Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – Thesenpapier zur Deutschen Bahn

Bild: Rudolpho Duba / pixelio.de
Bild: Rudolpho Duba / pixelio.de

Thesenpapier zum Workshop auf der KOPFmachenKonferenz in Stuttgart am Samstag, 26. April 2014, 13.30 – 15.00 Uhr

Was passiert, wenn öffentliche Kontrolle verschwindet

Vor 20 Jahren wurde die Bahn reformiert. Vor allem wurde sie formell privatisiert und durch die Änderung des Grundgesetzes auf den Börsengang vorbereitet. Der Börsengang scheiterte vorerst, durch einen Vorratsbeschluss steht er allerdings weiter auf der politischen Agenda. Die formell private DB AG hat aber die 20 Jahre genutzt, um jenseits jeglicher demokratischen Kontrolle Milliarden Euro aus Staatshaushalt und Schienenverkehr herauszutransferieren – zu Lasten von Steuerzahlenden, Bahnkunden und Umwelt.

Alle Bundesregierungen der vergangenen 20 Jahren haben stets fast nur Manager für Bahnvorstand und -Aufsichtsrat bestellt, deren Interessen dem Bahnverkehr entgegenstehen: Böcke als Gärtner, mehrheitlich aus der Auto- und Luftfahrtindustrie. Diese Manager durften aus der Bahn eine steuerfinanzierte Melkkuh zum Nutzen Dritter machen. Wenn Parlament oder Bürgerinnen und Bürger eine demokratische Steuerung der Bahn forderten, verwies die Bundesregierung stereotyp aufs Aktienrecht: Steuerung leider nicht möglich, da privatrechtlich organisiert.

Mithilfe der derart der demokratischen Steuerung entzogenen DB AG ist es dazu gekommen, dass mit Steuergeldern geschaffenes Vermögen unter Wert verkauft wurde: insbesondere Grundstücke, Firmen und Marken. Und es ist dazu gekommen, dass mit Steuergeldern über Wert eingekauft wurde: Schienen, Kredite, Firmen (im Falle von Schenker gab es einen Verkauf und später einen Rückkauf), Manager, Berater. Es wurden sogar mit Steuergeldern geschaffene Werte, ganze Strukturen zerstört – völlig intakt, zum Vorteil Dritter, die Einfluss auf die Bahn gewinnen konnten. Zerstört wurde das System Interregio, zerstört wurden später auch die Interregio-Wagen, die im Wortsinn verschrottet wurden, angeblich damit nicht „Wettbewerber“ darauf Zugriff bekommen können. Zerstört durch Herausreißen wurden Ausweichstrecken, Weichen und Gleisanschlüsse.
Das alles sollte nicht (mehr) passieren können, wenn wir mitbestimmen.

Im Workshop geht es daher um folgende Fragen:

  • Welche neuen Instrumente der Kontrolle und Steuerung können gefunden werden?
  • Welche Wege führen zu diesen Instrumenten?
  • Welche Bahn soll damit erreicht werden?

Das vorliegende Thesenpapier soll Anregungen liefern, die bei der Vor- und Nachbereitung hilfreich sein können. Für eine vertiefte Auseinandersetzung wird es vor Ort einen Reader geben (ca. 80 Seiten), in dem weitere Texte und Literaturhinweise zum Thema gegeben werden.

Die DB AG ist nur privat, wenn es ums Geldausgeben geht – nicht bei den Einnahmen

Fürs laufende Geschäft bekam die DB AG direkt und indirekt jedes Jahr über sechs Prozent des Bundeshaushalts, in 20 Jahren stolze 375 Milliarden Euro, vom Staat. Und schon zuvor, 1994 wurde die junge DB AG für den Börsengang reichlich bestückt: geschätzt 100 bis 200 Milliarden Euro hat der Bund der DB AG allein an Grundstücken übertragen – zum Buchwert von Null Euro. Die innerstädtische Filetstücke und ganze Firmen wurden danach weit unter Wert an Dritte weitergereicht. Zudem wurden unnütze Großprojekte brachial durchgesetzt und die Kosten der öffentlichen Hand aufgehalst. Vor der Bahnreform hatte der Staat Altschulden aus über 40 Jahren Bundesbahn übernommen. Die DB AG häufte einen neuen Schuldenberg von heute 17 Milliarden Euro an. Über 10 Milliarden Euro an Zinsen bekamen Banken, die mit Bundesanleihen nicht einmal die Hälfte davon verdient hätten.

