Juristische Stellungnahme: Gutachter des Senats bestätigen die Volksinitiative

Rechtsanwalt Benno Reinhardt, Bahnhofstraße 33a, 49356 Diepholz
An: Volksinitiative „Unsere Schulen“ / Gemeingut in BürgerInnenhand, Weidenweg 37, 10249 Berlin

(Stellungnahme von RA Benno Reinhardt als Download)

Gutachter bestätigen Volksinitiative:
Zur Berliner Schulbauoffensive hat der Senat im September 2018 – vorgelegt im November 2018 – zwei Rechtsgutachten von

  • Prof. Dr. Thorsten Beckers und Andrej Ryndin
  • Prof Dr. Georg Hermes und Dr. Holger Weiss

eingeholt.
Die Volksinitiative „Unsere Schulen“ hat mich gebeten eine Stellungnahme abzugeben. Ich komme zu dem Ergebnis, dass die Gutachter die bisherige Risikoanalyse der Volksinitiative im Wesentlichen bestätigen. Das Land hat die Ergebnisse des Gutachtens dagegen bei der Erarbeitung des Rahmenvertrags nicht berücksichtigt.

1. Privatisierung

Eine Privatisierung wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur umfassend diskutiert. Man unterscheidet zwischen materieller und formeller sowie funktioneller Privatisierung. Bei der formellen Privatisierung wird die öffentliche Aufgabe – hier der Schulbau – auf eine private Gesellschaft übertragen. Die Gesellschaftsanteile werden hierbei von der öffentlichen Hand gehalten. Bei der materiellen Privatisierung werden öffentliche Aufgaben vollständig auf einen privaten Träger übertragen, der Staat zieht sich zurück. Die funktionelle Privatisierung ist ein Oberbegriff über viele Formen der Öffentlichen – Privaten Partnerschaft (ÖPP). Private und Öffentliche kooperieren miteinander und erledigen die öffentliche Aufgabe gemeinsam.

Die Gutachter kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Es handele sich bei der vorgesehenen Zusammenarbeit zwischen der HOWOGE und dem Land um eine formelle Privatisierung, weil der Schulbau durch eine private GMBH erfolge (Hermes Seite 16). Was die Art und Weise der Aufgabenerfüllung angeht, so enthält das Modell – so die Gutachter weiter – zugleich gewisse Elemente der funktionalen Privatisierung (Hermes, Seite 17).

Dies bedeutet, dass die HOWOGE nicht nur als „Verlängerung“ einer staatlichen Behörde auftritt, sondern zugleich als gewinnorientiertes und am Markt tätiges Unternehmen.

Forderung: Der Senat und die Bezirke werden aufgefordert, die Schulbauoffensive und den Rahmenvertrag ehrlich als Privatisierung zu benennen und die Täuschung der Bürger insoweit zu beenden.

2. Zuständigkeit Bezirke

Die Volksinitiative hat immer die Rechtsauffassung vertreten, dass der Senat für den Abschluss des Rahmenvertrages nicht zuständig ist. Aus der Verfassung des Landes Berlin, dem Schulgesetz und dem allgemeinen Gesetz über die Zuständigkeiten des Landes ergibt sich die Kompetenz und Pflicht der Bezirke den Schulbau in eigener Verantwortung zu erledigen. In eigener Verantwortung bedeutet, dass andere Behörden nicht zuständig sind, es gibt keine überlappende Zuständigkeit des Landes für den Schulbau. Eine Amtshilfe ändert an dieser Aufgabenverteilung nichts. Amtshilfe bedeutet lediglich, dass das Land den Bezirken bei der Erfüllung der Aufgaben durch Personal oder Sachleistungen hilft.

Die Gutachter kommen zu dem gleichen Ergebnis (Hermes, Seiten 10 bis 15).

Forderung: Der Senat und die Bezirke werden aufgefordert, die Zuständigkeit der Bezirke vollumfänglich anzuerkennen. Den Bezirken ist daher ausreichend Zeit für die Beurteilung des Rahmenvertrages einzuräumen. Kein Bezirk darf benachteiligt werden, wenn er – wie Reinickendorf – den Rahmenvertrag nicht unterzeichnet. Die aus dem Landeshaushalt vorgesehenen Mittel, müssen den Bezirken so oder so zur Verfügung stehen.

