Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Swen Schulz (SPD) zum Thema Daseinsvorsorge und Privatisierung

Swen Schulz Portrait

Bild: Swen Schulz

Das Interview führte Carl Waßmuth (GiB)

Carl Waßmuth (GiB): Was ist für Sie Daseinsvorsorge?

Swen Schulz: Daseinsvorsorge ist vom Grundsatz her alles das, was öffentlich gewährleistet sein muss, damit die Menschen ein gutes Leben führen können. Dafür braucht es öffentliche Dienstleistungen auf den verschiedensten Ebenen. Ob das jetzt zum Beispiel der Bildungsbereich ist oder der soziale Absicherungsbereich, angefangen bei Arbeitslosengeld II oder eben Rente, aber natürlich auch öffentliche Infrastruktur. Das beinhaltet zum Beispiel Verkehr und öffentliche Verkehrsleistungen, aber auch öffentliche Bäder in denen man bezahlbar baden kann. Daseinsvorsorge bedeutet, dass die Bürgerinnen und Bürger sich bestimmte Dienstleistungen nicht teuer erkaufen müssen von Privaten, die Geschäfte machen, sondern dass die öffentlich zur Verfügung gestellt werden.

W: Soll der Staat Schulden machen, um seine Daseinsvorsorge zu erhalten und auszubauen?

S: Wenn es notwendig ist, dann eben auch mit Schulden, klar. Die Schuldenbremse ist ein Instrument, das eingeführt wurde, damit der Staat aufhört, sich zu verschulden. Sicherlich gab es zu viel Verschuldung in vergangenen Jahrzehnten, aber es gibt einen Tenor in der derzeitigen politischen Debatte, wonach Verschuldung per se schlecht ist. Dem kann ich nicht folgen. Ist es genauso wenig wie im Wirtschaftsleben oder auch im privaten Leben. Es gibt Situationen, wo man aus guten Gründen Schulden macht. Nicht die Verschuldung an sich ist das Problem, sondern dass Schulden, wenn sie denn gemacht werden, auch zurückgezahlt werden müssen und dass die öffentlichen Aufgaben auch gerecht finanziert werden, dass die Einnahmen gerecht organisiert werden. Dafür braucht es ein entsprechendes Steuersystem. Aber Daseinsvorsorge muss gewährleistet sein und zur Not dann auch über eine öffentliche Verschuldung, wobei mir eine Erhöhung der Steuern für Vermögende lieber ist als eine Verschuldung.

W: Halten Sie PPP für eine sinnvolle Lösung, dem Investitionsstau zu begegnen?

S: Nein, das lehne ich ab.

W: Aus welchen Gründen?

