Durchpeitschen der Autobahnprivatisierung deckt sieben Kurzschlüsse unserer Demokratie auf

Von Carl Waßmuth

Kurzschluss 12V20A.jpg, © MdE auf Wikimedia Commons und Wikipedia-DE, Lizenz: CC-BY-SA 3.0

Am 1. Juni 2017 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Paket aus 13 Grundgesetzänderungen und 19 Begleitgesetzen.. Einen Tag später, am 2. Juni, bestätigte der Bundesrat das Paket im Eilverfahren und einstimmig. Kern des Vorhabens ist die Privatisierung der Autobahnen. Mit dem Gesetzespaket werden die Autobahnen in Deutschland zentralisiert und ins Privatrecht überführt. Das materielle Eigentum an der neuen Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften bleibt beim Bund. Allerdings wurde eine materielle Privatisierungsform, sogenannte öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP), erstmals in Grundgesetz aufgenommen. Künftig kann nun das Management der neuen Gesellschaft den Neubau, Ausbau, Erhalt und Betrieb der Autobahnen auf Wege von ÖPP sukzessive oder – wenn gewünscht – auch auf einen Schlag privatisieren. Ermöglicht werden auch eigenkapital-ähnliche Anlageformen an der Gesellschaft selbst wie Genußscheine. Parallel wurde ÖPP in Schulen für förderfähig erklärt und mit 3,5 Mrd. Euro Fördergeld vom Bund ausgestattet. Damit hat die Bundesregierung insgesamt die Struktur geschaffen für den umfangreichsten Privatisierungsprozess in Deutschland seit dem Börsengang der Deutschen Telekom.

Gegen das Vorhaben gab und gibt es eine  umfassende Aufklärungskampagne und breiten Widerstand.  Wie kam es trotzdem zu dieser Privatisierung? Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es sicher noch umfassender Nachbetrachtungen.  Die Stimmen aus der Zivilgesellschaft haben sich durchaus als lautstark und selbstbewusst erwiesen. Dieser Protest hätte aber noch lauter, noch breiter sein können und müssen. Inhaltlich endete die Auseinandersetzung faktisch aus Zeitgründen. Wer vor der Abstimmung  an eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten geschrieben hatte, erhielt im besten Fall 36 Stunden vor der Abstimmung eine 10-seitige, vorformulierte E-Mail. Die meisten Abgeordneten antworteten erst nach der Abstimmung. Die Kurz-vor-Knapp-Argumentation erweist sich allerdings in den meisten Antworten der VolksvertreterInnen  als nicht stichhaltig, dazu an anderer Stelle mehr. [1]

Für die wenigen Tage, teilweise Stunden vor der Abstimmung reichte die Darstellung der Abgeordneten  jedoch offensichtlich aus.  Das war möglich, weil gleichzeitig  mindestens sieben wichtige Kontroll- und Ausgleichsmechanismen unserer Demokratie versagten. Diese Versagensformen werden nachfolgend dargestellt, es sind „sieben Kurzschlüsse“ unserer Demokratie:

Kurzschluss 1: Legislative und die Exekutive sind verschmolzen.

Bettina Hagedorn, MdB und maßgebliche Verhandlungsführerin der SPD im Bundestag zur Durchsetzung des Vorhabens sprach am Tag der Abstimmung von einer Sternstunde des Parlaments. Die SPD habe der (eigenen) Regierung enorm viel abgerungen. Tatsächlich haben sich die Abgeordneten zu Stimmvieh degradieren lassen. Sie gaben einem Vorhaben ihre Stimme, das nicht im Koalitionsvertrag stand, an dessen Entwicklung sie nicht beteiligt worden waren und dessen Kern – die Privatisierung der Daseinsvorsorge – sie nicht antasten durften. Sie waren nicht imstande, das undemokratische und in keiner Weise sachgerechte riesige Gesamtpaket aufzuschnüren. Sie ließen sich die Fristen diktieren, die in ihnen letzter Konsequenz nur 24 Stunden Zeit zur Bewertung eines riesigen Gesetzespakets ließ  – massive Eingriffe ins Grundgesetz inbegriffen.  Als „Privatisierungsbremsen“ etikettierte Änderungen des Bundestags retteten nur einen Status quo, der bis dato im Grundgesetz gleich gut und besser geregelt war.

