Thesenpapier „Infrastruktur: Rettung durch Privatisierung?“

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Sieben Pro- und Contra-Argumente zur ÖPP-Initiative von Sigmar Gabriel

Sigmar Gabriel hat eine ÖPP-Kommission eingesetzt, die mit Unterstützung von Versicherungen und Banken Vorschläge erarbeitet, wie private Kapitalanleger Zugang zur Infrastruktur in Deutschland bekommen. Alexander Dobrindt bereitet neue Autobahn-ÖPPs vor und arbeitet an einer ÖPP-kompatiblen Maut. Wolfgang Schäuble lässt eine Grundgesetzänderung vorbereiten, damit ein großer Autobahnfonds für Anleger aufgelegt werden kann. Dieser massive Vorstoß zur Privatisierung der Daseinsvorsorge durch mehr und viel größere ÖPPs wird unterschiedlich begründet. Auf die Begründungen, von uns ÖPP-Fehlargumente genannt, gehen wir weiter unten ein.
Bei aller Argumentation will die Bundesregierung aber vor allem auf keinen Fall zugeben …

… dass privates Kapital in öffentlichen Infrastrukturen Verschuldung ist!
… dass die Projekte viel teurer werden, teilweise doppelt so teuer oder mehr!
… dass damit die Infrastruktur dauerhaft privatisiert wird!

Die Privaten retten unsere Infrastruktur? Nein, wir sollen die Versicherungen retten!
Sichere Renten fließen in die deutsche Infrastrukturen: Win-Win? Nach der Riesterrente jetzt die Gabriel-Infrastrukturrente? Nein danke. Bei den Sparern und in der Infrastruktur kommt dabei wieder nichts an, aber die Versicherungskonzerne können weiter weltweit zocken. Die Renditegarantien von sieben Prozent und mehr liefern neues Futter für weitere Runden im globalen Casino.

I. ÖPP-Fehlargument: „Die Infrastruktur der Daseinsvorsorge ist marode, der Infrastrukturstau ist enorm. Es muss dringend in erheblichem Maße saniert, aus- und umgebaut werden. Der öffentlichen Hand fehlt dazu das Geld, private Kapitalgeber können dem Staat aus der Misere helfen.“

Wir sagen: Schwarz-Gelb und Schwarz-Rot haben sich alle Mühe gegeben, unsere Infrastruktur kaputtzusparen. Seit 2003 wurde das öffentliche Anlagevermögen nicht mehr erhöht, sondern ist geschrumpft. Insbesondere kommunale Projekte wie Schulen und andere öffentliche Gebäude sind sanierungsbedürftig, aber auch Energie- und IT-Netze sowie die Verkehrsinfrastruktur müssen aus- und umgebaut werden.

Die Einnahmen der öffentlichen Hand sind so hoch wie noch nie. Wenn der Staat früher – bei weniger Einnahmen – die Infrastruktur selber finanziert hat, dann ist es heute aus wirtschaftlicher Sicht allemal möglich. Es ist nur politisch nicht gewollt, die selbst-auferlegte Schuldenbremse behindert zudem die Aufnahme neuer Kredite. Normale Bundesanleihen wären viel günstiger als private Kredite. Diese höheren Kosten werden abgewälzt auf die NutzerInnen der Infrastruktur und auf die öffentlichen Haushalte.

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II. ÖPP-Fehlargument: „Viele Kommunen haben weder das Geld noch das Know-How, den kommunalen Investitionsstau aufzulösen. Die Bündelung von privatem Kapital in großen „ÖPP-Plus- oder ÖPP-Pools“ kann helfen, beide Probleme zu lösen.“

Wir sagen: Viele Kommunen haben wenig Geld und viele Schulden. Mit ÖPP haben sie bald noch weniger Geld, und noch mehr Schulden. Die finanzielle Unterausstattung der Kommunen ist das Problem, und ÖPP hilft da keinen Deut weiter. Mit ÖPP werden die Investitionen verteuert, die Projekte werden der demokratischen Kontrolle entzogen und die Schulden in die Zukunft verlagert.