Ohne öffentliche Kontrolle war es auch möglich, dass die DB AG Politiker ebenso kaufen konnte wie Gewerkschafter und sogar deutsche Verkehrswissenschaftler. Als einer der größten Anzeigenkunden in Deutschland beeinflusste die DB AG auch die Berichterstattung und wenn das nicht ausreichte, fingierte sie Leserbriefe und ließ scheinbar neutrale Studien in ihrem Sinne erstellen – zuletzt zur Bahnreform selbst.

Statt den Schienenverkehr in Deutschland zu stärken wurde das Steuergeld dazu verwendet, aus der Bahn einen international tätigen Logistikkonzern zu formen, der Flugzeuge fliegen und Schiffe und Lkws fahren lässt. Weit über hunderttausend Stellen im Bahnbereich wurden abgebaut, Investitionen massiv zurückgefahren. In der Folge verrotten Brücken, Schienen und Tunnel, brechen ICE-Achsen, die S-Bahn Berlin fährt bereits im fünften „Chaos-Jahr“. Nur die Fahrpreise steigen jährlich. Das alles war möglich, weil sich die Akteure hinter dem Aktienrecht und im komplexen Geflecht der zahlreichen Tochterfirmen verstecken konnten.

Warum wir mitbestimmen wollen

Kontrolle und Mitbestimmung sind keine Werte. Sind wir Kontroll-Freaks, wollen wir alles steuern? Und selbst wenn – wer kann das eigentlich überhaupt leisten, alles zu kontrollieren und zu steuern, überall mitzubestimmen?
Wenn eine Einrichtung gut funktioniert, müssen nicht alle mitreden. Die Bahn funktioniert aber schlecht, und noch schlimmer: Durch die schlechte Bahn wird die Verkehrswende verspielt. Die CO2-Emissionen des wachsenden Verkehrs machen in Europa alle CO2-Einsparungen von Haushalten und Industrie zunichte. Weltweit gehört der stark anwachsende Verkehr in seiner aktuellen Ausformung zu den größten Klimakillern überhaupt. In Deutschland sterben trotz angeblich höchster technischer Standards jedes Jahr immer noch weitaus mehr Menschen durch Autounfälle als bei den Anschlägen auf das World Trade Center ums Leben kamen. Und Feinstaub, der maßgeblich durch Auto- und Lkws verursacht wird, lässt in Deutschland sogar 70.000 Menschen früher sterben – pro Jahr.

Es geht um unsere Daseinsvorsorge

Können wir es dann nicht einfach bleiben lassen? Müssen wir so viel herumfahren und uns und unsere Kinder gefährden und unsere Umwelt zerstören? Können wir nicht zu Hause bleiben?
Sicher kann man auf die eine oder andere Flugreise verzichten, und auch auf das Fliegen insgesamt. Aber zur Arbeit müssen wir weiterhin kommen können, wir müssen einkaufen, wollen am kulturellen Leben teilhaben und benötigen Erholung von Arbeit und Einkaufen – also Urlaub.
Für alles müssen wir Wege zurücklegen. Die Anzahl dieser Wege pro Jahr ist zwar seit sechzig Jahren etwa gleich geblieben. Die zugehörige Wegstrecke allerdings hat sich verzwölffacht[1]. Wir leben in modernen Massengesellschaften, die hochgradig arbeitsteilig sind. Dem können wir uns nicht auf die Schnelle und in großer Zahl entziehen. Um unser Leben in diesen modernen Gesellschaften in Würde führen zu können, müssen wir fahren – am liebsten mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn, aber von Zeit zu Zeit auch mit dem Zug. Bahnverkehr gehört somit zu den für uns unverzichtbaren Dienstleistungen der Daseinsvorsorge.

Kann der Markt nicht die Daseinsvorsorge bereitstellen?