Kurzschluss 2: Der Bundesrat versagte als Kontrollgremium.

Lange Jahre wichen die Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat voneinander ab. Änderungen am Grundgesetz und andere wichtige Vorhaben, die eine Zustimmung der Länder bedurften, konnten von der CDU/CSU nicht gegen die SPD durchgesetzt werden, ähnlich war es bei SPD-geführten Bundesregierungen. Mit der großen Koalition war diese wichtige Funktion der Länderkammer bereits unter Druck geraten. Im Falle der Entscheidung zur Autobahnprivatisierung versagte das Gegengewicht der Länder völlig. Zu Beginn des Verfahrens hatten die Länder noch 70 Änderungsanträge zum Regierungsentwurf gestellt. Diese Änderungsanträge wurden von der Regierung ausnahmslos zurückgewiesen. Statt nun deswegen den Vermittlungsausschuss anzurufen, ließen die Länder ihre Forderungen nicht nur fallen, sie stimmten auch dem Eilverfahren zu und erlaubten damit den handstreichartigen Eilbeschluss einen Tag nach der Bundestagssitzung. Und dann beschlossen sie selbst die Grundgesetzänderung einstimmig.

Kurzschluss 3: Die Oppositionsparteien versagen.

Die Oppositionsparteien zeigten sich außerstande, dem Regierungsvorhaben etwas Substantielles entgegenzusetzen. Linke und die Grüne leisteten zwar einiges an Aufklärungsarbeit und unterstützten die zivilgesellschaftlichen Bündnisse. Auch stimmten sie im Bundestag gegen die Autobahnprivatisierung . Im Bundesrat stimmten dann die Länder mit grüner und linker Regierungsbeteiligung für die Privatisierung. Sie  und bildeten ausgerechnet in einem derart strittigen Vorhaben wie dieser großen Privatisierung eine Allparteienkoalition, d.h. eine faktische Einheit aller derzeit im Bundestag vertretenen Parteien. Die Parteien ließen sich also spaltenin die Abgeordneten im Buundestag und in die Regierungsvertreter in den Bundesländern. Nun können die Regierungsparteien ihnen im Bundestagswahlkampf vorhalten , sie hätten doch bei der Privatisierung mitgestimmt.

Kurzschluss 4: Die Gewerkschaften sind kein verlässlicher Gegenpol zu Privatisierung mehr.

Anfangs noch kritisch gaben der DGB und die Gewerkschaften IG BAU und ver.di kurz vor der Entscheidung Pressemitteilungen heraus, in denen sie ihre zuvor kritischen Positionen weitgehend wieder aufgaben. ver.di ging sogar noch weiter. Die letzten Wochen vor der Entscheidung wurden von ver.di dazu genutzt, um mit dem Thema Privatisierung als Sprungbrett Vorteile für einen Großteil der aktuellen Beschäftigten herauszuverhandeln. Nach Abschluss dieser Verhandlungen kündigte ver.di faktisch das oben genannte Bündnis gegen die Privatisierung der Autobahnen auf: Am Tag der für die SPD entscheidenden Fraktionssitzung blieb ver.di der Pressekonferenz des Bündnisses fern und schickte stattdessen ver.di-Bundesvorstand Wolfgang Pieper in die (nicht-öffentliche) Fraktionssitzung der SPD. Dort empfahl Pieper dann Berichten zufolge, der Privatisierung zuzustimmen.

Kurzschluss 5: Die interne Demokratie der Parteien ist außer Kraft gesetzt.

In Art 21 GG steht noch: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. […] Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen.“ Diese Grundsätze schlagen sich aber nicht mehr in funktionierenden demokratischen Prozessen nieder. Zur größten Grundgesetzänderung am Ende der Legislaturperiode gab es keine Beschlüsse der Parteien CDU, CSU und SPD. Im Gegenteil: Die schnelle Verabschiedung im Bundesrat nur einen Tag nach der Bundestagsabstimmung bewirkte neben anderem, dass Grüne und SPD auf ihren Bundesparteitagen im Juni keine Anträge zu dieser Frage mehr beraten konnten. In der SPD hatte sogar 33.000 Genossinnen und Genossen einen deutlichen Aufruf gegen die Autobahnprivatisierung unterzeichnet – mehr als sieben Prozent aller SPD-Mitglieder. Auch dieses Votum konnte vollständig ignoriert werden.[2]

Kurzschluss 6: Die Kontrolle durch den Bundesrechnungshof ist zusammengebrochen.