3. Keine Kostenbremse in den Mietverträgen und Mehrkosten

Der Rahmenvertrag ist so konzipiert, dass die Bezirke der HOWOGE sämtliche Kosten über die Mieten erstatten. Die HOWOGE baut, finanziert und betreibt in eigener Verantwortung auf Kosten Dritter, auf Kosten des Landes. Eine Deckelung der Kosten ist erst nach dem Bau und der Abrechnung der Schulbauprojekte vorgesehen. Bis dahin kann die HOWOGE ohne jedes Risiko bauen und finanzieren. Die Konstruktion, dass eine juristische Person baut und eine andere bezahlt, ist von vorneherein ungeeignet, Kosten zu begrenzen. Die Kosten werden – wie beim BER – explodieren, ohne dass die Bezirke Eingriffsmöglichkeiten erhalten.

Die Gutachter geben der Volksinitiative im Ergebnis recht. Sie bezeichnen die vereinbarte Vergütungsstruktur als „Durchreichungsregime“ (Beckers, Seite 21). Eine harte, aber richtige Bezeichnung für den ausgehandelten Vertrag. Es sei von höchster Bedeutung, dass das Land Berlin durch Maßnahmen der Steuerung und Kontrolle der Aktivitäten der HOWOGE dafür sorgt, dass diese dabei wirtschaftlich agiert. Die Gutachter glauben offensichtlich selbst nicht an diese Kontrollmöglichkeiten: Ein Vergleich mit dem in der Vergangenheit und im Status quo angewendeten traditionellen Ansatz der Organisation und Finanzierung von Schulbauvorhaben in Berlin deutet darauf hin, dass das HOWOGE – ÖÖP – Modell mit gewissen Mehrkosten einhergehen dürfte (Beckers, Seite 28).

Man kann es auch anders ausdrücken. Der Vertrag ist eine Bankrotterklärung. Privatisierung folgt üblicherweise dem Gedanken, Geld zu sparen. Hier bestätigen die Gutachter des Landes dem Land, dass die Kosten wegen des Rahmenvertrages steigen.

Forderung: Die Bezirke sollen den Rahmenvertrag höchstens dann unterzeichnen, nachdem sichergestellt ist, dass die Mietzahlungen in der Höhe feststehen und angemessen sind. Hierzu ist der Rahmenvertrag zu ändern.

4. Risiko Weiterverkauf

Das zentrale Anliegen der Volksinitiative ist, dass die Schulen auf Dauer im öffentlichen Eigentum und in der öffentlichen Verwaltung des Landes und der Bezirke verbleiben. Bei den Schulen handelt es sich um Investitionen, die der Daseinsvorsorge dienen. Die HOWOGE schließt mit den Bezirken Mietverträge, die für die HOWOGE fast jedes Risiko ausschließen und üppige Mieten garantieren. Entsprechend interessant sind die Schulen zukünftig für Finanzinvestoren, die sich hohe Renditen versprechen, wenn sie der HOWOGE einzelne oder alle Schulen abkaufen. Kauf bricht nicht Miete. Die Bezirke zahlen die Miete danach an die Investoren. Politische Absichtserklärungen, die heute versprochen werden, sind bei einem Verkauf wertlos. Es genügt, wenn nur ein Senat in den nächsten 30 Jahren es für politisch nützlich hält, die Schulen zu verkaufen, dann wird der Weiterverkauf der Schulen vereinbart. Die Gründe können vielfältig sein, ein Gefallen an die Finanzbranche oder ein angeblich hoher Erlös für den Landeshaushalt, siehe Berliner Wasserbetriebe.

Die Gutachter bestätigen die Befürchtungen der Volksinitiative. Sie differenzieren richtigerweise zwischen dem Verkauf einzelner Schulen und dem Verkauf der HOWOGE selbst. Der Verkauf einzelner Schulen ist möglich (Hermes, Seite 25). Es sei aber nicht wahrscheinlich, weil die geplanten Erbbaurechte das Interesse der Finanzinvestoren an den Schulen und Grundstücken verringern. Anders sieht es aber mit einem Verkauf der Gesellschaftsanteile der HOWOGE aus. Diese können zum Teil oder vollständig auf Dritte übertragen werden. Eine Beteiligung an der HOWOGE ist zivilrechtlich möglich und auch öffentlich – rechtlich nicht ausgeschlossen (Hermes, Seite 25). Es gäbe (lediglich) einen Parlamentsvorbehalt (Hermes, Seite 24). Dies bedeutet, dass jede wie auch immer gefundene Mehrheit im Parlament die vollständige Veräußerung der HOWOGE mit einfacher Mehrheit beschließen kann. Eine geringere Beteilung Dritter – wohl bis zu 49 % der Anteile – ist dagegen offensichtlich bereits durch einfachen Beschluss des Verwaltungsbeirates der HOWOGE möglich (vgl. Hermes, Seite 24). Im Ergebnis kann daher der Verwaltungsbeirat der HOWOGE am Parlament vorbei Anteile an den Schulen, veräußern. Eine wirksame Veräußerungssperre kann dagegen nur durch eine Änderung der Landesverfassung eingeführt werden (vgl. Hermes, Seite 24). Denkbar seien ferner vertragliche Privatisierungsbremsen, z.B. eine Kündigungsmöglichkeit des Rahmenvertrages, wenn Teile der HOWOGE verkauf t werden (Hermes, Seite 25).