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III. ÖPP-Fehlargument: „Private Lebens- und Rentenversicherungen haben sehr viel freies Kapital, für das sie nach Anlagemöglichkeiten suchen. Insbesondere in Zeiten der Niedrigzinspolitik könnten ÖPP-Projekte eine Win-win-Situation bewirken: Die Renten wären langfristig gesichert, die Infrastruktur ausreichend finanziert. Dafür müssen jedoch zunächst günstige Rahmenbedingungen für Versicherungen geschaffen werden.“

Wir sagen: Die privaten Rentenversicherungen – Stichwort Riesterrente – sind aus Sicht der Anleger offensichtlich gescheitert. Die versprochene Verzinsung und selbst die Subventionen aus Steuergeldern blieben zu einem großen Teil bei den Versicherungskonzernen hängen. Das wird wieder so sein, wenn nun die Gelder für die Infrastrukturen an die Versicherungen gehen – bei den einfachen Versicherten wird es zuletzt ankommen. Vor allem ist es keine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die gescheiterte private Vorsorge Weniger auf Kosten Aller zu retten. Dafür müssen die institutionellen Anleger, die als einzige von dem Modell der privaten Rentenversicherungen profitiert haben, herangezogen werden.

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IV. ÖPP-Fehlargument: „Sparer und Kleinanleger haben Schwierigkeiten, attraktive Anlagen für ihre Altersvorsorge zu finden. Wegen der Absenkung der gesetzlichen Rente infolge der demografischen Entwicklung wird eine private Zusatzverversorgung notwendig, sonst droht ihnen Altersarmut. Über Bürgeranleihen können nun Kleinanleger und Infrastruktur profitieren.“

Wir sagen: Die große Mehrheit der BürgerInnen in Deutschland verdient nicht genug Geld um zu sparen oder hat sogar Schulden. Diese Menschen können nicht privat vorsorgen, selbst wenn sie wollten. Deswegen wurde die gesetzliche Rente eingerichtet, sie soll vor Altersarmut schützen und die Lasten zwischen den Generationen gerecht verteilen. Das Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung ist: Die heute Arbeitenden bezahlen die Rente der heute in Rente Lebenden. Mit der massiven Förderung der privaten Rente wurde vielen die Hoffnung gemacht, die Kapitalmärkte würde ihre Rente bezahlen. Nun zeigt sich, dass das nicht funktioniert. Wer sich privat versichert hat, bekommt statt mehr weniger Rente, zuweilen sogar weniger, als sie oder er einbezahlt hat. Die Riesterrente hat nur den Versicherungskonzernen geholfen, nicht den Menschen. Nun soll die Gabriel-Infrastruktur-Rente Riester ablösen. Aber das Geld, das den Versicherungen dafür aus den Steuergeldern bezahlt wird, wird nicht bei den Versicherten ankommen, und auch nicht in der Infrastruktur.

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V. ÖPP-Fehlargument: „Wenn das in großen Mengen vorhandene und weltweit frei fließende private Kapital in die deutsche Infrastruktur investiert wird, könnten damit Spekulationen reduziert werden.“

Wir sagen: Für die Unterbindung der Spekulationen gibt es bereits sinnvolle Konzepte wie die Einführung der Finanztransaktionssteuer oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Es wird sich auf die Finanzmärkte alles andere als stabilisierend auswirken, wenn der derzeitige Niedrigzins bei Staatsanleihen nun mit Rendite-garantien für Infrastrukturanleihen umgangen wird. Sieben Prozent Renditegarantie und mehr wird neues Futter für weitere Runden im globalen Casino liefern. Die „günstigen Rahmenbedingungen“ sollen zudem weitere Deregulierungen sein. So fordern die Versicherungen eine drastische Aufweichung ihrer Eigenkapitalvorschriften. Auch sollen die neuen Infrastrukturanleihen handelbar sein, um auf den Finanzmärkten für Infrastruktur zirkulieren zu können. Im Endeffekt wird nur noch mehr unkontrolliertes und frei fluktuierendes Kapital für Spekulationen erzeugt.

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VI. ÖPP-Fehlargument: „ÖPP-Projekte sind vielfach wirtschaftlicher als die konventionelle Beschaffung. Zinsnachteile werden ausgeglichen durch eine schnellere und hochwertigere Umsetzung. So werden auch die volkswirtschaftlichen Kosten reduziert, die durch Bauzeitverlängerungen oder Staus entstehen. Versicherungen garantieren, dass nur gut strukturierte, d.h. wirtschaftliche Projekte umgesetzt werden.“