Jahrelang hat der Bundesrechnungshof kritische Prüfberichte zu ÖPP herausgegeben. Auch das Vorhaben einer Privatisierung der Autobahnen  wurde mit kritischen Berichten und Stellungnahmen scharf angegriffen. Vier Tage vor der Abstimmung kam allerdings ein Bericht heraus, der wie eine Widerruf von Galileo Galilei wirkte. Der Bundesrechnungshof, dessen Mitglieder eine im Grundgesetz garantierte richterliche Unabhängigkeit genießen, widerrief wichtige frühere Positionen und ließ zentrale Forderungen fallen. Damit schaffte er für die Fraktionsspitzen der Großen Koalition die Möglichkeit, zu behaupten, ihr Gesetzentwurf würde den Forderungen des Bundesrechnungshofs entsprechen.

Kurzschluss 7: Die Vierte Gewalt stellt kein relevantes Korrektiv dar.

In den Monaten vor der Abstimmung gab es immer wieder punktuell kritische Berichterstattung, einige wenige Zeitungen berichteten sogar regelmäßig. Die Berichterstattung war allerdings nicht besonders breit und entschieden. Viele Medien kritisieren offenbar lieber Trump oder den internationalen Terrorismus als die eigene Regierung. Dennoch erreichten wichtige Informationen durchaus noch viele Menschen.  Das Versagen der Medien zeigte sich vor allem in den beiden Wochen vor der Abstimmung. Die bisherigen Entwürfe der Bundesregierung wurden kurzfristig verändert. Die neuen Änderungen schlossen – nach Darstellung der Großen Koalition – jede Privatisierung aus. Wer sollte nun beurteilen, ob das stimmt? Nun gab es durchaus kritische Analysen, die schnell genug waren. Der Verfassungsexperte Prof. Degenhart bewertete die Entwürfe sofort: „Es handelt sich hier um eine formelle oder Rechtsform-Privatisierung, die auf der Projektebene Effekte einer materiellen Teil-Privatisierung haben könnte.“ Leider erreichte diese Analyse nur noch sehr wenige. Die sogenannten Leitmedien nahmen das rasante und undemokratische Verfahren kommentarlos hin. Sie fanden nicht einmal etwas dabei, die Angaben der Bundesregierung zum Thema ungefiltert und ohne Kritik weiterzugeben. Unmittelbar vor der Abstimmung meldete dpa in pflichtschuldiger Hofberichterstattung, die Autobahnprivatisierung wäre nun ausgeschlossen. Und so beschloss der Bundestag eine Privatisierung, die nach breiter Übereinstimmung in den Leitmedien gar keine war.

Das gleichzeitige Versagen von wichtigen demokratischen Kontroll- und Ausgleichsmechanismen konnte durch die  Kampagne gegen die Privatisierung nicht ausgeglichen werden.  Die  Kampagne gegen diese Autobahnprivatisierung hat aufgezeigt, dass  tiefgreifende Probleme vorliegen, die mehr als einer Kampagne bedürfen. Bleibt alles so wie oben geschildert, steht der sukzessive Ausverkauf  der Daseinsvorsorge bevor. Die Pläne dazu liegen mit der sogenannten Fratzscher-Kommission in der Schublade: mit der Autobahnprivatisierung und der Schul-ÖPP-Förderung sind die Voraussetzungen und Blaupausen dafür geschaffen.

