Der Verkehrt-Minister: Im Hause Scheuer läuft alles schief wie geschmiert

Der Verkehrt-Minister: Im Hause Scheuer läuft alles schief wie geschmiert

Der Verkehrt-Minister: Im Hause Scheuer läuft alles schief wie geschmiert

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Zur vermasselten „Ausländermaut“ kommt mit einem Autobahnprojekt im Südwesten ein neuer Fall aus der Rubrik: Der Steuerzahler ist der Dumme. Statt der zunächst kalkulierten 800 Millionen Euro könnte das Vorhaben am Ende 1,4 Milliarden Euro und mehr verschlingen. Überraschen sollte das keinen mehr. „Kostenexplosionen“ im Straßenbau gehören zum Geschäft und lassen Investorenherzen höher schlagen. Und wenn sich Staat und Private doch einmal verkrachen, wird die Zeche eben per Gerichtsbeschluss fällig. Oder die öffentliche Hand kehrt am Ende die Scherben auf. Beim kommenden Verfahren „A1 Mobil“ gegen die BRD wittern sogar Hedgefonds fette Beute. Lässt das die Entscheider umdenken? Ach woher! Von Ralf Wurzbacher

Die Liste der Vorwürfe gegen Andreas Scheuer (CSU) im Zusammenhang mit der gescheiterten „Ausländermaut“ wird mit jedem Tag länger. Der „Spiegel“ berichtete am Wochenende von zwei „Geheimtreffen“ mit den verhinderten Betreiberfirmen Kapsch TrafficCom und CTS Eventim.
Beim ersten Treffen am 22. November 2018 im Hause des Bundesverkehrsministers soll dieser das Angebot von Eventim-Chef Klaus-Peter Schulenberg ausgeschlagen haben, die Verträge über die Erhebung der Pkw-Maut erst nach dem entscheidenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu unterzeichnen. Scheuer habe dagegen zur Eile gedrängt, um den Mautstart nicht zu gefährden und das Thema aus dem Bundestagswahlkampf 2021 herauszuhalten.

Wie bekannt, hat das Gericht der Klage Österreichs am 18. Juni 2019 stattgegeben und den deutschen Vorstoß als europarechtswidrig verworfen. Schon am Tag darauf fand das nächste klandestine Stelldichein statt. Dabei soll Scheuer Schulenberg gebeten haben, öffentlich zu erklären, dass auch er den frühen Vertragsabschluss Ende 2018 gewollt hätte. Damit habe der Minister offenbar versucht, die alleinige Verantwortung für den überstürzten Deal und die drohenden Schadensersatzzahlungen von sich abzuwenden, folgerte das Hamburger Nachrichtenmagazin.

Das Verkehrsministerium (BMVI) bestätigte die beiden Gespräche. Das erste habe dem „Austausch über den Stand der organisatorischen und technischen Umsetzung der Infrastrukturabgabe“ gedient, das zweite der „Unterrichtung der Betreiber über die erste Bewertung des Urteils des EuGH durch die von Minister Scheuer am Tag davor eingerichteten Task Force“. Ein wahltaktisches Manöver bestreiten die Verantwortlichen. Da die EU-Kommission im Mai 2017 grünes Licht für das Vorhaben gegeben habe, „ergab sich kein Anlass für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Pkw-Maut“, nahm das Ministerium am Freitag Stellung:

„Wäre der Auftrag erst nach einer positiven Entscheidung des EuGH vergeben worden, hätte dies zu einer verspäteten Einführung und zu Einnahmeausfällen geführt.“

Voller Profit, null Leistung

Aha – war alles nur gut gemeint und die Konsequenzen konnte keiner absehen. Nicht nur wird es keine „Einführung“ und keine „Einnahmen“ geben, sondern es zeichnen sich neben den bereits verpulverten über 50 Millionen Euro für Berater und Gutachter weitere massive Verluste in dreistelliger Millionenhöhe ab. Ende September, wenn die Verträge auslaufen, wollen Kapsch und Eventim verkünden, ob und in welcher Höhe sie den Bund verklagen werden. Dass es richtig teuer wird, erscheint ausgemacht. Eine von der Grünen-Fraktion im Bundestag in Auftrag gegebene Expertise der Freiburger Rechtsanwälte Holger Weiß und Alexander Wichmann sowie des Aachener Wirtschaftsprüfers Irg Müller stellt dazu fest: „Die Rechtsfolgen einer Kündigung gehen einseitig zu Lasten der BRD. Nach dem Vertrag übernimmt sie das Risiko eines negativen EuGH-Urteils vollständig.“