Wir sagen: Bundes- und Landesrechnungshöfe raten von ÖPP-Projekten ab, weil sie unwirtschaftlich sind. Auch einige Bundesländer, wie z.B. Sachsen-Anhalt, NRW oder Thüringen, ziehen sich aus ÖPP-Geschäften zurück weil sie unwirtschaftlich sind und andere Probleme verursachen, wie z.B. einen Verlust an demokratischer Steuerung im Bereich der Daseinsvorsorge. ÖPP ist auch nicht schneller: Die hochkomplexe Ausschreibung und die Aushandlung der vieltausendseitigen Verträge verzögert den Projektstart regelmäßig um mehrere Jahre. Und dass ÖPP zu hochwertigerem Bauen führt, ist eine pure Behauptung. Bei der A1 lösten sich die neuen Beläge nach einem dreiviertel Jahr, obendrein stiegen die Unfallzahlen rasant in die Höhe. Selbst wenn man davon ausgeht, dass bei diesen ÖPPs zunächst schneller oder qualitativ hochwertig gebaut wurde, der volkswirtschaftliche Schaden – z.B. durch überdurchschnittlich viele Unfälle und die deswegen erforderlichen Polizeieinsätze – war viel größer als jeder Nutzen durch schnelleren Bau sein könnte.
Versicherungen haben mit dem Bauen nichts zu tun. Sie Versprechen Wirtschaftlichkeit, tatsächlich kommen sie nur als Kreditgeber ins Spiel. Versicherungen verstehen vom Bauen nichts, und sie interessieren sich auch nicht dafür. Sie interessiert nur der regelmäßige Geldfluss, der in ÖPP-Verträgen durch die staatlichen Zahlungen zum Erhalt und Ausbau der Infrastrukturen garantiert ist. Gleichzeitig verliert die öffentliche Hand aber die Kontrolle über die eigene Infrastruktur und wird erpressbar.
Was Bauen nachhaltig gut und schnell macht, ist eine gut und am Bedarf geplante, transparente Planung und Überwachung. Das kann die öffentliche Hand – noch. Es ist auch ein Ziel der ÖPP-Industrie, dass der Staat das Bauen für sich selbst verlernt – dann wären wir völlig abhängig und müssten jeden Preis bezahlen, um weiter eine intakte Daseinsvorsorge nutzen zu können.

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VII. ÖPP-Fehlargument: „Private Kapitalanleger übernehmen in den neuen Infrastrukturfonds Risiken vom Staat. Das sind allgemeine Risiken aus dem Bauen und aus Kosten- und Bauzeitüberschreitungen, die sonst die Bürgerinnen und Bürger tragen müssten. Die Anleger riskieren, dass die Anlage im Wert sinkt oder sogar ganz ausfällt. Dafür ist eine Verzinsung über dem Niveau von Staatsanliehen gerechtfertigt.“

Wir meinen: Im Bereich der Daseinsvorsorge kann kein Risiko an die Privaten übertragen werden. Unverzichtbare Infrastrukturen dürfen nicht ausfallen – und dafür bürgt letztendlich immer nur der Staat bzw. die ganze Gesellschaft. Trinkwasser, wichtige Verkehrswege, Krankenhäuser, Schulen: Das alles muss bereitgestellt werden. Jede behauptete Risikoübertragung dient nur dazu, eine staatliche Garantiezahlung an Private zu begründen, die nichts anderes ist als ein für den Staat völlig überteuerter, aber für die Anleger risikoloser Kredit. Wenn wirklich etwas passiert, muss der Staat in jedem Fall einspringen.

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Unterschreiben Sie jetzt unsere Petition „Kein Ausverkauf unserer Infrastruktur an Versicherungen und Banken!“: www.gemeingut.org/gabriel-stoppen

2 Kommentare

  1. Privates Kapital in öffentlichen Infrastrukturen ist nicht nur Verschuldung, die Erträge mehren auch das private Kapital, sehe ich das richtig? D.h. dem Gemeinwesen werden Erträge entzogen. Die Akkumulation des Kapitals wird massiv vorangetrieben.

  2. Nach TTIP /Ceta kommt mit dem Finanzierungsmodell ÖPP – also die marode
    Infrastruktur, Straßen ,Schulen,Brücken etc. auf Kredit und Darlehn vom Kapitalmarkt aufzunehmen, um so den „Kapitalanlegern“ wie z.B Versicherungen die vor der „Zinspleite“ stehen und die alten
    Verträge mit den Zinsversprechen von bis zu 4 % nicht mehr am Kapitalanlagemarkt erzielt werden können,brauchen dringend neue „Einahmeqellen“ mit höheren Renditen.Zahlen sollen das die „Bürger“
    von der „Mautgebühr“,wenn es nicht reichen sollte – kann man ja die Geühren erhöhen. „Pasta“….. Diese versteckten“Steuer-und Abgabenerhöhungen“, belasten ja nicht die „Schwarze Null „.

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