Krankenhausreform in Dänemark: Die unendliche Geschichte der Superkrankenhäuser

von Jorinde Schulz

Immer wieder wird Dänemark mit seiner geringen Krankenhausdichte als Vorzeigebeispiel für eine effiziente Gesundheitsversorgung herangezogen. Ein näherer Blick zeigt, dass die Krankenhauskonzentration die Gesundheitsversorgung spürbar verschlechtert und kolossale Mehrkosten verursacht hat. Denn während unzählige Krankenhäuser geschlossen wurden, verschleppt sich der Neubau versprochener Zentralkrankenhäuser.

Die dänische Krankenhausreform begann im Jahr 2007. Damals schlug die regierende Koalition aus Liberalen (Venstre) und Konservativen (Det Konservative Folkeparti) eine radikale Reduktion der bestehenden Krankenhäuser vor. Fortan, so der Plan, sollte jedes Krankenhaus ein Gebiet mit mindestens 200.000 EinwohnerInnen abdecken. Die Strukturreform sollte zu weniger, dafür spezialisierteren Krankenhäusern führen. Teil des Konzepts waren neue, maximalversorgende „Superkrankenhäuser“. In Zahlen sah das folgendermaßen aus: Die Anzahl der Krankenhäuser mit 24-Stunden-Notfallversorung sollte von 40 im Jahr 2007 auf 21 im Jahr 2020 reduziert werden.1

Die anschließende Debatte um die Schließungen war lang und heftig. 2011 stand schließlich die Platzierung der neuen Superkrankenhäuser fest. Im Zusammenhang mit der Reform wurden an folgenden Orten Krankenhäuser geschlossen: Kalundborg, Ringsted, Nakskov, Haderslev, Fredericia, Grenaa, Skanderborg, Brovst, Helsingør. Die Krankenhäuser in der Metropolregion in Frederikssund, Hillerød und Helsingør sollten in einem Superkrankenhaus zentralisiert werden. Insbesondere das Krankenhauspersonal und lokale Initiativen stellten sich gegen die Reformpläne.

Die geplanten Superkrankenhäuser waren entweder Neubauprojekte mit Kosten im dreistelligen Millionenbereich oder wurden als Ausbauten existierender Krankenhäuser geplant. Die veranschlagten Kosten dafür lagen in alleine in der Metropolregion Kopenhagen zwischen 16-17 Milliarden Kronen, umgerechnet zwischen 2,2 und 2,3 Milliarden Euro.2

Was ist der Stand 15 Jahre später? Von den sechs Superkrankenhäusern, die bis 2021 neu gebaut werden sollten, ist nur eines fertiggestellt worden, das in Gødstrup.3 Es kostete 100 Millionen Kronen, umgerechnet 13,4 Millionen Euro, mehr als ursprünglich veranschlagt. Alle anderen Großbauprojekte (in Ålborg, Århus und Odense, Nordseeland und Køge) leiden unter massiven Verspätungen, bestenfalls haben einzelne Abteilungen eröffnet (siehe auch Liste unten). In allen Fällen gibt es aufgrund steigender Baukosten und erheblichen Pannen der Megaprojekte beträchtliche Mehrkosten für die öffentliche Hand, teilweise in Milliardenhöhe.4 Dadurch entstehen Sparzwänge beim Krankenhausbetrieb sowie eine Erhöhung der Arbeitsbelastung des Personals.5

Der Kahlschlag der Krankenhäuser hat die Gesundheitsversorgung in Dänemark in der Fläche verschlechtert. So gingen die Sozialdemokraten im Jahr 2021 mit der Forderungen nach neuen „Nahkrankenhäusern“ in den Wahlkampf.6 Diese sollten die mangelnde Gesundheitsversorgung in der Fläche ausgleichen. Das Ziel: kürzere Transportzeiten und regionale Anbindung. Außerdem, so der Vorschlag, sollen 5-10 neue Bereitschaftsdienste für AkutpatientInnen eingerichtet werden, und der ÄrtzInnenmangel in unterversorgten Regionen bekämpft werden. Kritik an dem Vorschlag der Nahkrankenhäuser gab es aus allen politischen Lagern. Bemängelt wurde die fehlende Finanzierung.7 Außerdem beanstandete die linke Partei Enhedslisten, dass die angeblichen Nahkrankenhäuser vielmehr sogenannten „Gesundheitshäusern“ ohne 24-stündige Notfallversorgung ähneln würden.8 Aktuell werden diese Reformen noch verhandelt.

