Mehr als ein Verkehrsunfall: ÖPP kracht gegen die Wand des Finanzministeriums

Pressemitteilung von Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) e.V.

GiB fordert gesetzlichen Stopp Öffentlich-Privater Partnerschaften

35 Aktive der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) haben heute vor dem Bundesfinanzministerium den Frontalunfall eines Autos inszeniert. Der Wagen mit der Aufschrift „ÖPP“ fuhr direkt gegen die Wand des Ministeriums. Der Bürgerprotest richtete sich gegen die ausnahmslos gemeinwohlschädlichen Folgen Öffentlich-Privater Partnerschaften (ÖPP). GiB sieht sich in seiner jahrelangen Kritik bestätigt. Der nun bekannt gewordene Skandal beim ÖPP-Projekt Autobahn A 1 Hamburg-Bremen zeigt die negativen Auswirkungen von ÖPP in ihrer ganzen Bandbreite. GiB fordert deswegen, ÖPP gesetzlich zu verbieten und die noch laufenden ÖPPs abzuwickeln. Die Parteien sollten sich schon im Wahlkampf gegen ÖPP stellen. Dazu Dr. Ulrike Kölver von GiB: „ÖPP bedeutet frontal gegen die Wand fahren – sehenden Auges.“

Wie bekannt wurde, wusste die Bundesregierung schon seit Jahren, dass ihr Pilotprojekt auf der A1 ein gewaltiger Flop ist. Gläubiger und Kapitalanleger fordern von der Bundesrepublik über 800 Millionen Euro Nachzahlung. Internationale Hedgefonds wittern schon ihr Geschäft und wollen die Forderungen der Gläubigerbanken aufkaufen: ein Hinweis darauf, dass dem Bund ein hartes und verlustreiches Gerichtsverfahren bevorsteht. Bereits zwei Gläubigerbanken haben ihre Forderungen weiterverkauft. „Hier zeigt sich besonders drastisch der bösartige Charakter von ÖPP“, sagt Carl Waßmuth von GiB, „es geht immer nur um Zinszahlungen an die Banken und um hohe risikofreie Renditen für Private. Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger – zwangsweise. Sie bekommen das tagtäglich durch verschlechterte öffentliche Leistungen zu spüren.“

Gemeingut in BürgerInnenhand kritisiert auch die Hintergehung von Bundestag und Bundesrat. Wider besseres Wissen warb die Bundesregierung dafür, ÖPP beim Autobahnbau ins Grundgesetz zu schreiben. „Es ist kaum vorstellbar, dass Finanzminister Schäuble nicht schon seit Jahren vom A1-Debakel weiß“, sagt Dr. Ulrike Kölver. „Schließlich geht es um Milliardenrisiken in seinem Haushalt.“ Der Grundgesetzänderung haben Regierungsfraktionen im Bundestag am 1. Juni zugestimmt, der Bundesrat folgte einen Tag später. Dr. Kölver weiter: „Angesichts des jetzigen Skandals bei der A1 wäre die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit wohl kaum zustande gekommen. Das Abstimmungsergebnis ist also nur durch Täuschung zustande gekommen.“

Das Täuschungsmanöver war nach Auffassung von GiB kein Versehen. Carl Waßmuth: „Schäuble braucht ÖPP, um die Politik der ‚Schwarzen Null‘ weiterzuführen. Denn mit ÖPP kann die sogenannte Schuldenbremse umgangen werden. Mit anderen Worten: ÖPP ist Umverteilung von unten nach oben. Für dieses Prinzip will Schäuble nicht offen werben. Deswegen wird mit Tricks gearbeitet, in diesem Fall mit Verstecken und Verschweigen.“

Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) tritt ein für die Bewahrung und Demokratisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Gemeingüter wie Wasser, Bildung, Mobilität, Energie, öffentliches Grün und vieles andere soll zurückgeführt werden unter demokratische Kontrolle. Ein inhaltlicher Schwerpunkt unserer Arbeit gegen Privatisierung ist die Aufklärung über ÖPP.

 

Fotos von der Aktion:

 

 

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Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) tritt ein für die Bewahrung und Demokratisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Gemeingüter wie Wasser, Bildung, Mobilität, Energie und vieles andere soll zurückgeführt werden unter demokratische Kontrolle. Ein inhaltlicher Schwerpunkt unserer Arbeit gegen Privatisierung ist die Aufklärung über ÖPP.