Angefangen von Adam Smith über Friedrich Hayek bis Milton Friedman erkennen alle Neoliberalen an, dass es Bereiche öffentlicher Aufgaben und öffentlicher Daseinsvorsorge gibt, die der Markt niemals erfassen und regeln wird, die aber gleichwohl für das Funktionieren von Handel und Gesellschaft unabdingbar sind. Bei Hayek liest sich das so:

„Sie [die wünschenswerten Dienstleistungen, die von wettbewerblichen Unternehmen nicht bereit gestellt werden] schließen auch diejenigen Betätigungen ein, die Adam Smith beschrieben hat als >>öffentlichen Anstalten und Unternehmungen […] die, so vorteilhaft sie für ein ganzes Volk sein mögen, doch niemals einem einzelnen oder einer kleinen Zahl von Personen die Kosten ersetzen.<<„[2]

Die Bahn „rechnet sich“ nicht, so wie sich kein Bahnsystem der Welt „rechnet“. Die erforderlichen enormen Infrastruktur-investitionen können nur von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe, und sie entfaltet ihren Nutzen auch vorwiegend im Gemeinwohl – also öffentlich. Deswegen muss Daseinsvorsorge auch von der Allgemeinheit gestaltet werden. Bezogen auf die Bahn heißt das: Die Bevölkerung braucht die Bahn (die Auto-, Luftfahrt- und Mineralölkonzerne könnten darauf auch verzichten). Und die Bevölkerung bezahlt die Bahn auch. Nun brauchen und bezahlen wir die Bahn – aber wir bekommen die benötigten und bezahlten Leistungen nicht oder zumindest nur in sehr unbefriedigendem Maße. Deswegen ist es erforderlich – und eigentlich auch selbstverständlich – dass wir die Steuerung der Bahn endlich selbst übernehmen.

Wo wir mitbestimmen wollen

Mitbestimmung erschöpft sich nicht in dem Kreuzchen, das wir alle vier Jahre machen dürfen. Mitbestimmung ist genauer, sie ist unmittelbarer. Zur Mitbestimmung gehört auch der Prozess der Auseinandersetzung mit Gruppen, die ähnliche, aber nicht identische Interessen haben. Nachfolgend haben wir einen ersten Versuch unternommen, Bereiche aufzuführen, die der Mitbestimmung bedürfen, teilweise in Listenform, teilweise ergänzt um eine ausführlichere Motivation.

Mitbestimmen auf Bundesebene

  • Bei großen Infrastrukturentscheidungen
  • Bei der Besetzung der Bahnführung
  • Beim Preis- und Tarifsystem
  • Beim Taktsystem (welche Städte werden wie vom Fernverkehr angefahren)
  • Beim Erhalt und Ausbau der Infrastruktur
  • Bei der Bestellung von Zügen
  • Bei der Ausstattung mit Personal
  • Hinsichtlich der Garantie von Tariflöhnen
  • Bei der strategischen Ausrichtung der Bahn
  • Bei der Verfassung der bahn (Rechtsform, Satzung, Ziele)

Mitbestimmen auf regionaler Ebene

Wie sieht unser Bahnhof aus? Was kann man dort bekommen, wie sicher fühlen wir uns dort, ist es dort warm im Winter und kühl und schattig im Sommer?
Kommen wir barrierefrei zum Zug, ist der Bahnhof gut zu erreichen und mit Bus und Straßenbahn gut angebunden? Können wir unsere Fahrräder am Bahnhof sicher abstellen? Wann fahren welche Züge?
Wie sind unsere Verkehre vertaktet?
Wer einen Bahnhof betritt, verlässt gleichzeitig das sonst in Deutschland übliche Preisniveau. Das zeitliche Monopol der Bahn besteht darin, dass sich die Reisenden für eine Stunde oder länger nirgendwo sonst mit Getränken oder sonstigem Reisebedarf versorgen kann. Die DB AG hat das zu einer eigenen Einnahmequelle ausgebaut: Wer vergisst, sich mit Wasser oder Proviant zu versorgen, wird Opfer preislicher Wegelagerei. Daher ist also auch zu fragen: Wer bestimmt das Preisniveau, wer macht unsere Bahnhöfe zu „Einkaufsbahnhöfen“ – oder eben nicht?