Das Gutachten, das den NachDenkSeiten vorliegt, ist das mittlerweile dritte, das den politischen Entscheidern Versagen auf ganzer Linie zur Last legt. Schätzungen zu den möglichen Regressforderungen samt weiterer Folgekosten bewegen sich zwischen 300 bis zu 700 Millionen Euro. Wie Weiß, Wichmann und Müller konstatieren, werde der Betreiber so gestellt, „als ob das EuGH-Urteil gar nicht ergangen wäre und er den planmäßigen Gewinn über die gesamte Vertragslaufzeit erzielen könnte“. Das heißt: Kapsch und Eventim sollten für den Fall, dass das Mautgesetz kippt, mit ebensoviel Geld entschädigt werden, wie sie während des zwölfjährigen Betriebs hätten verdienen können. Maximaler Profit also, bei null Gegenleistung. Dies sei „mit Blick auf die gesetzlichen Leitbilder äußerst ungewöhnlich, ohne besondere gesetzliche Ermächtigung nicht zulässig und sachlich nicht gerechtfertigt“, urteilen die Juristen.

Neben der Frage, ob die Angelegenheit so endet, stellt sich die, wann sie endet. Nach Recherchen der „Berliner Zeitung“ spielt der Minister nämlich auf Zeit. Das Blatt beruft sich auf den als Verschlusssache gestempelten juristischen Schriftverkehr zwischen BMVI, Kraftfahrtbundesamt (KBA) und Konsortium, aus dem hervorgeht, wie Scheuers Anwälte alles daran setzen, eine rasche Klärung noch strittiger Sachverhalte zu verhindern. So sei weiterhin offen, auf Grundlage welcher Kündigungsoption die Verträge überhaupt nichtig werden und ob und in welchem Umfang die Geschäftstätigkeiten bis Monatsende einzustellen sind. Auch wird aus den Dokumenten ersichtlich, mit welchen fadenscheinigen Gründen die Regierung versucht, den Schwarzen Peter dem Konsortium zuzuschieben. Neben dem ordnungspolitischen Auslöser (EuGH-Urteil) wird mit mangelhaften Leistungen und vermeintlichen Vertragsverletzungen, etwa durch angeblich nicht genehmigte Auftragsweitergabe an Subunternehmen argumentiert.

Kostenexplosion bei A61

Es wirke so, als provoziere das Ministerium einen bestimmten Gang der Ereignisse, schrieb die Zeitung. Tatsächlich sieht der Betreibervertrag ein Schiedsgerichtsverfahren für den Fall vor, dass sich die Parteien nicht einigen können. Dieses würde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, nicht einmal Parlamentarier erhielten Einblicke in die Verhandlungen. Selbst deren Ergebnisse unterlägen am Ende der Geheimhaltung. „Statt zu seinen Fehlern zu stehen, will sich Scheuer in ein jahrelanges und teures Schiedsverfahren retten und so sein politisches Überleben sichern“, beklagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler. Das bedeute „eine Dokumentenschlacht von mindestens zwei bis drei Jahren und damit über die Legislaturperiode hinaus.“ Kommt es so, müsse die „nächste Bundesregierung die Zeche für seinen Maut-Murks zahlen.“

Das wäre nicht das erste Mal, dass die „Nachwelt“ für ein komplett verkorkstes verkehrspolitisches Projekt geradestehen muss. Eigentlich ist das inzwischen sogar schlechte Gewohnheit und man könnte meinen: Das Versagen hat System. Wie zum Beleg sorgt dieser Tage ein weiteres Scheuer-Vorhaben für Schlagzeilen. Dabei geht es um den Ausbau der Autobahn A61 an der Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Geplant ist, die Fernstraße auf einer Länge von 31 Kilometern von vier auf sechs Spuren zu erweitern, weil der Abschnitt zwischen Speyer und Frankenthal als besonders stauanfällig gilt. Allerdings wurde der Lärm schleichender Blechlawinen dieser Tage von einem Knall anderer Art übertönt. Nach dem Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung für 2020 werden die Ausgaben für das Projekt um 600 Millionen Euro aus dem Ruder laufen. Waren zunächst 800 Millionen Euro vorgesehen, sind es jetzt plötzlich 1,4 Milliarden Euro.

