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  3. Bund zieht Hoheit über Autobahnen an sich – mehr Staus erwartet

Wirtschaft Verkehrsreform

Warum uns jetzt das Jahrzehnt der Staus erwartet

Autobahnen sollen zentral gebaut und verwaltet werden

Der Bau und die Verwaltung deutscher Autobahnen soll in Zukunft von einer GmbH gelenkt werden. Dafür werden die Firnen Deges, VFIG und Toll Collect zu einer Bundesfernstraßengesellschaft zusammengefasst.

Quelle: Die Welt

Autoplay
Der Bund ist künftig allein für Deutschlands Autobahnen zuständig. Die gute Nachricht dabei: Bau und die Instandhaltung werden effizienter. Die schlechte, es wird vorerst viel mehr Staus geben.

Die Vorstände des Autobauers Ford waren so verzweifelt, dass sie hätten weinen können. Diese Brücke, diese erbärmliche Brücke! Sie dachten darüber nach, ein Schiff zu chartern, damit sie den Betrieb in ihrem Werk aufrechterhalten könnten. Ein sehr großes Schiff, mit dem sie einen Großteil ihrer 20.000 Mitarbeiter zählenden Belegschaft von einer Seite des Rheins auf die andere bringen könnten, morgens hin, abends zurück.

Dazu muss man wissen: Ford hat ein sehr großes Werk in Köln. Und über die Brücke, um die es geht, führt die A1 zwischen Köln und Leverkusen. Sie ist derart baufällig, dass man sie nur noch im Schleichtempo befahren darf. Für Lkw ist sie sogar gesperrt, spezielle Schranken hindern sie an der Durchfahrt.

Wenn ein Lkw-Fahrer, der das nicht glauben will, doch auf die Brücke fährt, muss er ziemlich bald umständlich über eine Notausfahrt rangieren. Dann wird der ohnehin meist lange Stau noch länger. Das ist einer der Gründe, warum Fords Mitarbeiter morgens eineinhalb Stunden früher losfahren, um eine Chance zu haben, pünktlich zur Arbeit zu kommen.

Verwaltung der Fernstraßen wird neu organisiert

Willkommen im Deutschland des Jahres 2016. Das Land der weltweit bewunderten Autobauer hat seine Verkehrswege heruntergewirtschaftet. So sehr, dass Konzerne erwägen, sie durch eigene Fähren zu ersetzen. Jahrzehntelang hat der Staat zu wenig investiert, vor allem in sein Verkehrsnetz. Das ist der eine Teil der Wahrheit.

Der andere ist: Die Bundesregierung will das nun ändern. Sie wird etliche Milliarden Euro bereitstellen, um das Problem zu lösen. Nach monatelangem Gerangel um Kompetenzen und Geld haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, die Verwaltung der Fernstraßen neu zu organisieren.

Für die Autofahrer ist das allerdings nicht unbedingt eine gute Nachricht. Die deutschen Autobahnen werden zwar irgendwann wieder in einem besseren Zustand sein, aber erst in vielen Jahren. Vorerst müssen sie eher damit rechnen, noch mehr Zeit in Staus und zäh fließendem Verkehr zu verbringen als bisher. Weil bürokratische Hürden fallen und plötzlich überall gebaut wird.

Gabriel und Dobrindt stoppten Schäuble

Die Reform bedeutet, dass künftig allein der Bund für die Autobahnen zuständig ist. Sie bedeutet, dass Bauvorhaben in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen, sogenannte ÖPP-Projekte, nicht mehr blind als Mittel zum schnellen und günstigen Straßenbau bejubelt werden. Auch ein Verkauf der Bundesfernstraßengesellschaft ist vorerst vom Tisch. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hätte diese Gesellschaft, nicht die Straßen selbst, am liebsten an private Investoren übertragen.

Seine Infrastrukturexperten hatten in einem Gesetzentwurf für die neue Gesellschaft geschrieben, dass lediglich die Mehrheit der Anteile beim Bund bleiben solle. Je mehr Privatanleger mit von der Partie seien, desto effizienter würden die Straßen verwaltet. Mitte der Woche aber verbündeten sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) gegen diesen Plan. Beide wollen eine Bundesautobahn-Gesellschaft, keine Investoren, die Rendite erwarten.