Mitbestimmen über den Service in den Zügen

Bahn fahren bedeuten, sich auszuliefern. Man steuert nicht mehr selbst, jemand, den man zumeist nicht zu Gesicht bekommt, steuert stattdessen. Man begibt sich in einen Zug, die Türen schließen sich hinter einem, den Zeitpunkt, wann sie sich wieder öffnen, kann man nicht bestimmen. Man begibt sich in enge Gemeinschaft mit unbekannten Menschen, wird Schulter an Schulter neben ihnen sitzen, Gerüche und Gespräche mitbekommen, wird eine Toilette mit ihnen teilen. Manches davon ist für eine Bahnfahrt unvermeidbar. Auch im Flugzeug kann man nicht einfach unterwegs aussteigen, niemand wird sich deswegen beschweren. Aber es ist eine urmenschliche Erfahrung, dass die Möglichkeit der Einflussnahme die Bereitschaft ungemein erhöht, auch als widrig empfundene Umstände willig zu ertragen. Eine Studie über geöffnete bzw. geschlossene Fenster in Büroräumen hat gezeigt: Viele wollen die Fenster oft öffnen, und viele andere wollen sie wann immer möglich geschlossen halten. Im Grunde sind diese Interessen unvereinbar. Dennoch wird stets eine Lösung ausgehandelt. Diese Lösung führt dann zu einer durchschnittlich hohen Zufriedenheit in beiden Gruppen, wenn alle an den Absprachen beteiligt wurden und danach die Absprachen auch eingehalten werden. Die Zufriedenheit in beiden Gruppen sinkt hingegen drastisch, wenn eine sogenannte Klimafassade die Lüftung automatisch übernimmt – auch wenn das Lüftungsergebnis nach objektiven Kriterien dabei besser ist.

Bahnreisenden ist klar, dass sie nicht alleine fahren werden, wenn sie einen Zug besteigen. Aber sie wollen innerhalb der unvermeidlichen Zwänge Auswahlmöglichkeiten haben, welchen Zwängen sie sich eher aussetzen als anderen. Manche Zwänge lassen sich auch mildern. Mit Unbekannten eine Toilette teilen zu müssen wird eher akzeptiert, wenn es ausreichend viele Toiletten gibt und wenn diese oft gereinigt werden. Dass das so wird, darauf wollen wir Einfluss nehmen.

Zu den Zwängen, die gemildert werden können, gehört, dass es derzeit gleichgültig ist, ob man es lieber leise hat, oder ob man sich lieber unterhält oder telefoniert – im Zug ist es überall laut. Kinder wollen sich bewegen, und Kinder rufen laut, weinen laut und lachen laut. Bewegen ist in Zügen im Gegensatz zum Auto gut möglich. Laut sein ist auch möglich, beides stört aber womöglich andere. Die Bereitschaft der Reisenden, Störungen willig zu ertragen, wächst enorm, wenn sie die Wahl haben – stören mich Kinder mehr als Telefonate? Diese Wahl gibt es bisher nur theoretisch. Praktisch habe ich jedoch die Wahl, den Zug fahren zu lassen und das Auto zu nehmen. Und genau das tut der ganz überwiegende Teil der Reisenden – zu Lasten der Umwelt und der Steuerkasse. Und deswegen wollen wir auch über den Service in den Zügen mitbestimmen, wollen über die Anzahl der Ruheabteile sprechen und was sonst alles noch möglich und wünschenswert ist, um vielen Menschen – auch mit unterschiedlichen Reisebedürfnissen – das Zugfahren angenehm zu machen.

Die Beschäftigten wollen mitbestimmen

In Frankreich und Italien gibt es eine Reihe von Basisgewerkschaften, die den Versuch unternehmen, Kundeninteressen mit den Interessen der Beschäftigten zu verbinden, z.B. die französische SUD Rail. Es soll hier nicht tiefergehend bewertet werden, ob und inwieweit dieser Basisgewerkschaftsansatz erfolgreich sein kann.