[1] Siehe dazu auch den Beitrag auf den Nachdenkseiten „Was ist von den Abgeordnetenbriefen zu halten, die sintflutartig verschickt worden sind, um die Zustimmung zu den Grundgesetzänderungen zur Autobahnprivatisierung zu erklären?“   sowie den GiB-Beitrag „Warum die Argumente der SPD nicht haltbar sind. Kurzanalyse der Standardantworten“

[2] Siehe dazu auch die GiB-Pressemitteilung  Das wichtigste Vorhaben der Legislatur darf endlich diskutiert werden

 

Der vorliegende Beitrag basiert auf dem Text „Privatisierung der Daseinsvorsorge als Coup“ von Carl Waßmuth, erschienen in der gedruckten Ausgabe der Zeitschrift „Lunapark 21. Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie“, Heft 2/2017.

5 Kommentare

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  2. Zu „Kurzschluss 3: Die Oppositionsparteien versagen“:

    Die von Ihnen wiedergegebene Aussage, die Grünen hätten im Bundestag gegen die GG-Änderung gestimmt, wird bis heute von abgeordnetenwatch verbreitet (http://www.abgeordnetenwatch.de/schaffung_einer_zentralen_gesellschaft_fuer_autobahnen_und_bundesstrassen-1105-880.html). Sie ist jedoch falsch, wie ein Blick auf die entsprechende Seite des Bundestages zeigt: https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=472. Die Grünen-Fraktion hat keineswegs mit „nein“ gestimmt sondern sich nahezu geschlossen der Stimme enthalten.

    Zum Abstimmungsverhalten der LINKEn im Bundestag wird ein wichtiger Fakt regelmäßig ignoriert: Das Abstimmungsergebnis war sehr knapp, die notwendige 2/3-Mehrheit wurde lediglich um 5,6 Prozentpunkte überschritten. 27 Abgeordnete sind aber gar nicht erst erschienen, und die LINKE-Fraktion hatte mit 10 abwesenden Abgeordneten die mit Abstand geringste Wahlbeteiligung (81%)! Keiner konnte vorhersagen, wie viele Abweichler es in der SPD geben würde – insgesamt haben immerhin 39 SPD-Abgeordnete nicht zugestimmt – die notwendige 2/3-Mehrheit für die GG-Änderung war im Vorfeld nicht gesichert. Man hätte als LINKE-Fraktion also selbstverständlich in kompletter Fraktionsstärke zur Abstimmung erscheinen und geschlossen dagegen stimmen müssen.

  3. Wieder einmal hat GiB/attac auch in der Niederlage hervorragende Arbeit geleistet. Diese klare Analyse des eigenen Scheiterns der Privatisierungsgegner ist jedoch für GroKo und KleiOpp gleichermaßen entlarvend. Viel schlimmer noch : Selten hat man eine so nüchterne, aber fundierte Kritik am aktuellen Gesetzgebungsbetrieb gelesen.

    In den verschiedenen Phasen des Deals, angefangen von Fratschers Kommission über die Erpressung der Länder durch 10 Milliarden Steuergeldumverbuchung bis hin zu Frau Hagedorns Sprachregelung für desinteressierte Koalitions-MdBs sind alle Details bei GiB klar und unwidersprochen zwei Jahre recherchiert und benannt worden.

    Angesichts dieser einschneidenden Änderungen unseres Grundgesetzes zu Gunsten lukrativer Kapitalrenditen wäre es angebracht, dass Wassmuths 7 Punkte in der bundesdeutschen Presse auf große Resonanz stoßen und dass auch manche Politiker zum Nachdenken kommen, die nicht nur mit Karriere und (privatwirtschaftlicher) Nachkarriere beschäftigt sind.

    Wenn sich die gewählten Abgeordneten so vielfältig trickreich auf allen Ebenen aus ihrer Verantwortung davon stehlen und die Gesetzgebungsverfahren zu einem eindeutig durchschaubaren Possenspiel verkommen sind, müssten eigentlich alle demokratisch-parlamentarischen Alarmglocken Sturm läuten.

    Noch-Bundesratspräsident Lammert wäre der richtige Mann dafür, diese auch ihn empörende Mängelliste der Gesetzgebungsabläufe aufzugreifen und öffentlich spektakulär so auf den Tisch zu hauen, dass die willfährigen Abgeordneten und die Bundesratabnicker begreifen, wie sie gerade eine immerhin akzeptiertes und Jahrzehnte lang funktionierendes Legislativsystem kaputt tricksen und durch vorsätzlich falsche verbale Beruhigungspillen ad absurdum führen.

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