Berliner Schulprivatisierung scheitert auch 2019

Wenige Tage vor Weihnachten verschickte die sogenannte Steuergruppe der Taskforce Schulbau in Berlin einen Newsletter. Die Steuergruppe ist der Senatsverwaltung für Bildung unterstellt und bezahlt eigens für die Öffentlichkeitsarbeit zum Schulbau mehrere KommunikationsexpertInnen in Vollzeit. Im Newsletter wurde über Fortschritte der sogenannten Berliner Schulbauoffensive berichtet: Eine Geschäftsstelle konnte besetzt werden, drei Jahre nach Beginn der Schulbauoffensive sind nun fünf Beschäftigte eingestellt, die die Bezirke koordinieren sollen. Sechs der elf Bezirke, die den Rahmenvertrag zur Privatisierung des Schulbaus unterzeichnet haben, berichten im Newsletter von Aktivitäten. Von der Senatsverwaltung selbst wird über eine (aus Steuergeld finanzierte) Werbekampagne informiert: „Alle Kinder kommen in die Schule!“ Ach ja? Nun, so steht ja auch im Schulgesetz. Dafür nun also eine Werbekampagne?

Über den Knaller des Jahres 2019 im Berliner Schulbau schweigt sich der Newsletter aus: Es ist dem Land Berlin, den Bezirken und der Wohnungsbaugesellschaft Howoge mbH nicht gelungen, auch nur einen einzigen der komplizierten Privatisierungsverträge 2019 zu unterzeichnen! Dahinter steht das versteckte Scheitern des Privatisierungsversuchs. Insgesamt mindestens 33 Verträge sollten ausgearbeitet und unterzeichnet werden: Erbbauverträge, Projektverträge, (Rück-)Mietverträge. Nun baut die Howoge nur eine einzige Schule: in Adlershof, wo der Howoge das Grundstück schon vorher gehörte und keine Erbbau nötig war. Die Berliner Schulbauprivatisierung erfährt damit drei Jahre nach ihrem Start ein stilles Begräbnis. Über die Gründe für das klammheimliche Ausschleichen aus der spektakulär angekündigten Privatisierung steht im Schulbau-Newsletter des Senats selbstverständlich auch nichts.

Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) hatte den Ablauf der geplanten Privatisierung intensiv verfolgt, nachdem GiB zuvor im Rahmen der Volksinitiative „Unsere Schulen“ die Öffentlichkeit über die Folgen informiert und gegen das Vorhaben mobilisiert hatte. Im Sommer 2019 konnte GiB aufdecken, dass die Kosten durch die Einbindung der Howoge um wenigstens 800 MillionenEuro steigen würden, die Berliner Zeitung hatte dazu umfassend berichtet. Grund dafür ist, dass die Howoge vom Land pro Schulplatz nahezu doppelt so viel Geld verlangt, wie Schulplätze sonst im Bundesdurchschnitt kosten. Der GiB-Berechnung wurde von offizieller Seite nicht widersprochen.

Bei einem „Runden Tisch Schulbau Berlin“ im September erweiterte GiB die Kostenanalyse noch um die Betrachtung der Nöte von LehrerInnen, SchülerInnen sowie des regionalen Mittelstands. Es wurde vereinbart, Anfragen an Bezirke und andere mit dem Schulbau verbundene Institutionen zu stellen. Eines der Ergebnisse: In den Bezirken wurde auf Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bezüglich einer Vergabe an die Howoge komplett verzichtet. Aus einem der Antwortschreiben (Michael Grunst, Bezirksbürgermeister von Lichtenberg):

„Der Senat von Berlin [hat] zusammen mit dem Abgeordnetenhaus in gesamtstädtischer Verantwortung über das Wie der Umsetzung entschieden und steht auch für die Finanzierung gerade. Auch wenn die Schulträgerschaft bei den Bezirken liegt. Eigene Wirtschaftlichkeits­betrachtungen hat der Bezirk demzufolge nicht durchgeführt und durchführen können.“

Nun wissen aber auch der Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus von keiner Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, wie aus anderen Antworten hervorgeht. Die Aufdeckung der eklatanten Mehrkosten ist für den Senat einigermaßen peinlich, was das verschämte Schweigen im Schulbaunewsletter erklärt. Dazu kommt, dass durch den 2017 und 2018 von GiB mitverantworteten politischen Druck (unter andere durch die oben genannte Volksinitiative) der Rahmenvertrag um vier Seiten ergänzt wurde. Damit wurde die Ausgestaltung der Einzelverträge juristisch hochkomplex, unter anderem weil Eigentumsvorbehalte der Bezirke hinzugenommen werden mussten. In die Öffentlichkeit durchgesickerte Vertragsentwürfe zeigten: Die Komplexität verhindert eine Einigung – die Verträge sind vermutlich auch juristisch tot.

Privatisierungsklappe zu, alles gut? Leider nicht. Zum einen treibt die Howoge derzeit massiv sogenannte Partizipationsverfahren voran. Diese sind auch ohne Erbbau möglich, die Vergütung ist im Rahmenvertrag geregelt und mehr als üppig: pro Projekt 1,8 bis 3,8 Millionen Euro, mehr als die Planungskosten. Zum anderen werden die dringenden großen Sanierungen wieder weiter nach hinten geschoben – was auf mittlere Sicht immer zu Schulschließungen führt. Und zum Dritten lastet nun die komplette Erweiterung von Schulplatzkapazitäten auf Modularen Ergänzungsbauten (MEBs) – einer Bauformn, die für die mit großem Pomp erarbeiteten Standards der AG „Schulraumqualität“ ein Schlag ins Gesicht ist. Sie führt dazu, dass Berlin zugepflastert wird mit teuren, gesichtslosen Zweckbauten, die dem überholten pädagogischen Konzept der Flurschule zu einem unrühmlichen Comeback verhelfen. Und die teilweise schon drei Jahre nach der Eröffnung großflächig anfangen zu schimmeln (https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article227085663/Schimmel-in-Schulen-Zwei-Neubauten-werden-untersucht.html).

Was wäre nötig? Berlin benötigt eine massive Einstellungskampagne in der Bauverwaltung und beim Schulbetrieb. Nicht fünf schlecht bezahlte Beschäftigte in einer Geschäftsstelle zur Koordination der Bezirke (was koordiniert eigentlich die Senatsverwaltung?), sondern fünfhundert gut bezahlte und kompetente Schulbauexpertinnen und Verwaltungsfachkräfte. Wenn „R2G“ damit 2016 begonnen hätte, hätte 2020 die Situation in Berlins Schulen einen Sanierungs- und Wiedereröffnungsboom erleben können. Stattdessen wacht Berlin nun am 1. Januar mit massiven Schulbaukopfschmerzen auf. So ist das nun mal, wenn man zu viel und vom falschen konsumiert: Man ist verkatert. Die Vergiftung in Form der Schulprivatisierung konnte GiB verhindern. Wir finden: Ein kleines Dankeschön seitens des Senats wäre durchaus angebracht. Allerdings ist zu befürchten, dass die Neigung zur Privatisierung beim aktuellen Berliner Senat bereits chronisch ist: Warum sonst sollte nach den Schulen jetzt die Privatisierung der S-Bahn versucht werden?

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