Klar wurde durch die Debatte allerdings, dass der Mangel in der Gesundheitsversorgung, der ja gerade durch den radikalen Kahlschlag der Krankenhauslandschaft herbeigeführt wurde, bereits wenige Jahre später deutlich spürbar wurde. Die in den 2000ern durch die liberal-konservative Koalition eingeführte (Teil-)Finanzierung von Krankenhäusern über die Fallpauschalen (englisch DRG, Diagnosis Related Groups) und die damit einhergehende Forderung nach Produktivitätssteigerungen, gefördert unter Anderem durch einen „Aktivitätsfond“, steht aufgrund ihrer Fehlanreize auf dem Prüfstand. So ersetzte die Region Kopenhagen 2019 die DRG-Finanzierung durch eine ökonomische Rahmensteuerung der Krankenhäuser, einhergehend mit einem neuen Leitbild der Qualitäts- und PatientInnenorientierung.9

Hintergrund der Krankenhauszentralisierungen war die Kommunalreform (auch bekannt als „Strukturreform“) 2005, die ebenfalls von der VK-Regierung unter Lars Loekke Rasmussen durchgeführt wurde. Die KritikerInnen befürchteten schon damals negative Folgen des angestrebten Zentralisierungsprozesses.10 Die Befürchtungen haben sich offenbar bestätigt: In den letzten Jahren versuchen sich die dänischen Regierungen immer wieder mit „Regionalisierungen“, um das angebliche Übergewicht der Hauptstadt und die Infrastrukturprobleme der ländlichen Regionen auszugleichen. Beispielsweise sollen Universitäten einzelne Abteilungen außerhalb der Metropolregion ansiedeln, Verwaltungen werden ebenfalls dazu angehalten.

Stand der Superkrankenhäuser (Stand 14. Oktober 2022)

    1. Sjællands Universitetshospital, Køge (Umbau): nicht fertiggestellt.
    2. Det Nye Odense Universitetshospital (Neubau): sollte 2022 eröffnen, nicht fertiggestellt. Ursprüngliches Budget 6,3 Mia. Kronen, Budgetüberschreitung von 1 Mia..
    3. Det Nye Universitetshospital i Århus, Teileinweihung 27.02.2017, Budgetüberschreitung von 1. Mia. Kronen.
    4. Nybyggeriet Aalborg Universitetshospital, geplante Fertigstellung 2020, früheste Fertigstellung 2024, Budgetüberschreitung 572 Mio. Kronen.
    5. Regionshospitalet Gødstrup, eröffnet am 13.02.2022, Budgetüberschreitung von mehreren Hundert Mio. Kronen.
    6. Nordsjælland, Hillerød: nicht fertiggestellt, eröffnet frühestens 2024.

 

2Ebd.

Erster Schmähpreis für Klinikschließer, die „Goldene Abrissbirne“, geht an Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha

Zum Weltgesundheitstag bilanziert das Bündnis Klinikrettung den Krankenhauskahlschlag in Baden-Württemberg

Berlin, den 6. April 2022: Am Vortag zum Weltgesundheitstag hat das Bündnis Klinikrettung heute auf seiner Pressekonferenz Bilanz über die Krankenhausschließungen in Baden-Württemberg gezogen. Aktive aus Bürgerinitiativen und Beschäftigte beschrieben die zerstörerischen Konsequenzen der Schließungen für die regionale Gesundheitsversorgung.

Baden-Württemberg ist bundesweiter Spitzenreiter bei Krankenhausschließungen. Acht Baden-Württemberger Krankenhäuser schlossen in den Pandemiejahren 2020 und 2021, weitere mindestens 17 Schließungen drohen aktuell. Bereits jetzt hat Baden-Württemberg mit 508 Betten pro 100.000 die geringste Bettendichte in Deutschland. Dennoch gehen die Klinikschließungen dort weiter, flankiert von fragwürdigen Mega-Bauprojekten für Zentralkliniken.

Befeuert wird der radikale Abbau wohnortnaher Gesundheitsversorgung ausgerechnet von Gesundheitsminister Manfred Lucha. Der Grünen-Politiker wurde daher im Rahmen der Pressekonferenz zum ersten Preisträger der „Goldenen Abrissbirne“ gekürt. Mit diesem Schmähpreis des Bündnis Klinikrettung werden besonders renitente Krankenhausschließer ausgezeichnet. Am morgigen Weltgesundheitstag werden Aktive aus Baden-Württemberg die Trophäe, eine Karikatur der Illustratorin Katharina Greve, persönlich ins Landesgesundheitsministerium in Stuttgart tragen.