S: Wir haben in der Großen Koalition politische Rahmenbedingungen akzeptiert, die da sagen: Erstens, ein Verzicht auf aktive Steuerpolitik. Also Einnahmen werden nicht erhöht durch eine Veränderung bei der Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, des Spitzensteuersatzes, durch den Abbau von Steuersubventionen wie etwa die Mehrwertsteuer für Hoteliers, die sogenannte Mövenpick-Steuer. Das ist ausgeschlossen im Koalitionsvertrag. Gleichzeitig wird gesagt, dass die Verschuldung runter gefahren wird. Es ist sogar das Ziel, die sogenannte Schwarze Null zu erhalten, das heißt ab dem Jahr 2015 keinerlei Schulden mehr zu machen. Und drittens sehen wir aber alle, dass wir großen Investitionsbedarf haben in unterschiedlichsten Bereichen. Ob es jetzt Bildung und Forschung ist oder Energienetze oder digitale Infrastruktur oder eben Verkehrsinfrastruktur, Schiene, Brücken, Straßen. Und da kommen jetzt offenbar in der Bundesregierung mehrere auf die Idee zu sagen: Wenn wir die Einnahmen nicht erhöhen können, und die wirtschaftliche Situation wird sogar schwieriger, Stichwort Krisen im Ausland, und gleichzeitig keine Schulden machen können, aber trotzdem ganz viel Geld, mehr Geld ausgeben müssen und wollen – dann müssen wir das Geld irgendwo her bekommen. Dann soll es privates Geld sein, z.B. von den Lebensversicherern . Die haben ja ganz viel Geld und suchen jetzt nach vernünftigen Anlageformen, da die Zinsen auf dem Kapitalmarkt extrem niedrig sind, das ist ja eine bewusste Politik der EZB wiederum aus anderen Gründen. Die Privaten suchen also Anlagemöglichkeiten. Sollten wir denen doch dann organisieren, dass die irgendwie 3, 3.5, 4 % Rendite erzielen. Und vielleicht kriegt man ja die beiden Gedanken zusammen. So ist ganz simpel die Argumentation der Befürworter von PPP. Wir haben nicht ausreichend öffentliche Mittel, es gibt ganz viel privates Geld, also finanzieren wir mit privatem Geld öffentliche Anliegen. Das halte ich für irrsinnig, weil ja ganz offenkundig der Staat, um beim Bereich der Verkehrsinfrastruktur zu bleiben, viel günstiger finanzieren kann als die Lebensversicherer Renditeerwartung haben. Wo soll der Benefit herkommen? Beim Betrieb oder Unterhalt? Das könnte man, wenn denn überhaupt, höchstens ernsthaft bei Hochbaumaßnahmen erwägen. Aber solche Verkehrsinfrastrukturinvestitionen, – der Bundesrechnungshof hat sich da mehrfach dazu geäußert kommen am Ende den Staat teurer, wenn er privat finanzieren lässt. Und im Übrigen hat man auf diese Art und Weise einen Schattenhaushalt. Man hat zwar nominal keine Verschuldung, weil der Haushalt ja ausgeglichen ist, aber man hat sich gebunden an einen privaten Investor, bei dem man sich dann faktisch verschuldet hat. Oder man macht die Refinanzierung über Nutzergebühren. Das bedeutet: Ich baue jetzt eine Brücke und wenn einer über die Brücke fahren oder gehen will, dann muss er eine Gebühr dafür bezahlen. Dann habe ich zwar keine Steuererhöhung gemacht, aber die Bürger trotzdem belastet. Irgendwoher muss ja die Rendite für die Privaten kommen.

W: PPP gilt offiziell nicht als Verschuldung, also national nicht und mit Blick auf Maastricht auch nicht.

S: Das ist natürlich ein Webfehler. Ich bin kein Finanzwissenschaftler, ich bin nur einfaches Mitglied des Haushaltsausschusses, aber es ist ganz offenkundig ein Webfehler. Und ich kann Ihnen sagen: Im Haushaltsausschuss wird PPP über Parteigrenzen hinweg sehr kritisch diskutiert.

W: Wenn nach unseren Informationen PPP-Projektgesellschaften nur 25.000 Euro haftendes Eigenkapital haben – das soll üblich sein – wie soll sich der Staat absichern, wenn eine solche Projektgesellschaft insolvent geht? Wenn jetzt diese Infrastruktur über eine lange Betriebszeit von 30 Jahren kaputtgespart wurde, und man kommt auf so eine Projektgesellschaft zu und sagt: He, das ist ja kaputt, könnt ihr uns das bezahlen, und die sagen: Oh nein, das können wir nicht, wir haben ja gar kein haftendes Eigenkapital: Wie soll man damit umgehen?

S: Dazu habe ich keinen Lösungsvorschlag. Das gehört zu den Dingen, die in den großen Katalog der Risiken und Unwägbarkeiten gehören und für mich Gegenargumente zu PPP sind. Minister Gabriel hat ja jetzt eine Arbeitsgruppe gegründet unter Vorsitz von Herrn Prof. Fratzscher vom DIW, die werden ja sicherlich Vorschläge machen. Ich kann und will jetzt nicht ausschließen, dass da auch interessante Module mit dabei sind. Aber klar sein muss, dass, wenn man denn überhaupt daran denken will, PPP zu realisieren und noch zusätzlich anzuschieben, wie aus der Bundesregierung zu hören ist, dann müssen schärfste Bedingungen an die Realisierung von PPP-Projekten geknüpft werden und dazu zählt dann eben auch die demokratische Kontrolle, die Sicherung der öffentlichen Interessen der jeweils beteiligten Kommune, des Landes oder des Bundes. Und dazu zählt eben auch eine entsprechende Absicherung: Was passiert, wenn der private Partner in die Insolvenz geht.