Sie stoppten Schäuble. Gegen eine Front von SPD, CSU und den Ländern kann er die Privatisierung nicht durchsetzen. Um die Fernstraßenverwaltung zu ändern, muss das Grundgesetz geändert werden. Dafür bräuchte Schäuble eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat.

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In dem mit Gabriel und Dobrindt abgestimmten Gesetzentwurf heißt es nun also: „Die Gesellschaft steht im vollständigen Eigentum des Bundes.“ Die knapp 13.000 Kilometer Autobahnen und rund 1300 Kilometer Bundesstraßen sollen künftig wie das Schienennetz verwaltet werden.

„Was wir vorhaben, ist kein Blindflug“

Eine Fernstraßenbehörde ist für die Genehmigung von Projekten zuständig, denn das ist eine hoheitliche Aufgabe. Betrieb und Erhalt der Straßen wird einer eigenen Gesellschaft übertragen. „Diese Bundesfernstraßengesellschaft wird eine GmbH. Das ist ein Kompromiss zwischen den Varianten einer AG oder einer Behörde“, sagt Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. „Eine GmbH ist flexibler als eine Behörde, aber leichter zu steuern als eine AG.“

Gebildet wird sie aus bereits bestehenden Gesellschaften: „Was wir vorhaben, ist kein Blindflug“, sagt Ferlemann. Die Projektmanagementgesellschaft Deges, die Verkehrsinfrastruktur-Finanzierungsgesellschaft und Toll Collect sollen in der neuen Autobahngesellschaft „aufgehen oder einbezogen werden“. Dazu Mitarbeiter aus den Verwaltungen der Länder.

Bundespolitiker arbeiten schon lange darauf hin, den Einfluss auf den Fernstraßenbau nicht mehr mit den Ländern teilen zu müssen. Es sei unsinnig, dass ein deutschlandweit geplantes Autobahnnetz von den Ländern umgesetzt werde – und damit immer blockiert werden kann. Weil man dort andere Prioritäten setzen oder eben gar keine neuen Autobahnen haben will. So entstehen Lücken im Fernstraßennetz, daher müssten die Autobahnen Bundessache sein.

Letztlich haben sich die Landesregierungen mit Geld überzeugen lassen.

Sauber getrennte Aufgabenteilung entscheidend

„Alle wollten, dass wir diese Reform der Fernstraßenverwaltung hinbekommen. Auch die Länder, die erhalten im Gegenzug 9,5 Milliarden Euro“, sagt Ferlemann. Kritiker sind sich aber noch so sicher, ob eine große Bundesbehörde automatisch besser arbeitet als mehrere Landesbehörden.

Entscheidend ist weniger, wer die Fernstraßen verwaltet, sondern ob es eine sauber getrennte Aufgabenteilung gibt. Und genau die bestand nicht.

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Der Bundesrechnungshof rügte schon 2007 in einem Bericht die unproduktive Mischverwaltung: „Die gemeinsamen Interessen von Bund und Ländern im Bundesfernstraßenbau werden von den spezifischen Interessen der Länder und der jeweiligen Straßenbauverwaltung überlagert, unabhängig davon, ob diese Ziele der Bundesfernstraßenplanung entsprechen oder nicht“, heißt es darin.

„Bislang haben Bund und Länder über den Autobahnbau diskutiert, da wurden Akten hin- und hergeschoben, Einwände geprüft, die Verfahren zogen sich. Dieser Unsinn muss aufhören, das muss klar geregelt und gebündelt werden“, sagt Ferlemann.

Zwei Drittel des Personals sitzt am Schreibtisch

Dass die Länder dabei den Kürzeren zogen, liegt auch daran, dass viele ihrer Straßenbauverwaltungen als wenig effizient gelten. Zum Beispiel die Nordrhein-Westfalens. „Straßen NRW“ benötigt 5890 Mitarbeiter, um 20.000 Kilometer Landstraße und Bundesautobahn zu betreuen. Zwei Drittel des Personals fasse niemals Schaufeln, Schilder oder Streumaschinen an, sondern sei „im nicht-produktiven Bereich“ eingesetzt – sitze also am Schreibtisch, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Universität Duisburg-Essen.