Im Falle der Bahn in Deutschland ist der Ansatz jedoch insofern interessant, als hier in den vergangenen zwanzig Jahren die widerstreitenden Interessen von Kunden und Beschäftigten besonders stark gegeneinander ausgespielt wurden – mit dem Ergebnis, dass beide Gruppen nahezu vollständig unmündig gehalten werden konnten. Dabei gibt es gemeinsame Interessen von enormer Größenordnung. Pressewirksam bekannt wurde das spätestens, als der Hauptbahnhof Mainz für Wochen vom Fernverkehr abgekoppelt wurde. Hintergrund war der gigantische Personalabbau seit der Bahnreform 1994. Über zweihunderttausend Arbeitsplätze waren vernichtet worden. Der DB AG war es gestattet worden, sich in über fünfhundert Tochtergesellschaften aufzuspalten. Viele der verbliebenen Angestellten arbeiten schon lange bei der Bahn, müssen aber formal alle paar Jahre von einer dieser vielen Bahntöchter zur nächsten wechseln, und auf diesem Weg hatten sie noch nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Auch die Datenschutz-Affäre der DB AG richtete sich maßgeblich gegen die eigenen Mitarbeiter. Kurzum: Die DB AG ist für viele ein grauenvoller Arbeitgeber. Das zu verändern, ist deswegen das Anliegen vieler Beschäftigter der Bahn.

Einrichtungen, die machtlos sind bzw. Feigenblätter darstellen

Typisch für Einrichtungen, in denen eine Mitbestimmung nicht möglich ist, sind eigens geschaffene Gremien, die eine Mitbestimmung oder Mitsprache vortäuschen. Dazu gehören im Falle der DB AG:

  • Kundenbeirat, „BahnBeirat“
  • Datenschutzbeirat, Wettbewerbsbericht
  • Beschwerdemanagement, Telefonrückrufe durch den Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube

 

Transparenz: Worüber wir werden informiert wollen

Transparenz ist ein Schlüssel zur Mitbestimmung. Derzeit ist allerdings alles geheim: Die Eigentümerversammlung der DB AG, die Aufsichtsratssitzungen, die Vorstandssitzungen. Alle Aufsichtsrats,- Vorstands- und Gesellschaftersitzungen der über fünfhundert Tochtergesellschaften. Selbst der Verkehrsausschuss des Bundestags tagt oft nichtöffentlich. Keines der zugehörigen Protokolle ist öffentlich, und wenn eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gestellt wird, so lässt diese in ihrer Antwort all das unbeantwortet, was sich auf eine dieser vielen Gremiensitzungen bezieht – und dabei beruft sie sich aufs Aktienrecht. Was wir nicht kennen, können wir nicht beeinflussen. Dabei geht es hier ja zunächst um das Wissen um bereits gefällte Entscheidungen. Aber auch von diesen erfahren wir nur insoweit, wie es den Entscheidern selbst beliebt, uns mitzuteilen. Wir kennen auch keine der vielen Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge[3]. Die DB AG ist denkbar intransparent. Es ist kaum nachzuvollziehen, was sie macht, wie sie strukturiert ist, wohin welche Gelder fließen. Die Intransparenz steht in direktem Widerspruch zu dem Daseinsvorsorgeauftrag. Einige weitere bekannte Belege für die nahezu beispiellose Intransparenz der DB AG:

  • Negativpreis „verschlossene Auster“ (Journalistenpreis)
  • Undurchschaubarer Infrastrukturzustandsbericht
  • Undurchschaubarer LUFV-Leistungsbericht
  • Undurchschaubares Firmenkonglomerat, gebildet aus über 500 Einzelunternehmen
  • Platzierung von verdecken Beiträge in verschiedenen Medien für 1,3 Mio. Euro, (Aufdeckung durch lobbycontrol 2009)
  • zahlreiche Wechsel von Politikern zur DB, ohne dass klar ist, welche vorweg erbrachte Gegenleistungen es gegeben hatte