W: Und eine Unternehmenshaftungserklärung, die in der Privatwirtschaft üblich wäre, wäre das eine denkbare Mindestrandbedingung?

S: Ich sage ihnen ganz offen: Ich bin da nicht der Experte. Aber nehmen wir mal den Fall, die Bundesregierung käme auf die Idee im Bereich der digitalen Netze, Breitband usw. da jetzt ein großangelegtes PPP zu machen, um von den klassischen Beispielen der Autobahnbrücke wegzugehen. Und die kommen jetzt auf die Idee, mit den großen Unternehmen Deutschlands oder auch international so richtig was auf die Beine zu stellen und dann wird da eine Konstruktion gefunden, wo sehr, sehr viel privates Kapital reinfließt in den Ausbau der digitalen Netze in Deutschland. Und da ist irgendwie die Telekom und Siemens und vielleicht auch Apple oder ein vergleichbares Unternehmen dabei. Dann dürfte es natürlich nicht eine entsprechende Rechtskonstruktion werden, die es diesen großen Konzernen erlaubt, sich vom Acker zu machen, wenn ihre kleine Tochter, die formal Vertragspartner des Bundes ist, pleite geht, das ist ja klar.

W: Könnte man denn dann dieses private Investment weiterverkaufen?

S: Das gehört zu den Dingen, die ausgeschlossen werden müssen. Also wenn ich das jetzt ernst nehme, was Schäuble, Gabriel sagen: Sie wollen Investitionsnotwendigkeiten in Deutschland begegnen ohne sich neu zu verschulden und ohne Steuern zu erhöhen, und sie wollen einen volkswirtschaftlichen Benefit für vagabundierendes Kapital schaffen, und zwar in Deutschland. Sie wollen sozusagen, dass das deutsche Kapital nicht mehr im Ausland in irgendwelchen gewagten Spekulationen verbrannt wird, sondern dass das Geld hier in Deutschland im öffentlichen Interesse gut angelegt wird. Und dann müsste eben zum Beispiel ein solcher Fall, das Pleitegehen einer solchen Firma oder aber eben das Verkaufen und dann möglicherweise auch noch mit Gewinn Verkaufen an irgendwelche internationalen Investoren – es gab mal einen Sozialdemokraten, der hat den Begriff „Heuschrecke“ verwendet – das müsste natürlich dann auch ausgeschlossen werden. Ich weiß nicht, wie das bei Toll Collect gehandhabt wird; auch da gab es ja erhebliche Auseinandersetzungen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass der Bund da eine besonders gute Rechtsposition hatte.

W: Der Weiterverkauf von PPP-Gesellschaften ist gang und gäbe, international und national. Eigenkapitalanteil von einer PPP-Projektgesellschaften am Gefängnis Burg wurden von Bilfinger weiterverkauft, in Großbritannien ist das in über 600 Fällen dokumentiert.

S: Uns gegenüber wird politisch argumentiert: „Na ja, die Lebensversicherer brauchen doch eine Anlagemöglichkeit, damit die Bürger ihre Policen, die sie bei diesen Lebensversicherungen abgeschlossen haben hinterher einlösen können,damit ausgezahlt werden kann zu einer vernünftigen Verzinsung.“ So. Und dann will man also ein paar Aspekte zusammengreifen und eine volkswirtschaftlich gesellschaftspolitisch positive Entscheidung fällen. Da entsteht für mich ein Widerspruch, wenn jetzt Allianz oder wer auch immer nach einem Jahr sagt: „Oh, ich verkaufe jetzt an irgendein amerikanisches oder chinesisches Finanzkonstrukt.“ Dann haben vielleicht die Gesellschaften, die Lebensversicherer ihren Benefit. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das im Interesse der Bürgerinnen und Bürger hierzulande sein könnte, gerade wenn wir über digitale Strukturen sprechen – da sind ja auch andere Aspekte, auch Sicherheitsaspekte, Datenschutzaspekte betroffen.

