Europas Krise wird durch eine Privatisierung der Daseinsvorsorge verschärft

02.11.2012. Offener Brief der Initiative Wasser in Bürgerhand an die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nachahmung erwünscht!

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mit großer Sorge und Anteilnahme an dem gemeinsamen Projekt eines geeinten Europas verfolgen wir nicht nur die Eurokrise, sondern auch die Sparauflagen von EU, EZB und IWF für Länder wie Griechenland. Insbesondere die auferlegte Privatisierung öffentlicher Güter, darunter der Wasserwirtschaft, wird die Erholung der griechischen Wirtschaft nicht fördern und den Schuldenabbau allenfalls kurzfristig stützen. Dem steht ein Ausverkauf von Kernbeständen der Daseinsvorsorge gegenüber, der in unserer Verfassung und in mehreren EU-Vertragswerken zu Recht ein hoher Stellenwert zugeordnet wird. Die Bundesregierung hat diesen Rang für die (deutsche) Wasserwirtschaft gegenüber Liberalisierungs- und Privatisierungsbestrebungen der EU-Kommission mehrfach betont.

Diese Einschätzung muss im gesamten EU-Raum Geltung haben und behalten, gerade unter Krisenbedingungen. Die Privatisierungsauflagen der „Troika“ halten wir dagegen für gemeinschafts- und substanzgefährdend. Selbst Bewertungen internationaler Wirtschaftsberatungsfirmen legen nahe, dass die öffentliche Infrastruktur in Griechenland nur deutlich unter ihrem realen Wert auf Investoreninteresse stößt. Insbesondere für die Wasserwirtschaft würde dies auf eine Enteignung der in bürgerschaftlicher Solidarität über Generationen aufgebauten Infrastruktur hinauslaufen. Der Ausverkauf der kommunalen Wasserversorgung würde zugleich den Verlust wirtschaftlicher, politischer und sozialer Gestaltungsfreiheit in den Kommunen bedeuten.

In den für die Privatisierung der Wasserwirtschaft vorgesehenen Städten Athen und Thessaloniki formiert sich deshalb Widerstand in der Bevölkerung. Die Wasserversorgungen dieser beiden Städte erstrecken sich immerhin auf rund 45 Prozent der griechischen Gesamtbevölkerung. Dieser Widerstand reiht sich in eine Bewegung gegen Privatisierungen ein, die im letzten Jahrzehnt Frankreich, Italien, Spanien, die Türkei, Rumänien und nicht zuletzt Deutschland erfasst hat. Wir verweisen neben der Rekommunalisierung in Paris nur auf das Beispiel Berlin, wo für die Stadt und die BürgerInnen mit der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe hohe Kosten und weitere Nachteile entstanden, die nicht oder nur bedingt rückgängig zu machen sind.

Die Privatisierungsversprechungen in der Wasserwirtschaft haben sich weltweit bis auf wenige Ausnahmen nicht bestätigt – Grund genug, sie auf der internationalen Agenda nicht weiter zu forcieren. Die Wettbewerbsvorstellungen von EU und IWF können hinsichtlich der Wasserwirtschaft ohnehin nicht greifen, weil diese ein natürliches Monopol bildet, das als solches bei Eigentümerwechsel erhalten bleibt.

Eine Privatisierung der Wasserversorgung wird nur zur Umverteilung über den Finanz- und Anlegersektor beitragen. Deshalb möchten wir der Bundesregierung nahelegen, sich für den europaweiten Schutz der öffentlichen Wasserwirtschaft einzusetzen. Wir verkennen dabei nicht selbstgemachte Probleme in den von der Krise am meisten betroffenen Ländern. Gemeinsam mit der im eigenen Lande seit Generationen bewährten öffentlichen Wasserwirtschaft wäre es für die Bundesregierung ein sinnvolles und vertrauensbildendes Unterfangen, der zum Teil strukturschwachen griechischen Wasserwirtschaft fachliche und finanzielle Hilfe anzubieten. Wir würden dies für einen echten Beitrag zur Lösung der Krise in Europa halten.

Zu uns: Wasser in Bürgerhand ist ein bundesweiter Zusammenschluss örtlicher Initiativen für den Erhalt einer öffentlichen und von den BürgerInnen kontrollierten Wasserwirtschaft, siehe www.wasser-in-buergerhand.de.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Henn, Berlin

Hans-Werner Krüger, Hamburg

(im Namen von Wasser in Bürgerhand)
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Urschriftlich auch an den Bundesfinanzminister und den Bundesumweltminister.

Der Brief als PDF.

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