Es ist darüber hinaus interessant, das ausgerechnet die derart intransparente DB AG gleichzeitig eine der aggressivsten Akteure in der Verletzung der Datenschutzrechte anderer ist. Wissen ist Macht, und das wiederum weiß offenbar auch die DB AG. Wer viel über andere weiß und selbst nichts preisgeben muss, der kann sich dadurch Vorteile verschaffen. Eine weitere Liste:

  • Negativpreis für Verletzung des Datenstutzes „Big Brother Award“ (zweimal)
  • versteckter Chip in der BahnCard 100
  • Massenhafte Überwachung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, später ausgeweitet zum „Datensammel-Skandal 2009“, der unter anderem zum vorzeitigen Rücktritt von Hartmut Mehdorn führte
  • In der Folge die höchste Strafzahlung für die Verletzung des Datenschutzes seit Bestehen des zugehörigen Datenschutzgesetzes: 1,1 Millionen Euro

Es geht bei der Transparenz um zwei Dinge: Zum einen wollen wir jetzt, bezogen auf die aktuell existierende DB AG mit all ihren Konstrukten, die sie steuern und die von ihr gesteuert werden, wissen, wer wann was wie entscheidet. Wir wollen das wissen, um die skandalösen Ergebnisse dieser Entscheidungen auf die zurückzuführen, die die Entscheidungen getroffen haben. Nur so können wir einen politischen Druck erzeugen, der ausreicht, zunächst die Akteure zu ersetzen und dann auch die Strukturen zu verändern. Dauerhaft ist es nicht unser Ziel, die Protokolle von wahrhaftig tausenden Sitzungen pro Jahr zu lesen und auszuwerten. Aber um zu zeigen, dass genau dort im hier und jetzt, Monat für Monat wieder, die Weichen falsch gestellt werden, wollen wir das wer-was-wann offengelegt bekommen.

In einem zweiten, mehr visionären Schritt geht es dann darum, eine in der Zukunft erreichte bessere Bahn auch dauerhaft zu behalten. Auch dazu benötigen wir Kontrolle, und Kontrolle erfordert Transparenz. Es ist von daher unsere Aufgabe, von vornherein Strukturen zu finden, in denen es leicht ist, Transparenz zu erzeugen.

Wer entscheidet wann was wie

  • in der Eigentümerversammlung der DB AG,
  • in den Aufsichtsratssitzungen der DB AG und der DB ML AG,
  • in den Vorstandssitzungen der DB AG und der DB ML AG
  • in allen Aufsichtsrats,- Vorstands- und Gesellschaftersitzungen der über fünfhundert Tochtergesellschaften der DB AG
  • im Verkehrsausschuss des Bundestags, wenn dort über die Bahn gesprochen wird

Was steht in …

  • den Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen
  • den Grundbüchern der DB AG
  • der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
  • in den Infrasturkturzustandsberichten

Was passiert mit welchen Geldern

  • 3,8 Milliarden Euro jährlich für den Ausbau der Infrastruktur
  • 4,2 Milliarden Euro jährlich an Regionalisierungsmitteln an die DB Regio AG
  • 5,5 Milliarden Euro jährlich für das „Bundeseisenbahnvermögen (BEV)“

Über die Entwicklung der Fahrpreise

Wir wollen auch wissen, wie sich die Preise entwickelt haben. Die Statistiken der Deutschen Bahn über die jährlichen Preiserhöhungen sind sehr unvollständig. Angegeben wird ein Durchschnittswert, der nicht im Detail nachvollziehbar ist. Besondere Leistungen wie Reservierungen oder etwa die BahnCard werden gar nicht aufgeführt. Das Bündnis „Bahn für Alle“, Kundenverbände sowie Verbraucher-schützer bemühen sich, die Preisentwicklung nachzuverfolgen, können aber nicht alles erfassen. Wir wollen das wissen, weil wir Preise besser akzeptieren können, wenn wir sie verstehen. Und weil wir solche Preise, die nicht nachvollziehbar sind, verändern wollen.