Über die „Kostenexplosion“ hatte am Montag der Vorwoche zuerst der Berliner „Tagesspiegel“ berichtet. Die Zeitung zitierte aus den Antworten des Bundesverkehrsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, die auch den NachDenkSeiten vorliegt. Demnach wären die alten Zahlen lediglich das Ergebnis einer „überschlägigen Wirtschaftlichkeitseinschätzung“ gewesen. Im Frühjahr 2018 sei aber durch eine „vorläufige Wirtschaftlichkeitsprüfung“ (vWU) eine neue Rechnung entstanden, bei der es auch um die Vergabe an ein privates Konsortium gegangen sei. Tatsächlich will die Bundesregierung den Ausbau im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) umsetzen. Dabei überlässt der Bund Planung, Bau, Erhalt und Betrieb privaten Investoren, die dafür über einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren mit den Einnahmen aus der Lkw-Maut vergütet werden.

Böse Falle ÖPP

Bei solchen Deals werden die Planzahlen auf lange Sicht regelmäßig über den Haufen geworfen. Der Bundesrechnungshof war schon im Sommer 2014 in einem Gutachten für den Haushaltsausschuss zu dem Schluss gekommen, dass sich das Modell für den Staat nicht rechnet. Von seinerzeit sechs realisierten Projekten schlugen fünf mit Mehrkosten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro gegenüber einer staatlichen Beschaffungsvariante zu Buche. Besonders krass: Der Ausbau der A1 von Bremen nach Buchholz ist am Ende nicht – wie im Vorfeld kalkuliert – um 40 Prozent günstiger gewesen als das Staatsmodell – sondern um 28 Prozent teurer.

Von der Wirklichkeit unbeeindruckt, gelangen die bei der Vergabe der Projekte entscheidenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen aber bis heute stets zum gegenteiligen Resultat, wonach sich ein Privatbetrieb für den Staat lohne. Auch im Fall der A61 ist der Weg vorgezeichnet. Die vWU weise „eine potenzielle Wirtschaftlichkeit der ÖPP-Beschaffungsvariante gegenüber einer konventionellen Beschaffung aus“, heißt es in der Antwort auf die Grünen-Anfrage. Begründet wird der Kostenauftrieb mit der „Berücksichtigung aktueller Marktentwicklungen“ sowie damit, dass die Prüfung eines ÖPP-Projekts „in mehreren Stufen durchgeführt“ werde. Dabei könnten „sich der Detaillierungsgrad und die Projektangaben verändern“.

Bei der A61 liegt eine „Veränderung“ in der Kopplung des Vorhabens mit der Bewirtschaftung zweier in der Nähe befindlicher, jedoch schon fertiggestellter Strecken auf der A650 und der A65. Wohl um die Unternehmung für Private noch attraktiver zu machen, sollen auch diese beiden Teilstücke – im Paket mit dem Großauftrag – langfristig von Investoren unterhalten werden. Allerdings erklärt das nach Ansicht des Grünen-Politikers Kindler nicht das Ausgabenplus von 75 Prozent. Auch die allgemeine Kostensteigerung im Bauwesen könne den Preis nicht um 600 Millionen Euro nach oben treiben. Das Grundübel sieht der Politiker deshalb im Modell ÖPP. Hierbei würden „kurzfristige Renditeerwartungen der beteiligten Bauunternehmen, Banken und Versicherungen im Zentrum stehen und nicht das Gemeinwohlinteresse“.