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Hintergrundinformationen

Überall in Deutschland (und weltweit) gibt es bereits ÖPP-Projekte, die Skandale bis hin zu Insolvenzen produzieren oder zumindest erhebliche Mehrkosten aufweisen. Im Zuge der nun bekannt gewordenen Schieflage der A1 mobil GmbH wurde die bisherige Kritik an ÖPP noch einmal überdeutlich bestätigt. Es ist geradezu eine Serie von ÖPP-Missständen, die sich allein in den letzten vier Wochen vor den Bürgerinnen und Bürgern ausbreitet:

  • Die A1 mobil hat offenbar kein nennenswertes Eigenkapital (mehr), ihr droht die Insolvenz zum Jahresende. Als haftendes Eigenkapital sind ohnehin nur 36.000 Euro eingetragen.
  • Die A1 mobil hatte seit Beginn ihrer Tätigkeit nie genug Einnahmen, um ihre enormen Kredite zu bedienen, daher wurde 2012 mit den Gläubigerbanken ein Stillhalteabkommen abgeschlossen, in dem Zinszahlungen (und möglicherweise auch Teile der Tilgung) gestundet werden.
  • Die A1 mobil hat drei Schlichtungsverfahren mit dem Bund geführt, das letzte beinhaltete Nachforderungen in der Größenordnung von 124 Millionen Euro und scheiterte bereits im Februar diesen Jahres.
  • Schon bei Vertragsunterzeichnung hat der Bund gewusst und akzeptiert, dass die Zinsen für die Kredite der Gesellschaft mit 519 Millionen Euro die veranschlagte Bausumme von 515 Millionen Euro übersteigen. Die durchschnittliche Verzinsung für dieses Fremdkapital liegt somit bei circa 6 Prozent. Das Geld für diese Zinszahlungen einzutreiben ist wesentlicher Inhalt der Klage der A1 mobil.
  • Gleichzeitig war dem Bund aus dem Schriftverkehr rund um die Vergabe von 2008 bekannt, dass die Eigentümer der A1 mobil im mittleren Szenario („Base Case“) von einer Gewinnausschüttung in der Größenordnung von 415 Millionen Euro ausgehen. Die durchschnittliche Rendite für ein Eigenkapital von 10 Prozent (etwa 50 Millionen Euro) hätte dann bei über 30 Prozent gelegen.
  • Zwei Gläubigerbanken haben bereits ihre Forderungen verkauft. Gleichzeitig zeigen zahlreiche Hedgefonds Interesse am Aufkauf der restlichen Forderungen. Dass hier Millionen Euro in ein de facto bankrottes Unternehmen investiert werden, zeigt, dass die Aufkäufer von Forderungen fest davon ausgehen, dass der Bund den anstehenden Prozess verlieren wird und bis zu 800 Millionen Euro nachzahlen muss. Alles was die Hedgefonds brauchen, um an diese Millionen zu kommen, ist genügend Kapital und Zeit sowie die Freiheit, auf nationale Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen zu müssen. Alle drei Voraussetzungen sind dank deregulierter Finanzmärkte gegeben.
  • Lobbyisten werben trotzdem ungeniert weiter für ÖPP. Besonders dreist der Bundesverband öffentlicher Banken bei den Bundestagsabgeordneten: Man habe anlässlich der A 1 erkannt, „dass das Verkehrsmengenrisiko … nicht den Privaten übertragen werden sollte“. Und: „Die Unternehmen werden mittlerweile nach der Verfügbarkeit der Strecke und nicht mehr nach der Verkehrsmenge bezahlt.“ Wenn das zutrifft, hätte die Bundesregierung bedingungslose Renditegarantien für die Privaten noch zusätzlich zementiert. Nicht nur die Maut-Zahlenden, sondern alle Steuerzahlenden würden von vornherein haften. Das ist keine Lösung, sondern eine Verschärfung des Problems.
  • Andere ÖPP-Betreiber haben ähnliche Probleme wie die A1 mobil, auch wenn von ihnen noch nicht bekannt ist, dass sie den Bund verklagen wollen. Mindestens die drei Projekte der „Ersten Generation ÖPP“ folgten aber dem gleichen Vergütungsmuster über die Lkw-Maut und waren somit ähnlichen Einnahmeausfällen ausgesetzt. Möglicherweise gab es dort sogar schon die Zustimmung des Bundes auf Nachzahlungen oder Minderleistungen, zumindest schwanken die Ansätze der Gesamtkosten dieser Projekte im Bundeshaushalt in den Jahren 2014/2015 auffällig.
    Im Zuge der Aufklärung rund um den A1-Skandal wurde auch bekannt, dass zahlreiche ÖPP-Betreiber seit Monaten einen zu hohen Anteil aus der Lkw-Maut erhalten (und dass das Verkehrs­minis­terium das bisher hingenommen hat). Hier zeigt sich der ÖPP-Mechanismus besonders klar: Bekommen die Privaten zu viel, stecken sie das Geld still ein. Bekommen sie zu wenig, drohen sie mit Insolvenz und bitten den Bund zur Kasse.

 

6 Kommentare

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