Wie entwickeln sich Zugverbindungen

Aus einem sehr ähnlichen Grund wollen wir wissen, wie sich die Verbindungen verändern. Es ist eine langjährige Praxis der DB AG, Wartung und Instandhaltung von Strecken, Brücken und Tunneln zu verzögern. In der Folge werden Langsamfahrstellen erforderlich, die dann beim nächsten Fahrplanwechsel zum Dauerzustand, d.h. zur dauerhaften Geschwindigkeitsreduktion erhoben werden. Viele Jahrzehnte gab es das Kursbuch der Bahn als Dokumentation von Abfahrtszeiten und Zugverbindungen. Das gedruckte Kursbuch wurde ersetzt durch das elektronische Kursbuch. Mitlerweile gibt es nicht einmal mehr das. Die DB AG löscht hinter sich ihre Spuren. Warum? Wenn die Bahn immer schneller wird, muss das nicht versteckt werden. Wenn die Bahn immer langsamer wird, muss das verändert werden. Dazu benötigt es Öffentlichkeit, weil nur damit der erforderliche öffentliche Druck erzeugt werden kann.

Wann ist welcher Service verfügbar

Uns interessieren auch die Gründe für jede Einschränkung des Services wie falsche Wagenreihung, verlorengegangene Platz-reservierung oder geschlossenes Zugrestaurant. Wenn ein Aufzug, ein Fahrkartenautomat, eine Rolltreppe defekt ist, wollen wir wissen: Wann wird der Schaden behoben? Wie oft und wie lange war diese Einrichtung in den letzten Jahren defekt? Und auch für den Fall der Fälle: wer ist konkret dafür zuständig? Die BVG in Berlin gibt dazu vierteljährlich Verfüg-barkeitsquoten an.

Über den Grund jeder Verspätung

Eine Verspätung ist ein Zwang, dem man nur dann entkommen kann, wenn man künftig nicht mehr Zug fährt. Man wird sich erneut dem Risiko des Zwangs aussetzen, wenn man von der Unvermeidlichkeit überzeugt ist. Oder wenn man sich angemessen für den Verlust an Lebenszeit und sonstiger Unannehmlichkeit entschädigt fühlt. Um zu beurteilen, ob etwas angemessen ist, muss man gewisse Informationen bekommen. Unter „Störungen im Betriebsablauf“ können sich die Wenigsten etwas vorstellen.

Wir wollen nicht nur im Einzelfall über den Grund unserer aktuellen Verspätung informiert werden. Wir wollen auch wissen, wie oft welche Verspätung auftritt, wie viele Minuten der Zug zu spät kam, und ob sich diese Verspätungen häufen oder ob sie abnehmen. Eine der ersten Maßnahmen von „Bahnchef“ Hartmut Mehdorn war es, die Verspätungsstatistiken auf den Bahnhöfen wieder abzuschaffen, die Johannes Ludewig eingeführt hatte. Warum wollen wir so viel wissen über die Verspätungen? Weil wir die Ursachen verstehen wollen, und weil wir uns daran beteiligen wollen, diese Ursachen abzustellen.

Weitere Kapitel im Reader :

  • Verkauf unter Wert, Bezahlung über Preis, Zerstörung zugunsten Dritter
  • Wir benötigen eine Bahncharta
  • Das „Bahn-der-Zukunft“-Projekt von Bahn für Alle
  • Wer bestimmt derzeit über die Bahn
  • Was genau ist demokratische Kontrolle
  • Volks- und Bürgerentscheide zur Bahn
  • Rückgewinnung von Bahnsystemen nach Privatisierungen international
  • Das Beispiel Berliner Wasser
  • Dokumentation weiterer Fachdiskussionen


[1] Winfried Wolf: Verkehr, Umwelt, Klima. promedia, 2007

[2] Hayek 1991

[3]   Monika Lege, verkehrspolitische Referentin bei von Robin Wood, wies darauf hin, dass „Beherrschungsvertrag“ ein sehr bezeichnendes Wort ist: Zum einen ist „Beherrschung“ ein sehr deutliches sprachliches Bild, wie es in unserer geglätteten Sprache nur noch selten so ehrlich zu finden ist. Zum anderen aber wird der Widerspruch offenbar, der in dem Konstrukt steckt. Verträgen geht gemeinhin eine Verhandlung voraus, und am Ende willigen beide ein. Wer aber willigt darin ein, dauerhaft beherrscht zu werden?

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