Forderung: Die Bezirke sollen den Rahmenvertrag höchstens dann unterzeichnen, wenn ausreichende gesetzliche und im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Rahmenvertrages vertragliche Regelungen geschaffen wurden, die einen Verkauf der Anteile der HOWOGE an private Investoren vollumfänglich verhindern. Der Rahmenvertrag ist entsprechend zu ändern.

5. Keine Insolvenzsicherung

Die Volksinitiative hat immer darauf hingewiesen, dass die HOWOGE als privatwirtschaftliche GmbH dem Insolvenzrecht unterliegt. Es muss daher ausgeschlossen sein, dass die Schulen im Fall der Insolvenz der HOWOGE an Dritte, z.B. Finanzinvestoren, veräußert werden.

Die Gutachter wollen das Insolvenzrisiko im Rahmen des vorgelegten Gutachtens nicht abschließend beurteilen, hierzu sei die Kenntnis weiterer Verträge, insbesondere der geplanten Forfaitierung erforderlich (Hermes, Seite 21). Mit der Wahl der geplanten Rechtsform gehe aber zwangsläufig die Möglichkeit der Insolvenz einher (Hermes, Seite 21), daher empfehlen sie Maßnahmen zur Risikoreduzierung (Hermes, Seite 22).

Forderung: Die Bezirke werden aufgefordert in dieser zentralen Frage, darauf zu drängen, dass der Senat ein ergänzendes Gutachten – so wie es die bisherigen Gutachten implizit nahelegen – einholt. Der Rahmenvertrag ist dann so zu ändern, dass die Insolvenz der HOWOGE zu einem automatischen Rückfall der Schulen auf die Bezirke führt.

6. Zuständigkeit Abgeordnetenhaus
Der Rahmenvertrag beinhaltet nicht nur das Recht der HOWOGE zum Bau und zur Finanzierung der Schulbauten, er enthält auch konkrete Pflichten des Landes und der Bezirke. Die Bezirke müssen für einen Zeitraum von 25 Jahren Mieten an die HOWOGE überweisen. Nach dem Konzept des Landes sind diese Mietzahlungen auch dann zu leisten, wenn die HOWOGE ihren Vermieterverpflichtungen nicht nachkommt. Die Bezirke sollen – vereinfacht dargestellt -, die Mieten direkt an die den Schulneubau finanzierenden Kreditinstitute zahlen und den Banken gegenüber auf den Einwand der Schlechtleistung der HOWOGE verzichten (siehe Präambel Rahmenvertrag). Ein solcher Forfaitierungsvertrag ist – anders als ein Mietvertrag – für das Land Berlin ein kreditähnliches Geschäft. Das Land Berlin haftet den Kreditgebern gegenüber für 25 Jahre unabhängig von der Leistungserbringung der HOWOGE, weil es auf die Einreden der Schlechterfüllung und Nichterfüllung verzichtet (siehe § 6 Ziffer 4 Rahmenvertrag). Ein solches Geschäft ist kein Geschäft der laufenden Verwaltung. Es berührt und beeinträchtigt das Budgetrecht des Parlaments für 25 Jahre. Nur das Abgeordnetenhaus ist nach vorläufiger Einschätzung daher berechtigt und verpflichtet, über den Rahmenvertrag zu beschließen. Dieser Beschluss hat zu einem Zeitpunkt zu erfolgen, zu dem die kreditähnlichen Belastungen annähernd sicher feststehen, also nach Ausarbeitung des Rahmenvertrages, vor Unterschrift durch die zuständigen Senatoren und Bezirke. Ein solcher Beschluss liegt nicht vor. Das Parlament hat sich mit der Volksinitiative befasst, nicht aber mit dem Rahmenvertrag selbst. Der Rahmenvertrag verstößt daher gegen ein Gesetz und ist zivilrechtlich (schwebend) unwirksam, § 134 BGB. Die Gutachter haben dies nicht geprüft.

Forderung: Die Bezirke sollen erst unterzeichnen, nachdem das Abgeordnetenhaus über den Rahmenvertrag selbst entschieden hat. Ggf. soll ein juristisches Gutachten über die zivilrechtliche Wirksamkeit des Rahmenvertrages eingeholt werden.

Benno Reinhardt
(Rechtsanwalt)

2 Kommentare

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