Toll Collect ist Anwalts Liebling

Auch im Fall der Pkw-Maut steht der Verdacht im Raum, der Zuschlag an ein Privatkonsortium könnte mittels frisierter Wirtschaftlichkeitsgutachten erfolgt sein. (vgl. NachDenkSeiten-Beitrag „Bescheuert. Ein Minister macht Verträge ohne Rechtssicherheit und sichert so die Profite von Investoren.“) Der Schluss liegt nahe, weil der Bund seit 1. September 2018 Eigentümer von Toll Collect ist. Das ist die Gesellschaft, die seit Jahren die Lkw-Maut auf deutschen Fernstraßen eintreibt und bei der Erhebung einer Pkw-Maut weitreichende Synergien einbringen könnte. Ein Privatbetreiber müsste die entsprechende Infrastruktur (z. B. Kontrollbrücken und -säulen) entweder erst aus dem Boden stampfen oder teuer vom Staat anmieten. Bei der abschließenden Wirtschaftlichkeitsprüfung (aWU) blieb dieser Posten jedoch gänzlich unberücksichtigt.

Toll Collect ist indes selbst ein Paradebeispiel dafür, wie sich Private auf Kosten der Allgemeinheit mit freundlicher Unterstützung der Damen und Herren Volksvertreter bereichern dürfen. Rückblick: Weil die früheren Eigner aus Telekom, Daimler und der französischen Cofiroute ihr Mautsystem anders als vertraglich vereinbart erst 2005 und damit zwei Jahre verspätet zum Laufen brachten, waren dem Bund horrende Summen durch die Lappen gegangen. Zwischenzeitlich machte er in zwei Schiedsgerichtsverfahren deshalb Forderungen von neun Milliarden Euro geltend. Davon blieben beim schlussendlich im Mai 2018 getroffenen „fairen“ Vergleich der Streitparteien nur mehr 3,2 Milliarden Euro übrig. Wirklich begleichen müssen die Betreiber nach Verrechnung mit früheren und kommenden Staatseinnahmen aber lediglich 1,3 Milliarden Euro. Davon bleibt nicht viel hängen: Die Einigung nach 14 Jahren Dauerzwist hat allein knapp eine halbe Milliarde Euro an Anwaltskosten verschlungen.

Ursprünglich sollte das Arrangement den Weg zu einer erneuten Privatisierung von Toll Collect nach einer halbjährigen Übergangszeit unter staatlicher Obhut ebnen. Mit dem Ende des Rechtsstreits waren alle Altlasten vom Tisch und die neuen Betreiber hätten befreit durchstarten können. Auch war mit dem Rechtsfrieden die Gefahr gebannt, dass „alte Geschichten“ noch einmal aufgewärmt werden. Der Bund hätte als Eigner tiefe Einblicke gewinnen können, warum der Auftakt damals so vermasselt wurde und in diesem Wissen womöglich noch viel mehr Schadensersatz geltend machen können.

A1 macht mobil

Das ließ die Regierung lieber bleiben und setzte statt dessen auf eine Fortsetzung der zerrütteten Ehe. Lange Zeit durften sich mit Telekom und Cofiroute zwei der drei Konzerne Hoffnungen auf einen erneuten Toll-Collect-Zuschlag machen, nachdem sie den Bund jahrelang durch Misswirtschaft und allerlei krumme Machenschaften um Einnahmen in Milliardenhöhe gebracht hatten. Es kam anders, weil Toll Collect plötzlich Scheuers letzte Patrone zur Rettung seiner „Ausländermaut“ war. Mit den bei der Vergabeentscheidung noch ignorierten Synergien konnte er das überteuerte Gebot von Kapsch und Eventim um eine Milliarde Euro kürzen, um so den Rahmen der vom Bundestag bewilligten zwei Milliarden Euro nicht zu sprengen.

Während in dieser Affäre das dicke Ende noch bevorsteht, kündigt sich auch schon die nächste fette Pleite für den Steuerzahler an. Am 29. Oktober wird das Oberlandesgericht Celle das Berufungsverfahren im Fall „A1 Mobil“ gegen die Bundesrepublik verhandeln. Das vom britischen Infrastrukturfonds John Laing und der Johann-Bunte-Bauunternehmung getragene Konsortium betreibt die sogenannte Hansalinie, ein zwischen 2008 und 2012 in ÖPP-Regie ausgebauter Streckenabschnitt auf der A1 zwischen Hamburg und Bremen. Weil die Erlöse aus der Lkw-Maut – angeblich wegen der Finanzkrise 2008 – hinter den Erwartungen zurückblieben, verlangen die Unternehmen Schadensersatz in Höhe von 778 Millionen Euro.

