Infobrief: Daseinsvorsorge. Goldfieber statt goldener Zeiten

Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,

Union und SPD haben die Weichen für die nächsten vier Jahre gestellt. Glaubt man den Worthülsen der Politiker:innen, bricht ein goldenes Zeitalter für die Daseinsvorsorge an. In der Tat war die Notwendigkeit von Investitionen in die marode Infrastruktur in den vergangenen Wochen ein wichtiges Thema, aber vor allem im Zusammenhang mit der Aufnahme gigantischer Schulden und der Lockerung der Schuldenbremse für militärische Aufrüstung. Der Blick auf den nun vorliegenden Koalitionsvertrag stimmt skeptisch. Wir von Gemeingut sehen darin überhaupt kein goldenes Zeitalter, sondern vielmehr den Ausbruch eines Goldfiebers, bei dem es viele Enttäuschte und einige wenige Profiteure geben wird. Private Investoren jubeln vermutlich schon angesichts der Wiederbelebung öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP), die vor allem teuer für die Steuerzahlenden sind.

Bei der Krankenhausversorgung einigten sich die künftigen Koalitionäre auf die Fortsetzung der Reform. Das ist pikant. Hatte doch die Union die Reform im Bundestag und im Bundesrat abgelehnt und das Reformgesetz als verkorkst bezeichnet. Sie wollte es scheitern lassen und macht jetzt einfach mit. Als ob nichts gewesen sei, bezeichnen CDU und CSU im Koalitionsvertrag die Reform nun ganz ungeniert als Möglichkeit, „eine qualitative, bedarfsgerechte und praxistaugliche Krankenhauslandschaft“ aufzubauen. Entlarvend ist, dass die künftigen Regierungspartner eine Reihe von Ausnahmen bei der Umsetzung der Reform gewähren wollen. Daran zeigt sich, dass die Reform eben nicht dazu geeignet ist, eine flächendeckende, bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen. Um weitere Kritiker:innen mundtot zu machen, verspricht die Regierung frisches Geld für den Transformationsfonds. So soll eine Mitfinanzierung der Reform aus den Beiträgen der gesetzlich Krankenversicherten vermieden werden. Nach wie vor fatal: Der Transformationsfonds dient dem Abbau der Versorgung. Wir von Gemeingut finden: Krankenhäuser brauchen dringend Geld, aber für Erhalt und Ertüchtigung, nicht für Kahlschlag.

Im Bereich Verkehr hat die vermutlich künftige Koalition nun das vereinbart, was wir und andere zivilgesellschaftliche Akteure bei der Gründung der Autobahn GmbH vor acht Jahren noch verhindern konnten: Das Unternehmen soll jetzt selber Kredite aufnehmen und öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) eingehen können. Wenn dieser Vertragspunkt umgesetzt wird, bedeutet das den Bau neuer Autobahnen auf Pump. Hohe Verschuldung und noch weniger Mitbestimmung würden für die nächsten Jahrzehnte vorprogrammiert. Wir planen, hier dringend aktiv zu werden, um eine derartige Entwicklung zu verhindern.

Eine sinnvolle Finanzierungsquelle für die Rettung der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge wäre die Wiedereinsetzung der Vermögensteuer gewesen. Zwar hatte die SPD diese Steuer in die Koalitionsverhandlungen eingebracht – sicherlich auch aufgrund des Drucks der von uns mitgegründeten Allianz „Vermögen besteuern jetzt“. Doch nun steht im Koalitionsvertrag das Gegenteil: Die Körperschaftsteuer auf die Gewinne von Aktiengesellschafen und GmbHs soll sinken. Der Staat verliert so 21 Milliarden Euro pro Jahr. Mit einer Vermögensteuer von nur zwei Prozent auf Vermögen über 100 Millionen Euro wären Mehreinnahmen von bis zu 28 Milliarden möglich – das war übrigens die Minimalforderung Brasiliens für eine globale Milliardärssteuer. Mit der CDU in Führungsposition geht es nun wohl rückwärts. Mehr denn je gilt: Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten. Wir von Gemeingut arbeiten daher weiter daran, die zivilgesellschaftlichen Bündnisse für die Vermögensteuer zu stärken.

Aus den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag wird deutlich: Die Union bekommt das Gesundheitsministerium und wird die verheerende Krankenhausreform der SPD weiterverfolgen – die SPD bekommt das Finanzministerium und wird die ungerechten Steuerpläne der Union umsetzen. Beide haben ihre Wähler:innen getäuscht. Beim Verkehr werden die schädlichen ÖPP zu neuem Leben erweckt – weil Merz seine Klientel bedienen will.

Wir werden als Zivilgesellschaft in den nächsten vier Jahren genau hinschauen müssen, was die Regierung mit unserem Geld macht, welche Interessen sie damit bedient und ob sie die Rettung der Daseinsvorsorge nur dann vorschiebt, wenn Deutschland aufgerüstet werden soll.