Dr. Rainer Neef, Bündnis Klinikrettung:

Die Krankenhauskonzentrationspolitik des Landes geht auf Kosten der wohnortnahen Gesundheitsversorgung. Während gigantische fast 3,5 Milliarden Euro für Zentralkliniken eingeplant sind, wird kleineren Krankenhäusern die notwendige Finanzierung versagt. Neben der Versorgung fallen dadurch medizinische Ausbildungsstätten, Arbeitsplätze und funktionierende Infrastrukturen weg.

Joachim Flämig, Bürgerinitiative Rettet unser Krankenhaus Rosmann-Breisach:

Die Schließungen der Gynäkologie und Allgemeinchirurgie im Krankenhaus Breisach wurden ausschließlich betriebswirtschaftlich begründet. Ein kritischer Blick auf die Bilanzen zeigt jedoch, dass das Krankenhaus wirtschaftlich gar nicht so schlecht da steht. Die Schließungen waren also nicht zwingend, sondern politisch gewollt. Die regionale Bedarfslage der Menschen interessiert die Verantwortlichen offensichtlich nicht.

Jannik Widon, Krankenhausbündnis Bodensee-Oberschwaben und Gewerkschaft ver.di:

Es ist ein Mythos, dass Zentralisierungen dem Personalmangel im Krankenhausbereich abhelfen. Im Gegenteil: Schließt ein regionales Krankenhaus zugunsten einer versprochenen Zentralklinik, verlieren wir viele Beschäftigte, die dem Standort verbunden sind und lange Wege nicht auf sich nehmen wollen. Krankenhausschließungen und Zentralisierung schaffen Unsicherheit und Frustration beim Personal. Die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessern sie nicht. Als Gewerkschaft stellen wir uns deswegen gegen den Kahlschlag.

Auszüge aus der Laudatio der „Goldenen Abrissbirne“ von Laura Valentukeviciute und Dr. med. Bernd Hontschik, Bündnis Klinikrettung:

Manfred Lucha ist seit 2016 Gesundheitsminister in Baden-Württemberg und hat in dieser Zeit schon Beachtliches geleistet. Auf sein Konto gehen seit seinem Amtsantritt 2016 bis 2021 sage und schreibe 26 Krankenhausschließungen. Zum Vergleich: Zwischen 1990 und 2016 wurden in Baden-Württemberg pro Jahr durchschnittlich zwei (genau 1,96) Krankenhäuser geschlossen, seit seinem Amtsantritt hat Lucha das Tempo mehr als verdoppelt: Im Zeitraum 2016 bis 2020 schlossen im Durchschnitt mehr als 4 (4,3) Kliniken jährlich. Und der Minister lässt den Schließungsprozess nicht nur zu, sondern treibt ihn wie kein anderer Gesundheitsminister voran. So hat er jegliche Kritik […] abgeschmettert und sich richtig kämpferisch gezeigt mit den Worten: „Ich warne davor, nur eine Sekunde zu zögern. […]
Den Menschen in Baden-Württemberg wünschen wir derweil vor allem gute Gesundheit, nicht schwanger zu werden, am besten arbeitslose Angehörige, die im Krankheitsfall pflegen können. Und im Ernst der Stunde: Gottes Segen – in ein Krankenhaus schaffen sie es unter diesem Gesundheitsminister vielleicht nicht mehr rechtzeitig.

Pressekontakt
Laura Valentukeviciute, Tel. 0176-233 203 73, info@gemeingut.org
www.gemeingut.org

Materialien

Schließungsbilanz des Bündnis Klinikrettung mit einer Liste geschlossener und bedrohter Krankenhausstandorte: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/04/01_Krankenhausschliessungen-in-Baden-Wuerttemberg_Bilanz-Buendnis-Klinikrettung_mit-Schliessungskarten_06.04.22.pdf

Laudatio für Gesundheitsminister Manfred Lucha: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/04/02_Laudatio-fuer-Manfred-Lucha_Laura-Valentukeviciute-und-Bernd-Hontschik_06.04.22.pdf

Karikatur von Katharina Greve: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/04/Die-Goldene-Abrissbirne_Karikatur_Buendnis-Klinikrettung-scaled.jpg

Pressemappe von der Pressekonferenz mit allen Präsentationen: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2022/04/Krankenhausschliessungen-in-Baden-Wuerttemberg_Pressemappe_06.04.22.pdf

Bundesweite Schließungsbilanz des Bündnis Klinikrettung vom 21.12.21: https://www.gemeingut.org/wordpress/wp-content/uploads/2021/12/01_Buendnis-Klinikrettung_Bilanz-eines-Notstands_Krankenhausschliessungen-2021_Stand-21.12.21.pdf