Vorausgegangen waren mehrere erfolglose Schlichtungsversuche und ein gescheiterter Vergleichsvorschlag durch das Landgericht Hannover. Dieses hatte die Klage daraufhin Anfang September 2018 in erster Instanz abgewiesen. Der Ausgang des Prozesses gilt als offen, aber wie gehabt verdienen sich Berater, Gutachter und Rechtsverdreher eine goldene Nase. Die Grünen-Fraktion hat jüngst bei der Bundesregierung in Erfahrung gebracht, dass der Bund bisher mehr als 300.000 Euro an Anwaltshonoraren in den Rechtsstreit gesteckt hat. Das sind freilich Peanuts angesichts dessen, was noch bevorsteht. Denn ganz egal, wie der Fall juristisch endet: Verlieren wird immer der Bund. Die Frage ist nur noch, wie schwer der Schlag ins Kontor ausfallen wird.

Too big to fail

Entweder werden horrende Entschädigungszahlungen fällig, mithin steht am Ende doch noch ein teurer Vergleich. Oder der Bund wird, sofern die Klage scheitert, anstelle der Investoren als Autobahnbetreiber wider Willen in die Bresche springen und alle mit einer Insolvenz verbundenen Folgekosten tragen müssen. Wie es heißt, wurde ein eigentlich fälliger Bankrott von „A1 Mobil“ allein durch ein Stillhalteabkommen mit den Banken abgewendet. Vor zwei Jahren machten dazu Meldungen die Runde, wonach 20 bis 30 Hedgefonds die Kredite der Gläubiger aufgekauft hätten und die Forderungen gegenüber der BRD durchfechten wollten. Das dürfte sich lohnen. Nach Recherchen der Initiative Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) kalkulierte das Konsortium für die Dauer seines 30jährigen Engagements mit einer jährlichen Rendite von im Schnitt 30 Prozent auf das eingesetzte Kapital.

Zahlen wie diese lassen den ganzen Wahnwitz solcher Geschäfte erkennen. „Wirtschaftlich“ sind diese allein für die beteiligten Unternehmen, während der Steuerzahler stets den Schaden hat. Geht ein Projekt baden, kann der Staat nicht einfach die fragliche Autobahn dichtmachen. Das Risiko bleibt in jedem Fall an ihm hängen. So macht sich die Politik hochgradig erpressbar. Der Speyerer Verwaltungswissenschaftler Holger Mühlenkamp hatte die Kräftekonstellation in einem Interview mit dem Onlineportal des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) einmal so beschrieben:

„Es wird häufig argumentiert, dass eine drohende Insolvenz Private davon abhält, ineffizient zu wirtschaften. Es ist aber genau andersherum, der Private wendet die Drohung gegen den öffentlichen Partner. Denn die öffentliche Hand kann sich in der Regel nicht leisten, dass der Private insolvent wird.“

Tatsächlich gibt es zum Pleiteprojekt Hansalinie einen Präzedenzfall: Der Warnow-Tunnel in Rostock. Weil die Profite nicht so sprudelten wie erhofft, erzwangen die Investoren eine Verlängerung der Laufzeit von 30 auf 50 Jahre sowie eine Verdopplung der Mautgebühren. Selbst die immer wieder vorgebrachte Behauptung vom Effizienzvorteil und Leistungsvorsprung der Privaten erscheint nicht haltbar. Zum Zug kommen bei ÖPP-Projekten in aller Regel große Baukonzerne, die sich an den schwer überschaubaren Großaufträgen gesundstoßen. Die Qualität bleibt dabei mitunter auf der Strecke. Im Zusammenhang mit den Kostensteigerungen bei der A 61 wies darauf in der Vorwoche der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) hin, der überwiegend kleinere und mittlere Handwerksbetriebe vertritt.

