. Aber auch im Inland wächst der Druck.

Weil das Hauptziel der deutschen Politik die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist, werden im Innern Infrastruktur, Bildung und viele andere Gemeingüter vernachlässigt, wurde das Hartz-System aufgebaut, um das Lohnniveau zu drücken und so weiter.

Deshalb sprechen Experten wie Kai Eicker-Wolf („Wirtschaftswunderland“) davon, dass Deutschland mit seinem Exportüberschussmodell „unter seinen Verhältnissen lebt“, unter dem, was aufgrund unserer wirtschaftlichen Basis eigentlich möglich und sinnvoll wäre.

Es führt außerdem zu hochgradigen Verwerfungen bei der Einkommens- und insbesondere bei der Vermögensverteilung und zunehmend zur sozialen Spaltung.

Da die ökonomische Vormachtstellung Deutschlands beständig ausgefahrene Ellbogen benötigt, um sie gegenüber den anderen Staaten, aber auch im Inland durchzusetzen, strahlt diese Mentalität und dieses Denken auch nachhaltig in die Gesellschaft aus und verstärkt das Konkurrenzdenken und eine isolationistische und egozentrische Sicht auf die Dinge.

Vor allem aber ist es die staatliche Exekutive, die alle Aspekte ihrer Maßnahmen, von der Wirtschafts-, Steuer-bis hin zur Rechtspolitik immer unter dem Blickwinkel betrachtet: Wie und durch was kann der Exportüberschuss gestärkt werden. Regierungsdelegationen auf Staatsbesuch sind deshalb häufig von einem Tross an Unternehmensvertretern begleitet.

Johanna Stark vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen hat in ihrem neuen Buch „Law for sale“ darauf hingewiesen, dass selbst Rechtsnormen zur Ware in einem Wettlauf um Kunden werden. TTIP und CETA haben ins Bewusstsein gehoben, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit bereits teilweise durch internationale private Schiedsgerichte ersetzt wurde, mit denen staatliche Rechtsnormen des Arbeits-, Umwelt- oder Sozialrechts ausgehebelt werden.

Ein anderes Beispiel ist der systematische und abgesprochene Betrug mit der Abgassoftware, um den internationalen Absatz deutscher Autos nicht zu gefährden, was hierzulande verniedlichend als „Skandal“ bezeichnet wird. Gegen Whistleblower wird rechtlich vorgegangen, Attac wurde die Gemeinnützigkeit entzogen, Campact soeben auch.

Es gibt also schon diesseits der Umweltbewegung genug Gründe, das deutsche Exportüberschussmodell einer fundamentalen Kritik zu unterziehen, zumal wenn die Konflikte zwischen Staaten in Wirtschaftskriege übergehen.

Weil aber das deutsche Exportüberschussmodell auch stark von Ängsten genährt wird, dass „wir unseren Wohlstand verlieren, wenn wir nicht die ersten sind“, kommt der Propagierung von Alternativen eine enorm wichtige, nicht nur psychologische Bedeutung zu.

Mit dem Instrument der „Binnenorientierung“ stellen uns alternative Ökonominnen und Ökonomen ein Instrumentarium zur Verfügung, das helfen würde, den riesigen Nachholbedarf im eigenen Land endlich zu befriedigen (MEMORANDUM-Gruppe).

Auch Gemeingut in BürgerInnenhand setzt sich für eine Rekommunalisierung privatisierter öffentlicher Güter ein. Und dafür, durch eine gerechte Steuerpolitik die Finanzierungsgrundlagen dafür zu schaffen.

Während abfällig auf Donald Trump mit seinem „AMERICA FIRST“ geblickt wird, steuert unsere offizielle Politik unverdrossen nach dem Grundsatz eines „GERMANY FIRST“. Im Herbst 2019 hat Herbert Storn sein neues Buch herausgegeben: „Germany first! Die heimliche deutsche Agenda. Wie eine Doktrin Demokratie, Rechtsstaat und sozialen Zusammenhalt bedroht“ (Büchner-Verlag, 252 Seiten, 18 €). Darin beleuchtet er die vielschichtigen Auswirkungen der Strategie Germany first, um sie dadurch wahrnehmbarer zu machen und ermuntert die zahlreichen Gegenbewegungen zu mehr Kooperation, damit daraus die „kritische Masse“ werden kann, die für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft erforderlich ist.

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