W: Der einzige Kunde von einem PPP-Projekt einer PPP-Gesellschaft oder einem PPP-Investment ist der Staat oder die öffentliche Hand. Mit der Hoffnung auf diese staatlichen Zahlungen über die Betriebslaufzeit werden dann immer hohe Kredite aufgenommen. Was passiert, wenn die Projektgesellschaft jetzt mal aus anderen Gründen insolvent geht. Die macht Mist am Bau. Wer haftet für diese Schulden?

S: Niemand. Deswegen wäre es ja wichtig, dass ein solches Projekt mit Unternehmen gemacht wird, wo die Wahrscheinlichkeit, dass sie Pleite gehen, höchst gering ist.

W: Soll der Bund aus der aktiven PPP-Förderung aussteigen?

S: Alle Informationen, die ich habe, sagen mir, dass PPP eine Konzeption aus einer wirtschaftspolitischen Diskussionszeit ist, die im Grunde als überholt gelten müsste. Es ist faktisch ein neoliberales Instrument zur Mehrung des Profits von Privaten auf Kosten der Öffentlichkeit und gehört aus meiner Sicht beerdigt. Ich bin gespannt, was jetzt herauskommt aus diesem neuerlichen Aufschlag, den die Bundesregierung da machen will. Man könnte sich natürlich Gedanken machen darüber, wie man privates Kapital einsetzt und auch Rahmenbedingungen verbessert, dann wenn es sich nicht um irgendwelche Unternehmen oder Unternehmenskonstrukte handelt, sondern um „Bürgergeld“, also wenn sich Bürger zusammentun und gemeinsam etwas auf die Beine stellen wollen. Ob das im Bereich Energie ist oder Wohnen, was auch immer, dann wäre das für mich als wirtschaftspolitischen Laien zunächst einmal eine sympathische Herangehensweise und jedenfalls eine Überlegung wert, ob nicht der Staat gemeinsam mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern etwas auf die Beine stellt, was am Ende auch tatsächlich einen Nutzen für das Gemeinwohl bringt. Auch da würden sich natürlich Fragen stellen: Wie ist das mit Haftung, was ist, wenn der Laden pleitegeht, wenn die was falsch machen usw. Aber das wäre doch gerade auf kommunaler Ebene vielleicht mal eine Überlegung wert. Hat aber einen völlig anderen Charakter als das, was wir bisher unter PPP kennengelernt haben. Deswegen ist meine Teilantwort: Ich will ihnen jetzt nicht so betonmäßig sagen: auf gar keinen Fall eine Kooperation zwischen Öffentlichen und Privaten. Der private Partner, das können ja sehr unterschiedliche sein.

W: Wie kann man denn den Erhalt und Ausbau von Infrastruktur demokratisch kontrollieren?

S: Ich bin da offen. Ich finde da auch, dass man sich neue Graswurzel-orientierte Modelle überlegen kann und auch entsprechend prüfen kann. Auch da gibt es natürlich Vorkehrungen, die man treffen muss, um Missbrauch zu vermeiden usw. Aber ich gebe zu, dass ich „ein bisschen konservativ“ bin, was die Finanzierung von klassischen öffentlichen Aufgaben anbetrifft. So ein Schwimmbad gehört öffentlich finanziert und betrieben, und mitordentlich bezahltem Personal nach öffentlichen Kriterien. Und eine Brücke oder eine Autobahn gehört öffentlich bezahlt und finanziert. Und wenn man sie sich nicht leisten kann, angeblich nicht leisten kann, weil man sagt: man darf aber keinen Spitzensteuersatz erhöhen und man darf sich nicht verschulden, dann kann man halt die Autobahn nicht bauen. So ist das dann. Oder man kommt auf die Idee: Vielleicht ist es doch wichtig und man muss irgendwo das Geld hernehmen. Ja, dann ist das eine entsprechende politische Entscheidung.

W: Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch.

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