Nebelkerze „Schuldenbremse“

Die mittelständische Bauwirtschaft werde „komplett aus einem Marktsegment verdrängt, in dem sie seit Jahrzehnten erfolgreich tätig ist“, beklagte Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa in einer Medienmitteilung. Dabei baue der Mittelstand „kostengünstiger und zuverlässiger, als Finanzinvestoren das können“. Durch die Konzentration der Vergabe auf wenige Bieter werde der Wettbewerb ausgeschaltet, die Projekte würden niedriger kalkuliert und vergeben, ergänzte der Funktionär:

„Wenn dann – völlig überraschend – Mehrkosten entstehen, wird versucht, diese dem öffentlichen Auftraggeber anzulasten.“ Der Verband sieht sich durch die neuesten Ereignisse bestätigt: „ÖPP-Projekte in der Verkehrsinfrastruktur sind ineffizient und teuer.“

Komplettiert wird der Komplott gegen das Gemeinwesen mit dem Gerede von „schwarzer Null“ und „Schuldenbremse“. Der Staat, macht man Bürgerinnen und Bürgern weis, könne sich die Instandsetzung der maroden Infrastruktur nicht ohne Zuhilfenahme der Privaten leisten, weil man den kommenden Generationen eine zu schwere Hypothek ersparen müsse. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Durch die Einbindung profithungriger Investoren fällt die Endabrechnung um vieles teurer aus. Das betrifft nicht nur das Finanzielle. Durch die Auslagerung vormals ureigenster Aufgabenbereiche an die Privatwirtschaft gibt der Staat fahrlässig und ohne Not die Kontrolle über wichtige Bereiche der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge preis. Wohin das führen kann, zeigt sich aktuell am grassierenden „Mietenwahnsinn“.

Ohne „Schuldenbremse“, „schwarze Null“ und „Haushaltsdisziplin“ wäre es ein Leichtes, den Sanierungsstau im Straßenbau, bei Kitas, Schulen und Universitäten mit staatlichem Geld und in staatlicher Regie binnen weniger Jahre abzuarbeiten – gerade in Zeiten der Nullzinspolitik. Statt dessen werden die Instrumente im Namen einer „Sparpolitik“ hochgehalten, die in Wahrheit darauf abzielt, die öffentliche Infrastruktur in Bund, Ländern und Gemeinden zur Verfügungs- und Bereicherungsmasse von Konzernen zu machen und institutionellen Anlegern staatlich garantierte Renditen auf Kosten der Allgemeinheit zuzuschanzen. Genau dafür wurde die „Schuldenbremse“ erfunden, geknüpft an die widersinnige Bestimmung, ÖPP-Projekte von deren und der Geltung der Maastricht-Stabilitätskriterien auszunehmen. So lässt man die Schuldenberge von morgen in Schattenhaushalten von heute verschwinden.

Autobahn-GmbH

Vom selben Muster wird auch die vor zwei Jahren auf den Weg gebrachte zentrale „Infrastrukturgesellschaft Verkehr“ sein. Diese regelt künftig – zwar in Bundeshoheit, aber als privatrechtliche GmbH – Planung, Bau und Betrieb der deutschen Fernstraßen. Mit ihr sollen öffentlich-private Partnerschaften zur Norm eines dann funktional privatisierten Straßenbaus werden. Die im Gesetzespaket installierten „Privatisierungsbremsen“ erweisen sich jetzt schon als Makulatur. Eigentlich sollen ÖPPs nur für Abschnitte von maximal 100 Kilometern Länge angestoßen werden dürfen, damit nicht eine Handvoll Investoren alsbald über das ganze Autobahnnetz herrscht.

Aber genau dahin geht schon jetzt die Reise in Hessen. Dort will der Bundesverkehrsminister einen 60 Kilometer langen Abschnitt auf der A49 von Privaten ausbauen lassen, der fast nahtlos an eine bereits fertige und auf ÖPP-Basis betriebene Strecke anschließt. Kritiker monieren ein durchschaubares Manöver und einen Verstoß gegen das Grundgesetz. Fast schon selbstredend hat auch der Bundesrechnungshof vor einem teuren Irrweg gewarnt. Die Wirtschaftlichkeitsprüfung des Ministeriums sei in Teilen „nicht sachgerecht und methodisch falsch“ und weise „absichtliche Lücken und Mängel auf“.

Darin kennt sich Scheuer aus: Am Dienstag berichtete die ARD über einen „Rechentrick beim Porto“ im Zusammenhang mit der Vergabe des Pkw-Maut-Auftrags an Kapsch und Eventim. Hätten die Prüfer den gängigen Rabatt der Deutschen Post für Großkunden eingepreist, wäre die staatliche Beschaffungsvariante günstiger ausgefallen.

Kann ja mal passieren, wenn’s sein muss, auch immer.

Titelbild: hxdbzxy/shutterstock.com

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