Theoretisch könne man im Land alle 5,1 Straßenkilometer einen Mitarbeiter aus der Behörde mit 584 Millionen Euro Jahresetat hinstellen, rechnet Dudenhöffer vor, um zu konstatieren: „Damit stellt sich die Frage, ob eine Straße ein so hoch komplexes Gebilde ist, dass sie alle 5,1 Kilometer eine eigene Verwaltungsfachkraft benötigt.“

Straßen NRW will die Rechnung so nicht gelten lassen. Bei den von Dudenhöffer als „nicht produktiv“ eingestuften Beschäftigten handele es sich überwiegend um Ingenieure, die Straßen planten oder Verkehrstechnik betreuten, sagt ein Sprecher.

Dudenhöffer hat sich aber auch andere Straßenverwaltungen der Länder angeschaut und kommt dabei zu einem besseren, aber keinesfalls einem guten Ergebnis: „In NRW hat man die höchsten Personalkosten pro Mitarbeiter von 4853 Euro pro Monat, während man in Rheinland-Pfalz mit 3559 Euro, also mit über 26 Prozent weniger auskommt.“ Brandenburg komme auf einen Personalaufwand pro Beschäftigen und Monat von 4064 Euro. Lediglich die Straßenverwaltung Bayern erhält von Experten überwiegend gute Noten.

„Fasst man zusammen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Länder mit scheinheiligen Argumenten kämpfen, wenn es um neue Strukturen und Privatisierungen geht“, so Dudenhöffer. Die Länder wollten schlicht ihre Behörden schützen.

Vorbehalte gegen ÖPP-Projekte

Für ihren Widerstand gegen eine Privatisierung der Autobahngesellschaft hatten sie auch reichlich Verbündete.

„Eine Beteiligung privater Anleger ist nur dann sinnvoll, wenn man damit auch privates Kapital gewinnen will. Aber das ist derzeit nicht nötig. Dem Bund stehen genug Mittel zur Verfügung“, sagt Mathias Oberndörfer, Bereichsvorstand Öffentlicher Sektor bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Die Zinsen sind niedrig und niemand kann sich billiger Geld leihen als die Bundesregierung.

Der Vorbehalt gegen eine Verquickung von Autobahnen und Privatunternehmen ist in der Politik groß. Beim Bund sieht man selbst Projekte in öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) skeptisch.

„Da muss man vorsichtig sein, allein das Stichwort ÖPP löst Gegenreaktionen in der Bevölkerung aus“, heißt es im Wirtschaftsministerium. Denkbar seien sie nur in Einzelfällen.

„Ob ÖPP-Projekte eine Option sind, hängt vom jeweiligen Bauvorhaben ab. Bei einfachen Streckenabschnitten können das private Unternehmen in der Regel besser planen und durchführen als eine Behörde. Die kommen dann mit ihren industriellen Standardverfahren und setzen das Projekt schnell um“, meint Oberndörfer. „Anders ist es bei aufwendigen Strecken: mit Brücken, Tunnels oder Ähnlichem. Dann steigen die Risiken des Projekts – und die preisen die privaten Unternehmen in ihre Kalkulation mit ein, das Projekt wird also teurer.“

Ob sich von Unternehmen finanzierte und betriebene Autobahnen für den Staat rechnen, wird sich beispielsweise auf Teilen der A8 in Bayern und der A1 in Niedersachsen zeigen. Zwischen 2005 und 2011 hatten private Betreiber dort Konzessionen für den dreispurigen Ausbau samt Finanzierung, Erhaltung und Betreuung einzelner Streckenabschnitte erhalten. Die Verträge laufen 30 Jahre. Im Gegenzug erhalten die Firmen die Einnahmen aus der Lkw-Maut auf ihrer Strecke. Neuere ÖPP-Modelle sehen vor, dass der Staat den Privatbetreiber direkt für die Nutzbarkeit der Straße bezahlt.

Die Sanierung der Leverkusener Autobahnbrücke eignet sich weniger als ÖPP-Projekt. Die Fertigstellung des Ersatzbauwerks wird sich also hinziehen.

Dennoch hat Ford seine Pläne für eine Fähre auf Eis gelegt. Man hätte die Hälfte der Kosten getragen, aber die Stadt Köln wollte die andere Hälfte nicht übernehmen. Nun versucht der Autobauer, sich der Bröckel-Brücke anzupassen. Ford macht die Arbeitszeiten der Mitarbeiter flexibler. Damit möglichst wenige gleichzeitig über den Rhein müssen.

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