Damit die Regierung nicht einfach gutsherrenartig ihre Vorhaben durchziehen kann, brauchen wir Formate, die uns helfen, die Wünsche und Vorstellungen der Gesellschaft zu artikulieren. Ein Beispiel dafür ist der von uns ins Leben gerufene Runde Tisch zum SEZ, den wir in Berlin anlässlich des vom Senat geplanten Abrisses des Sport- und Erholungszentrums (SEZ) veranstalten. Am 9. April hat er zum zweiten Mal getagt – dieses Mal zum Thema Denkmalschutz. Und es gibt einen ersten Erfolg: Die Bezirksverordnetenversammlung des Stadtbezirks Friedrichshain-Kreuzberg, in dem sich das SEZ befindet, hat einen von der Linken eingebrachten Antrag verabschiedet. Darin fordern die Verordneten das Landesdenkmalamt auf, die Denkmalwürdigkeit des SEZ erneut zu prüfen. Auch im Krankenhausbereich arbeiten wir weiter daran, die Retter:innen der Daseinsvorsorge zu organisieren: Wir planen ein bundesweites Treffen, und unsere Broschüre zu Krankenhausschließungen und dem Kampf dagegen steht kurz vor der Fertigstellung. Dazu bald mehr!

Entscheidungen über öffentliche Infrastrukturen müssen transparent, bedarfsorientiert und demokratisch getroffen werden – und das gilt für die ganze Daseinsvorsorge. Dafür werden wir uns auch in den nächsten vier Jahren einsetzen. Dass wir gebraucht werden, belegt der Koalitionsvertrag schwarz auf weiß.

Solidarisch grüßen

Laura Valentukeviciute   |   Katrin Kusche  |   Jorinde Schulz
für Gemeingut in BürgerInnenhand

PS:  Werden Sie mit uns aktiv: Ende März erschien unter Mitwirkung von Gemeingut die vierseitige Zeitung „Superreiche gerecht besteuern“. Damit möchten wir die Debatte über die solidarische Finanzierung der Infrastrukturen der Daseinsvorsorge anstoßen. Sie können Exemplare zum Verteilen mit dem Betreff „Zeitung bestellen“ unter info@gemeingut.org anfordern.

PPS: Seien Sie dabei: Stärken Sie unsere Arbeit kontinuierlich und schließen Sie eine Fördermitgliedschaft bei Gemeingut ab. Die ersten 15 neuen Fördermitglieder erhalten einen USB-Stick von Gemeingut als Geschenk. LINK https://www.gemeingut.org/spenden/

Neu auf der Gemeingut-Website seit dem Infobrief vom 7. März:

10. April: Zweiter Runder Tisch SEZ: Gestern fand der zweite Runde Tisch SEZ im Haus der Demokratie und Menschenrechte statt. In einer gemeinsamen Erklärung forderte der Runde Tisch das Landesdenkmalamt auf, die Denkmalwürdigkeit des Berliner Sport- und Erholungszentrums (SEZ) erneut zu überprüfen.

9. April: Kahlschlag besiegelt. Koalitionäre einigen sich auf Fortführung der Krankenhausreform: Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben. Im Bereich Gesundheitsversorgung einigten sich die Parteien auf die Fortführung der Krankenhausreform, obwohl CDU/CSU vor der Verabschiedung der Reform harsche Kritik geübt und große Änderungen bei einer Regierungsübernahme angekündigt hatten. Das Bündnis Klinikrettung kritisiert das in einer Pressemitteilung.

28. März: Zeitungsbeilage: Superreiche gerecht besteuern: Druckfrisch erscheint heute unsere Zeitungsbeilage zur Vermögensbesteuerung. Sie enthält Zahlen, Fakten und Argumente, warum wir uns das Geld für öffentliche Infrastruktur, Klimaschutz und Sozialstaat von den Überreichen holen müssen.

25. März: Briefe an die Verhandlungsgruppe zum Thema Gesundheit: Anlässlich der Koalitionsverhandlungen hat das Bündnis Klinikrettung die Verhandlungsgruppe zum Thema Gesundheit angeschrieben und ihr seine Kritikpunkte sowie Erwartungen und Forderungen zukommen lassen.

21. März: Runder Tisch zum SEZ gegründet: Pressemitteilung von Gemeingut zur Gründung des Runden Tisches zum SEZ. Mit dem Runden Tisch SEZ wurde ein Ort geschaffen, an dem über die Zukunft des Berliner Sport- und Erholungszentrums (SEZ) gesprochen wird. Die Berliner Landesregierung und die Wohnungsbaugesellschaft Mitte WBM sind herzlich eingeladen, sich einzubringen.

12. März: Superreiche gerecht besteuern – offener Brief an die SPD: Gemeinsam mit 15 weiteren Organisationen richtet sich Gemeingut in BürgerInnenhand anlässlich der anstehenden Koalitionsverhandlungen an die SPD, um die Partei an ihr Wahlversprechen zu erinnern, große Vermögen gerecht zu besteuern.

 

Gemeingut arbeitet fast vollständig spendenfinanziert. Fast 90 Prozent unserer Einnahmen verdanken wir Spenden und regelmäßigen Mitgliedsbeiträgen, die meisten davon unter 50 Euro. Die restlichen 10 Prozent unserer Finanzierung stammen aus Förderungen, zum Beispiel von gemeinnützigen Stiftungen. So können wir politisch unabhängig agieren. Um unsere Arbeit langfristig finanzieren zu können, sind wir auf regelmäßige Spenden und Fördermitgliedschaften angewiesen.
Gemeingüter demokratisieren statt privatisieren! Wir setzen uns für die Gemeingüter ein. Unsere Daseinsvorsorge verfällt zunehmend – wir wollen, dass sie gestärkt und wiederaufgebaut wird. Deswegen engagieren wir uns in verschiedenen Kampagnen und Bündnissen gegen die Privatisierung und für die Demokratisierung öffentlicher Infrastrukturen und Einrichtungen.

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